Am 10. Dezember haben die Vorstände von Linkspartei.PDS und WASG die Programmatischen Eckpunkte für die Mitte des kommenden Jahres geplante Vereinigung beider Parteien vorgestellt. Es handelt sich zwar noch nicht um das fertige Programm der fusionierten Partei, die sich künftig Die Linke nennen wird, aber die Eckpunkte bringen erstmals die Ansprüche beider Parteien unter einen Hut und werden somit die programmatische Grundlage für das neue Projekt abgeben.
Dem Leser wird ziemlich bald klar, dass der einzige positive Aspekt, den das Pamphlet zu bieten hat, in seiner Kürze liegt. Man muss sich nicht mehr durch 50 Seiten moralischer Entrüstung über den neoliberalen Kapitalismus quälen. Diesmal reichen elf Seiten, um die Kernaussagen des Programms darzulegen. Diese bestanden schon bei der PDS stets darin, der herrschenden Klasse den Willen und die Fähigkeit zu signalisieren, die bestehenden Verhältnisse zu stützen, soll heißen, den wachsenden Unmut der Arbeiterklasse aufzufangen, mit verstaubten sozialreformistischen Illusionen zu betäuben und den Verwertungsinteressen des Kapitals "demokratisch" unterzuordnen.
Auch der neue Entwurf wird niemanden in der herrschenden Elite in Angst versetzen, die neue Partei könnte möglicherweise die Welt aus den Angeln heben. Inzwischen ist sie gewöhnt an die blumigen Beschreibungen, wie schön unsere Welt sein könnte ohne den entfesselten Kapitalismus. Auch die Beschwörungen der Demokratie, der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit, nicht zu vergessen des Sozialismus, verbunden mit frommen Wünschen nach "Überwindung des Kapitalismus", manchmal gespickt mit scheinradikalen Forderungen nach der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer und der Abschaffung europäischer Rüstungsprojekte - all das kehrt mit jedem neuen Programm wieder, ohne dass es irgendwelche praktischen Konsequenzen hätte.
Überhaupt ist die am meisten benutzte Vokabel, "Überwindung", bestens geeignet, die gegenwärtige Führung in Politik und Wirtschaft von der Zahmheit der Opposition der Linkspartei zu überzeugen. So strebt sie danach, die soziale Spaltung zu überwinden, spricht von der Überwindung der Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse, der Überwindung politischer und kultureller Gegensätze, der Überwindung von Hartz IV und der NATO und natürlich, wie bereits erwähnt, des Kapitalismus - bloß keine harten Worte, geschweige denn verpflichtende programmatische Aussagen in entscheidenden Dingen.
Zwei Aspekte des Programmentwurfes verdienen eine nähere Betrachtung.
Zum Ersten ist der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Worten und Taten bei der einstigen PDS noch nie so krass hervorgetreten wie jetzt, selbst wenn man bedenkt, dass ihre Forderungen immer beschränkter und unbestimmter werden und zu nichts verpflichten.
Während das Programm die gesellschaftliche Verantwortung "für ausreichend kostengünstigen Wohnraum, für öffentlichen Nah- und Fernverkehr, für allgemein zugängliche, kostenfreie Bildung" und noch einiges mehr unterstreicht und sich "die gewählten Repräsentanten der Linken für die Gestaltung der Daseinsvorsorge in diesem Sinne" einsetzen "sollen", tritt der Berliner Landesverband der Linkspartei.PDS zur Neuauflage der rot-roten Koalition in der Bundeshauptstadt an, der in Bezug auf soziale Belange verantwortungslosesten Landesregierung, die Deutschland bisher zu bieten hatte.
Stellenabbau und massive Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, bei den Berliner Verkehrsbetrieben und in Krankenhäusern sind weithin bekannt. Hinzu kommen Gebührenerhöhungen, Schulgeld und Kürzungen an den Universitäten. All das wurde auf den Seiten der World Socialist Web Site regelmäßig dokumentiert.
