Es handle sich um einen "Kompromiss mit Licht und Schatten". Mit diesen Worten hatte die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) Ende vergangener Woche das Ergebnis des so genannten Moderatorenverfahrens bewertet. Doch diese Einschätzung des Vermittlungsvorschlags der beiden CDU-Politiker Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf ist reine Augenwischerei. In Wahrheit hat die GDL-Führung weitgehende Zugeständnisse gemacht und den nächsten Schritt der Kapitulation vorbereitet.
Schon die Tatsache, dass auf der Pressekonferenz, auf der das Verhandlungsergebnis präsentiert wurde, neben dem GDL-Vorsitzenden Manfred Schell, der Bahnpersonal-Chefin Margret Suckale und den beiden Vermittlern Geißler und Biedenkopf auch die Chefs der beiden anderen Bahn-Gewerkschaften Transnet und GDBA, Norbert Hansen und Klaus-Dieter Hommel, anwesend waren, spricht Bände.
Beide Gewerkschaften hatten in den vergangenen Wochen den Kampf der Lokführer nach Strich und Faden sabotiert und waren offen als Streikbrecher aufgetreten. Die Rechtsberater von Transnet unterstützten das juristische Vorgehen der Bahn, die ein Gericht nach dem anderen abklapperte, bis sie schließlich eine Arbeitsrichterin fand, die ihren Argumenten folgte und ein Streikverbot verhängte. Der Vorsitzende des DGB, Michael Sommer, hatte die Streikaktionen der Lokführer öffentlich verurteilt.
Dass die GDL nun mit Transnet und GDBA an einem Tisch sitzt und die kommenden Verhandlungen gemeinsam mit diesen beiden Gewerkschaften führen wird, macht deutlich, dass sich die GDL-Führung nicht von diesen gelben Gewerkschaften unterscheidet. Die Führung um Manfred Schell ist nicht bereit, den Auftrag der Mitglieder zu erfüllen, die trotz des gewaltigen politischen und juristischen Drucks, der von allen Seiten auf die Lokführer ausgeübt wurde, in einer Urabstimmung mit 96 Prozent für Streik gestimmt hatten.
Schon Mitte vergangenen Monats, als die GDL dem Moderationsverfahren durch Geißler und Biedenkopf zustimmte, erklärte sie sich bereit, "für den Zeitraum der Vermittlungsgespräche" auf Streiks zu verzichten. Nun hat sie erneut bis 30. September "Friedenspflicht" vereinbart. Anstatt durch gezielte Streikaktionen Druck auf die Verhandlungen auszuüben, wie es die Mitglieder bei der Urabstimmung entschieden hatten, tut die GDL-Führung das Gegenteil. Sie beugt sich dem Druck, der vom Bahnvorstand, der Regierung und dem DGB ausgeübt wird, und ergreift selbst die Initiative, um die Streikbereitschaft der Lokführer zurückzuhalten.
Für die GDL-Führung geht es jetzt nur noch darum, Formulierungen zu finden, um den Ausverkauf der Mitglieder zu kaschieren. Ein Blick auf das bisherige Verhandlungsergebnis macht das sehr deutlich.
Bisher hatte die GDL einen "eigenständigen Fahrpersonaltarifvertrag" gefordert, das heißt, sie vertrat nicht nur die Lokführer, sondern auch die Zugbegleiter und die Beschäftigten der "fahrenden Gastronomie". Das hat sie nun aufgegeben. Der GDL wurde zwar die Tarifführerschaft für die Lokführer zugesprochen, dafür hat sie im Gegenzug auf die Vertretung des restlichen Fahrpersonals verzichtet.
Doch auch der eigenständige Tarifvertrag für die Lokführer, der die komplexen Schicht- und Ruhezeiten berücksichtigen sowie eine "deutlich höhere Vergütung" beinhalten soll, wird in den gegenwärtigen Verhandlungen völlig umgestaltet. Transnet hatte bereits vor Wochen ultimativ erklärt, falls der Bahnvorstand mit der GDL einen eigenen Tarifvertrag abschließe, werde sie den bereits vereinbarten eigenen Tarifvertrag wieder auflösen. Diese Erpressung steht nach wie vor im Raum, obwohl sich Transnet an den Gesprächen beteiligt, die zu einem "eigenständigen Lokführer-Tarifvertrag" führen sollen.
