Die nach dem 11. September verabschiedeten Anti-Terror-Gesetze werden eingesetzt, um sozialen Unruhen vorzubeugen. Das geht aus einem vertraulichen Evaluierungsbericht der Bundesregierung hervor, der der Frankfurter Rundschau vorliegt. In selten klarer Offenheit räumt der Bericht ein, dass der Abbau demokratischer Rechte in engem Zusammenhang mit den Arbeitsmarktreformen und der fortschreitenden Zerschlagung der sozialen Sicherungssysteme steht.
Die Anti-Terror-Gesetze sehen unter anderem erweiterte Möglichkeiten der Sicherheitsüberprüfung vor, um - so die offizielle Begründung - hoch sensible Einrichtungen wie Atomkraftwerke und Flughäfen vor Anschlägen zu schützen. Aus dem Evaluierungsbericht geht nun aber hervor, dass derartige Überprüfungen vor allem im Wirkungsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums vorgenommen wurden, zu dem auch die Bundesagentur für Arbeit gehört. Insgesamt 1.544 Mitarbeiter wurden hier überprüft.
Im Rahmen einer sogenannten "einfachen Sicherheitsüberprüfung" mussten die Betroffenen eine "Sicherheitserklärung" abgeben. Gleichzeitig wurde eine Abfrage beim Bundeszentralregister und bei den Sicherheitsbehörden durchgeführt. Die so gesammelten Informationen wurden dann vom Bundesamt für Verfassungsschutz und vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) abschließend bewertet.
Über die Ergebnisse wurde der Arbeitgeber auch dann informiert, wenn kein Sicherheitsrisiko vorlag. Im Evaluierungsbericht heißt es dazu: "Auch sonstige sicherheitserhebliche Erkenntnisse unter der Schwelle eines Sicherheitsrisikos werden mitgeteilt, um der Entwicklung von Sicherheitsrisiken vorzubeugen."
Begründet wird diese massenhafte Sicherheitsüberprüfung von Arbeitsamtmitarbeitern damit, dass mögliche Pannen im Datenverarbeitungssystem der Arbeitsagentur Unruhen in der Bevölkerung auslösen könnten. Wörtlich heißt im vertraulichen Bericht: "Die verhältnismäßig hohen Fallzahlen (...) sind auf einen hohen Überprüfungsbedarf bei der Bundesagentur für Arbeit im IT-Bereich zurückzuführen. Die sensible öffentliche Reaktion auf Computer-Pannen‘ bei dem Start von,Hartz IV‘ Anfang 2005 unterstreicht, dass die Beeinträchtigung dortiger Aufgabenwahrnehmung - die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar ist - erhebliche Unruhe in erheblichen Teilen der Bevölkerung entstehen lassen würde."
Im vergangenen Jahr war es wiederholt zu massiven Protesten gegen die Hartz-IV-Gesetze gekommen. Die Bundesregierung fürchtete daher, dass Pannen bei der Geldauszahlung nach Inkrafttreten der Gesetze zu Beginn dieses Jahres die Proteste wieder aufflammen lassen könnten - und setzte die Anti-Terror-Maßnamen ein, um die eigenen Mitarbeiter zu überwachsen.
Die Sicherheitsüberprüfungen wurden nur deshalb durchgeführt, kommentierte die Frankfurter Rundschau, weil "die Art der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gesellschaftspolitisch höchst umstritten war und ist". Der Autor Thomas Maron sieht die Gefahr, dass der "Staat Misstrauen gegen seine Bürger zum Prinzip erhebt und nach legalen Mitteln sucht, um seine Macht zu sichern".
Im Vergleich zur hohen Zahl überprüfter Arbeitsamtsmitarbeiter nehmen sich die anderen im Evaluierungsbericht aufgeführten Zahlen relativ gering aus. So sei in 32 Fällen eine detaillierte Kontoabfrage von den Geheimdiensten durchgeführt worden, um damit 39 Personen zu überprüfen. Bei Fluglinien seien 5 Personen überprüft, von den Telekommunikationsunternehmen die detaillierten Verbindungsdaten von 92 Personen abgefragt worden. Die so genannten IMSI-Catcher, mit denen Standorte von Handys ermittelt werden, sollen bei 21 Betroffenen eingesetzt worden sein. Die Anti-Terror-Gesetze wurden also vorwiegend gegen mögliche Unruhen in der eigenen Bevölkerung eingesetzt.
Ausweitung der Anti-Terror-Gesetze
Die Sicherheitsbehörden wollen die Zahl der Überprüfungen und Überwachungen weiter erhöhen. Sie sehen zu starke Restriktionen am Werk, um wirklich "effizient" arbeiten zu können, und plädieren dafür, bestehende Fristen für die Datenspeicherung aufzuheben und Polizei und Geheimdiensten weiter gehende Eingriffsrechte zu gewähren.