Nehmen wir als Beispiel den "kostengünstigen Wohnraum". Der Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft GSW mit über 65.000 Wohnungen diente kaum dem Erhalt von bezahlbarem Wohnraum. Doch nicht genug damit, hat die Neuauflage der rot-roten Landesregierung als eine ihrer ersten Amtshandlungen dem Verkauf von 877 Wohnungen der Hellersdorfer Wohnungsbaugesellschaft WoGeHe an zwei holländische Privatinvestoren zugestimmt.
Im neuen Koalitionsvertrag wurde zwar der Verkauf landeseigener Wohnungen ausgeschlossen, allerdings mit einer Ausnahme: Der Verhinderung einer finanziellen Notlage der Wohnungsgesellschaften. Bei den in der Regel mageren Finanzausstattungen der Gesellschaften sind zukünftige Wohnungsverkäufe schon jetzt durch die Koalitionsvereinbarung gedeckt.
Auf Seite 6 der Programmatischen Eckpunkte liest man jedoch: "Deshalb verteidigen wir die öffentliche Daseinsvorsorge und treten für ihre Ausweitung an. Wir wollen den Verkauf öffentlichen Eigentums an Wohnungen und Versorgungsunternehmen verhindern."
Oder nehmen wir das Beispiel Bildung. Es war der SPD/PDS-Senat, der erstmalig in Berlin Schulgeld eingeführt hat, und zwar in deutlich spürbarem Umfang. Mit 100 Euro pro Jahr und Kind sind besonders ärmere, kinderreiche Familien genötigt, ihre Kinder ohne oder mit beschränktem Lehrmaterial in die Schule zu schicken.
Gleichzeitig klagen Lehrer über eine katastrophale Personalausstattung. Der neue Senat ist gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit Überlastungsanzeigen von mindestens drei Schulen, zwei Gymnasien und einer Realschule in Berlin-Reinickendorf, konfrontiert.
Liest man das Interview, das die Vorsitzende des Personalrates der Lehrer und Erzieher der Region Berlin-Reinickendorf, Marianne Voelske, am 14. Dezember der Zeitung junge Welt gab, so kann man beinahe fühlen, wie sich die Berliner Lehrerschaft mit letzter Kraft über die vergangenen fünf Jahre geschleppt hat und nun erschöpft zusammenbricht angesichts einer Neuauflage des rot-roten Regierungsbündnisses: Noch einmal fünf Jahre - das schaffen wir nicht!
Sie sagt: "Im Dezember haben die Kolleginnen und Kollegen in einem offenen Brief an den Senat erklärt, dass sie physisch und psychisch am Ende sind, dass sie die Umsetzung immer neuer Reformen nicht bewältigen können."
Sie erwähnt den Bericht einer betroffenen Kollegin, die seit 30 Jahren als Lehrerin tätig ist. "Nach sechs oder sieben Stunden geht sie ausgelaugt’ und erschöpft’ nach Hause und braucht mehrere Stunden der Regeneration, bis sie sich an die Vorbereitung des nächsten Tages machen kann. Korrekturen von Prüfungen verschiebt sie mittlerweile grundsätzlich aufs Wochenende."
Positive Erwartungen in den Senat gibt es nicht, denn was die Lehrer auch in den vergangenen Jahren angestellt haben - "stets war die Reaktion gleich Null".
Der Programmentwurf sagt uns dazu auf Seite 8: "Wir wollen [...] ein flächendeckendes Angebot an ganztägiger Bildung gewährleisten." Und weiter unten: "Bildung ist für uns ein öffentliches Gut, das wegen seiner Bedeutung für die Gesellschaft und für jeden einzelnen Menschen kostenfrei zugänglich sein soll."
Solche Gegenüberstellungen von programmatischen Forderungen und tatsächlicher Politik der Linkspartei.PDS, nicht nur in Berlin, ließen sich beliebig fortsetzen.
Der zweite wichtige Aspekt der Programmatischen Eckpunkte besteht darin, dass sie als Vorbereitung auf eine künftige Regierungsbeteiligung auch im Bund dienen. Die Signale an die herrschende Klasse sind unverkennbar.
