Am 11. Dezember 2016 erinnerte die internationale sozialistische Bewegung an den 160. Geburtstag von Georgi Walentinowitsch Plechanow, dem „Vater des russischen Marxismus“. „Was Menschen Übles tun, das überlebt sie. Das Gute wird mit ihnen oft begraben.“ [1] Dies gilt in hohem Maße auch für Plechanow. Diese Einschätzung von ihm entspringt nicht einfach subjektiven Launen von Historikern, sondern dem widersprüchlichen Charakter seiner langen Laufbahn als Revolutionär.
Dass Plechanow in seinen letzten Lebensjahren vor dem nationalen Chauvinismus kapitulierte, hat sein politisches Erbe schwerwiegend beeinträchtigt und sein Ansehen innerhalb der politischen Linken erschüttert. Als im Jahr 1914 der Weltkrieg ausbrach, trat er für die Verteidigung Russlands gegen Deutschland ein. Im Jahr 1917 war er ein erbitterter Gegner der Oktoberrevolution. Dieser zweifache Verrat war nicht das Ergebnis episodischer Fehleinschätzungen. Wir wollen nicht soweit gehen und behaupten, dass Plechanows persönliches Schicksal vorherbestimmt gewesen sei, denn Menschen treffen immer ihre eigenen Entscheidungen. Dennoch reflektiert sein politischer Niedergang das Schicksal einer ganzen Generation von Revolutionären, die von der Weltkrise, die im August 1914 ausbrach, in einem objektiven Sinne politisch überwältigt wurden.
Es ist verständlich, dass Historiker und Biographen bestrebt sind, in früheren Irrtümern und Fehltritten die „Wurzeln“ des katastrophalen Endes von Persönlichkeiten wie Plechanow aufzudecken. Doch solche notwendige politische Autopsieübungen können auch zu einseitigen Beurteilungen führen. Das Leben des Betreffenden wird dann als Konflikt zwischen seinen „guten“ und „schlechten“ Seiten interpretiert. Doch die Entwicklung eines politischen Führers kann nicht richtig verstanden werden, wenn man sie als Auseinandersetzung zwischen positiven und negativen Eigenschaften auffasst, die um die Vorherrschaft streiten. Vielmehr zeigt sich die tiefere Bedeutung der facettenreichen und ineinander greifenden Elemente einer politischen Persönlichkeit nach und nach, wenn man sie im Kontext objektiver Umstände untersucht. Dasselbe gilt für politische und geistige Strömungen. Goethes Mephistopheles warnte: „Vernunft wird Unsinn. Wohltat Plage.“ [2] Was in einer bestimmten historischen Periode mit gutem Grund als wahr und als Quell der Stärke erscheint, erweist sich in einer anderen Periode als falsch und als verhängnisvolle Schwäche.
Die Herausforderung beim Studium von Plechanows Leben besteht darin, die notwendige historische Objektivität zu wahren. Fraglos waren bereits im Jahr 1905 Anzeichen für seinen politischen Niedergang sichtbar. Dies kann weder mit einem plötzlichen Nachlassen seiner intellektuellen Kräfte noch mit einer Verstärkung „negativer“ Seiten seiner Persönlichkeit erklärt werden. Der vorherrschende Faktor im Niedergang Plechanows war der Ausbruch der ersten Russischen Revolution sowie ihre Auswirkung auf ihn.
Plechanow war der erste marxistische Theoretiker, der das Erscheinen der Arbeiterklasse in Russland als revolutionäre gesellschaftliche Kraft vorhergesagt hat. Der Ausbruch der Revolution im Jahr 1905 bestätigte seine Einschätzung der entscheidenden Rolle, die die Arbeiterklasse in der demokratischen Revolution spielen sollte. Doch sie warf auch grundlegende politische Fragen über die Beziehung zwischen dem Kampf für politische Demokratie, dem Sturz der Kapitalistenklasse und der Errichtung des Sozialismus auf – Fragen, die im Widerspruch zu Schlüsselelementen der Perspektive standen, die Plechanow im vorangegangenen Vierteljahrhundert entwickelt hatte. Sein Festhalten an einer politischen Perspektive, die von den Ereignissen überholt wurde, setzte einen langanhaltenden Prozess des Niedergangs in Bewegung, der in einem direkten Verrat gipfelte.
Doch Plechanows Ende hebt seine Leistungen nicht auf. Auch bedeutet die letztendliche Widerlegung wesentlicher Elemente seiner Perspektive nicht, dass heute aus dem Studium seiner politischen Schriften nichts zu gewinnen wäre. Es ist häufig der Fall, dass Genies, ob sie nun im Bereich der Politik, Wissenschaft oder Kunst wirken, den nachfolgenden Generationen viele noch zu entdeckende, verborgene Juwelen hinterlassen. Ganz gewiss trifft dies auf Plechanow zu. Seine Schwächen und Misserfolge sind wohlbekannt, und ihr Studium hat vielen Generationen von Revolutionären als warnendes Beispiel gedient. Doch Marxisten, die heute einen suchenden Blick in sein Werk werfen, werden in seinem theoretischen und politischen Erbe Vieles finden, das von großem Wert für die Wiederbelebung einer revolutionären Bewegung der internationalen Arbeiterklasse ist.
Es ist unmöglich, innerhalb eines einzelnen Artikels das Ausmaß des Beitrags adäquat zusammenzufassen, den Plechanow für die frühe Entwicklung und Verteidigung des Marxismus geleistet hat, insbesondere in den drei Jahrzehnten, die der Revolution von 1905 vorangingen. Seine Schriften übten außerordentlichen Einfluss auf die theoretische und politische Ausbildung Lenins, Trotzkis und der Generation russischer Marxisten aus, die die Oktoberrevolution anführten und den ersten Arbeiterstaat in der Geschichte begründeten.
Plechanows Größe als historische Persönlichkeit beruht auf seinen umfangreichen theoretischen Schriften, die die Ideen von Marx und Engels erläutern und entwickeln. Zu den bekanntesten zählen: „Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung“, „Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“, „Über Materialistische Geschichtsauffassung“ und „Die Grundprobleme des Marxismus“.
Plechanows Kritik an den Grenzen des französischen Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts und seinem Bezug zur Ausarbeitung der Theorie des dialektischen und historischen Materialismus durch Marx und Engels ist bis heute maßgebend. Seine Kenntnis der Philosophiegeschichte war enzyklopädisch. Der zeitgenössische Leser fragt sich, ob es einen bedeutenden philosophischen Text gab, den Plechanow nicht beherrschte. Es bereitete ihm großes Vergnügen, einem aufgeblasenen kleinbürgerlichen Professor, der seine eigenen konfusen und eklektischen philosophischen Spekulationen als bahnbrechende Leistung darbot, nachzuweisen, dass seine „Entdeckungen“ bereits vor hundert oder zweihundert Jahren in weit eleganterem literarischem Stil veröffentlicht worden waren.
Plechanows Schriften sind gehaltvoll, und wer sich die Zeit nimmt, sie aufmerksam zu lesen, wird erstaunt sein über die anhaltende Bedeutung seiner Erkenntnisse. Im Jahr 1896 knüpfte Plechanow sich den französischen Historiker Taine vor, weil dieser historische Prozesse mit dem falschen Begriff der Rasse erklärte. „Nichts leichter, jede Schwierigkeit loszuwerden“, schrieb Plechanow, „als wenn man die etwas komplizierteren Phänomene der Tätigkeit diesen angeborenen und ererbten Dispositionen zuschreibt. Aber die historische Ästhetik leidet darunter sehr.“[3]
In einem anderen Kommentar zu demselben Thema bemerkte Plechanow ironisch: „Es ist bekannt, dass jede Rasse sich, besonders auf den ersten Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung, für die schönste hält und gerade diejenigen Merkmale hoch schätzt, durch die sie sich von den anderen Rassen unterscheidet.“[4] Als brauchbare Kategorie der historischen Analyse lehnte Plechanow die Rasse ab. „Was die geschichtlichen Völker betrifft, so wollen wir vor allem darauf hinweisen, dass in Anwendung auf diese das Wort Rasse überhaupt nicht gebraucht werden kann und darf. Wir kennen kein einziges geschichtliches Volk, das man als reinrassig bezeichnen könnte; jedes Volk ist das Resultat einer außerordentlich langwährenden und starken Kreuzung und Mischung von verschiedenen ethnischen Elementen.“[5] Mit Worten, die es verdienten, dass sie den zahllosen pseudolinken und akademischen Vertretern der Identitätspolitik ins Gesicht geschleudert werden, schrieb Plechanow:
„Die Gesellschaftswissenschaft wird außerordentlich viel gewinnen, wenn wir endlich die schlechte Gewohnheit ablegen, all das, was uns in der geistigen Geschichte des betreffenden Volkes unverständlich erscheint, auf die Rasse abzuwälzen. Vielleicht übten die Stammeseigenschaften auch einen gewissen Einfluss auf diese Geschichte aus. Dieser hypothetische Einfluss war aber sicherlich so unermesslich klein, dass man im Interesse der Forschung besser tut, ihn gleich Null zu setzen und die in der Entwicklung dieses oder jenes Volkes wahrgenommenen Eigentümlichkeiten als Produkt der besonderen historischen Bedingungen zu betrachten, unter denen sich diese Entwicklung vollzog, und nicht als Resultat des Rasseneinflusses.“ [6]
Als führender Verteidiger des philosophischen Materialismus kreuzte Plechanow die Klingen mit unzähligen Vertretern der verschiedensten Schulen des subjektiven Idealismus. Seine Gegner, unter denen sich solche intellektuellen Koryphäen Europas wie Benedetto Croce, Wilhelm Wundt und Thomas Masaryk befanden, zogen sich in diesen Auseinandersetzungen gewöhnlich schmerzende und blutende Wunden zu. Plechanows unversöhnliche Verteidigung des Materialismus macht ihn bis heute zum Angriffsziel. Regelmäßig werden seine Ansichten als „Vulgarisierung“ des Marxismus und der Dialektik hingestellt. Besonders weit verbreitet ist diese Ansicht im Milieu pseudolinker Tendenzen, die unter dem Einfluss irrationalistischer und idealistischer Strömungen stehen, vom neukantianischen Strukturalismus und Positivismus bis hin zur Frankfurter Schule und der Postmoderne.
