Am Donnerstag fand an der Humboldt-Universität zu Berlin unter dem Motto „Studis gegen Rechts“ eine große studentische Vollversammlung statt, die wichtige Forderungen gegen den Rechtsruck der offiziellen Politik, die Repression durch Polizei und Universitätsleitungen sowie gegen rechte Lehre und Kriegsunterstützung beschloss.
Die Versammlung war mit rund 1500 Studierenden – aufgeteilt auf fünf per Livestream miteinander verbundene Hörsäle an drei Standorten – die größte Vollversammlung seit Jahren an der Universität.
Die Vollversammlung forderte ein „Ende der Repressionen am Campus“, die Einführung einer Zivilklausel, keine Präsenz von Polizei und Militär und rief die Universitätsleitung auf, „jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD“ auszuschließen und „politische Exmatrikulationen bzw. die Anwendung des wieder eingeführten Ordnungsrechts“ öffentlich auszuschließen. Außerdem wurde die Universitätsleitung aufgefordert, „öffentlich zu rechten Professor:innen wie Jörg Baberowski“ Stellung zu nehmen.
Einer der Sprecher des Organisationskomitees versuchte in seinem Redebeitrag, die praktischen Schlussfolgerungen der Vollversammlung auf eine Blockade des AfD-Bundesparteitags am 11. Januar im sächsischen Riesa zu beschränken. Zugleich legte er den Anwesenden die Perspektive eines „breiten Bündnisses gegen rechts“ nahe, da dem Kampf gegen Faschismus angeblich „alle Parteien außer der AfD“ zustimmen könnten.
In der anschließenden Debatte wurden sofort zwei Änderungsanträge von konservativen Teilnehmern eingebracht, die darauf abzielten, die Kritik am Ordnungsrecht und rechten Professoren abzuschwächen.
Gregor Kahl, Sprecher und Abgeordneter der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) im Studierendenparlament der Humboldt-Universität, sprach sich in seinem Redebeitrag klar gegen die Abschwächung der Forderungen aus und erklärte unter großem Beifall:
Wir begrüßen diese Vollversammlung und sagen, dass der Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus erfordert. Der Kampf gegen rechts muss mit dem Kampf gegen Krieg und Sozialkahlschlag verbunden werden und kann nur als Klassenkampf geführt werden.
Es ist falsch zu behaupten, dass alle Parteien außer der AfD antifaschistisch seien. Im Gegenteil, alle bürgerlichen Parteien tragen aktiv dazu bei, die Faschisten zu stärken und ihr Programm zu verwirklichen.
Warum wachsen denn die Rechten in allen Ländern? Der Grund ist, dass die ganze Politik insgesamt nach rechts geht und die Politik der Sozialangriffe und des Krieges unterstützt. Deshalb unterstützt die EU-Kommission die europäische extreme Rechte. Deshalb haben Sozialdemokraten und Grüne im EU-Parlament einen Faschisten als Vize-Kommissionspräsident unterstützt.
Deshalb übergibt Biden die US-amerikanische Regierung reibungslos an Trump und dessen faschistisches Kabinett. Hier in Berlin werden Gegner des Massakers in Gaza mit Polizeigewalt und Medienhetze überzogen und strafrechtlich verfolgt.Der Kampf gegen Rechts erfordert also einen Kampf gegen sämtliche Bundestagsparteien. Sie haben den Rechten den roten Teppich ausgerollt und setzen ihre Politik in die Tat um. Das gilt auch für die Linkspartei, die massenhaft Geflüchtete abschiebt und hier in Berlin jahrelang den Sozialkahlschlag mit durchgesetzt hat.
Im Anschluss an den Redebeitrag brachten mehrere Studierende Anträge und Forderungen ein, den Beschlusstext zu ergänzen und zu schärfen.
Angehörige der Gruppe „Decolonise HU“ brachten mehrere Anträge ein, die sich umfassend gegen „die Beschneidung von Grundrechten wie dem Recht auf Asyl, die akademische Freiheit, die Versammlungs- und Organisationsfreiheit sowie der Meinungsfreiheit“ wenden, einen „Stopp der deutschen Beihilfe zum Völkermord in Gaza“ einfordern und verlangen, „sofort alle Waffen- und Rüstungslieferungen an Israel zu stoppen“. Ein weiterer Antrag wendet sich gegen die IHRA-Definition von Antisemitismus, die „Kritik am Staat Israel mit Antisemitismus gleichsetzt“.
Die Anträge wurden mit überwältigender Mehrheit angenommen. Ein Student forderte zudem unter großem Beifall, dass sich die Universitätsleitung nicht nur kritisch zu Professor Baberowski „positionieren“ solle, sondern sich klar von ihm distanzieren müsse.
Einige Mitglieder des Organisationskomitees, die mit dem Linkspartei-nahen SDS verbunden sind, versuchten an mehreren Stellen der Versammlung, die weitverbreitete Kampfbereitschaft gegen rechts auf die Mühlen der am Boden liegenden Linkspartei zu lenken und suggerierten, dass eine „Erneuerung“ der Partei die rechte Gefahr bannen könnte. So wurde unter anderem der Berliner Linkspartei-Abgeordnete Ferat Koçak eingeladen, via Livestream zur Versammlung zu sprechen, während eine Gewerkschaftsaktivistin feierlich ihre Kandidatur für die Linkspartei zu den Bundestagswahlen bekannt gab.
