Offener Brief der Partei für Soziale Gleichheit an Professor Jörg Baberowski

Wir veröffentlichen hier einen Brief, den die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) an Professor Jörg Baberowski, den Leiter des Lehrstuhls für osteuropäische Geschichte an der Humboldt Universität, verschickt hat.

Herr Professor Baberowski,

für die letzte Veranstaltung Ihres Kolloquiums in diesem Semester haben Sie den britischen Autor Robert Service als Referenten eingeladen. Er soll dort am 12. Februar 2014 zu dem Thema „Trotzky – Problems of a Biography“ sprechen.

Robert Service zu einem Vortrag über das Thema Biografie einzuladen, kommt einer intellektuellen Provokation gleich. Es gibt kaum ein Werk, das seinen Autor derart diskreditiert hat, wie die 2009 in Englisch und 2012 in Deutsch erschienene Trotzki-Biografie von Robert Service. Sie ist kein wissenschaftliches Werk, sondern, wie es der Nestor der Kommunismus-Forschung, Prof. Hermann Weber (Mannheim), ausdrückte, eine „Schmähschrift“, die „mit Lügen, Geschichtsfälschungen, unseriösen Quellenangaben und sogar antisemitischen Vorurteilen hantiert“.

Anerkannte Historiker aus mehreren Ländern haben diese Einschätzung bestätigt. Im Juni 2011 veröffentlichte Bertrand Patenaude, Historiker an der kalifornischen Stanford University, in der angesehenen Fachzeitschrift The American Historical Review eine vernichtende Kritik von Services Trotzki-Biografie. Patenaude schrieb: „In seinem Eifer, Trotzki niederzumachen, leistet sich Service zahlreiche Verzerrungen der historischen Fakten und offene Fehler in einem Ausmaß, das die intellektuelle Integrität des gesamten Vorhabens in Frage stellt.“ Die Fehler seien „so krass, dass sie einem die Sprache verschlagen“.

Bereits vorher hatte der Chefredakteur der World Socialist Web Site und Vorsitzende der Socialist Equality Party (SEP), David North, Service zahlreiche Fehler, irreführende Darstellungen und Fälschungen nachgewiesen, die zum Teil direkt aus dem Arsenal der stalinistischen Propaganda stammen. The American Historical Review gab North, dessen Buch „Verteidigung Leo Trotzkis“ auch in deutscher Sprache erhältlich ist, in vollem Umfang recht. Sie gelangte zum Schluss: „North nennt Services Biografie ein ‚zusammengeschustertes Machwerk‘. Harte Worte, aber völlig berechtigt. Harvard University Press hat einem Buch sein Imprimatur erteilt, das die elementaren Regeln der Geschichtswissenschaft missachtet.“

Im Juli 2011 wandten sich dann 14 namhafte Historiker, Politikwissenschaftler und Publizisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in einem Brief an den Suhrkamp Verlag und rieten von der Veröffentlichung einer deutschen Ausgabe von Services Trotzki-Biografie ab. Auch sie kritisierten, er habe „grundlegende Standards der Geschichtswissenschaft missachtet“, und bezeichneten seine Biographie als „Schmähschrift“.

Zu den Unterzeichnern des Briefes gehören Experten von internationalem Ruf, wie Prof. Hermann Weber (Mannheim), der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien Prof. Oliver Rathkolb, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Prof. Peter Steinbach (Berlin), Prof. Heiko Haumann (Basel) und Prof. Mario Kessler (Potsdam).

Jeder ernsthafte Wissenschaftler hätte sich bemüht, seine akademische Reputation gegen ein derart vernichtendes Urteil zu verteidigen. Nicht so Robert Service. Er hat keinen einzigen Versuch unternommen, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Der Grund ist, dass er sich selbst nicht als Historiker, sondern als rechten Propagandisten versteht. Er selbst hat dies offen eingestanden. Bei einer Vorstellung seines Buches in London äußerte er laut einem Zeitungsbericht die Hoffnung: „Wenn der Eispickel [die Waffe, mit der Trotzki 1940 in Mexiko ermordet wurde] nicht gereicht hat, ihn endgültig zu erledigen, habe ich das nun hoffentlich geschafft.“

Vor diesem Hintergrund ist es offenkundig, dass Sie Robert Service nicht aus wissenschaftlichen, sondern aus unausgesprochenen politischen Gründen eingeladen haben, Professor Baberowski.

Die Einladung an Service steht in auffallendem Gegensatz zum Verhalten, das Sie und Ihre Fakultät an den Tag legten, als der renommierte amerikanische Historiker Prof. Alexander Rabinowitch im Oktober 2010 in Berlin sein neues Buch „Die Sowjetmacht – Das erste Jahr“ vorstellte. Damals weigerten Sie sich, einen angemessenen Hörsaal für den Vortrag zur Verfügung zu stellen, und lehnten es sogar ab, Rabinowitch zu empfangen und die Anwesenheit dieses international anerkannten Experten für russische Geschichte zur Kenntnis zu nehmen. 

Das Online Forum „H-Soz-u-Kult“ hatte vier Monate vorher, kurz nach ihrer Veröffentlichung in englischer Sprache eine enthusiastische Besprechung der Trotzki-Biografie von Service veröffentlicht. Sie war von Andreas Oberender, einem Mitarbeiter Ihrer Fakultät, verfasst und von Ihnen redaktionell betreut worden. Sie preist die Biografie in den höchsten Tönen, ohne konkret etwas über ihren Inhalt zu sagen oder einen einzigen Satz daraus zu zitieren. Stattdessen fügt sie Services wüsten Schmähungen gegen Trotzki noch einige weitere hinzu.

Im vergangenen Sommer nahmen Sie dann gemeinsam mit Robert Service am Summer Workshop der Hoover Institution der Stanford University teil. Die Hoover Institution ist eine Hochburg des Antikommunismus des Kalten Kriegs und der nachsowjetischen Ära. Es sieht so aus, als seien die Pläne zur Einladung von Service dort entstanden.

Natürlich steht es Ihnen frei, mit wem Sie sich treffen und zusammenarbeiten. Aber Ihre Studenten haben ein Recht darauf, die Einwände gegen ein Buch zu kennen, das im Rahmen des Kolloquiums Ihres Lehrstuhls vorgestellt wird, und sich selbst ein Urteil zu bilden.

In der Einladung zum Kolloquium heißt es: „Alle Interessierten sind herzlich willkommen!“ Wir nehmen diese Einladung gerne an. Wir werden den Rahmen des Kolloquiums selbstverständlich respektieren, erwarten aber, dass Kritiker von Service die Möglichkeit erhalten, Fragen zu stellen und die fundierten Einwände gegen sein Buch vorzutragen. Er hat diese Einwände bisher nicht beantwortet. Nachdem Sie ihn eingeladen haben, über die Probleme seiner Trotzki-Biografie zu sprechen, ist er verpflichtet, dies zu tun.

Für die Partei für Soziale Gleichheit, Sektion der Vierten Internationale

Wolfgang Weber 

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