Häufig wird behauptet, Plechanow habe Hegel nicht verstanden und habe sich der dialektischen Methode gegenüber desinteressiert gezeigt. Dieser Vorwurf wird insbesondere von Anhängern der Frankfurter Schule und der Postmoderne erhoben. Deren Kritik beweist aber lediglich, dass sie sich nicht die Mühe gemacht haben, Plechanow zu lesen, und dass sie ein äußerst armseliges Verständnis von Hegel haben, von Marx ganz zu schweigen. Der Aufsatz „Zu Hegels sechzigstem Todestag“, den Plechanow 1891 veröffentlichte, ist eine der feinsinnigsten Erläuterungen der Bedeutung, welche die dialektische Methode des großen Idealisten für die Entwicklung des Marxismus hatte. Plechanow schrieb:
„Die Bedeutung Hegels für die Gesellschaftswissenschaft besteht vor Allem darin, dass er alle gesellschaftlichen Erscheinungen in [ihrem Prozess des Werdens], das heißt in ihrem Entstehen und Vergehen betrachtete.“ [7]
Obwohl Hegels Verständnis der Gesamtheit der Erscheinungen in Natur, Geschichte und Bewusstsein als Prozesseine monumentale intellektuelle Errungenschaft war, entwickelte sich sein Werk auf der Grundlage des Idealismus. Der Philosoph rieb sich an dieser Beschränkung auf. Hegel, so stellte Plechanow fest, „scheint selbst mit den von ihm erreichten Resultaten unzufrieden gewesen zu sein, und er sah sich denn auch vielfach genötigt, von den nebeligen Höhen des Idealismus auf den konkreten Boden der ökonomischen Verhältnisse herabzusteigen.“ [8] Hegels eigene Bemühungen, einen Weg über den Idealismus hinaus zu finden, wiesen in eine Richtung – der Bedeutung der ökonomischen Entwicklung –, die eine neue Epoche des Studiums und des Verständnisses der Geschichte einleiten sollte.
„Der nach Hegels Tode erfolgende Übergang zum Materialismus konnte nicht eine einfache Rückkehr sein zu dem naiven metaphysischen Materialismus des achtzehnten Jahrhunderts. Auf dem uns hier speziell interessierenden Gebiete der Geschichtsauffassung musste der Materialismus vor Allem sich der Ökonomie zuwenden. Anderenfalls hätte der Materialismus keinen Fortschritt, sondern einen Rückschritt bedeutet – gegenüber der Hegelschen Geschichtsphilosophie.“ [9]
Es war Karl Marx, der das Studium der Geschichte auf ein materialistisches Fundament stellte.
„Wie Hegel, sah auch Marx in der Geschichte der Menschheit einen gesetzmäßigen, von menschlicher Willkür unabhängigen Prozess; wie Hegel, betrachtete er alle Erscheinungen in ihrem Entstehen und Vergehen; wie Hegel, begnügte er sich nicht bei der Erklärung von historischen Escheinungen mit dem Verfahren des metaphysischen Verstandes; wie Jener, suchte er von der Wechselwirkung, die die verschiedenen Seiten des [gesellschaftlichen] Lebens auf einander ausüben, sich zu der gemeinsamen [und alleinigen] Quelle zu erheben, aus der alle jene Seiten entspringen. [Doch er] erblickte freilich diese Quelle nicht mehr in dem [absoluten] Geist, sondern in eben derselben ökonomischen Entwicklung, zu der, wie wir wissen, selbst Hegel sich genötigt sah, seine Zuflucht zu nehmen in allen den Fällen, in welchen der Idealismus – selbst in seiner mächtigen und geschickten Hand – sich als ein machtloses und untaugliches Werkzeug herausstellte. Aber das, was bei Hegel bloß eine mehr oder weniger zufällige geniale Vermutung war, wurde bei Marx zu einer strengen Wissenschaft.“ [10]
Plechanows Gegner behaupten, er zeige in seinen eigenen Schriften eine vulgär-positivistische Gleichgültigkeit gegenüber der philosophischen Methode. Die beste Erwiderung hierauf gibt er selbst:
„Nicht ohne Grund räumte Hegel in seiner Philosophie der Frage nach der Methode einen solch wichtigen Platz ein, und nicht ohne Grund richten jene westeuropäischen Sozialisten, die mit Stolz ‘ihren Stammbaum’ unter anderem ‘auf Hegel und Kant’ zurückführen, weit mehr ihrer Aufmerksamkeit auf die Methode des Studiums gesellschaftlicher Erscheinungen, als auf die Daten des Resultates. Ein Fehler im Resultat wird unvermeidlich bemerkt und durch weitere Anwendung der richtigen Methode bereinigt werden. Eine fehlerhafte Methode hingegen kann nur in seltenen individuellen Fällen Resultate liefern, die nicht dieser oder jener individuellen Wahrheit widersprechen. Doch eine ernsthafte Haltung gegenüber Fragen der Methode kann nur in einer Gesellschaft existieren, die eine ernsthafte philosophische Ausbildung durchlaufen hat.“ [11]
In seinen unerbittlichen Angriffen auf Eduard Bernstein brandmarkte Plechanow das Unwissen des Revisionisten über die methodologischen Grundlagen des Marxismus:
„Herr Bernstein meint, ‘dass das wichtigste Glied im Fundament des Marxismus, sozusagen das Grundgesetz, das das ganze System durchdringt, seine spezifische Geschichtstheorie ist, die den Namen materialistische Geschichtsauffassung trägt’. Das stimmt nicht. Gewiss, die materialistische Geschichtsauffassung ist eines der wichtigsten Merkmale des Marxismus, aber diese Auffassung ist dennoch nur ein Teil der materialistischen Weltanschauung von Marx-Engels. Eine kritische Untersuchung ihres Systems müsste daher mit der Kritik der allgemeinen philosophischen Grundlagen dieser Weltanschauung beginnen. Da nun die Methode zweifellos die Seele eines jeden philosophischen Systems ist, müsste natürlich eine Kritik der dialektischen Methode der ‘Überprüfung’ der Geschichtstheorie von Marx und Engels vorausgehen.“ [12]
Plechanows Schriften zu Kunst und Ästhetik offenbaren ein tiefes Verständnis und eine Sensibilität, die auf umfassendem Wissen gründen. Auf diesem Gebiet war er zugleich Hegels Schüler und Trotzkis Lehrer. Ästhetisches Urteil, darauf bestand er, verlangt historische Kenntnis und gesellschaftliches Verständnis. Zustimmend zitierte er die Worte von Tschernyschewski: „Die Geschichte der Kunst bildet die Grundlage für eine Kunsttheorie…“ [13] Große Kunst sei nicht einfache Äußerung subjektiver Emotionen, sondern gebe tiefgründigen Gedanken Ausdruck. „Ein Kunstwerk analysieren heißt seine Idee erfassen und seine Form beurteilen. Der Kritiker muss sowohl über den Inhalt als auch über die Form urteilen; er muss sowohl Ästhetiker als auch Denker sein.“[14] In seinem Aufsatz Kunst und das gesellschaftliche Leben lieferte Plechanow eine der besten Darstellungen der Beziehung zwischen künstlerischer Form und Inhalt. Plechanow kritisierte die Ansichten des französischen romantischen Dichters Théophile Gautier, der darauf beharrte, dass die Qualität eines Kunstwerks durch seine Form bestimmt werde.
