Die Verhandlungen zwischen SPD und PDS über einen Koalitionsvertrag für eine gemeinsame Berliner Landesregierung laufen auf Hochtouren. Die Zeit drängt. Denn trotz der bevorstehenden Weihnachtstage soll der rot-rote Berliner Senat bereits in einer Parlamentssitzung am 17. Januar gewählt werden. Beide Verhandlungsführer, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Gregor Gysi (PDS), geben sich optimistisch.
Bisher war eine Regierungsbeteiligung der PDS in der Bundeshauptstadt heftig umstritten. Obwohl die PDS bei den Landtagswahlen vor zwei Monaten ihren Stimmenanteil deutlich verbessern (22,6 Prozent, ein Plus von nahezu fünf Prozent) und im Ostteil der Stadt sogar fast die Hälfte aller Wähler auf sich vereinigen konnte, sprachen sich Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Bundes-SPD gegen eine Regierungsbeteiligung der PDS aus.
Im Sommer hatte Kanzler Schröder noch die Initiative ergriffen und die Krise der durch Korruption und Vetternwirtschaft ins Schleudern geratenen Berliner Bankgesellschaft für eine Kampagne gegen den sprichwörtlichen Berliner Sumpf genutzt. Die Große Koalition aus CDU und SPD wurde abrupt beendet und vorzeitige Neuwahlen ausgeschrieben. Schröders Ziel war ein umfassendes Rationalisierungsprogramm für die Bundeshauptstadt mit deutlichen Sparmaßnahmen. Dabei strebte er durchaus eine Zusammenarbeit mit der PDS an, die im Ostteil der Stadt mehrere Bezirksbürgermeister stellt.
Doch der 11. September änderte die politischen Rahmenbedingungen. Mit einer Partei die im Bundestag gegen den Krieg stimmte, war eine Koalition in der Bundeshauptstadt nicht mehr erwünscht. Auch war völlig ungewiss, ob und wie der grüne Koalitionspartner eine Zustimmung zur deutschen Kriegsbeteiligung politisch überleben würde. Unter diesen Bedingungen setzte der Kanzler auf eine Zusammenarbeit mit der FDP. Mehrmals lud er den Vorsitzenden der Liberalen Guido Westerwelle demonstrativ zu vertraulichen Gesprächen ein und signalisierte in seinen Bundestagsreden deutliches Interesse an Zusammenarbeit.
Unter diesen Verhältnissen begannen Ende Oktober die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP, die nach der politischen Farbenlehre als Ampelgespräche bezeichnet wurden. Doch mit jedem Tag trumpfte die FDP stärker auf. Nicht nur der notorisch rechtslastige Berliner Landesverband stellte sich quer. Auch die Bundeszentrale der FDP ging auf Konfrontationskurs zur Schröder-Regierung. Die wochenlange Bombardierung Afghanistans und das brutale Vorgehen der USA hatte den reaktionärsten politischen Tendenzen Auftrieb gegeben. Während die rot-grüne Bundesregierung ihre Unterstützung des Kriegs nur mühsam und mit Hilfe eines Kanzler-Machtworts durchsetzen konnte, witterten konservative und rechte Kräfte Morgenluft. So kam es, dass die FDP die Ampelgespräche überraschend platzen ließ, weil sie sich im Bündnis mit den Konservenativen bei den Bundestagswahlen im nächsten Jahr ein reelle Chance erhofft, die rot-grüne Regierung abzulösen.
Gregor Gysi, Spitzenkandidat der PDS in den Oktoberwahlen, hatte sich bereits mit den Berliner Ampel-Verhältnissen abgefunden und seine Anwaltskanzlei wieder eröffnet, beziehungsweise mit mehreren Zeitungen Verträge über eine Tätigkeit als regelmäßiger Kolumnist abgeschlossen, als ihn die Nachricht vom Scheitern des Dreierbunds erreichte und die SPD an seine Tür klopfte. Nun sitzt er seit zwei Wochen im Berliner Rathaus, um seine Regierungsbeteiligung vorzubereiten.
PDS unterstützt Kürzungen
Eine Regierungsbeteiligung der PDS in der Bundeshauptstadt leitet einen neuen Abschnitt der deutschen Politik ein.
Nicht nur wird damit die PDS erstmals Westberliner, das heißt Bürger der alten Bundesrepublik regieren, der Berliner Senat dient als Sprungbrett für die Regierungsverantwortung auf Bundesebene. Die Aufgabe der Koalitionsverhandlungen ist es, die Partei, die sich als "demokratische Sozialisten" bezeichnet, in ein Haushaltskonsolidierungsprogramm einzubinden, das drastische Einsparungen in allen Sozialbereichen und einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst umfasst.
