Rot-Grüne Regierung plant zweites "Anti-Terror-Paket"

Nur eine Woche, nachdem das Bundeskabinett ein erstes Maßnahmenpaket zur Einschränkung demokratischer Rechte im Eilverfahren beschlossen hat, soll in Kürze bis Mitte Oktober ein zweites "Anti-Terror-Paket" mit noch weitreichenderen Einschränkungen und Einschnitten folgen.

Die Regierungskoalition aus SPD und Grünen nutzt den Schock über die Terroranschläge in den USA, um ohne größere öffentliche Diskussion und gegen jegliche Einwände von Juristen und Datenschützern eine drastische Einschränkung demokratischer Rechte und Freiheiten durchzusetzen.

Auf der Kabinettsitzung am 19. September beschloss die Regierung bereits eine Reihe von Maßnahmen: Im kommenden Jahr werden drei Milliarden Mark mehr zur Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit ausgegeben. Dieses Geld soll vor allem der Bundeswehr, dem Bundesgrenzschutz, der Polizei, den Geheimdiensten und dem Generalbundesanwalt zugute kommen.

Zusätzlich zu den Paragrafen 129 ("Bildung einer kriminellen Vereinigung") und 129 a ("Bildung einer terroristischen Vereinigung") wird der Paragraf 129 b ins Strafgesetzbuch aufgenommen, der gegen in Deutschland lebende Unterstützer und Mitglieder ausländischer Organisationen, die des Terrorismus verdächtigt werden, zum Einsatz gebracht werden kann. Für die Unterstützung einer solchen Organisation - die Definition, welche Organisationen darunter fallen, ist weiterhin umstritten - können bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verhängt werden, für die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation bis zu zehn Jahren.

Das Religionsprivileg wurde aus dem Vereinsrecht gestrichen, um härter gegen islamische Vereinigungen, die des Extremismus verdächtigt werden, vorgehen und sie verbieten zu können. Auch hier ist die Grauzone zwischen Verdacht und Beweis strafbarer Aktivitäten von islamischen Fundamentalisten sehr groß.

Diese gesetzlichen Maßnahmen waren bereits länger geplant und vorbereitet, wie Innenminister Otto Schily (SPD) in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel vergangene Woche bestätigte: "Die Initiativen, die wir vergangene Woche im Kabinett beschlossen haben, sind nicht erst nach dem 11. September eingeleitet worden. Die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz zum Beispiel habe ich vor Monaten vorgeschlagen. Und nicht ohne Grund haben wir im Staatsangehörigkeitsrecht den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft unter dem Gesichtspunkt der Verfassungstreue und der Rechtstreue allgemein bereits 1999 erheblich verschärft."

Ein weiterer wichtiger Punkt in dem ersten Paket war die Verordnung zur Verschärfung der Sicherheitsüberprüfung von Flughafen- und Flugpersonal. Nach der Beratung des Maßnahmenpakets am 20. September im Bundesrat (der Ländervertretung) wurde diese Verordnung nochmals verschärft. Eine Sicherheitsüberprüfung des Personals wird nun nicht alle fünf Jahre - wie von der Regierung beschlossen - durchgeführt, sondern auf Antrag einiger Bundesländer, vorneweg des CSU-regierten Bayerns, jährlich.

Die geringste Auffälligkeit oder das kleinste Vorstrafenregister sollen eine Entlassung bzw. Nichteinstellung rechtfertigen. Für die Überprüfungen sollen Daten vom Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, den Strafverfolgungsbehörden und aus dem Ausländerzentralregister sowie der Gauckbehörde abgefragt werden. Davon sind sowohl die Angestellten von Fluggesellschaften als auch das Personal in der Gepäckverladung oder Reinigungskräfte betroffen. Mit dieser Verschärfung stimmte der Bundesrat dem ersten Maßnahmenpaket zu.

An erster Stelle des Nachfolgepakets steht die härtere und generelle Überprüfung aller in die Bundesrepublik einreisender Ausländer, unabhängig davon, ob es sich um Touristen, Studenten, Asylbewerber, Fachkräfte, Spätaussiedler oder Familienangehörige bereits lange in Deutschland lebender Einwanderer handelt.

