72. Berlinale: Working Class Heroes – ein Film wie ein Schlachtruf

Nicht selten sind es die kleineren Produktionen und nicht die gefeierten Millionen-Projekte bei den jährlichen Berliner Filmfestspielen, die einen Einblick in die Realität geben.

Besonders in diesem Jahr zeigt sich ein auffälliger Widerspruch. Die offizielle Politik hat gemeinsam mit der Berlinale-Leitung trotz hoher Corona-Zahlen ein Präsenzfestival durchgesetzt und damit Leben und Gesundheit des Publikums und der Filmschaffenden selbst in Gefahr gebracht. Hinter den hohlen Phrasen von „Zeichen für die Kultur“ (Kulturstaatsbeauftragte Roth), „für Freiheit und Demokratie“ (Regierende Bürgermeisterin Giffey) stehen handfeste finanzielle Interessen der großen Medien- und Filmkonzerne, wie die WSWS vor Beginn der Berlinale aufgezeigt hat. Auf der anderen Seite bemühen sich ernsthafte Filmschaffende, die Selbstgefälligkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben der Arbeiterklasse kritisch zu reflektieren.

Trailer von "Working Class Heroes"

Dazu gehört unbedingt Working Class Heroes, ein serbischer Film von Miloš Pušić im Panorama-Programm der Berlinale, der der WSWS online zur Verfügung gestellt wurde.

Hier geht es nicht etwa um einen nostalgischen Rückblick auf vergangene Arbeiterkämpfe. Im Gegenteil, von Anfang bis Ende bewegt der Film sich auf dem Boden der heutigen Tatsachen. Der Zuschauer wird mitten ins Geschehen auf einer Großbaustelle in der Stadt Novi Sad hineingezogen, wo eine Gruppe von illegal beschäftigten Arbeitern von einem korrupten Immobilienspekulanten buchstäblich bis aufs Blut ausgebeutet wird.

Wir befinden uns im heutigen Serbien, dreißig Jahre nach der Zerstückelung des ehemaligen Jugoslawiens und nach der Restaurierung des Kapitalismus auf dem Balkan und in Osteuropa. In einer Mischung aus Dokudrama und spannenden Thriller-Elementen erleben wir mit, wie sich die tagtägliche Drangsalierung der Arbeiter in zunehmendem Aufbegehren, in einem neuen explosiven Kampf entlädt.

„Scheiß Schlamm“ – diese Worte der Hauptprotagonistin Lidija Jakčić (wunderbar gespielt von Jasna Đuričić) liefern den passenden Einstieg. Sie tauscht ihre Stöckelschuhe mit Gummistiefeln, geht zu einem noch bewohnten Teil eines Gebäudekomplexes, das die Firma mit dem bombastischen Namen „Magnus Domus Bau“ umbaut, und lässt mithilfe von Wachpersonal eine Arbeiterfamilie gewaltsam aus ihrer Wohnung werfen.

„Ihr Faschisten“, schreit die Mutter. Lidija ist die Chefsekretärin, PR-Beauftragte und Vertraute des dubiosen Bauunternehmers (Filip Djurić), die rund um die Uhr seine illegalen Geschäfte durchsetzen hilft, sogar mit ihm ins Bett geht und ihn bei Saufgelagen in einer Erotikbar begleitet.

Mit Hilfe des Vorarbeiters Braco beaufsichtigt sie die Bauarbeiter, die zu übermenschlichen Anstrengungen gezwungen werden – manchmal mit offener Drohung, manchmal mit kleinen Bestechungsgeldern. Wochenlang erhalten sie kein oder zu wenig Geld. Für ein paar Dinars zusätzlich sollen sie Nacht- und Sonntagsschichten einlegen.