„Th. Gautier sagte, die Dichtkunst beweise nicht nur nichts, sondern sie erzähle auch nichts, und die Schönheit eines Gedichts werde bestimmt durch seine Musik, durch seinen Rhythmus. Aber das ist ein großer Irrtum. Ganz im Gegenteil, dichterische Werke und Kunstwerke überhaupt sagen immer irgend etwas aus, weil sie immer irgend etwas ausdrücken. Freilich, sie ‘sagen’ es auf ihre besondere Art aus. Der Künstler drückt seine Idee bildlich aus; während der Publizist seinen Gedanken mittels logischer Schlüssebeweist. Und wenn der Schriftsteller statt mit Bildern mit logischen Argumenten operiert oder wenn die Bilder von ihm zum Beweise eines bestimmten Themas ausgedacht werden, dann ist er nicht Künstler, sondern Publizist – selbst wenn er keine wissenschaftliche Untersuchung und Abhandlung schreibt, sondern Romane, Erzählungen oder Theaterstücke. Das ist nun einmal so. Aber aus all dem folgt durchaus nicht, dass die Idee im Kunstwerke keine Bedeutung habe. Ich will noch mehr sagen: es kann kein Kunstwerk geben, das ohne ideellen Gehalt wäre. Selbst jene Werke, deren Verfasser nur auf die Form Wert legen und sich um den Inhalt nicht kümmern, bringen so oder so eine bestimmte Idee zum Ausdruck.“ [15] (Hervorhebung im Original)
Das Ausmaß von Plechanows Einfluss auf die marxistische Ästhetik zeigt sich deutlich in dem großartigen Essay, den Trotzkis intellektueller Weggenosse Alexander Woronski viele Jahre später schrieb:
„Ein Werk ästhetisch zu bewerten, heißt festzustellen, inwieweit der Inhalt der Form entspricht, mit anderen Worten, inwieweit der Inhalt der objektiven künstlerischen Wahrheit entspricht, denn der Künstler denkt in Bildern: Das Bild muss künstlerisch wahrhaftig sein, d. h. es muss der Natur dessen, was dargestellt wird, entsprechen. Darin besteht die Vollkommenheit, die Schönheit eines künstlerischen Werks. Eine falsche Idee, ein falscher Inhalt kann keine vollkommene Form finden, d. h. die Idee, der Inhalt kann uns ästhetisch nicht tief berühren, kann uns nicht ‘infizieren’, und wenn wir sagen: Die Idee ist nicht richtig, aber sie ist in eine schöne Form gekleidet, so ist das in einem sehr engen, sehr relativen Sinn zu verstehen.“ [16]
Vor der Revolution von 1905, die ernsthafte Grenzen seiner Einschätzung der sozialen Dynamik und des politischen Resultats des Klassenkampfes in Russland aufdeckte, war die Stellung Plechanows als bestimmender Theoretiker in der Russischen Sozialdemokratischen Partei unbestritten. Nikolai Walentinow erinnert sich in seinen Memoiren „Begegnungen mit Lenin“: „Plechanow beeindruckte ihn [Lenin] mehr als irgendwer sonst: mehr als Kautsky und Bebel. Alles, was Plechanow sagte, tat oder schrieb interessierte ihn sehr. Wann immer Plechanow erwähnt wurde, war er ganz Ohr. ‘Hier ist ein Mann von kolossaler Statur; es ist nur richtig, dass man sich in seiner Gegenwart klein macht’, sagte er zu Lepeschinski.“ [17]
Plechanows Einfluss war nicht auf Russland begrenzt. In den 1890er Jahren war er einer der ersten, die den Kampf gegen Bernsteins antimarxistischen Revisionismus aufnahmen. Seine vernichtende Aufdeckung der kantianischen Grundlagen von Bernsteins Opportunismus nötigte die deutsche Sozialdemokratische Partei, sich dem zunehmenden Revisionismus innerhalb ihrer Führung zu stellen. Seine Bernstein-Kritik fand in Texten wie „Bernstein und der Materialismus“, „Wofür sollen wir ihm dankbar sein?“, „Cant wider Kant oder das geistige Vermächtnis des Herrn Bernstein“ und „Materialismus oder Kantianismus?“ ihren Ausdruck. Dies sind Meisterwerke marxistischer Polemik, die sorgfältiges Studium erfordern.
Plechanows historische Rolle als „Vater des russischen Marxismus“ fußt nicht allein auf seiner literarisch-theoretischen Leistung. Er war der Begründer der revolutionären politischen Bewegung der russischen Arbeiterklasse. Die Bildung der Gruppe Befreiung der Arbeit im Jahr 1883 unter Plechanows Führung setzte einen politischen Prozess in Gang, der 34 Jahre später, im Oktober 1917, in der Machtergreifung durch die Bolschewistische Partei kulminierte. Natürlich war diese Bewegung zwischen 1883 und 1917 durch konvulsive politische Konflikte gekennzeichnet, die aus den tiefverwurzelten Widersprüchen in der Entwicklung des russischen und weltweiten Kapitalismus erwuchsen. Innerhalb dieses Prozesses spielte Plechanow eine außerordentlich wichtige und auch außerordentlich tragische Rolle. Es ist unleugbar, dass der Mann, der die theoretischen und politischen Fundamente der revolutionären Arbeiterbewegung in Russland gelegt hatte, sein Leben als erbitterter Gegner der Revolution von 1917 beendete.
Die Untersuchung von Plechanows tragischem Schicksal ist von immenser Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution, welche bei der Machtergreifung der Bolschewiki die strategische Orientierung lieferte. Die entscheidenden Fragen lauten: Worin besteht die Beziehung zwischen der politischen Theorie, die Plechanow Anfang der 1880er Jahre, im Verlauf seiner Loslösung von der Narodniki-Bewegung und seiner Hinwendung zum Marxismus entwickelt hatte, und der Perspektive der Oktoberrevolution? Implizierte der Triumph der Bolschewiki im Jahr 1917, der auf der Theorie der permanenten Revolution basierte, mehr oder weniger eine vollständige Zurückweisung des gesamten politischen Erbes von Plechanow? Ist nicht im Grunde allseits bekannt, dass er die Machtübernahme durch die Bolschewiki nicht akzeptierte und sie als voreiliges Abenteuer verurteilte?
Solch ein ausschließlich negatives Urteil über Plechanows Erbe wäre grundfalsch und stünde im Widerspruch zu der Bewertung, die Trotzki im Jahre 1918 machte, als er in einer Rede anlässlich Plechanows Tod sagte:
„Er war es, der 34 Jahre vor dem Oktober nachwies, dass die russische Revolution nur als revolutionäre Bewegung der Arbeiter siegen wird. Er bemühte sich, die Tatsache der Klassenbewegung des Proletariats zur Grundlage des revolutionären Kampfs der ersten Intellektuellenzirkel zu machen. Das ist es, was wir von ihm gelernt haben, und darauf beruhte nicht nur Plechanows Arbeit, sondern unser revolutionärer Kampf insgesamt.“ [18] (Hervorhebung hinzugefügt)
Die Machtergreifung der Bolschewiki im Oktober 1917 wurde nur aufgrund einer besonderen sozio-politischen Orientierung möglich: der Theorie der permanenten Revolution, die Leo Trotzki 1905 bis 1907 während der ersten Russischen Revolution und den ihr unmittelbar folgenden Jahren entwickelt hatte. Gemäß dieser Theorie können die Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution (Beseitigung der Reste des Feudalismus, Erklärung gleicher verfassungsmäßiger Rechte und Freiheiten für alle Bürger usw.) in der Epoche des Imperialismus nicht gelöst werden, außer durch die Machtergreifung der Arbeiterklasse, die Errichtung einer proletarischen Diktatur und die Einführung von Maßnahmen unmittelbar sozialistischen Charakters.
Ursprünglich für ein relativ rückständiges Land wie Russland formuliert, lieferte Trotzkis Theorie die strategische Ausrichtung für die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution. Gerade weil er die internationale Dynamik des Klassenkampfs erkannte, konnte Trotzki voraussagen, dass die demokratische Revolution in Russland unter dem Druck der Weltwirtschaft und des Imperialismus einen sozialistischen Charakter annehmen würde. Trotzkis Lösung für das Problem der gesellschaftlichen Entwicklung Russlands in der Epoche des Weltimperialismus stellte gegenüber den Auffassungen Plechanows einen enormen Fortschritt dar.
Indessen widerspricht die Anerkennung von Trotzkis immensem Beitrag zum Sieg der russischen Arbeiterklasse im Oktober 1917 nicht der Tatsache, dass seine Arbeit historisch maßgeblich in der Pionierarbeit Plechanows verwurzelt war.
Plechanows herausragende Bedeutung als politischer Denker besteht darin, dass er die entscheidende Rolle der Arbeiterklasse vorhersah, als sich der Kapitalismus in Russland erst im Anfangsstadium befand, und lange bevor sie als massenhafte gesellschaftliche Gruppe auftrat, die im ökonomischen und politischen Leben einen spezifischen Platz einnahm.
Der Vater des russischen Marxismus sah die objektive Möglichkeit nicht voraus, dass Russland, wenn der Zarismus gefallen war, unmittelbar ins Übergangsstadium zum Sozialismus eintreten könnte. Doch dies mindert nicht im Geringsten die Bedeutung eines zentralen Elements seiner historischen Perspektive: seiner Idee der Hegemonie des Proletariats in der bürgerlichen Revolution.
Plechanows „Entdeckung“ der russischen Arbeiterklasse und seine Betonung ihrer führenden Rolle in der demokratischen Revolution legten den Keim für künftige Konflikte, die in den 1880er Jahren nicht vorhersehbar waren. Die praktischen politischen Implikationen seiner Erkenntnisse zeigten sich im Verlauf der Revolution von 1905, die eine präzisere und grundlegend andere Einschätzung der Beziehung zwischen dem demokratischen und dem sozialistischen „Stadium“ der Revolution erforderte, als sie Plechanow ursprünglich dargelegt hatte. Während es falsch wäre, den grundlegenden Unterschied zwischen Plechanows Perspektive, die die demokratische und die sozialistische Revolution in zwei unterschiedliche, voneinander gesonderte Stadien der politischen Entwicklung trennte, und der von Trotzki entwickelten zu verwischen, sollte man nicht den Schluss ziehen, Trotzkis Theorie der permanenten Revolution habe Plechanows bahnbrechender theoretischer und politischer Arbeit nichts zu verdanken.