In einem Absatz ist dies sogar explizit ausgedrückt: "Entscheidend für die Durchsetzung eines Politikwechsels ist die bundespolitische Ebene. Hier liegen die meisten Kompetenzen, die dafür notwendig sind, hier erfolgen die meisten Weichenstellungen."
Das neue Programm schafft die notwendigen Voraussetzungen, um von der herrschenden Klasse akzeptiert zu werden.
Die Veränderung der Eigentumsverhältnisse hat die PDS noch nie einem revolutionären Sinne aufgefasst, doch im neuen Programm beschränkt sie sich auf die Möglichkeiten, die das Grundgesetz selbst bietet. "Demzufolge können Schlüsselbereiche der Wirtschaft in Gemeineigentum überführt werden."
Andererseits wird das Programm nicht müde, die Unvermeidlichkeit der Marktwirtschaft zu betonen: " Die Linke sieht im Vorhandensein unterschiedlicher Eigentumsformen eine Grundlage für eine effiziente und demokratische Wirtschaft", oder: "Gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln ist wichtig für Innovation und betriebswirtschaftliche Leistungsfähigkeit".
In der stets heftig umstrittenen Frage der Regierungsbeteiligungen gibt es keine fassbaren Beschränkungen mehr. Die neue Partei wird natürlich "in Regierungen dafür eintreten, die öffentliche Daseinsvorsorge gegen Privatisierungsstrategien zu bewahren, öffentliche Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger nicht durch Personalabbau zu verschlechtern und Kürzungen sozialer Leistungen nach Kräften zu verhindern". Die praktischen Ergebnisse dieses Einsatzes wurden weiter oben bereits kurz umrissen.
Doch die eigentliche Eintrittskarte für die Bundesregierung erwirbt man mit der Außenpolitik. Wer sich nicht eindeutig zu deutschen Interessen und Bundeswehr bekennt, wird nicht zu höchsten Regierungsämtern zugelassen. Hier gab es in der PDS seit dem Münsteraner Parteitag im Jahr 2000 die schärfsten Auseinandersetzungen. Seinerzeit wurde gegen den Willen des damaligen und heutigen Vorsitzenden Lothar Bisky durchgesetzt, dass die Partei keinem UN-Militäreinsatz nach Kapital VII der UN-Charta, so genannten robusten Einsätzen, zustimmen darf. Eine Beschlusslage, die heute immer noch gilt.
Im neuen Programm heißt es nun, dass Einsätze dieser Art "im Wesentlichen" abgelehnt werden. Eingebettet in eine halbe Seite von Friedensforderungen und ausgedrückt in einem kaum lesbaren Satz, erfassten die wenigen innerparteilichen Gegner um die "Antikapitalistische Linke" sowie die Presse dies dennoch als Kernaussage.
Die Gruppe um Sahra Wagenknecht und Tobias Pflüger sprach von einer Türöffnerformulierung im Hinblick auf Militäreinsätze. Sie reagierte damit auf eine Äußerung, die Bisky unmittelbar nach der offiziellen Vorstellung des Eckpunkteprogramms gemacht hatte. Er sagte, dass die beiden Parteien "Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht grundsätzlich ablehnen". "Wenn Menschen wie im Sudan ermordet würden", so wird Lothar Bisky in einer AP-Meldung zitiert, "dann müsse ein Einsatz der Bundeswehr unter Führung der UN diskutiert werden".
Deutlicher geht es kaum. Mussten die Grünen noch einen angeblichen Völkermord im Kosovo und den Vergleich mit dem Holocaust der Nazis an den Juden bemühen, um als ehemalige Friedenspartei deutsche Militäreinsätze zu beschließen, so gibt Bisky die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr bereits auf, "wenn Menschen ermordet würden". Da es kaum eine Krisenregion auf der Erde gibt, in der nicht Menschen ermordet werden, ist Biskys Aussage nicht nur eine Rechtfertigung für alle Einsätze, die die Bundeswehr in Afghanistan, Sudan oder im Mittelmeer bereits führt, sondern ein Freibrief für alle künftigen Pläne und Entscheidungen der deutschen Außenpolitik.