Die PDS hat keinen Moment gezögert, die konkrete Ausgestaltung der Sparmaßnahmen in die Hand zu nehmen. Verkleidet in altbekannten Phrasen über Demokratie als "Kunst zum Kompromiss" und "konsequenten Realitätssinn" sieht sie ihre Rolle sehr ähnlich wie die Gewerkschaftsbürokratie: den Sozialabbau so zu gestalten, dass der Widerstand dagegen unter Kontrolle gehalten werden kann.
Einige Beispiele: Bisher hatte der Senat angekündigt, zwanzig Schwimmbäder der Stadt aus Kostengründen zu schließen. Am vergangenen Wochenende einigten sich SPD und PDS auf die Schließung von zehn Bädern. Außerdem soll das Sport- und Erholungszentrum (SEZ) im Stadtteil Friedrichshain - zu Prestigeobjekt aus Honeckers Zeiten - möglichst schnell privatisiert werden und spätestens ab 2003 keine öffentlichen Zuschüsse mehr erhalten. Offenbar will Gysi seinen Anhängern im Osten deutlich machen, dass jetzt auch heilige Kühe geschlachtet werden und er keinerlei Skrupel kennt.
Obwohl in den vergangenen Jahren im Bildungsbereich bereits drastische Kürzungen durchgeführt wurden und die jüngste Bildungsstudie "PISA" starke Mängel des deutschen Bildungssystems aufdeckte, sollen auch in diesem Bereich weitere Einschränkungen folgen. Gegen die bisherigen Senatspläne, alle Kindertagestätten zu privatisieren, bzw. privaten Trägern zu übereignen, hatte die PDS immer lautstark protestiert. Jetzt fordert sie von der Senatsverwaltung zunächst eine Überprüfung, ob durch eine solche Privatisierung tatsächlich 290 Millionen Mark eingespart werden können, und schlägt dann einen sogenannten "dritten Weg" vor. Die Stadt soll selbst einen Betrieb gründen - zum Beispiel eine "gemeinnützige GmbH", die nach privatwirtschaftlichen Kriterien arbeitet -, die dann die Leitung der Kitas übernimmt.
Das Ziel bleibt gleich: die Sparmaßnahmen durchzusetzen. Auch vor Kürzungen zu Lasten pädagogischer Standards schrecke eine SPD-PDS Koalition nicht zurück, berichtet der Berliner Tagesspiegel. Bisher stehe den Einrichtungen pro 100 Kindern eine Leitungskraft zu. Mit einer Änderung dieser Richtgröße auf 130 sollen 360 Stellen gestrichen werden. Die Größe der Hortgruppen in den Kindertagesstätten soll von 16 auf 21 Kinder erhöht werden.
Seit 1990 wurden in der städtischen Verwaltung bereits 50.000 Arbeitsplätze abgebaut. Über einen weiteren Personalabbau gibt es noch keine Einigung. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) will die Personalausgaben um 2 Milliarden Mark senken. Die SPD fordert von den Beschäftigten den dauerhaften Verzicht auf das Weihnachtsgeld und Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Die PDS verlangt, dass jede Entscheidung im Personalbereich in Absprache mit den Gewerkschaften getroffen wird. Nach Einschätzungen von PDS-Fraktionschef Harald Wolf sei es aber durchaus möglich, mit den Gewerkschaften einen Solidarpakt zu schließen, der Einsparungen im Personalbereich von etwa 1,6 Milliarden Mark erziele.
Wie oft hatten Funktionäre der PDS in der Vergangenheit betont, es dürfe nicht immer bei den sozial Schwächsten gespart werden. Jetzt - mit dem Griff nach den politischen Schalthebeln der Macht in der Bundeshauptstadt - zeigt sie, wie ernst das gemeint war. Am Mittwoch vergangener Woche entschied die Koalitions-Arbeitsgruppe Arbeit, Soziales, Gesundheit, die Sachausgaben für Sozialhilfeempfänger um 20 Prozent zu kürzen. So soll die Einmalzahlung für Winterkleidung von gegenwärtig 370 auf 260 Mark reduziert werden.
Auch in der Sicherheitspolitik leitet die PDS-Führung eine Wende ein. Die von der CDU begonnene Einführung der Videoüberwachung öffentlicher Plätze lehnt sie zwar nach wie vor ab, will statt dessen aber mehr Polizeibeamte auf der Strasse einsetzen und alle Polizeidienststellen mit Computern ausrüsten und vernetzen.