Als Kahl jedoch erklärte, dass sich der Kampf gegen rechts auch gegen die Linkspartei richten müsse, die in Berlin den Sozialkahlschlag mitverantwortet hat und massenhaft Geflüchtete abschiebt, reagierte das Plenum mit besonders starkem Applaus. Auch eine Studentin der „Decolonise“-Gruppe stellte in einem Debattenbeitrag fest, dass „die Linkspartei schon regiert hat und die Rechten trotzdem gewachsen sind“.
Tatsächlich hat gerade der Sozialabbau von Linkspartei, Grünen und SPD unter dem Banner „linker“ Politik die politische Verwirrung und Verzweiflung geschaffen, die die AfD nun demagogisch ausschlachtet. Anhand des großen Beifalls für die Kritik an der Linkspartei und der breiten Ablehnung für die Unterstützung der israelischen Kriegspolitik wurde auf der Versammlung somit ein wichtiger Gegensatz zwischen Teilen des Organisationskomitees und der Mehrheit der Anwesenden deutlich.
Die Vollversammlung unterstützte schließlich auch mehrheitlich eine Reihe von Forderungen, die bundesweit vom Bündnis „Studis gegen Rechts“ erhoben werden, darunter einen bundesweiten Mietendeckel, „solidarisches Bleiberecht für alle“, „wirkungsvolle Besteuerung großer Vermögen“, die Abschaffung der Schuldenbremse und einen „bezahlbaren ÖPNV“. Während diese Forderungen dringend notwendig und zurecht populär sind, erfordert ihre Verwirklichung auch hier einen Bruch mit der bürgerlichen Perspektive des SDS, der die Bewegung für die Linkspartei vereinnahmen und in eine Sackgasse lenken will.
IYSSE-Sprecher Kahl bilanzierte im Anschluss an die Vollversammlung:
Der Kampf gegen rechte Politik kann nicht mit bürgerlichen Kräften geführt werden, die selbst rechte Politik in die Tat umsetzen, sondern nur gegen sie. Deshalb lehnen wir es strikt ab, die Linkspartei zu „erneuern“, wie das von SDS-Mitgliedern hier vertreten wurde. Die Linkspartei hat überall, wo sie regiert, das Programm der Bourgeoisie umgesetzt. Sie schiebt massenhaft ab, hat hier in Berlin den Sozialkahlschlag mit vorangetrieben und sich vollständig mit Israels Massaker im Gazastreifen solidarisiert.
Während Dietmar Bartsch die wirtschaftliche Ausplünderung der Ukraine unterstützt und Gysi eine stärkere deutsche Großmachtpolitik fordert, fädelt Bodo Ramelow in Thüringen eine Regierung aus CDU, SPD und der Wagenknecht-Partei ein und fordert die Entsendung deutscher Truppen in die Ukraine.
Statt an bürgerliche Parteien wie die Linkspartei zu appellieren, müssen wir uns der Arbeiterklasse zuwenden, die nach einem Weg sucht, gegen die herrschende Klasse zu kämpfen. Dabei wenden wir uns auch gegen die privilegierten Gewerkschaftsbürokraten, die Kriegsgegner mit Hilfe der Polizei von den Maidemonstrationen werfen und mit ihrer Unterstützung für die Kriegspolitik und die Senkung der Reallöhne dazu beigetragen haben, den Nährboden für die Faschisten zu schaffen.
Wir rufen dazu auf, in den Betrieben und an allen Arbeitsplätzen Aktionskomitees aufzubauen, die in der Tradition der Arbeiterräte stehen. Sie müssen unabhängig von der Gewerkschaftsbürokratie und für alle Arbeiterinnen und Arbeiter offen sein – ungeachtet ihrer Nationalität, Betriebs- und Gewerkschaftszugehörigkeit. Baut IYSSE-Gruppen an allen Unis auf, um für eine sozialistische Perspektive zu kämpfen!
Dem Nationalismus der Faschisten und extremen Rechten müssen wir die Einheit der internationalen Arbeiterklasse entgegenstellen! Auf diese Weise können wir nicht nur die Faschisten schlagen, sondern auch das kapitalistische System stürzen, das die Ursache für Rechtsruck, Sozialkahlschlag und Krieg ist.
Bei seiner letzten Sitzung beschloss das Studierendenparlament der HU auf Antrag der IYSSE-Fraktion die Einberufung einer weiteren Vollversammlung, um den Kampf gegen die Milliardenkürzungen des Berliner Senats zu debattieren und zu organisieren. Die Kämpfe gegen Kürzungen, Krieg und Faschismus können nicht voneinander getrennt werden, sondern nur als Klassenkampf geführt werden. Diese Perspektive wollen wir mit allen Interessierten diskutieren. Nehmt mit uns Kontakt auf und beteiligt euch an der Vorbereitung der Vollversammlung!