Ende Januar hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius in mehreren Interviews erklärt, dass sich Deutschland auf eine direkte militärische Konfrontation mit Russland vorbereiten müsse. Nun hat der ranghöchste deutsche General, Generalinspekteur Carsten Breuer, diese Aussagen in einem ausführlichen Interview präzisiert.
„Wenn ich den Analysten folge und sehe, welches militärisches Bedrohungspotenzial von Russland ausgeht, dann heißt das für uns fünf bis acht Jahre Vorbereitungszeit,“ sagte er der Welt am Sonntag. „Das heißt nicht, dass es dann Krieg geben wird. Aber er ist möglich. Und weil ich Militär bin, sage ich: In fünf Jahren müssen wir kriegstüchtig sein.“
Unter „Kriegstüchtigkeit“ versteht Breuer neben einer gewaltigen Aufrüstung der Streitkräfte auch eine umfassende Militarisierung der Gesellschaft. Auf die Frage, was „der Unterschied zur Verteidigungsfähigkeit“ sei, antwortete er: „In Kriegstüchtigkeit steckt sehr viel mehr drin. Neben der personellen und materiellen Einsatzbereitschaft geht es auch um den nötigen Mentalitätswechsel, dem wir uns unterziehen müssen. Es braucht eine Gedankenwende, sowohl in der Gesellschaft als auch und vor allem in der Bundeswehr.“
Nach der Einführung einer Dienstpflicht gefragt, antwortete Breuer, er strebe eine Lösung an, „die den militärischen Bedarf deckt. Und dieser militärische Bedarf ist für mich, zunächst einmal die Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte so sicherzustellen, dass wir in einem Krieg bestehen können.“
Breuer ist ein hochpolitischer General mit engen Verbindungen zum Regierungsapparat. Er hat Kommandos in verschiedenen Truppenteilen, im Kosovo und in Afghanistan ausgeübt und im Nato-Hauptquartier sowie mehrmals im Bundesverteidigungsministerium gearbeitet.
2015 ernannte ihn die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zum Beauftragten für das „Weißbuch 2016“, das als Leitfaden für sicherheitspolitische Entscheidungen dient. Das Weißbuch legte den Schwerpunkt auf den Aufmarsch gegen Russland in Osteuropa, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren sowie eine massive Aufrüstung. 2021 berief Bundeskanzlerin Angela Merkel Breuer zum Leiter des Corona-Krisenstabs im Bundeskanzleramt. Seit März 2023 ist er Generalinspekteur der Bundeswehr.
Breuers Kriegsaufruf geht mit einer Kriegshysterie einher, die von sämtlichen Bundestagsparteien, den Medien, diversen Thinktanks sowie den Gewerkschaften geschürt wird. Die Forderungen reichen von einer weiteren Aufstockung des Rüstungsetats über die Wiedereinführung der Wehrpflicht bis zum Aufbau einer deutschen oder europäischen Atomstreitmacht.
Bundeskanzler Olaf Scholz beteiligte sich am Montag vor laufenden Fernsehkameras am Spatenstich für eine Erweiterung der Rheinmetall-Munitionsfabrik im niedersächsischen Unterlüß. Armin Pappberger, der Chef der zweitgrößten deutschen Waffenschmiede, brüstete sich, Rheinmetall werde 2025 bis zu 700.000 Artilleriegeschosse pro Jahr produzieren, „eine ausreichende Menge, um Europa versorgen zu können“. Sein Unternehmen plane, den Umsatz in diesem Jahr auf 10, in zwei Jahren auf 15 und in sieben bis acht Jahren über 20 Milliarden Euro zu steigern. Statt 20 würden dann 40 Prozent des Umsatzes auf Deutschland entfallen.
Die Medien haben die Blockade von Geldern für den Ukrainekrieg durch die US-Republikaner und abfällige Äußerungen ihres Präsidentschaftskandidaten Donald Trump über die Nato begierig aufgegriffen, um nach europäischen Atomwaffen zu rufen.
So veröffentlichte der Herausgeber der F.A.Z., Berthold Kohler, am Montag einen Angriff auf die Bundesregierung von rechts. „Die Ampel, so scheint es, will gar nicht erst anfangen, über eine alternative nukleare Abschreckung nachzudenken, weil sie fürchtet, dass am Ende das letzte Tabu der deutschen Sicherheitspolitik fallen müsste: der Verzicht auf eigene Atomwaffen.“
Der IG Metall, die vor langer Zeit auf ihren Kongressen noch Resolutionen gegen Krieg und Aufrüstung verabschiedet hatte, geht das alles nicht weit genug. Am Freitag veröffentlichten die Gewerkschaft, der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) und das Wirtschaftsforum der SPD ein gemeinsames Schreiben an Verteidigungsminister Pistorius und Wirtschaftsminister Habeck, das ein industriepolitisches Konzept zur Stärkung der deutschen Rüstungsindustrie fordert.
Die eigenen Verteidigungsfähigkeiten in den Dimensionen Land, Luft und See müssten weiterentwickelt und gegebenenfalls neue aufgebaut werden, um die Leistungsfähigkeit der Rüstungsindustrie zu sichern und ihre Möglichkeiten zur Entwicklung und Produktion zu steigern, fordert das gemeinsame Papier. Die Produktionskapazitäten und technologischen Fähigkeiten des Standorts Deutschland und der hier tätigen Rüstungsunternehmen müssten gefördert werden. Das sei nötig, um Deutschland, seine Industrie und die dortigen Arbeitsplätze sowie die Fähigkeiten und Souveränität der Bundeswehr zu stärken.
