Am Montag verkündete der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) auf einer Sitzung des Kulturausschusses des Abgeordnetenhauses, dass er die Förderung des renommierten Kulturzentrums Oyoun zum Ende des Jahres entgegen bestehender Zusagen stoppen und die landeseigene Liegenschaft anderweitig vermieten werde. Als Grund für dieses rechtswidrige Vorgehen gab der Senat kritische Veranstaltungen zum israelischen Krieg gegen Gaza an, die im Haus stattfanden.
Die SGP verurteilt diesen weitreichenden Angriff auf die Kunst- und Meinungsfreiheit aufs Schärfste und ruft alle Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt auf, Protestmails an den Kultursenator zu richten (joe.chialo@kultur.berlin.de, Kopie an sgp@gleichheit.de), sowie die Online-Petition des Oyoun zu unterzeichnen.
Das Oyoun ist laut Selbstbeschreibung ein „Ort der intersektionalen Kunst- und Kulturszene, der v.a. queer*feministische, migrantische und dekoloniale Perspektiven zentriert und für seine Arbeit bereits mehrfach international ausgezeichnet wurde“. Es beschäftigt 32 Mitarbeiter und organisiert jedes Jahr etwa 600 Veranstaltungen mit 82.000 Besuchern.
Schon Anfang des Monats hatte die Senatsverwaltung das Zentrum aufgefordert, eine Veranstaltung mit der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ abzusagen, weil sie zu sehr „politisch aufgeladen“ sei. Zuvor hatte bereits die Fraktion der Grünen im Abgeordnetenhaus ein Statement veröffentlicht, in der sie die Kürzung sämtlicher Mittel forderte, weil sich Oyoun mit der Einladung der jüdischen Gruppe „antisemitisch“ verhalten habe.
Das Kulturzentrum, in dessen zehnköpfigem Beirat selbst drei jüdische Personen vertreten sind, wies diese schamlose Verleumdung zurück und beugte sich dem Druck des Senats nicht. In einem Statement kritisierte es die zunehmende Kontrolle seiner Arbeit durch den Senat und den damit verbundenen Angriff auf die künstlerische Freiheit und erklärte: „Wir verurteilen bedingungslos jede Form des Antisemitismus, so wie wir jede andere Form von Rassismus und Diskriminierung bekämpfen, einschließlich anti-arabischem und anti-muslimischem Rassismus.“
Am 6. November erklärte Chialo auf einer Sitzung des Kulturausschusses auf Anfrage der AfD dann, dass er die Streichung der Mittel prüfe, um das „Landeskonzept zur Antisemitismusprävention“ durchzusetzen. Das Oyoun-Team ließ sich weiterhin nicht einschüchtern und veröffentlichte einen offenen Brief, der bereits von über 11.000 Menschen unterzeichnet worden ist. Zudem bot es Räumlichkeiten für weitere kritische Veranstaltungen an, unter anderem eine der Sozialistischen Gleichheitspartei am 14. November unter dem Titel „Stoppt das Massaker in Gaza“.
Auf der Sitzung am Montag kündigte Chialo dann an, die Zahlungen an Oyoun bis Jahresende einzustellen und die Nutzung der Liegenschaft neu auszuschreiben. Dieser Vorstoß wurde von den Vertretern sämtlicher im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien explizit und uneingeschränkt unterstützt.
Der SPD-Vertreter Reinhard Naumann zitierte in diesem Zusammenhang aus dem „Aufruf an die Arbeiterklasse und Jugend“ der Internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, den „imperialistisch-zionistischen Völkermord in Gaza“ zu stoppen. Die SGP hatte diesen als Flugblatt verteilt und mit einer Anzeige für die Veranstaltung im Oyoun versehen.
Das Statement fordert Arbeiter auf der ganzen Welt zu Streiks und Protesten gegen den Genozid in Gaza auf und erklärt: „Wir rufen auch zu Protesten und Demonstrationen in Israel selbst auf. Die Soldaten, darunter viele Reservisten, sollten sich gemäß dem Völkerrecht den kriminellen Befehlen des Netanjahu-Regimes und des Generalstabs widersetzen.“
Diese internationale Perspektive gegen den Krieg nannte Naumann „ungeheuerlich“ und stellte sie auf eine Stufe mit dem Holocaust, dem schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte! Wenn „Nie wieder ist jetzt“ irgendeinen Sinn machen solle, „dann darf man darüber nicht schweigend hinwegsehen“, sagte der Sozialdemokrat.
Mitglieder der trotzkistischen Bewegung wurden unter den Nazis als Teil der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ in den Konzentrationslagern vernichtet, weil sie diese Perspektive des internationalen Sozialismus vertraten. Sie auch nur in die Nähe der Verbrechen des deutschen Imperialismus zu bringen, ist eine bodenlose Geschichtsfälschung, die sowohl den Faschismus rehabilitieren als auch sozialistische Positionen diskreditieren soll.
