Betriebsrätemodernisierungsgesetz: Regierung stärkt Gewerkschaften gegen die Arbeiter

Der Bundestag hat am 21. Mai das sogenannte Betriebsrätemodernisierungsgesetz verabschiedet, das die Gründung von Betriebsräten erleichtert und ihnen Mitbestimmungsrechte beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit einräumt.

Die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD sowie die Grünen stimmten für das Gesetz, die AfD und die FDP dagegen. Die Linke, die das Gesetz erweitern wollte, enthielt sich.

Das neue Gesetz dient dazu, den Einfluss der Gewerkschaften in den Betrieben zu stärken. Der Deutsche Gewerkschaftsverbund (DGB), der in die Ausarbeitung des Entwurfs eingebunden war, zeigte sich alarmiert darüber, dass 2019 nur noch 9 Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe über einen Betriebsrat verfügten und nur 40 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland durch einen Betriebsrat vertreten wurden.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) (Bild: Dirk Vorderstraße / CC-BY 2.0) [Photo by Dirk Vorderstraße / CC BY-SA 2.0]

Als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Gesetz im Bundestag vorstellte, verkündete er: „Wir brauchen in Deutschland mehr Betriebsräte.“ Dabei geht es nicht darum, die Rechte und Einkommen der Arbeiter zu verbessern, sondern den Würgegriff der Gewerkschaften zu festigen, die ihren Einfluss in den Betrieben vor allem über die Betriebsräte ausüben.

Die Regierung und der DGB befürchten, dass sich angesichts wachsender Klassenspannungen soziale Kämpfe entwickeln, die sie nicht mehr kontrollieren können. In den vergangenen Jahrzehnten hatten die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle dabei gespielt, jede Form von Opposition zu unterdrücken und als Co-Manager den Arbeitsplatz- und Lohnabbau zu organisieren. Heute haben sie vor allem in kleineren Unternehmen und modernen Wirtschaftszweigen, wie dem IT-Sektor, kaum noch Einfluss.

Heil bekannte sich im Bundestag ganz offen dazu, dass mit dem Gesetz die Funktion der Gewerkschaften als Co-Manager gestärkt werden soll. Betriebsräte übernähmen „ganz oft, in vielen Fällen, in Krisen- und in Changeprozessen mittlerweile auch Co-Management-Funktionen in deutschen Unternehmen“, sagte er.

Die Linke behauptet in ihrem Ergänzungsantrag zum Gesetz: „Die betriebliche Mitbestimmung ist ein Erfolgsmodell. Vor mehr als 100 Jahren und nach langen Kämpfen von Arbeiterinnen und Arbeitern und Gewerkschaften trat das Betriebsrätegesetz in Kraft.“ Es habe „den Grundstein für die betriebliche Demokratie“ gelegt.

Das ist eine üble historische Fälschung. In Wirklichkeit war das Betriebsrätegesetz Bestandteil der Bemühungen der Sozialdemokratie, die revolutionäre Bewegung zu unterdrücken, die nach dem blutigen Gemetzel des Ersten Weltkriegs nicht nur die Monarchie, sondern auch den Kapitalismus hinwegzufegen drohte.

In der Novemberrevolution 1918 hatten sich Arbeiter- und Soldatenräte wie ein Lauffeuer über ganz Deutschland ausgebreitet, in denen revolutionär gesinnte Arbeiter den Ton angaben. Die herrschenden Kreise fürchteten, dass diese Räte – wie ein Jahr zuvor in Russland – die Macht übernehmen und eine sozialistische Räterepublik aufbauen könnten.

Die SPD tat alles, um das zu verhindern. Die SPD-Regierung Friedrich Eberts verbündete sich mit den Generälen, um den Aufstand der Arbeiter gewaltsam niederzuschlagen und ihre Führer, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, zu ermorden. Das Betriebsrätegesetz, das sie um die Jahreswende 1919/20 vorlegte, sollte die Arbeiterräte in Organe der Klassenzusammenarbeit verwandeln.

Das Wort „Räte“ war ein verbales Zugeständnis an die Rätebewegung, während das Gesetz das Gegenteil bezweckte. Die Betriebsräte wurden verpflichtet, „für möglichste Wirtschaftlichkeit der Betriebsleistungen“ zu sorgen und den Betrieb vor „Erschütterungen“ – also vor Streiks und anderen Aktionen der Arbeiter – zu bewahren.

Revolutionäre Arbeiter, die sich der neugegründeten KPD und der Unabhängigen SPD (USPD) angeschlossen hatten, protestierten gegen diesen offensichtlichen Versuch, die Arbeiter- und Soldatenräte durch korporatistische Organe der Klassenzusammenarbeit zu ersetzen.