Der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz betonte: "Wir werden genauer hinschauen, wer nach Deutschland einreist." Auch die Identität der Einreisenden müsse "zweifelsfrei festgestellt" werden. Die Vorschläge dafür reichen von der generellen Abnahme von Fingerabdrücken, was bereits vielfach bei Asylbewerbern in der Vergangenheit praktiziert wurde, über die Einführung computergestützter Gesichtskontrollen bis zu Regelanfragen beim Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst (der für die Spionage im Ausland zuständig ist) und der Anfrage bei den Behörden und Geheimdiensten in den Herkunftsländern der Ausländer.

Bis vor kurzem hatte sich das Außenministerium unter der Leitung von Joschka Fischer (Grüne) noch gegen die Abnahme von Fingerabdrücken, z. B. bei Visa-Anträgen in deutschen Botschaften gewehrt - nicht aus prinzipiellen demokratischen Gründen, sondern aus Sorge um das Ansehen Deutschlands im Ausland, insbesondere bei den von der Wirtschaft begehrten und erwünschten hoch qualifizierten Fachkräften, die nach Deutschland kommen sollen.

Nach den Terroranschlägen in den USA gebe es auch im Auswärtigen Amt "zusätzliches Problembewusstsein", erklärte Wiefelspütz gegenüber der Frankfurter Rundschau (28. September). Nach der Abstimmung zwischen dem Innenministerium von Otto Schily (SPD) und dem Außenministerium von Joschka Fischer (Grüne) könne es nun ganz schnell an die Umsetzung dieser Maßnahmen gehen, meinte Wiefelspütz. Des weiteren setzte sich Wiefelspütz dafür ein, die Abnahme von Fingerabdrücken nicht auf Visa-Anträge zu beschränken, sondern auch für Ausweise und Pässe vorzuschreiben, so dass auch deutsche Staatsbürger davon betroffen wären.

Weitere Maßnahmen des zusätzlichen Gesetzespakets betreffen Teile des von Otto Schily Anfang August vorgelegten Zuwanderungsgesetzes, das richtiger als Gesetz zur Verhinderung von Zuwanderung bezeichnet werden müsste. Die Passagen, die Polizei und Justiz einen noch größeren Zugriff auf die Daten des Ausländerzentralregisters ermöglichen sollen und andere restriktive Maßnahmen werden aus dem Gesamtgesetz herausgelöst, damit sie unabhängig davon, ob das Zuwanderungsgesetz überhaupt noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann oder nicht, in Kürze in Kraft treten können. Dazu gehört auch, dass Visa-Anträge sowie Bürgschaften von Menschen, die Ausländer nach Deutschland einladen, gesammelt und gespeichert werden sollen.

Otto Schily gab bereits vor zwei Wochen an, dass er beabsichtige, den Datenschutz zu überprüfen und dort zu lockern, "wo Datenschutz zu Terroristenschutz" werde. Der Informationsfluss zwischen den Nachrichtendiensten laufe "perfekt"; Änderungsbedarf sehe er aber beim Datenaustausch staatlicher Behörden, nicht nur bei Strafverfolgungsbehörden, sondern auch bei der Ausländerbehörde. Als Beispiel wurde das Ausländerzentralregister genannt. An sich unverdächtige Daten aus dem Register könnten im Abgleich mit Daten anderer Behörden "durchaus sachdienliche Hinweise ergeben".

Das Ausländerzentralregister speichert bereits jetzt alle Daten von in Deutschland gemeldeten Ausländern, Flüchtlingen, Asylsuchenden, von allen Personen, "für die oder gegen die eine aufenthaltsrechtliche Entscheidung getroffen" wurde, die an deutschen Grenzen zurückgewiesen werden sollen oder gegen deren Einreise "Bedenken" bestehen usw. Gespeichert werden Personalien, Wohnsitz(änderungen), Ein- und Ausreisedaten, ausländer- und asylrechtliche Entscheidungen, aber auch "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht" auf Drogenhandel, Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung bzw. einer politischen Ausländerorganisation.