Es verwundert daher nicht, dass Naumann umgehend vom AfD-Abgeordneten Robert Eschricht unterstützt wurde, der im Oyoun ein „Netzwerk des Antisemitismus“ ausmachte und die Kündigung ebenfalls mit den Worten unterstützte: „Nie wieder ist jetzt.“ Auch die Linkspartei-Abgeordnete Manuela Schmidt freute sich über „die sehr klare Positionierung“ des Senators und unterstützte das Vorgehen uneingeschränkt.
Es ist offensichtlich, dass die Zensur jüdischer Stimmen für Frieden und sozialistischer Positionen für den gemeinsamen Kampf palästinensischer und israelischer Arbeiter gegen Krieg nichts mit dem Kampf gegen Antisemitismus zu tun hat. Ganz im Gegenteil geht es der Senatsverwaltung darum, jede Kritik an ihrer Unterstützung des Massakers in Gaza, an ihrer Flüchtlingshetze und ihrer Abschaffung demokratischer Rechte zu unterdrücken. Es sind diese staatliche Repression und die Unterstützung des Genozids in Gaza, die an die schlimmsten Traditionen der Nazis anknüpfen, und nicht jüdische und sozialistische Opposition gegen den Krieg!
Das Vorgehen gegen Oyoun hat dabei weitreichende Konsequenzen. Jede Einrichtung, die die Politik der Regierung kritisiert, muss von nun an fürchten, jedwede Arbeitsgrundlage zu verlieren.
Um diese pauschale Zensur kritischer Stimmen durchzusetzen, ist dem Senat jedes Mittel Recht. Denn eigentlich wurde dem Träger im Jahr 2021 eine vierjährige Konzeptförderung bis Ende 2025 zugesichert. Eine frühere Beendigung müsste, wenn sie überhaupt zulässig ist, angemessen und begründet sein. Doch bisher weigert sich die Senatsverwaltung überhaupt eine entsprechende Begründung zu liefern und behauptet dreist, dass es nie eine verbindliche Zusage gegeben hätte. Mit diesem rechtswidrigen Vorgehen will der Senat sein Diktat in der ganzen Kunstwelt durchsetzen. Niemand soll sich sicher fühlen können.
Die Säuberungsaktionen in der Kunst- und Kulturwelt sind dabei schon weit fortgeschritten. Der documenta Kassel soll wegen unhaltbarer Antisemitismus-Vorwürfe gegen ihre Kuratoren der Geldhahn zugedreht werden, und die „Biennale für aktuelle Fotografie“ wurde wegen „antisemitisch zu lesenden“ Posts des Kurators Shahidul Alam gleich ganz abgesagt. Unzählige Künstler und Kulturschaffende erhielten Auftrittsverbote, weil sie den Genozid in Gaza thematisierten oder auch nur die falsche Abstammung aufweisen.
Diese Gleichschaltung des kulturellen Lebens ist Teil einer ungeheuren Repression gegen Andersdenkende. Wer die Kriegspolitik der Regierung kritisiert, muss mit willkürlichen Festnahmen, Hausdurchsuchungen und geheimdienstlicher Überwachung rechnen. Demonstrationen gegen das Massaker in Gaza werden reihenweise verboten, die Forderung nach gleichen Rechten für Palästinenser kriminalisiert und muslimische Personen unter Generalverdacht gestellt.
Diese massiven Angriffe auf demokratische Rechte sind nicht Ausdruck der Stärke der herrschenden Klasse, sondern Ausdruck ihrer Schwäche. Ihre Kriegspolitik, die mit beispiellosen Sozialangriffen und Lohnkürzungen im eigenen Land einher geht, stößt auf breite Ablehnung in der Bevölkerung. Laut einer aktuellen Umfrage des Allensbach-Instituts lehnt eine deutliche Mehrheit das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen ab – trotz der ohrenbetäubenden Propaganda auf allen Kanälen. Nur acht Prozent unterstützen die Waffenlieferungen an Israel durch die Bundesregierung. Weltweit gehen Millionen Menschen gegen den Genozid auf die Straße.
Die einzige Möglichkeit, den Angriff auf das Oyoun zurückzuschlagen und die Freiheit der Kunst zu verteidigen, besteht in der Mobilisierung eben dieser Opposition. Arbeiter müssen jetzt Partei ergreifen und gegen die Abschaffung der demokratischen Grundrechte protestieren, um ihre eigenen Rechte verteidigen zu können und den Krieg zu stoppen. Wir rufen deshalb noch einmal alle Leserinnen und Leser auf, Protestmails an den Kultursenator zu richten (joe.chialo@kultur.berlin.de, Kopie an sgp@gleichheit.de), sowie die Online-Petition des Oyoun zu unterzeichnen.