In Bezug auf Militäreinsätze fordert der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch eine "realitätstaugliche Außenpolitik". Friedenserhaltende Militäraktionen und von der UNO abgesegnete Auslandseinsätze der Bundeswehr seien "nicht mehr tabu". Bartsch macht darauf aufmerksam, dass die PDS auf ihrem letzten Parteitag in Dresden die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs unterstützt habe, und betont, dass sich daraus natürlich Konsequenzen ergeben. Man könne schließlich Kriegsverbrecher und andere Straftäter nicht vor ein solches Gericht bringen, indem man "Streifenpolizisten in die weite Welt schickt", sondern müsse dann schon bereit sein, "notfalls auf die KSK-Kräfte der Bundeswehr" zurückzugreifen.
Schon die Tatsache, dass die PDS in der Bundeshauptstadt eine Koalition mit der Partei anstrebt, die eben gerade mit Brachialgewalt die Teilnahme an einem Krieg durchgesetzt hat, dessen Dauer, Ausdehnung und Konsequenzen völlig unabsehbar sind, spricht Bände über die Standfestigkeit der PDS in der Kriegsfrage. Wenn Gregor Gysi gegenwärtig trotzdem bemüht ist, auf möglichst vielen Antikriegsdemonstrationen oder Protestveranstaltungen zu sprechen, zeigt dies nur, wie sehr er befürchtet, dass die Partei schneller als gewollt ihre Fähigkeit verliert, den sozialen Protest aufzufangen. Doch Tatsachen sind hartnäckig. Diejenigen die gestern noch gegen Sozialkürzungen protestiert haben, sitzen heute bereits im Rathaus und planen ihre Durchführung.
Vierzig Jahre Erfahrung
Die Bereitschaft der PDS, skrupellos den Rotstift zu schwingen und jeden Widerstand dagegen heute als realitätsfremde Traumtänzerei zu beschimpfen und morgen mit der Polizei zu unterdrücken, macht deutlich, dass diese Partei Erfahrung im Umgang mit Machtausübung hat. Anders als die Grünen, die bei jeder Rechtswende die eigene innere Zerrissenheit wortreich zur Schau stellen, tritt die PDS als Partei auf, die vierzig Jahre lang die Staatsmacht der DDR in Händen hielt und jeden Widerstand von unten unterdrückte.
Es gibt Gründe dafür, dass die Staatspartei der DDR in den Wendemonaten 1989/90 nicht aufgelöst, sondern nur in PDS umbenannt wurde. Das umfangreiche Parteivermögen spielte dabei eine Rolle, aber nicht die entscheidende. Viel wichtiger war die Aufrechterhaltung eines Machtapparats, der über jahrzehntelange Erfahrung in der Unterdrückung jeder selbstständigen Regung der Arbeiterklasse verfügte. In den vergangenen Jahren hat Gysi diesen Apparat immer wieder angeboten und gepriesen. Obwohl er sich bemühte, die PDS vom alten stalinistischen Stallgeruch zu befreien, stieß er damit bei der westdeutschen Elite lange auf taube Ohren. Dass die PDS nun gerufen und im Berliner Senat getestet wird, ist das Ergebnis einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise.
Alle Hoffnungen auf ein stabiles Wirtschaftswachstum, mit denen die Schröder-Regierung vor drei Jahren antrat, sind längst verflogen. Seit mehreren Monaten steigt die Arbeitslosigkeit, und die Hiobsbotschaften aus den Chefetagen der Konzerne werden immer bedrohlicher. Die soziale Polarisierung der Gesellschaft nimmt deutlich zu. Dort wo Gerhard Schröder und sein britischer Amtskollege Toni Blair die Neue Mitte vermuteten, auf die ihre Politik ausgerichtet war, klafft ein riesiges Loch.
Gerade die Mittelschicht der Gesellschaft wird immer stärker aufgerieben. Nur einem sehr kleinen Teil gelang der gesellschaftliche Aufstieg, während die übergroße Mehrheit in das namenlose Heer der Lohnabhängigen abrutschte und immer größere Schwierigkeiten hat, mit ihren Familien über die Runden zu kommen. Die Regierungspolitik ist in vielen Fragen gescheitert und Schröder klammert sich an jeden Strohhalm.
Besonders in Ostdeutschland befürchtet die Regierung soziale Konflikte, die nicht unter Kontrolle gehalten werden können. Die offizielle Zahl der Arbeitslosen ist dort doppelt so hoch wie im Westen, trotz der Abwanderung vieler ostdeutscher Familien in die westdeutschen Ballungszentren. Gerade in den ehemaligen Industriegebieten im Osten, in denen die SPD vor gut drei Jahren die größten Stimmengewinne erzielte, ist heute die Enttäuschung und Verbitterung besonders groß.