Auch die Regelanfrage beim Verfassungsschutz, das heißt, die Nachfrage bei jedem Einwanderer nach Deutschland, ob er denn auch die deutsche Verfassung achte, sei im Rahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes vorgesehen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erklärte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, er "habe nichts dagegen, dass wir bei jemandem, der eingebürgert werden soll, eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz vornehmen". Der grüne Regierungspartner signalisierte seine Zustimmung zu diesem Vorhaben.

Während so ein Gesetzespaket nach dem anderen geschnürt wird - allesamt mit Maßnahmen, die demokratische Freiheiten und Rechte mir nichts dir nichts beiseite wischen - hören die Vorschläge von Politikern und Staatsbeamten für weitere Verschärfungen des Ausländer- und Asylrechts sowie die Aushebelung demokratischer Rechte nicht auf.

So hat Bayerns Ministerpräsident Stoiber (CSU) sich den Forderungen von Verfassungsschützern angeschlossen. Sie fordern eine deutliche Ausweitung ihrer Kompetenzen. In einem 31-Punkte-Papier findet sich unter anderem die Forderung, dass sich V-Leute auch an schwereren Straftaten militanter Islamisten beteiligen können. Weitere Punkte sind das Verlangen nach Auskunftspflicht von Banken, Postdienstunternehmen sowie von Fluggesellschaften.

Außerdem soll die Speicherung von Daten minderjähriger Extremisten schon bei Jugendlichen im Alter von 14 Jahren beginnen, statt wie bisher ab 16. Die Verfassungsschützer fordern auch, dass die Überwachung des Telefonverkehrs vereinfacht wird. Das Papier wurde am Freitag vergangener Woche in Düsseldorf von Beamten der Innenministerien besprochen und dann an die Minister weitergeleitet.

Die CDU hat im Bundesvorstand einen Leitantrag beschlossen, der noch weitgehendere Gesetzesverschärfungen beinhaltet. Neben der Wiedereinführung der Kronzeugenregelung, der Ausweitung der Video- und Telefonüberwachung nun auch die Einführung des "finalen Rettungsschusses"; der Polizei soll damit die gezielte Ermordung von mutmaßlichen Terroristen gestattet werden. Außerdem fordert der Antrag eine Aufhebung der strikten Trennung von Geheimdiensten und Polizei. Die letzte Aufhebung dieser Trennung liegt rund 60 Jahre zurück, in Form der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) der Nazis. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern soll laut CDU-Leitantrag geprüft werden.

Die Sozialdemokraten stehen diesen Forderungen in nichts nach. Schily macht sich inzwischen für ein zentrales EU-weites Melderegister für Menschen aus Drittstaaten (Staaten, die nicht zur EU gehören) stark. Weiter fordert er, dass die Rasterfahndung europaweit koordiniert, die europäische Polizeibehörde Europol mit exekutiven Rechten ausgestattet und eine europäische Staatsanwaltschaft eingerichtet wird. Weitere Gesetze sollen europaweit angepasst werden - und zwar nach unten an den niedrigen deutschen Standard. Gerade erst letzte Woche verhinderte Otto Schily als Vertreter der deutschen Regierung bei einer Sitzung der EU-Innen- und Justizminister zum wiederholten Mal, dass die Regelungen für den Familiennachzug in der Europäischen Union gelockert werden.

Betrachtet man die hektischen Maßnahmen der Regierung zur inneren Sicherheit im Zusammenhang, so wird deutlich, dass sie sich nicht nur von Terroristen bedroht fühlt, sondern heftige soziale Konflikte und Auseinandersetzungen im Inneren erwartet.

Siehe auch:
Schilys Polizeistaatsmaßnahmen
(25. September 2001)
Bundesregierung schränkt demokratische Rechte ein
( 20. September 2001)
Ausweitung des politischen Strafrechts in Deutschland und Europa
( 2. Oktober 2001)
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