Die Situation ist so verzweifelt, dass ein alter Arbeiter zusammenbricht. Er verstümmelt sich selbst die Hand und ruft jammervoll das alte Partisanenlied „Bella Ciao“, das einst nicht nur von italienischen, sondern auch von Titos Partisanen gesungen wurde. Ein anderer Arbeiter lässt sein Bein von einem Bagger überfahren – nur um nicht mehr weiterarbeiten zu müssen. Lidija überbringt dem Arbeiter am Klinikbett seinen ausstehenden Lohn und zugleich die Kündigung.

Die Immobilienfirma will mit diesen Methoden unbedingt den Termin der öffentlichen Präsentation des Bauprojekts einhalten, zu der nicht nur die Medien, sondern auch der Bischof geladen sind, der das Projekt als „sozialen Wohnungsbau“ segnen soll. Für die Präsentation erhalten die Arbeiter gelbe Sicherheitshelme, wie in Deutschland üblich, die sie danach wieder abgeben müssen. Die Arbeiten auf dem Gerüst finden ohne Schutz statt.

Während sie mit den Helmen Spalier stehen, stolziert der aufgeblasene Firmenchef vor den Kameras und zeigt mit gönnerhafter Geste und dem typischen Zynismus der osteuropäischen Neu-Kapitalisten: „Hier sehen Sie unsere Helden der Arbeiterklasse (working class heroes)!“.

Lidija preist vor den Fernsehjournalisten mit aufgesetztem Lächeln und viel Schminke die „großartige Investition“ des Magnus-Domus-Teams. „Ich muss sagen, wir erwarten deutsche Partner“, betont sie, und dies bedeute: „Dieses Projekt soll nach EU-Standards abgeschlossen werden und höchste Qualität verwirklichen.“ Sie müsse auch betonen, wie wichtig dieses „soziale Wohnungsprojekt“ sei, in dem künftig „junge verheiratete Paare Platz finden“ sollen.

Lidija ist selbst von den miesen Verhältnissen betroffen. Die Arbeiter verstehen das, sie sei gezwungen „so zu reden“, sagen sie in der Kantine. Ihre Wohnung ist eine ärmliche Ein-Zimmer-Behausung, in der sie mit Mann und Kind lebt, ihr Mann hat keine Arbeit. Um über die Runden zu kommen, hat sie sich von dem korrupten Unternehmer kaufen lassen.

Auf der Baustelle ist sie jedoch mit wachsendem Unmut konfrontiert, angeführt von einem Arbeiter, der von den anderen „Professor“ genannt wird (Boris Isaković). Zunehmend zieht sie die eigene Position in Zweifel. Am Ende, als sich ein junger Arbeiter, von den anderen „Kid“ (Kind) genannt, nach einem Sturz während der Nachtarbeit lebensgefährlich verletzt, trifft Lidija eine neue Entscheidung. Ihr Chef, der das Unglück vertuschen will, erschießt den Jungen, und Lidija wechselt die Seiten.

Am Ende liegt der Chef mitsamt seinem schneidigen Auto unter einem Betonklotz. Die „Helden der Arbeiterklasse“ haben zurückgeschlagen. Es gibt keine Versöhnung, keine individuelle Lösung, keine bloße Klage über die Zustände. Es ist die Ankündigung von einem Kampf auf Leben und Tod. Im letzten Bild wird unaufdringlich die rote Farbe der Revolution angedeutet. Vor dem Appartement-Bau mit den hohlen Fenstern erscheint ein durchsichtiger rötlicher Maschenzaun. Im Hintergrund ertönt leise die Internationale.

Working Class Heroes ist ein erstaunlich frischer Film eines Regisseurs, der erst 1980 geboren wurde, zehn Jahre vor dem Ende der Sowjetunion. Dreißig Jahre der kapitalistischen Restauration in Osteuropa und auf dem Balkan haben die Illusionen von Demokratie, steigendem Lebensstandard und Frieden platzen lassen. Die EU und vor allem Deutschland haben den osteuropäischen Markt für brutale Ausbeutung genutzt. Miloš Pušićs Film kündigt eine neue Periode an, eine heranrollende Welle von Wut und Rebellion unter den Arbeitern dieser Länder.