Vom Volkstümlertum zum Marxismus
Der Entwicklungsprozess Plechanows vom Volkstümler zum Marxisten und der wirkliche Charakter seiner frühen politischen Auffassungen wurde bereits Anfang der 1920er Jahre von dem bemerkenswerten sowjetischen marxistischen Autor und Mitglied der Linken Opposition Wagarschak Ter-Waganjan (1893–1936) erschöpfend und ausführlich rekonstruiert. Im Jahr 1924 veröffentlichte er eine reichhaltige, fast 700-seitige Biographie, die das Schwergewicht auf die Entwicklung von Plechanows sozio-politischen Ansichten legte. [19]
Ter-Waganjan begann im Jahr 1920 seine Arbeit am Marx-Engels-Institut, dem zu dieser Zeit David Borissowitsch Rjasanow vorstand, einer der maßgebendsten Experten der Geschichte der internationalen Sozialdemokratie. Waganjan war Herausgeber der Theoriezeitschrift Unter dem Banner des Marxismus. Rjasanow unterstützte das Interesse Ter-Waganjans an Plechanows Werken und richtete am Institut eine Plechanow-Abteilung ein. Dort wurde Ter-Waganjan beauftragt, die 24-bändige Ausgabe der Gesammelten Werke des Begründers des russischen Marxismus vorzubereiten. Ein Zwischenergebnis der von Ter-Waganjan unternommenen Forschung war seine Arbeit „Versuch einer Bibliographie zu G. W. Plechanow“, die im Jahr 1923 erschien. Anfang der 1930er Jahre wurde eine neue, erweiterte Ausgabe dieses Buches vorbereitet, doch sie wurde nicht veröffentlicht, da Stalin zu dieser Zeit gegenüber Plechanow eine feindliche Haltung eingenommen hatte. Im Jahr 1936 befand sich Ter-Waganjan unter den Angeklagten des ersten Moskauer Schauprozesses und wurde zusammen mit Sinowjew und Kamenew zum Tode verurteilt.
Im Folgenden werden wir uns auf wichtiges Material beziehen, das Ter-Waganjan in seiner Biographie präsentiert. Wir werden uns auf die Frage von Plechanows Übergang vom Volkstümlertum zum Marxismus beschränken und darauf, wie er seine politische Theorie in seiner ersten marxistischen Broschüre „Sozialismus und politischer Kampf“ aus dem Jahr 1883 formulierte.
Die wichtigste Besonderheit des russischen Volkstümlerbewegung (Narodniki) war deren Idealisierung der Bauernschaft und die Konzeption, dass die russische bäuerliche Dorfgemeinde (Obschtschina) eine natürliche Grundlage für eine klassenlose Gesellschaft bilden würde. Diese Theorie widersprach direkt dem Marxismus, der zu diesem Zeitpunkt seinen Einfluss in Europa festigte. Und obwohl die Volkstümler den Lehren von Marx mit Respekt und Sympathie begegneten, hielten sie sie für nicht anwendbar auf die Umstände, die in Russland vorherrschten.
Eine ähnliche Sichtweise bildete sich unter dem starken Einfluss der Ideen des herausragenden russischen Denkers und Autors Alexander Herzen (1812–1870) heraus. Herzen, in seiner Jugend ein Anhänger des Saint-Simonismus, einer Strömung des westeuropäischen utopischen Sozialismus, trat in den 1840er Jahren als führender Publizist der sogenannten „Westler“ hervor, die die Geschichte Westeuropas als Modell für den historischen Weg ansahen, den Russland einschlagen würde. Doch die Niederlage der europäischen bürgerlich-demokratischen Revolutionen der Jahre 1848 bis 1850 löste bei ihm eine Krise aus, auf die er mit dem pessimistischen Schluss reagierte, dass die bürgerliche Zivilisation in eine Sackgasse geraten sei und dass das Proletariat einen spießbürgerlichen Niedergang durchgemacht habe. Schließlich entwickelte Herzen, ein Propagandist des Panslawismus und scharfer Polemiker gegen die Anhänger von Marx’ Lehren, eine reaktionäre Theorie über die einzigartige Rolle des russischen Bauerntums, das imstande sei, die europäische Zivilisation zu erneuern.
In den 1870er Jahren radikalisierte sich eine bedeutende Schicht der jungen Generation der russischen Rasnotschinzy-Intelligenzja. [20] Sie war angetan von der Idee, einen Bauernaufstand gegen den Zarismus zu provozieren, der zum Vorspiel zur Befreiung der Obschtschina vom Joch der Leibeigenschaft und des Absolutismus sowie des Aufbaus einer Gesellschaft freier Werktätiger werden sollte.
Die Tatsache, dass sich nach der Abschaffung der Leibeigenschaft im Jahr 1861 die missliche Lage der Bauernschaft kaum verbessert hatte, ermutigte diese Stimmungen. Das Land verblieb in den Händen der Großgrundbesitzer, und die Bauern waren trotz ihrer Befreiung gezwungen, Wucherpreise zu zahlen und unerträgliche Bedingungen zu akzeptieren, um das von ihnen bebaute Land in Besitz zu nehmen. Zudem verschärfte die Bauernreform die Differenzierung innerhalb der Obschtschina und unterhöhlte die Grundlage dieser dominierenden bäuerlichen Organisationsform.
Die Bauern fühlten sich, wie nicht anders zu erwarten war, betrogen. Sie verlangten ihr eigenes Land, das sie als „Geschenk Gottes“ betrachteten, welches die Großgrundbesitzer sich durch Gewalt und Betrug angeeignet hätten. Gleichzeitig waren die rebellischen Stimmungen innerhalb der russischen Bauernschaft, die nach mehreren Jahrzehnten zu einer der treibenden Kräfte der russischen Revolution werden sollte, mit einem tiefverwurzelten Glauben an den „guten“ Zaren als Befreier verbunden.
Aus diesem Grunde scheiterten die Perspektive der Narodniki und ihre Kampagnen, „ins Volk zu gehen“, auf ganzer Linie. Die Mitte der 1870er Jahre unternommenen Versuche der revolutionären Intelligenzja, einen Aufstand unter den Bauern zu propagieren, konnten keine Massenunterstützung gewinnen und endeten in einigen Fällen sogar damit, dass Bauern die Propagandisten an die zaristische Polizei auslieferten.
Innerhalb der Volkstümlerorganisation „Land und Freiheit“ (Semlja i Wolja) brach eine Krise aus, die sich im Sommer 1879 auf dem Kongress in Woronesch zu einer Spaltung ausweitete. Der Großteil der Organisation gelangte zum Schluss, dass der einzige Weg, den Zarismus zu stürzen, eine systematische Terrorkampagne gegen die führenden Persönlichkeiten des Staates sei. Nikolai Morosow und Lew Tichomirow, zwei der vier Herausgeber des literarischen Volkstümler-Organs Land und Freiheit, propagierten aktiv die Taktik der „Desorganisierung“ und des „Neupartisanentums“.
Auf dem Kongress in Woronesch traten sie offen für die Annahme dieser neuen Taktik ein. Morosow betrachtete „Tells Methode“ [21] als ein Mittel, die Rede- und Versammlungsfreiheit zu erlangen. Mitten in der Debatte rief A. D. Michailow unerwartet aus: „Wir werden eine Verfassung bekommen, wir werden den Staat desorganisieren und ihn zwingen, es zu tun [eine Verfassung einzuführen].“ Laut den Lebenserinnerungen von Aptekman erklärte Scheljabow, es sei notwendig, den Klassenkampf vollständig aufzugeben, um das politische Element ins Zentrum der Auseinandersetzung zu stellen. [22]
Es ist bemerkenswert, dass es zu den Kennzeichen der Weltanschauung der Narodniki gehörte, den Klassenkampf der Politik und der sozialen Revolution entgegenzustellen. Die Volkstümler waren Anarchisten. Sie betrachten auf ahistorische Weise jede Staatsform als ein Übel, das sofort vernichtet werden musste. Zu der damaligen Zeit ragten drei ihrer intellektuellen Führer heraus.
Einer von ihnen war Pjotr Lawrow (1823–1900). Er entwickelte die Konzeption der besonderen Rolle der gebildeten Intelligenzja in der Revolution und war bekannt für seine Neigung, den „subjektiven“ Faktor in der Geschichte für den entscheidenden anzusehen. Er unterhielt freundliche Beziehungen zu Marx und Engels und strebte danach, die verschiedenen Gruppen zu vereinen, weil er glaubte, dass es, ungeachtet anderer Differenzen, das wichtigste sei, sich gegen den gemeinsamen Feind, das russische autokratische Regime, zu vereinen.
Pjotr Tkatschow (1844–1886) führte eine andere Tendenz. Er betonte die Notwendigkeit einer unmittelbaren Machtergreifung durch eine revolutionäre Gruppe, propagierte die Idee der Verschwörung und verkörperte den Typus eines russischen Blanquisten. (Tkatschows Glaube an die entscheidende Rolle einer kleinen Gruppe von Verschwörern und seine Ablehnung der Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft beeinflusste Che Guevara, der wiederholt die russischen Narodniki als heroisches Vorbild für die Moderne darstellte.)
Der dritte Ideologe schließlich, der einflussreichste des russischen Volkstümlertums, war Michail Bakunin (1814–1876), der mit Marx und Engels um Einfluss innerhalb der Ersten Internationalen rang. Bakunins Idee der bäuerlichen Obschtschina als natürliche Grundlage des Sozialismus und des Föderalismus als spezifisch nicht-staatliche Form einer „freien Gesellschaft“, sowie seine Ablehnung der deutschen Sozialdemokratie als Trägerin eines „staatsgläubigen“, „autoritären“, „diktatorischen“ Elements, bildeten wesentliche Bestandteile der volkstümlerischen Weltanschauung.
Am Anfang seiner revolutionären Zeit war Georgi Plechanow ein Anhänger Bakunins. Später bezeichnete er den Bakuninismus als eine „besondere Form der anarchistischen Slawophilie“.