Es bestätigt sich, was sich schon im Ersten Weltkrieg gezeigt hatte: In Kriegszeiten werden die chauvinistischen Gewerkschaftsbürokraten zu den schlimmsten Kriegstreibern, die vor keiner Schandtat zurückschrecken.
Die Kriegshysterie der herrschenden Kreise muss ernst genommen werden. Sie sind fähig und bereit, Deutschland nach den beiden Weltkriegen ein drittes Mal in einen Krieg gegen Russland zu führen, auch wenn sie damit die nukleare Verwüstung großer Teile Europas riskieren.
Die Behauptung, es gehe ihnen lediglich um Verteidigung und Abschreckung, ist eine dreiste Lüge, die ihre Kriegsabsichten vertuschen soll. Das Putin-Regime, das die Interessen der russischen Oligarchen vertritt, die das gesellschaftliche Eigentum der Sowjetunion geplündert haben, ist politisch reaktionär. Aber es verfolgt keine imperialistischen Eroberungspläne. Im Gegenteil, es hat sich stets bemüht, sich mit den westlichen Mächten zu arrangieren. Putin war deshalb 2001 im Deutschen Bundestag, wo er eine Rede in deutscher Sprache hielt, noch begeistert gefeiert worden.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Doch die imperialistischen Mächte gaben sich nicht mit einem Arrangement zufrieden. Sie wollten alles haben und die ehemalige Sowjetunion vollständig ihrer wirtschaftlichen Kontrolle unterwerfen. Das Putin-Regime nahm hin, dass die Nato entgegen ursprünglichen Absprachen ganz Osteuropa – einschließlich der ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken – aufnahm. Doch als sie ihre Arme auch nach der Ukraine und Georgien ausstreckte und in Irak, Libyen und Syrien gewaltsam gegen Regimes vorging, zu denen Russland enge wirtschaftliche und politische Beziehungen unterhielt, gewannen in Moskau nationalistische Kräfte die Oberhand.
Der Putsch vom Februar 2014, bei dem die USA, Deutschland, Frankreich und Polen in Kiew mit Hilfe faschistischer Kräfte einem pro-westlichen Regime zur Macht verhalfen, brachte das Fass zum Überlaufen. Russland reagierte mit der Übernahme der vorwiegend russisch besiedelten Krim, ihrem wichtigsten Zugang zum Schwarzen Meer. Die Nato nutzte das von Deutschland und Frankreich vermittelte Minsk-Abkommen, um Zeit zu gewinnen und die Ukraine aufzurüsten, während faschistische Milizen wie das Asow-Bataillon den Konflikt in der Ost-Ukraine am Kochen hielten.
Russlands militärischer Angriff auf die Ukraine war schließlich ein ebenso reaktionärer wie verzweifelter Versuch, die Nato unter Druck zu setzen. Eine Verhandlungslösung wäre möglich gewesen, wenn die Nato auf eine weitere Ausdehnung verzichtet hätte, die Moskau als existenzielle Bedrohung empfand. Das erkennen auch hochrangige Experten an.
So sagte Harald Kujat, von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, kürzlich in einem Interview, er gehe „davon aus, dass der Angriff auf die Ukraine nicht Teil eines imperialen Plans zur Rückeroberung des ehemaligen sowjetischen Einflussbereiches beziehungsweise darüber hinaus ganz Europas ist. Es geht Moskau offenbar vielmehr darum, die Ausweitung der Nato durch die Mitgliedschaft der Ukraine bis an die russische Grenze zu verhindern.“
Doch die Bundesregierung und die Nato wollen keine Verhandlungslösung, sondern Krieg bis zur Niederlage Russlands. Die Ukraine dient ihnen dabei als Mittel zum Zweck. Sie finanzieren nicht nur die ukrainische Armee, sondern auch den ukrainischen Staatshaushalt. Mit bisher 30 Milliarden Dollar ist Deutschland hinter den USA der zweitgrößte Geldgeber. Obwohl bisher auf beiden Seiten bis zu einer halben Million Soldaten getötet oder schwer verletzt wurden, schließt die Bundesregierung weiterhin jede Verhandlungslösung kategorisch aus.
Gleichzeitig haben die Nato-Mächte eine zweite Front im Nahen Osten eröffnet, wo die Bundesregierung den israelischen Genozid an den Palästinensern bedingungslos unterstützt. Oppositionsführer Friedrich Merz ist sogar eigens nach Israel gereist, um dem Netanyahu-Regime beim Angriff auf Rafah, wo ihm über eine Million Flüchtlinge schutzlos ausgeliefert sind, den Rücken zu stärken.
Der Grund für diesen Wahnsinn ist die ausweglose Krise des kapitalistischen Systems. Wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg reagieren die imperialistischen Mächte darauf mit einem Kampf um die Neuaufteilung der Welt und der Unterdrückung der Arbeiterklasse im eigenen Land. Deutschland, das in beiden Kriegen die Ukraine besetzt hatte, folgt dabei seiner traditionellen Expansionsrichtung.
Es gibt nur einen Weg, die Kriegsgefahr zu stoppen. Die Mobilisierung und Vereinigung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms. Der Kampf gegen Krieg muss mit dem Widerstand gegen Ausbeutung und soziale Ungleichheit vereint und gegen das kapitalistische System gerichtet werden. Dafür treten die Sozialistische Gleichheitspartei und die Vierte Internationale ein.