In einer Biografie des KPD-Mitglieds Jacob Walcher berichten die Autoren: „Am 13. Januar 1920 lassen Reichswehrminister [Gustav] Noske und Innenminister [Wolfgang] Heine, beide SPD, vor dem Reichstagsgebäude auf protestierende Arbeiter schießen, die anlässlich der zweiten Lesung des Gesetzes in der Nationalversammlung zusammengekommen sind. 42 Tote und 105 Verwundete. Nach diesem Blutbad ist der Weg frei für die Annahme des Gesetzes am 4. Februar 1920.“ [1]

Die Bundesrepublik knüpfte an die Tradition des Weimarer Betriebsrätegesetzes an. Im Rahmen der Mitbestimmung wurde die Klassenzusammenarbeit gesetzlich geregelt und institutionalisiert. Bereits im April 1946 erließen die Alliierten ein neues Betriebsrätegesetz, im November 1952 trat das Betriebsverfassungsgesetz in Kraft, im Januar 1972 wurde es grundlegend novelliert.

Das Gesetz verpflichtet Unternehmensleitung und Betriebsrat zur „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ und zur Geheimhaltung. Es untersagt dem Betriebsrat, zum Arbeitskampf aufzurufen. Stattdessen ist er verpflichtet, einmal im Monat „über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen“. (§ 74 Abs. 2 BetrVG)

Diese gesetzlich geregelte Klassenzusammenarbeit richtet sich gegen die Arbeiter und die Verteidigung ihrer Interessen mit „Maßnahmen des Arbeitskampfes“. Das wurde in den letzten drei Jahrzehnten besonders deutlich, in denen es für Arbeiter nur noch bergab ging.

Millionen Arbeitsplätze sind mithilfe der Gewerkschaften und Betriebsräte „sozialverträglich“, d. h. geräuschlos, vernichtet worden. Nach der deutschen Einheit wickelten die Gewerkschaften die ostdeutsche Wirtschaft mit Instrumenten wie Null-Stunden-Kurzarbeit und Transfergesellschaften ab.

Das so geschaffene Millionenheer von Arbeitslosen wurde 2004/2005 durch die „Agenda 2010“ und die Hartz-Gesetze der rot-grünen Bundesregierung Gerhard Schröders (SPD) in den Niedriglohnsektor gedrängt. Gleichzeitig wurden Abertausende gut bezahlte Arbeitsplätze in der Industrie zerstört.

Als die Banken in der Finanzkrise 2008/2009 die Folgen ihrer hemmungslosen Spekulationsgeschäfte auf die Arbeiterklasse abwälzten, unterstützten die Gewerkschaften die Rettungspakete für die Banken und die Sparprogramme der Regierung und vereinbarten Lohnabschlüsse, die über Jahre hinweg Reallohnverluste brachten.

In der Corona-Pandemie waren die Gewerkschaften die energischsten Befürworter der „Profite-vor-Leben-Politik“. Sie sorgten dafür, dass die Produktion während der Lockdowns weiterlief, auch wenn sie damit die Gesundheit und das Leben der Arbeiter gefährdeten. Die Zahlen über die Corona-Fälle in den Betrieben hielten sie sorgfältig geheim.

Nun steht mit der Digitalisierung und Automatisierung ein weiterer großer Umbruch in der Produktion und allen Dienstleistungsbereichen an. Um ihn auf Kosten der Arbeiter durchzusetzen, brauchen die Unternehmen die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte. Diesem Zweck dient das neue Gesetz.

Seit Jahren plädieren der DGB, die IG Metall und andere Gewerkschaften dafür, die Arbeitsplätze im Zuge der Digitalisierung mithilfe derselben Instrumente abzubauen, die schon bei der Zerschlagung der Stahlindustrie und der ostdeutschen Wirtschaft zum Einsatz kamen: Fort- und Weiterbildung im Rahmen von Transfergesellschaften, die die Arbeiter für kurze Zeit auffangen und dann zeitlich verzögert in die Arbeitslosigkeit entlassen. Nun erweitert das neue Gesetz den Einfluss der Gewerkschaften in diesen Fragen.

Auch bei der „Ausgestaltung von mobiler Arbeit“ sowie bei technischen Veränderungen im Betrieb – auch im Zusammenhang mit der Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) – erhalten die Betriebsräte mehr Einfluss. In kleineren Betrieben, deren Beschäftigte oft jung und schlecht bezahlt sind, sollen der Aufbau und die Wahl eines Betriebsrats erleichtert werden.

Das Verfahren für die Wahl eines Betriebsrats und einer Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) wird vereinfacht. Da nicht einmal in jedem dritten Betrieb mit 51 bis 100 Beschäftigten Betriebsräte existierten, seien die Erleichterungen bei der Organisation von Betriebsratswahlen „auch vertretbar gegenüber möglichen Nachteilen einer Förderung von ‚Splittergruppen‘ und ‚zweifelhaften‘ Wahlvorschlägen“, schreibt der DGB in seiner Stellungnahme zum Gesetz.

Wer einen Betriebsrat oder eine JAV aufbauen will, erhält einen ausgeweiteten Sonderkündigungsschutz, der auch schon gilt, wenn jemand „Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats“ unternimmt.