Als die Meinungsverschiedenheiten innerhalb von „Land und Freiheit“ zunahmen, gehörte Plechanow zu den Hauptgegnern der Befürwortung des Terrorismus und der Zurückweisung des Klassenkampfes durch die Narodniki. So entstand die Gruppe Tschorny Peredel (Schwarze Neuaufteilung), die versuchte, das alte Programm der Volkstümler zu retten.
Beim Versuch, die Zurückweisung der Taktik des Terrors zu untermauern und eine Erklärung für das Scheitern der Perspektive des „Ins-Volk-Gehens“ zu geben, begann Plechanow allmählich, die anarcho-bakuninistischen Auffassungen zu hinterfragen. Das leitete seine Hinwendung zum Marxismus ein.
In St. Petersburg, wo er den Winter 1878-79 verbrachte, beobachtete Plechanow das Ausmaß der Unzufriedenheit unter der entstehenden städtischen Arbeiterklasse.
Ein Artikel aus dieser Zeit, „Das Gesetz der Entwicklung der gesellschaftlichen Ökonomie und die Aufgaben des Sozialismus in Russland“, bezeugt, dass er begann, neben dem Bauerntum das Proletariat in seine Revolutionskonzeption einzubeziehen.[23] Indessen, bemerkt Ter-Waganjan, „dachte er noch immer, dass die Arbeiterrevolution in den großen Städten eine Unterstützung für die Bauernrevolution sein würde. Er glaubte, die soziale Revolution würde von den Bauern vollendet werden und die Arbeiter würden lediglich ihre Bundesgenossen sein.“ [24]
In seinen Artikeln für die zweite Ausgabe von Tschorny Peredel, die im August 1880 erschien, fuhr Plechanow fort, die Losungen des alten Narodnikitums zu wiederholen. [25] Doch seine Achtung vor dem Marxismus nahm zu, als er mit besonderer Aufmerksamkeit die literarischen Aktivitäten von Nikolai Sieber (1844–1888) verfolgte. Sieber popularisierte die Lehren von Marx in Russland, auch wenn er dies „als wahrer Verfechter der Wissenschaften tat, nicht als Revolutionär“.[26]
Der nächste wichtige Schritt in Plechanows Entwicklung war sein Aufenthalt in Paris während des Winters 1880-81. Dort lernte er Lawrow kennen, war Zeuge von Arbeiterdemonstrationen und nahm an großen Versammlungen teil, die zu Ehren der amnestierten emigrierten Führer der Pariser Kommune abgehalten wurden. Außerdem arbeitete er in der Nationalbibliothek und nahm regelmäßig an Versammlungen der Pariser Sozialisten teil, wo er Bekanntschaft mit Jules Guesde und Paul Lafargue, den führenden französischen Unterstützern von Marx, machte. Ihr Beitrag zum kritischen Denken Plechanows und ihr Einfluss darauf „waren außerordentlich“. [27]
In dieser Zeit vollzog Plechanow den entscheidenden Durchbruch vom Volkstümler zum Marxisten. Im Januar 1881 beantwortete er die Frage nach dem Wesen des Sozialismus in einem Brief an die Herausgeber des Tschorny Peredel folgendermaßen:
„Sozialismus ist, vom Standpunkt der arbeitenden Massen, der theoretische Ausdruck des Antagonismus und des Klassenkampfes in der bestehenden Gesellschaft.“ [28]
Mit diesem Brief galt ihm das Bauerntum nicht länger als soziale Basis für den Sozialismus. Von nun an betrachtete Plechanow den Sozialismus als das Ergebnis des „Antagonismus und des Klassenkampfes in der bestehenden [d. h. bürgerlichen] Gesellschaft“. Weiter schrieb er:
„Daraus [aus dem Klassenkampf] entsteht für die revolutionäre Arbeit die praktische Aufgabe, den Arbeiterstand [рабочего сословия] zu organisieren und ihm den Weg und die Mittel zu seiner Befreiung aufzuzeigen. […] Ohne die Organisierung der Kräfte, ohne die Erweckung des Bewusstseins und der Eigeninitiative des Volkes, bringt selbst der heroischste revolutionäre Kampf nur den höheren Klassen Nutzen, d.h. gerade jenen Schichten der gegenwärtigen Gesellschaft, gegen die wir die arbeitenden unterdrückten Massen bewaffnen müssen. Die Befreiung des Volkes kann nur das Werk des Volkes selbst sein.“[29]
Plechanow änderte zudem entschieden seine Haltung gegenüber dem Föderalismus. Er betrachtete jetzt die staatliche Zentralisation als eine wichtige Voraussetzung für den Umbau der Gesellschaft auf der Basis sozialer Gleichheit.
Der nächste Meilenstein in seiner Entwicklung zum Marxismus war sein Artikel „Die Wirtschaftstheorie von Karl Rodbertus-Jagetzow“, der zwischen 1882 und 1883 in mehreren Ausgaben der legalen russischen Zeitschrift Vaterländische Notizen (Otetschestwennye Sapiski) erschien.
In diesem Artikel argumentierte Plechanow, dass die Menschen sich in den Augen bürgerlicher Autoren aufteilen ließen in solche, die das Recht der Arbeiterklasse auf ihren Befreiungskampf anerkennen, und in jene, die dieses Recht nicht anerkennen. Er schrieb:
„Von entscheidender Bedeutung sind in ihren Augen die praktischen Bestrebungen der Autoren dieser Theorien und vor allem selbstverständlich die Frage der Eigeninitiative der arbeitenden Klassen. Ein Autor, der sich gegen die Organisierung der Arbeiter in einer besonderen Partei ausspricht, erhält gewiss alle Sympathien der bürgerlichen Ökonomen, gleichgültig, welchen theoretischen Auffassungen er sonst auch anhängen mag.“ [30]
Völlig klar formuliert Plechanow hier bereits im Jahr 1882 die Notwendigkeit der Organisierung der Arbeiterklasse in einer besonderen, klassenbasierten politischen Partei.
Parallel zu den theoretischen Fortschritten des sich im Exil befindenden Plechanow erreichten die terroristischen Aktivitäten des „Volkswillens“ (Narodnaja Wolja) ihren Gipfelpunkt. Im März 1881 führte ein weiteres Attentat auf Zar Alexander II. zu dessen Tod. Die revolutionäre Autorität der Volkstümler erreichte in den Augen des gesamten demokratischen Europa ihren Höhepunkt. Indessen leitete gerade der „Erfolg“ der terroristischen Taktik zugleich das Ende des „Volkswillens“ ein. Die darauf folgenden grausamen Repressionen vernichteten die besten Kader aus seinen Reihen. Die „Desorganisierung“ des Staates, wenn sie denn überhaupt stattgefunden hatte, war sehr kurzlebig und nicht in der Lage, die Fundamente des russischen Absolutismus zu erschüttern.
Nachdem der kurze Schreck abgeklungen war, leiteten der neue Zar Alexander III. und seine Entourage eine weitere „Kälteperiode“ in Russland ein, und in den folgenden fünfzehn Jahren gelang es ihnen, eine heftige nationalistische Reaktion im Lande aufrecht zu erhalten. Eine Atmosphäre des gesellschaftlichen Niedergangs ging mit wachsendem Pessimismus und Enttäuschung unter weiten Schichten der radikal orientierten Intelligenzja einher. Das ließ Stimmungen aufkommen, die sich theoretisch mit dem Erreichen „kleiner Dinge“ und unbedeutenden Landreformen zufrieden gaben.
Nach der Ermordung Alexanders II. war Plechanow vor allem bemüht, Fragen von entscheidender Bedeutung für die zukünftige russische revolutionäre Bewegung zu klären. Mit der theoretischen Verurteilung der Volkstümler bewies er enormen physischen und intellektuellen Mut.
Als Schlussfolgerung aus seinen theoretischen Arbeiten gründete Plechanow im September 1883 in der Schweiz die Gruppe „Befreiung der Arbeit“. Die Gruppe existierte bis zum Zweiten Kongress der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSDAP) im Jahr 1903. Plechanow wollte der Organisation einen Namen geben, der ihren sozialdemokratischen Charakter unterstrich, doch er stieß damit auf Widerstand bei anderen Mitgliedern der Gruppe und letzten Endes wurde eine Kompromisslösung gewählt.
Die Broschüre „Sozialismus und politischer Kampf“
Der Gründung der Gruppe Befreiung der Arbeit ging die Veröffentlichung von Plechanows Broschüre „Sozialismus und politischer Kampf“ voraus. Darin formulierte er erstmals die grundlegenden Punkte seines Programms in eindeutig marxistischer Sprache.
Diese Arbeit erwies sich als entscheidend für die Entwicklung des russischen Sozialismus und zog die Aufmerksamkeit von Sozialisten in ganz Europa auf sich. In London traf Plechanow Friedrich Engels, welcher ihn als Philosophieexperten anerkannte. Wie Plechanow sich später erinnerte, stimmte Engels seiner These zu, dass der moderne Materialismus im wesentlichen ein von dessen Unzulänglichkeiten gereinigter und zu seiner logischen Vollendung weitergeführter Spinozismus sei. Diese These machte Plechanow zur Grundlage seiner weiteren Kämpfe zur Verteidigung des Materialismus gegen idealistische Entstellungen und Angriffe.