Der Titel „Helden der Arbeiterklasse“ klingt wie eine Anspielung an den politischen Song Working Class Hero des Ex-Beatles John Lennon aus dem Jahr 1970, in dem er die Unterdrückung der Arbeiter beschreibt und zur Revolte aufruft. Gleichzeitig erinnert dieser Titel auch an die stalinistischen Regime in Osteuropa, die gerne die „Helden der Arbeiterklasse“ beschworen, um sich selbst fälschlicherweise als Vertreter des Sozialismus darzustellen.

Pušić, dessen Kurzfilm Lullaby for a Boy weltweit bekannt wurde und der nun nach Autumn in My Street und Withering seinen dritten Spielfilm vorlegt, sagt selbst in einem Regie-Statement: „Wir wollten das Leben eines Arbeiters ohne jegliche Dekoration darstellen, so wie es ist. ... Unsere Helden sind gewöhnliche Menschen, an denen wir jeden Tag vorbeigehen, ohne sie zu bemerken. Sie bauen unsere Städte, unsere Straßen und unsere Wohnungen. Ohne Versicherung, medizinische Versorgung und ein sicheres Gehalt wissen sie nicht, was morgen kommt. ...Sie sind Menschen, die von der Gesellschaft vergessen werden, die ihrerseits ein falsches Bild der Fürsorge für alle projiziert.“

Interessant ist, wie er seine Arbeiterprotagonisten zeigt – als normale Menschen mit normalen Bedürfnissen nach Liebe, nach Fußballspielen oder Urlaub am Meer. Nach dem Ende Jugoslawiens hat er die Küste nicht mehr gesehen, sagt der „Professor“ dem „Kid“, das sich frisch verliebt hat und nach Sutomore im heute unabhängigen Kleinstaat Montenegro fahren möchte. Vor allem zeigt der Film sie nicht nur als Opfer der Unterdrückung, sondern mit wachsendem Selbstbewusstsein.

Die gegenwärtige „Ära des liberalen Kapitalismus ..., nach der wir uns so sehr gesehnt haben,“ sei dadurch gekennzeichnet, dass die Arbeiter „die kleinsten Rädchen in der Höllenmaschinerie von Politik und Gier“ sind, so der Regisseur. Die Arbeiter seien „die Kollateralschäden“ der vergangenen Jahrzehnte. Die einen seien zu Reichtum gekommen, die Mehrheit jedoch werde zurückgeworfen auf den Kampf. Er habe in letzter Zeit das Gefühl, „dass viele Filme, die sich mit sozialen Themen befassen, zu glatt und unecht sind“.

Unmittelbarer Anlass des Films waren die zahlreichen tödlichen Unfälle auf Baustellen, über die in den Zeitungen berichtet und für die niemand verantwortlich gemacht wurden. Doch die Baustelle als Ort des Geschehens sei nur der „Mikrokosmos“ für die heutigen Werte der Gesellschaft, sagt Pušić. In der Tat, er demonstriert für alle Länder der Welt, dass die Maxime ‚Profit über alles‘ das Leben der Arbeiter zerstört.

Die Illusionen, die mit der kapitalistischen Restauration in den 90er Jahren geschürt wurden, sind ans Ende geraten. Statt Demokratie, Wohlstand und Frieden haben die Großmächte Europas und Amerikas massive soziale Ungleichheit, brutale Ausbeutung, autoritäre Regime und Kriegsgefahren organisiert.

Working Class Heroes ist ein sehr aktueller Film, er klingt wie ein Schlachtruf für unmittelbar bevorstehende Aufstände. Er würde den Publikumspreis verdienen, und die WSWS hofft, dass unsere Leserinnen und Leser ihn möglichst bald zu sehen bekommen.

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