So sollen Zehntausende betriebliche Funktionäre herangezogen werden, um soziale Kämpfe zu verhindern und die schrumpfenden Reihen der Gewerkschaften wieder aufzufüllen. Die Mitgliederzahl der acht im DGB organisierten Gewerkschaften ist seit der Jahrtausendwende von 7,8 Millionen unter 5,9 Millionen im vergangenen Jahr gefallen. Nur noch rund jeder siebte Beschäftigte ist Gewerkschaftsmitglied. Nun soll das Betriebsrätemodernisierungsgesetz helfen, diesen Niedergang aufzuhalten.

Die Bemühungen der Regierung, die Gewerkschaften zu stärken, steht auch im Zusammenhang mit der Rückkehr des deutschen Militarismus. Die Bundeswehr wird massiv aufgerüstet und auf Kriegseinsätze auf der ganzen Welt vorbereitet. Vor allem die Kriegsvorbereitungen gegen Russland verschärfen sich von Tag zu Tag.

Die Gewerkschaften haben in dieser Frage in der deutschen Geschichte eine verbrecherische Rolle gespielt. Im Ersten Weltkrieg schlossen sie einen Burgfrieden, unterdrückten jede politische und soziale Opposition und schickten Hunderttausende junge Arbeiter ins Maschinengewehrfeuer an der Front, wo sie einen sinnlosen Tod für Kaiser und Kapital starben.

Nach Hitlers Machtübernahme bemühte sich der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) um die Eingliederung in den nationalsozialistischen Staat. Am 1. Mai 1933 demonstrierten die Gewerkschaften unter der Hakenkreuzfahne und boten Hitler ihre Zusammenarbeit an. Dieser schloss daraus, dass er von ihnen nichts zu befürchten hatte und ersetzte sie durch die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die Unternehmer und Arbeiter in einer Organisation vereinte.

Das Bemühen der herrschenden Klasse, die Gewerkschaften zu stärken, beschränkt sich nicht auf Deutschland. In den USA hat Präsident Joe Biden die Amazon-Lagerarbeiter in Bessemer, Alabama, persönlich dazu aufgerufen, für die Zulassung der Gewerkschaft RWDSU zu stimmen. Ohne Erfolg. Am Ende stimmten nur 13 Prozent der 5.800 Beschäftigten für die korrupte Gewerkschaft, von der sie sich – außer ständigem Ausverkauf und Selbstbereicherung – nichts erwarten.

Genauso wie in den USA setzt die Regierung auch hier auf die Gewerkschaften, um der wachsenden Opposition in den Werken, Betrieben und Büros entgegenzutreten. Die Gewerkschaften sollen die Arbeiter disziplinieren, für den reibungslosen Ablauf der Produktion sorgen und die Ausbeutung steigern.

Die Verwandlung der Gewerkschaften in eine Betriebspolizei ist nicht einfach die Folge der – unzweifelhaft vorhandenen – Korruptheit einzelner Funktionäre. Sie ergibt sich aus der gewerkschaftlichen Perspektive, die das kapitalistische Privateigentum, die gesetzlich geregelte Klassenzusammenarbeit sowie den Wettbewerb um Märkte und Profite anerkennt. Je stärker der Wettbewerb auf dem Weltmarkt, desto enger rücken die Gewerkschaften mit „ihren“ Konzernen und Regierungen zusammen. Arbeiter, die noch Mitglied einer Gewerkschaft sind, haben absolut nichts zu sagen. Dafür finanzieren sie mit ihren Mitgliedsbeiträgen den riesigen Gewerkschaftsapparat.

So meldete die IG Metall im Jahr 2018, dass ihre damals 2,27 Millionen Mitglieder den Rekordbeitrag von 585 Millionen Euro eingezahlt hatten, eine Steigerung von 4,3 Prozent. Doch davon kamen nur 40 Millionen Euro, weniger als 7 Prozent, in Form von Streikgeld oder juristischer Unterstützung den Mitgliedern zugute. Mehr als eine halbe Milliarde Euro flossen in die Geschäftsstellen, in die Gehälter des Personals, in Rücklagen und in Immobilien. Die Gewerkschaftsvorstände beziehen, wie die Betriebsratsvorsitzenden in den Großkonzernen, Jahresgehälter von mehreren Hunderttausend Euro.

Damit sich die Arbeiterklasse in den nahenden Klassenauseinandersetzungen zur Wehr setzen kann, müssen ihre Kämpfe in verschiedenen Fabriken, Branchen und Ländern gegen die herrschende Klasse und die korporatistischen Gewerkschaften koordiniert werden. Zu diesem Zweck rufen die World Socialist Website und die Sozialistische Gleichheitspartei dazu auf, in allen Betrieben von den Gewerkschaften unabhängige Aktionskomitees zu gründen und sie in der internationalen Arbeiterallianz zu vereinen.

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Anmerkung

[1] Ernst Stock/Karl Walcher: „Jacob Walcher, 1887-1970. Gewerkschafter und Revolutionär zwischen Berlin, Paris und New York“, Biographien europäischer Antifaschisten, S. 56

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