Da sie die gesellschaftliche Bedeutung des entstehenden städtischen Proletariats nicht vollständig außer Acht lassen konnten, erkannten die Volkstümler zögernd an, dass die Arbeiter „für die Revolution“ wichtig seien. Plechanow wandte diesen Satz gegen die Volkstümler und antwortete in dem Aufsatz „Unsere Meinungsverschiedenheiten“: „So wird kein Sozialdemokrat sprechen, denn dieser ist überzeugt, dass nicht die Arbeiter wichtig für die Revolution sind, sondern dass die Revolution wichtig für die Arbeiter ist.“ [31] Dieser Satz fasst prägnant die Ergebnisse von Plechanows Auseinandersetzung mit der volkstümlerischen Konzeption einer über den Klassen stehenden Volksrevolution zusammen. In der kommenden Revolution gegen die Autokratie werde die Arbeiterklasse eine eindeutige, unabhängige und entscheidende Rolle spielen, und sie werde, ihrer eigenen Klasseninteressen und -ziele bewusst, unabhängig handeln.
In demselben Werk erklärte Plechanow außerdem:
„Lächerlicherweise wird der Lehre von Marx die Schlussfolgerung zugeschrieben, dass Russland genau dieselben Phasen der historisch-ökonomischen Entwicklung durchlaufen müsse, die der Westen durchlief.“ [32]
Allein diese Stellungnahme reicht aus, um die Behauptungen der Kritiker von Plechanow zu widerlegen, er habe die Theorie von Marx angeblich „mechanisch“ auf Russland angewandt. Plechanow insistierte darauf, dass
„die Geschichte der westeuropäischen Verhältnisse Marx lediglich als Basis für die Geschichte der kapitalistischen Produktion [diente], die eben in diesem Teil der Welt entstanden war. […] Es versteht sich von selbst, dass weder der Autor des Kapitals noch sein berühmter Freund und Mitarbeiter die ökonomischen Besonderheiten irgendeines Landes aus dem Blick verloren haben; in ihnen suchen sie vielmehr die Ursachen aller seiner sozialen, politischen und geistigen Bewegungen.“ [33] (Hervorhebung im Original)
Insbesondere erläutert Plechanow, dass die Lehre von Marx die Bedeutung der russischen ländlichen Obschtschina nicht ignoriere. Er zitierte aus dem im Januar 1882 verfassten Vorwort von Marx und Engels zur russischen Übersetzung des „Kommunistischen Manifestes“. Darin sagen die beiden, dass die russische Obschtschina unter bestimmten Voraussetzungen „unmittelbar in die höhere [Form] des kommunistischen Gemeinbesitzes übergehen“ könne. [34]
Plechanow fährt dann fort:
„Diese Umstände sind ihrer Auffassung nach aufs Engste mit dem Verlauf der revolutionären Bewegung in Westeuropa und Russland verbunden. Sie sagen: ‘Wird die russische Revolution das Signal einer proletarischen Revolution im Westen, so dass beide einander ergänzen, so kann das jetzige russische Gemeineigentum am Boden zum Ausgangspunkt einer kommunistischen Entwicklung dienen.’ [35] … Ebensowenig kann auch nur ein einziger Mensch, der die Bedeutung der internationalen Beziehungen im ökonomischen Leben der modernen zivilisierten Gesellschaften begreift, leugnen, dass die Entwicklung der russischen Gemeinde [Obschtschina] ‘zu einer höheren kommunistischen Form’ mit dem Schicksal der Arbeiterbewegung im Westen eng verbunden ist.“ [36]
Mit anderen Worten: Plechanow pochte darauf, dass die Analyse der inneren sozio-politischen Entwicklung in Russland nur im Rahmen einer allgemeinen internationalen Perspektive der proletarischen Revolution möglich sei.
Eine weitere Behauptung der Kritiker von Plechanow lautet, dass er seine Konzeption der russischen Revolution „unkritisch“ auf die Erfahrung der westeuropäischen bürgerlich-demokratischen Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts gegründet habe. Doch Plechanow hat niemals eine solche sterile Haltung vertreten. Er schrieb:
„Die westeuropäische Geschichte sagt uns außerordentlich überzeugend, dass überall, wo das ‘rote Gespenst’ die geringsten drohenden Formen annahm, die ‘Liberalen’ bereit waren, in den Armen der rücksichtslosesten Militärdiktatur Schutz zu suchen.“ [37]
Wie diese Worte zeigen, war sich Plechanow im Klaren darüber, dass sich die liberale Bourgeoisie in Russland im Falle antikapitalistischer, politischer Aktionen des russischen Proletariats der absolutistischen Reaktion in die Arme werfen würde. Er versuchte, eine derartige Entwicklung zu vermeiden und gleichzeitig die Position der Arbeiterklasse im Rahmen des Kampfs um die Demokratie zu stärken. Im Bemühen um eine angemessene Lösung für eine widersprüchliche Situation argumentierte Plechanow:
„Daher muss unsere sozialistische Intelligenz dafür Sorge tragen, noch in der vorkonstitutionellen Periodediese faktischen Verhältnisse der russischen gesellschaftlichen Kräfte zugunsten der Arbeiterklasse zu verändern. Anderenfalls wird der Fall des Absolutismus bei weitem nicht zu den Hoffnungen berechtigen, die die russischen Sozialisten oder Demokraten in ihn setzen. … Die sozialistische Partei selbst könnte, nachdem sie der liberalenBourgeoisie Rede- und Handlungsfreiheit erkämpft hat, sich plötzlich in einem ‘Ausnahme’-Zustand wiederfinden, ähnlich der Lage der heutigen deutschen Sozialdemokratie. … Die russischen Sozialisten … können und müssen vor allem auf die Arbeiterklasse vertrauen. Die Stärke der Arbeiterklasse – wie auch jeder anderen Klasse – hängt unter anderem von der Klarheit ihres politischen Bewusstseins, von ihrer Geschlossenheit und ihrer Organisiertheit ab. Gerade diese Elemente ihrer Stärke müssen durch unsere sozialistische Intelligenz beeinflusst werden. Sie muss zur Führerin der Arbeiterklasse in der bevorstehenden Befreiungsbewegung werden, muss sie aufklären über ihre politischen und ökonomischen Interessen, wie auch über die wechselseitige Beziehung dieser Interessen und muss sie auf ihre eigenständige Rolle im gesellschaftlichen Leben Russlands vorbereiten. Sie muss alle ihre Kräften darauf richten, dass unsere Arbeiterklasse in der ersten Periode des konstitutionellen Lebens Russlands als besondere Partei mit einem klaren sozialen und politischen Programm auftreten kann.“ [38] (Hervorhebung hinzugefügt)
Damit formulierte Plechanow seine Theorie der Vorherrschaft des Proletariats (und seiner Partei) im Kampf gegen das Zarentum: „Die russischen Sozialisten … können und müssen ihre Hoffnungen in erster Linie auf die Arbeiterklasse“ und „die sozialistische Partei [richten, die] für die liberale Bourgeoisie die Rede- und Handlungsfreiheit“ erringen werde.
Ohne Plechanows theoretische Errungenschaft zu schmälern, muss hier auch festgestellt werden, dass er mit seiner Formulierung eine Zwei-Stufen-Theorie der Revolution vertrat. Die erste Stufe bestand im Kampf für die Errichtung der bürgerlichen Demokratie, die zweite – zu einem nicht feststehenden, späteren Zeitpunkt – im Kampf für die Arbeitermacht und den Sozialismus.
Angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rückständigkeit des zaristischen Russlands in den frühen 1880er Jahren sah Plechanow keine Möglichkeit für das Proletariat, unmittelbar zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft überzugehen. Allerdings suchte er nach einer Antwort auf die Frage, wie die Arbeiterpartei sich verhalten solle, falls die Entwicklung der russischen Revolution die Notwendigkeit des Sturzes des Absolutismus zu einem Zeitpunkt auf die Tagesordnung setzen sollte, an dem in Europa noch die bürgerliche Ordnung vorherrscht.
Plechanow beantwortete diese Frage dialektisch, aus historischer Sicht und in Übereinstimmung mit den objektiven gesellschaftlichen Gegebenheiten des damaligen Russland. Aber gerade aus diesem Grund war die Antwort keine endgültige und enthielt klar erkennbare widersprüchliche Merkmale.
Das russische Proletariat musste im Kampf gegen den Despotismus alle anderen sozialen Schichten, einschließlich der Bourgeoisie, politisch führen. Darauf bestand Plechanow. Doch es durfte nach dem Sieg über den Zarismus nicht sofort damit beginnen, sein eigenes Klassenprogramm zu verwirklichen. Objektiv offen blieb die Frage: Ist es möglich, der Bourgeoisie die Macht auszuhändigen, nachdem die proletarische Partei in der demokratischen Revolution gesiegt hat, und wie soll dieser Prozess konkret ablaufen?
Und wenn das Proletariat der liberalen Bourgeoisie die Macht aushändigt, welche Garantien gibt es dann, dass letztere aus Angst vor dem „roten Gespenst“ nicht versucht, die Arbeiterklasse mit einer „rücksichtslosen Militärdiktatur“ zu unterdrücken oder sogar die Monarchie wieder einzuführen?
Unter den Bedingungen seiner Zeit war Plechanow nicht in der Lage, eine endgültige Antwort auf diese Fragen zu geben. Obwohl er auf der entscheidenden Rolle des Proletariats im revolutionären Prozess bestand, glaubte er nicht, dass die Revolution ohne eine lange Pause über das bürgerlich-demokratische Stadium hinausgehen könne. Der Übergang von der bürgerlich-demokratischen zur sozialistischen Revolution würde voraussichtlich Jahrzehnte dauern. Zweifellos lassen sich hier die Wurzeln des zukünftigen Menschewismus wahrnehmen.