Hier soll nun die PDS, die als einzige Partei im Osten über eine ausgedehnte Organisationsstruktur verfügt, für Recht und Ordnung sorgen. Ob sie dazu wirklich in der Lage ist, muss sich erst noch zeigen. Denn bisher spielte sie eine ausgeprägte Doppelrolle. Während sie als Oppositionspartei Proteststimmen gewinnen konnte, handelte sie überall dort, wo sie auf kommunaler oder landespolitischer Ebene Macht ausübte, als staatstragende Partei und konkurrierte mit CDU und SPD über Sozialkürzungen und Arbeitsplatzabbau. Dieser Spagat wird in wachsendem Maße schwierig, und die PDS zeigt sich nun als Partei, die im entscheidenden Moment die bestehende Ordnung verteidigt. Ähnlich wie bei den Grünen beginnt auch bei der PDS mit dem Einstig in die Bundespolitik der politische Abstieg.
Vieles deutet sogar darauf hin, dass aufgrund der fortgeschrittenen wirtschaftlichen und politischen Krise die Degeneration und der politische Fäulnisprozess der PDS noch rasantere Formen annimmt. Auch ein Blick auf das Führungspersonal der Partei zeigt das. Während die Mitgliedschaft zu neunzig Prozent aus alternden SED-Kadern besteht, werden die Leitungsgremien mit jungen, dynamischen Wendehälsen besetzt, deren Opportunismus nur noch von ihrer Ignoranz übertroffen wird.
Ein Prachtexemplar dieser Spezies ist Stefan Liebich. Erst vor wenigen Wochen wurde der 28-jährige zum Berliner Landesvorsitzenden gewählt und sitzt nun neben Gregor Gysi am Verhandlungstisch. Das Rampenlicht behagt ihm sichtlich. Er bezeichnet sich als "Politikmanager" und spricht gerne von "knallharter Haushaltssanierung" und "wirtschaftlicher Verantwortung". Aus seiner DDR-Vergangenheit in Marzahn macht er keinen Hehl, und dass er schon als Schüler der Stasi Informationen über Mitschüler gab, ficht ihn nicht an. Karriere war schon damals sein Motiv.
Aus dem Untergang der DDR hat er vor allem Verachtung für die breite Masse der Bevölkerung abgeleitet, und man merkt, dass seine Arroganz und grenzenlose Selbstüberschätzung noch nie mit ernsthaften Kämpfen der Arbeiterbewegung zusammengeprallt ist.
Die Gefahr ist groß, dass die PDS mit ihrer rechten Politik noch rechteren Demagogen den Weg ebnet. In Sachen-Anhalt, dem Bundesland, in dem die PDS seit neun Jahren die SPD-Minderheitsregierung von Reinhard Höppner toleriert und unterstützt, ist diese Gefahr mit Händen greifbar. Der seit Jahren starke politische Einfluss der PDS in Magdeburg hat nichts daran geändert, dass dieses Bundesland die höchst Arbeitslosigkeit bundesweit aufweist und die Sozialsystem immer weiter abgebaut wurden.
Bei den Landtagswahlen im April nächsten Jahres tritt die rechts-konservative Schill-Partei an, benannt nach dem Hamburger Amtsrichter Ronald Barnabas Schill, der mit seiner Law-and-order-Partei bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen im Sommer auf Anhieb knapp zwanzig Prozent der Stimmen erzielte. In den heruntergekommenen Industriegebieten von Magdeburg, Halle und Leuna könnte seine "Partei der Rechtsstaatlichen Offensive" noch stärkeren Zuspruch erhalten und damit eine starke Polarisierung der Parteienlandschaft in der Vorbereitung auf die Bundestagwahlen im nächsten Jahr einleiten: Auf der einen Seite ein Bündnis von SPD und PDS und auf der anderen eine rechts-konservative Offensive der Union im Bündnis mit rechten rassistischen Gruppierungen. So widerspiegelt sich die soziale Spaltung der Gesellschaft auf politischer Ebene.
Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber es wäre verfehlt, historische Lehren zu vernachlässigen. Im Gründungsprogramm der Vierten Internationale machte Leo Trotzki 1938 darauf aufmerksam, dass die Volksfront auf der einen und die faschistische Diktatur auf der anderen Seite die beiden letzten Stützen der bürgerlichen Herrschaft sind. Seine Einschätzung, dass die stalinistischen Parteien eine Schlüsselrolle dabei spielen, die Arbeiterklasse angesichts der Gefahr von Rechts zu lähmen, wurde durch die historische Entwicklung bestätigt.
Ungeachtet vieler Antistalinismus-Debatten steht die PDS gerade in dieser Frage deutlich in der stalinistischen Tradition.