Als großen "Erfolg" wertet der Evaluierungsbericht, dass durch die mit den Anti-Terror-Paketen verbundene Aufhebung des Religionsprivilegs für Vereine sechs islamische Organisationen mit insgesamt 800 Anhängern in das Visier des Verfassungsschutzes geraten konnten. Drei Organisationen wurden verboten, obwohl keiner die Planung oder Durchführung von Terroranschlägen angelastet wurde. Als Grundlage diente vielmehr ein schwammiger Extremismusbegriff, mit dem Organisationen verboten werden können, gegen die Verdachtsmomente bestehen, sie wollten die kulturelle und soziale Ordnung Deutschlands umstürzen. Dies betraf den "Kalifatsstaat" von Metin Kaplan und die Hizb ut-Tahrir al Islami (HuT).
Der Al Aqsa e.V. wurde allein deswegen verboten, weil er in Deutschland Spendengelder für die palästinensische Hamas gesammelt hatte, die von der Bundesregierung als ausländische terroristische Organisation gewertet wird. Das Verbot von Al Aqsa wurde im Jahr 2003 zwischenzeitlich vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, da der Verein glaubhaft machen konnte, dass die gesammelten Gelder für Sozialprojekte in den Gebieten der palästinensischen Autonomiebehörde eingesetzt worden sind.
Im Dezember 2004 trat das Verbot nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jedoch wieder in Kraft. Zur Begründung erklärten die Richter in Leipzig, die Hamas sei ein "einheitliches Gebilde, bei dem die sozialen Aktivitäten nicht vom militärischen Bereich geschieden werden können". Und da sich Al Aqsa mit den Zielen von Hamas identifiziere und damit gegen den "Gedanken der Völkerverständigung" verstoße, müsse das Verbot wieder in Kraft treten. Otto Schily begrüßte die Leipziger Entscheidung mit den Worten: "Unter dem Deckmantel angeblich rein humanitärer Zwecke kann sich niemand verstecken."
In der Bundesregierung gibt es Bestrebungen, die Anti-Terror-Gesetze weiter auszuweiten. So diente das Verbotsverfahren gegen Al Aqsa als Begründung für die Forderung nach einer Ausweitung der Zugriffsrechte auf Kontodaten. Den Geheimdiensten soll unter anderem auch Einblick in die beim Bundesamt für Finanzdienstleistungen zentral gespeicherten Kontostammdaten gewährt werden.
Auch die Regelungen zur Löschung und Kennzeichnung gewonnener Daten sollen abgeschwächt werden. So heißt es im Evaluierungsbericht, die vorgesehenen halbjährlichen Regelüberprüfungen hätten "bislang lediglich Verwaltungsroutinen veranlasst, jedoch zu keinen Löschungen geführt". Da man im "Kampf gegen den Terror" jedoch auch langfristig auf Daten zugreifen müsse, stelle sich die Frage, "ob der Verwaltungsaufwand der vorgesehenen besonderen Prüfroutine angemessen" sei. Den Sicherheitsbehörden soll also die langfristige Speicherung der erhobenen Daten deswegen erlaubt werden, weil sie bislang - entgegen der geltenden Rechtslage - nichts gelöscht haben und zukünftige Löschaktionen einen zu hohen Aufwand darstellen würden.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz trat am 29. März dieses Jahres in der Frankfurter Rundschau für einen direkten Zugriff der Nachrichtendienste auf Bankkonten und Reisedaten ein. Selbst den Zugriff auf die geplante Gesundheitskarte mit der Krankengeschichte und allen medizinischen Einzelheiten eines Patienten schloss er nicht aus. Es dürfe "keine Denkverbote und keine Tabus geben", sagte er. "Wenn die Gesundheitskarte ein Schlüsselinstrument wäre, um terroristische Straftaten abzuwenden, würde ich einen Zugriff auf diese Daten nicht problematisieren wollen, dann müssten die Eingriffsrechte geschaffen werden."
Auch die Erstellung von Bewegungsprofilen über das Mautsystem hält der SPD-Innenpolitiker für denkbar. Die Grenze sei für ihn erst erreicht, "wenn über Folter, über Todesstrafe, über rechtsfreie Räume wie Guantanamo (...) diskutiert" werde.
Dabei sind bereits mit den jetzt gültigen Anti-Terror-Maßnahmen Rechtsgrundsätze außer Kraft gesetzt worden, die seit der Gründung der Bundesrepublik gelten. Die Unschuldsvermutung wurde ausgehebelt und die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt. Ausländer können alleine aufgrund einer Gefahrenprognose ausgewiesen und abgeschoben werden, wobei der normale Rechtsweg ausgeschlossen ist. Politische Organisationen können mit der "Terrorismuskeule" nahezu willkürlich verboten werden. Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten wurde durch die Schaffung einer zentralen Datei im neu eingerichteten "Terrorismusabwehrzentrum" faktisch aufgehoben.