In seinem Essay „Drei Konzeptionen der russischen Revolution“ aus dem Jahr 1939 wies Trotzki auf die Beschränktheit von Plechanows Perspektive hin:
„Plechanow trennte nicht nur die bürgerliche Revolution, als die erste Aufgabe, von der sozialistischen Revolution, die er in eine unbestimmte Zukunft verwies, sondern sah für jede von ihnen ein gänzlich verschiedenes Kräfteverhältnis voraus. Das Proletariat käme zur politischen Freiheit im Bunde mit der liberalen Bourgeoisie; viele Jahrzehnte später, auf einem höheren Niveau der kapitalistischen Entwicklung, würde das Proletariat die sozialistische Revolution durchführen, indem es direkt gegen die Bourgeoisie kämpfte.“ [39]
Plechanow sah die Möglichkeit nicht, den Kampf für politische Freiheit direkt mit dem Kampf für den Sozialismus zu verknüpfen. Um Plechanow Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, diese Möglichkeit bestand in den 1880er und 1890er Jahren auch nicht. Doch obwohl er die direkte und sofortige Verbindung zwischen der demokratischen und sozialistischen Revolution ablehnte, deutete Plechanow an, dass das bewusste Handeln des Proletariats danach streben werde, den Übergang vom demokratischen zum sozialistischen Stadium zu begünstigen – wenn auch über einen ausgedehnten Zeitraum. In „Sozialismus und der politische Kampf“ bemerkte er:
„[Der] Kampf um die politische Freiheit einerseits und die Vorbereitung der Arbeiterklasse auf ihre zukünftige selbständige und offensive Rolle andererseits – dies ist unserer Meinung nach die gegenwärtig einzig mögliche ‘Aufgabenstellung der Partei’. Zwei so wesentlich verschiedene Dinge zu einem zu verbinden wie die Niederwerfung des Absolutismus und die sozialistische Revolution, den revolutionären Kampf mit Rücksicht darauf zu führen, dass diese Momente der gesellschaftlichen Entwicklung in der Geschichte unseres Vaterlandes zusammenfallen werden, bedeutet sowohl das Eintreten des einen als auch des anderen hinauszuschieben. Also von uns hängt es ab, diese zwei Momente einander anzunähern.“ [40] (Hervorhebung im Original)
Es ist wichtig festzustellen, dass Plechanow, obwohl er den Verlauf der russischen Revolution in zwei Stufen trennte, leidenschaftlich danach strebte, diese so weit wie möglich „einander näher zu bringen“. Plechanows amerikanischer Biograph Professor Samuel Baron hat auf den inhärenten Widerspruch aufmerksam gemacht, der dieser Position innewohnt. Laut Baron war Plechanow
„bereit, eine Verkürzung oder gar Eliminierung der kapitalistischen Entwicklungsstufe zuzulassen. Das sollte durch eine Modifizierung des historischen Prozesses durch die politische Aktivität der revolutionären Partei erreicht werden. Dabei grenzte Plechanow seine Perspektive und Strategie natürlich scharf von den Narodniki ab, und zwar dahingehend, dass die voluntaristische Aktivität seiner revolutionären Partei stets in dem Rahmen gehalten wurde, der durch das vorherrschenden Niveau der ökonomischen Entwicklung vorgegeben war. Nach seiner Meinung hob die Erkenntnis dieser Grenzen den Marxismus von den diversen Utopismen ab. Damit wurde der revolutionäre Willen dem historischen Prozess und seinen Gesetzen untergeordnet und die Rationalität der marxistischen revolutionären Politik sichergestellt. Dabei ist offenkundig, dass Plechanows System sowohl Elemente des Voluntarismus wie des Determinismus einschloss, die er nicht miteinander aussöhnen konnte.“ [41]
Plechanow betonte unermüdlich die Bedeutung der sozialdemokratischen Bewegung für die Entwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeiterklasse und ihre Vorbereitung auf die revolutionäre Aktion. Die Behauptung, Plechanow habe die revolutionäre Praxis unterschätzt, weil er darauf beharrte, dass die Geschichte ein gesetzmäßiger Prozess sei, ist vollkommen unzutreffend. „Die frühestmögliche Bildung einer Arbeiterpartei“, argumentierte Plechanow, „ist das einzige Mittel zur Lösung aller ökonomischen und politischen Widersprüche des heutigen Russlands.“ (Hervorhebung im Original) [42] Damit räumte er ein, dass die Praxis der Partei unter bestimmten Bedingungen den Übergang von der bürgerlich-demokratischen zur sozialistischen Stufe der Revolution beeinflussen und verkürzen kann.
Doch war er nicht in der Lage zu sagen, wie und unter welchen Bedingungen dies erreicht werden kann. Die objektiven Bedingungen der sozio-ökonomischen Entwicklung Russlands, wie Plechanow sie verstand, schienen dem sozialistischen Streben der revolutionären Partei unüberwindliche Beschränkungen aufzuerlegen. Doch die Darstellung dieses Widerspruchs eröffnete die Möglichkeit zu einer anderen Lösung des historischen Problems, das Plechanow festgestellt hatte. Diese Lösung entdeckte Trotzki auf der Grundlage einer Analyse der veränderten objektiven Bedingungen, die die Revolution des Jahres 1905 ans Licht gebracht hatte. Die Theorie der permanenten Revolution trat für eine Strategie ein, die nicht bloß die demokratische und sozialistische Stufe der Revolution „zusammenbringt“, sondern darauf beharrt, dass die erste Stufe ohne Anwendung der Methoden der zweiten unmöglich ist.
Trotzkis Theorie stellt gegenüber der Perspektive von Plechanow ohne Zweifel einen enormen Fortschritt dar (und auch gegenüber dem Programm der demokratischen Diktatur der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, das Lenin vor 1917 vertrat). Trotzdem – und hierin bestehen sowohl die Größe als auch die Tragik von Plechanows Leben – legte seine eigene Bestimmung der zentralen Rolle des russischen Proletariats in der demokratischen Revolution die Grundlage aller nachfolgenden Entwicklungen, die sowohl Lenin als auch Trotzki im Bereich der revolutionären Strategie und Taktik vornahmen. Diese Entwicklungen hatte Plechanow in seiner Ansprache auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationalen im Jahr 1889 vorweggenommen. Er versetzte die Delegierten in Begeisterung, als er erklärte: „Die revolutionäre Bewegung in Russland wird nur als Arbeiterbewegung siegen, oder sie wird gar nicht siegen.“ [43] Kein anderer europäischer Sozialist hatte zuvor die entscheidende Rolle des Proletariats im rückständigen Russland anerkannt.
Auf der Grundlage eben dieser großartigen Erkenntnis entwickelten sich alle nachfolgenden Kämpfe über die Strategie der sozialistischen Revolution in Russland, die in Trotzkis Theorie der permanenten Revolution ihren Höhepunkt fanden. Darum hielt Trotzki in seiner Trauerrede aus dem Jahr 1918 daran fest, dass Plechanows politische und theoretische Arbeit die Fundamente legte für „unser[en] revolutionäre[n] Kampf insgesamt.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
Einige Jahre später, im Jahr 1922, musste Trotzki einen Angriff des Historikers Michail Pokrowski auf Plechanows Konzeption bestimmter Besonderheiten der historischen Entwicklung Russlands beantworten. Es war allgemein bekannt, dass Trotzkis eigenes Verständnis von Russlands historischer Entwicklung stark durch Plechanows frühe theoretische Arbeiten beeinflusst war. Mit seinem Angriff auf Plechanow versuchte Pokrowski, der sich zum glühenden Verfechter der Stalin-Fraktion entwickelte, die historischen Grundlagen von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution zu unterminieren. Um seinen Angriff auf Plechanow zu bekräftigen, verwies Pokrowski auf dessen politische Schwächen und seinen letztlichen Verrat der sozialistischen Revolution. In seiner Verteidigung von Plechanows historischen Theorien antwortete Trotzki auf Pokrowskis Angriff:
„Die Schwäche der russischen Bourgeoisie und der illusorische Charakter der russischen bürgerlichen Demokratie sind zweifellos sehr wichtige Züge der historischen Entwicklung Russlands. Doch genau daraus ergaben sich, in Anbetracht aller anderen bestehenden Verhältnisse, die Möglichkeit und die historische Notwendigkeit, dass das Proletariat die Macht ergriff. Es stimmt, Plechanow ist nie zu diesem Schluss gelangt. Aber auch aus einer anderen seiner zweifellos richtigen Aussagen hat er nie die Schlussfolgerungen gezogen: ‘Die revolutionäre Bewegung in Russland wird nur als Arbeiterbewegung siegen, oder sie wird gar nicht siegen.’ Wenn wir alles, was Plechanow gegen die Narodniki und die Vulgärmarxisten sagte, mit seiner Kadettophilie [44] und seinem Patriotismus durcheinanderbringen, dann wird nichts von Plechanow übrig bleiben. Dennoch bleibt in Wirklichkeit eine ganze Menge von Plechanow, und es schadet nicht, hin und wieder von ihm zu lernen.“ [45]
Unsere Verteidigung der Theorie der permanenten Revolution und unser Festhalten an Trotzkis historischer Rolle bei der Vorbereitung und beim Sieg der Oktoberrevolution werden nicht im Geringsten dadurch kompromittiert, dass wir Plechanow die Ehre erweisen. Wir stimmen Trotzki zu, dass es „nicht schadet“, diesen großen marxistischen Theoretiker zu studieren und von ihm zu lernen. Insbesondere heutzutage, wo das intellektuelle Leben von den widerlichsten Formen des Anti-Materialismus und philosophischen Irrationalismus erniedrigt wird, sind Plechanows Schriften eine unentbehrliche Waffen im Kampf um ein wissenschaftliches Verständnis des historischen Prozesses und, darauf basierend, um die Wiederbelebung des revolutionären sozialistischen Bewusstseins der Arbeiterklasse. Zu einer Zeit, in der zahllose Vertreter der reaktionären kleinbürgerlichen Pseudo-Linken alles in ihrer Macht stehende tun, um die Arbeiterklasse zu verleumden und ihre entscheidende revolutionäre Rolle zu leugnen, gewinnt Plechanows Kampf um die revolutionäre Führungsrolle der Arbeiterklasse immense aktuelle Bedeutung.