Neue Entgeltstruktur
Dahinter verbirgt sich folgendes: Transnet nutzt die Kompromissbereitschaft der GDL-Führung, um mit Hilfe des so genannten "eigenständigen Lokführertarifvertrags" das Lohnsystem bei der Bahn völlig umzukrempeln. Künftig sollen alle Beschäftigten nicht mehr weitgehend einheitlich, sondern nach Berufen und Sparten ganz unterschiedlich bezahlt werden. Bei Tätigkeiten, für die keine lange Ausbildung oder Einarbeitungszeit erforderlich ist, sollen die Einkommen weiter gesenkt oder stark flexibilisiert werden.
Daher war die Ausgliederung der Zugbegleiter und der Beschäftigten in den Schlaf- und Speisewagen für die Bahn AG und Transnet eine wichtige Frage. Selbst wenn die Lohnerhöhung für die Lokführer etwas über den 4,5 Prozent liegt, die Transnet für die andern Bahnbeschäftigten ausgehandelt hat, soll ihr Tarifabschluss dazu benutzt werden, für die große Mehrheit der Beschäftigten weitere finanzielle Verschlechterungen durchzusetzen.
Vor fünf Jahren war die GDL unter dem Druck ihrer Mitglieder aus der Tarifgemeinschaft mit Transnet und der GDBA ausgetreten und hatte sich den ständigen Kompromissen, die mit einer einschneidenden Verschlechterung verbunden waren, widersetzt. Im November 2002 scheiterte ein Ergänzungstarifvertrag, der bis zu 18 zusätzliche unbezahlte Schichten pro Jahr bei DB-Regio vorsah, am Widerstand der GDL. Seitdem haben die Lokführer für einen eigenen Tarifvertrag gekämpft, doch der Bahnvorstand hat die Zusammenarbeit verweigert.
Als die Lokführer dann in diesem Frühjahr eine 30-prozentige Lohnerforderung aufstellten und Kampfmaßnahmen vorbereiteten, stellten sich die Unternehmerverbände, die Bundesregierung, die Justiz, ein Großteil der Medien und der DGB hinter den Bahnvorstand. Sie alle werteten die Forderung der Lokführer, deren Streikaktionen in der Bevölkerung auf Verständnis und Unterstützung stießen, als Ausdruck einer weit verbreiteten Unzufriedenheit über den seit langem anhaltenden Sozialabbau.
Unter diesem Druck ruderte der GDL-Vorstand immer weiter zurück. Nun verhandelt er über eine neue Endgeltstruktur, die darauf ausgerichtet ist, die einzelnen Berufsgruppen und Beschäftigungssparten noch stärker als bisher gegeneinander auszuspielen, mit dem Ziel, Lohnsenkung und Sozialabbau zu beschleunigen.
Deutlicher könnte der politische Bankrott seiner beschränkten, gewerkschaftlichen Perspektive kaum sichtbar werden. Die Lokführer und alle Arbeiter, die erleben, wie die Gewerkschaften einen Ausverkauf nach dem anderen durchsetzen, sind mit Fragen konfrontiert, die eine politische Antwort erfordern.
Die Globalisierung der Wirtschaft hat der gewerkschaftlichen Politik der Sozialpartnerschaft und des sozialen Ausgleichs den Boden entzogen. Die global operierenden Finanzkartelle, die das moderne Wirtschafsleben beherrschen, pressen auch noch das letzte Quäntchen Gewinn aus der arbeitenden Bevölkerung heraus, um ihren unersättlichen Hunger nach Profit und Reichtum zu stillen.
Gewerkschaften und SPD reagieren auf den Bankrott des Sozialreformismus, indem sie sich uneingeschränkt auf die Seite der Wirtschaft stellen, um die "deutschen Interessen" - d.h. die Interessen der Deutschen Banken und Konzerne - in der heftig umkämpften Weltarena zu verteidigen. Militarismus, Staatsaufrüstung und heftige Angriffe auf Löhne und Rechte der Arbeiter sind die Folgen.
Statt auf angeblich neutrale Schlichter zu hoffen, müssen die Lokführer Unterstützung bei anderen Beschäftigten der Bahn und anderen Arbeitern mobilisieren. Die Kampfbereitschaft der Lokführer, die in der Bevölkerung auf große Sympathie gestoßen ist, muss zum Ausgangspunkt gemacht werden, um sich den neuen politischen Aufgaben und Herausforderungen zu stellen.
Das erfordert eine grundlegend neue politische Strategie, die nicht die Profitinteressen der Wirtschaft zum Maßstab aller Dinge macht, sondern die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt und damit eine sozialistische Zielsetzung verfolgt. Die Produktion im allgemeinen und derart wichtige Unternehmen wie die Bahn AG müssen der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als ganzer gestellt werden.
Das kann nur erreicht werden, wenn Arbeiter mit ihren alten, nationalen Organisationen brechen und sich europa- und weltweit zusammenschließen, um für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft zu kämpfen.