Plechanow bleibt auch 160 Jahre nach seiner Geburt und fast ein Jahrhundert nach seinem Tod eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte des sozialistischen und marxistischen Denkens. Lenins letzte Ehrung Plechanows aus dem Jahr 1922 war vollkommen gerechtfertigt:
„Nebenbei bemerkt, halte ich es für angebracht, die jungen Parteimitglieder darauf aufmerksam zu machen, dass man ein bewusster, wahrer Kommunist nicht werden kann, ohne alles, was Plechanow über Philosophie geschrieben hat, zu studieren – ich betone, zu studieren –, denn es ist das Beste in der ganzen internationalen marxistischen Literatur.“ [46]
Anmerkungen
1. William Shakespeare: Cäsar, 3. Akt, 2. Szene. [Üb. August Wilhelm Schlegel]
2. Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil, In Fausts Studierzimmer
3. Georgi W. Plechanow: Beiträge zur Geschichte des Materialismus, Berlin 1946, S. 149.
4. Georgi W. Plechanow: Über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte & Über materialistische Geschichtsauffassung, Berlin 1982, S. 92.
5. Ebd., S. 92.
6. Ebd., S. 94-95.
7. Georgi W. Plechanow: Zu Hegel’s sechzigstem Todestag, [Teil 1,] in: Neue Zeit 1891/92, Nr. 7, S. 199; Zitat korrigiert nach: Плеханов Г.В.: Избранные философские произведения в пяти томах. Том 1. (Москва 1956) [Georgi W. Plechanow: Ausgewählte philosophische Werke in fünf Bänden, Band 1, Moskau 1956], S. 423 (aus dem Russischen).
8. Georgi W. Plechanow: Zu Hegel’s sechzigstem Todestag, [Teil 3,] in: Neue Zeit 1891/92, Nr. 9, S. 273.
9. Ebd., S. 273.
10. Ebd., S. 278; Zitat korrigiert nach: Плеханов Г.В.: Избранные философские произведения в пяти томах. Том 1. (Москва 1956) [Georgi W. Plechanow: Ausgewählte philosophische Werke in fünf Bänden, Band 1, Moskau 1956], S. 444-445 (aus dem Russischen).
11. Плеханов Г.В.: Наши разногласие [Georgi W. Plechanow: Unsere Meinungsverschiedenheiten], in: Плеханов Г.В.: Избранные философские произведения в пяти томах. Том 1. (Москва 1956) [Georgi W. Plechanow: Ausgewählte philosophische Werke in fünf Bänden, Band 1, Moskau 1956], S. 172 (aus dem Russischen).
12. Georgi Plechanow: Cant wider Kant oder das geistige Vermächtnis des Herrn Bernstein, in: Georgi Plechanow: Eine Kritik unserer Kritiker. Schriften aus den Jahren 1898 bis 1911, Berlin 1982, S. 77.
13.“Die ästhetische Theorie N. G. Tschernyschewskis“, in: Georgi W. Plechanow, Kunst und Literatur, Berlin 1955, S. 448
14. Ebd., S. 451
15 „Die Kunst und das gesellschaftliche Leben“, in: Georgi Plechanow, Kunst und Literatur, Berlin 1955, S. 248f
16. Alexander Woronski: Die Kunst als Erkenntnis des Lebens und die Gegenwart, in: Ders.: Die Kunst, die Welt zu sehen. Ausgewählte Schriften 1911-1936, Essen 2003, S. 143.
17. Nikolay Valentinov: Encounters with Lenin (London: Oxford University Press, 1968), S. 180–81 (aus dem Englischen).
18. Leo Trotzki: Zum Gedenken an Plechanow [4. Juni 1918], zitiert in: David North: Die Frankfurter Schule, die Postmoderne und die Politik der Pseudolinken. Eine marxistische Kritik, Essen 2016, S. 368.
19. В.А. Тер-Ваганян: Г.В. Плеханов. Опыт характеристики социально-политических воззрений (Москва 1924) [W.A.Ter-Waganjan: G. W. Plechanow. Versuch einer Charakterisierung seiner sozio-politischen Ansichten, (Moskau 1924)] (im Folgenden wird aus dem Englischen übersetzt)
20. Anm, d. Übers.: Als Rasnotschinzy (Разночинцы = люди разного чина и звания, dt. „Leute verschiedenen Ranges und Titels“) wurden Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Nichtadelige kleinbürgerlicher Herkunft bezeichnet. Der Begriff selbst entstand im siebzehnten Jahrhundert und umfasste zunächst offiziell den Stand niederer Hof- und Militärränge, wurde aber später ausgedehnt auf städtische Dienstleute, Kaufmannsgehilfen und weitere Berufe. Der Stand grenzte sich vom Bauern-, Handels- und Bürgerstand ab.
21. Er bezog sich auf Wilhelm Tell, den legendären Schweizer Freiheitshelden, der vermutlich zwischen dem Ende des dreizehnten und dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts lebte. Tell war ein geschickter Scharfschütze und Kämpfer für die Unabhängigkeit seines Landes von Österreich und dem Heiligen Römischen Reich.
22. W. A. Ter-Waganjan, a. a. O., S. 42-43.
23. Г.В. Плеханов: Сочинения, Под редакцией. Д. Рязанова, Том 1 (Москва 1922) [G. W. Plechanow: Werke, Herausgegeben von D. Rjasanow, Band 1, (Moskau 1922)], S. 70 (aus dem Russischen).
24. W. A. Ter-Waganjan, a. a. O., S. 30.
25. a. a. O., S. 53.
26. a. a. O., S. 35.
27. a. a. O., S. 56.
28. Г.В. Плеханов: Сочинения, Под редакцией Д. Рязанова, Том 1 (Москва 1922) [G. W. Plechanow: Werke, Herausgegeben von D. Rjasanow, Band 1, (Moskau 1922)], S. 134 (aus dem Russischen).
29. Ebd. (aus dem Russischen)
30. Ebd., S. 220 (aus dem Russischen).
31. Плеханов Г.В.: Избранные философские произведения в пяти томах. Том 1. (Москва 1956) [Georgi W. Plechanow: Ausgewählte philosophische Werke in fünf Bänden, Band 1, Moskau 1956], S. 357 (aus dem Russischen).
32. Ebd., S. 72 (aus dem Russischen)
33. G. W. Plechanow, Sozialismus und politischer Kampf, Frankfurt/Gelsenkirchen 1980, S. 88f
34. Karl Marx/Friedrich Engels, Kommunistisches Manifest, Zitiert nach MEW, Band 4, Berlin 1959, S. 576.
35. Ebd. [Rechtschreibung angepasst]
36. Plechanow, Sozialismus und politischer Kampf, S. 89
37. Ebd., S. 91
38. Ebd., S. 102
39. Leo Trotzki: „Drei Konzeptionen der russischen Revolution“, in: Ders.: Stalin. Eine Biographie, Essen 2006, S. 472.
40. Plechanow, Sozialismus und politischer Kampf, S. 104
41. Samuel Baron: Plekhanov: The Father of Russian Marxism (Stanford: Stanford University Press, 1963), S. 114 (aus dem Englischen).
42. Плеханов Г.В.: Наши разногласие [Georgi W. Plechanow: Unsere Meinungsverschiedenheiten], in: Плеханов Г.В.: Избранные философские произведения в пяти томах. Том 1. (Москва 1956) [Georgi W. Plechanow: Ausgewählte philosophische Werke in fünf Bänden, Band 1, Moskau 1956], S. 364 (aus dem Russischen)
43. Wir zitieren hier Plechanows Rede nach der Werk-Ausgabe der 1920er Jahre (vgl. Band 24, Moskau 1927, S. 319–320; aus dem Russischen). In den fünfbändigen Ausgewählten philosophischen Werken, die in den 1950er Jahre erschienen, wird dieser Text als die „zweite Version“ seiner Rede gegeben. Daneben findet sich eine „erste Version“, die inhaltlich identisch ist.
44. Trotzki nimmt hier Bezug darauf, dass Plechanow nach dem Jahr 1905 immer opportunistischer ein Bündnis mit der bürgerlichen Kadetten-Partei [Konstitutionell-Demokratische Partei – „Kadett“ nach den Anfangsbuchstaben KD gebildet] befürwortete.
45. Leon Trotsky: 1905 (New York: Random House, 1971), S. 332 (aus dem Englischen). Anm. d. Üb.: In der deutschen Ausgabe Die russische Revolution 1905, Berlin 1923, fehlt der Abschnitt, aus welchem dieses Zitat stammt.
46. Wladimir Lenin: Noch einmal über die Gewerkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler Trotzkis und Bucharins [Januar 1921], in: Lenin Werke,, Band 32, Berlin 1967, S. 85.