Der Anstieg der Kinderarmut in Berlin nimmt kein Ende. Inzwischen leben fast 171.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von Hartz IV, das sind 34,5 Prozent der Altersgruppe. Der Anteil der Bedürftigen bis 8 Jahre beträgt sogar 38,7 Prozent.
Die meisten Kinder und Jugendlichen in armen Familien leben in den Bezirken Mitte (26.304) und Neukölln (25.210).
Seit fast acht Jahren wird Berlin von einer Landesregierung aus SPD und der Linkspartei regiert. In dieser Zeit des so genannten "rot-roten Senats" hat sich die Spree-Metropole zur Hauptstadt der Armut entwickelt. Die Stadt liegt mit der Quote armer Kinder weit über dem schon hohen Bundesdurchschnitt, nachdem jedes fünfte Kind in Deutschland als arm gilt.
Auch die Arbeitslosigkeit in Berlin liegt weit über dem Bundesdurchschnitt. Im Juli 2009 war die Arbeitslosigkeit erneut auf eine Quote von 14,2 Prozent gestiegen (bundesweit 8,2 Prozent). Insgesamt waren fast 240.000 Arbeitslose gemeldet, über 80 Prozent von ihnen (192.000) bezogen Leistungen nach Hartz IV. Die Zahl der Arbeitslosen von 15 bis unter 25 Jahren ist ebenfalls gestiegen, nämlich auf 26.646.
Rund 600.000 Berliner beziehen Hartz-IV-Leistungen. Die größte Gruppe der armen Familien bilden die Alleinerziehenden Mütter und Väter. Etwa die Hälfte der armen Kinder wächst mit einem Elternteil auf. Das liege vor allem an dem großen Niedriglohnsektor in Berlin, sagt Sabine Walther, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Berlin. Trotz Arbeit könnten die alleinerziehenden Mütter oder Väter den Unterhalt ihrer Kinder nicht sichern. Mehr als 100.000 Berliner beziehen trotz Beschäftigung ergänzende Hilfen und gelten als "Working Poor". Außerdem arbeiten in Berlin über 35.000 Menschen in so genannten Ein-Euro-Jobs.
Für die Kinder Berlins bedeutet die wachsende Armut, dass ihnen ihre Zukunft bereits in jungen Jahren verbaut wird. "Sie können Sport, Musik, Klassenfahrten vergessen, alles, was für die Entwicklung so wichtig ist", erklärt Ulrich Schneider, Bundesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in der Frankfurter Rundschau. "Mit durchschnittlich 240 Euro pro Kind an Hilfsleistungen im Monat lässt sich das Leben des Kindes nicht vernünftig organisieren." Da die Armut vor allem in bestimmten Stadtteilen zunimmt, entwickeln sich diese Stadtbezirke zu Armenghettos. Kinder und ihre Familien werden sozial ausgegrenzt. Viele lebten in kleinen Wohnungen, könnten in der Enge nicht vernünftig lernen, "und zeigen psychosomatische Auffälligkeiten wie Konzentrationsprobleme", so Schneider. Dies alles verhindere, dass die Kinder aus ihrer Situation rauskommen könnten.
Verantwortlich für die ansteigende Armut in Berlin sind die regierenden Senats-Parteien SPD und Linke, die die Hartz-Gesetze der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) rigoros umsetzen.
Besonders zynisch ist die Haltung der Linkspartei. Die Zahlen über die aktuelle Kinderarmut gehen aus einer Senats-Antwort auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Margrit Barth (Die Linke) hervor. Seit Januar 2002 wird die Sozialpolitik in Berlin von dem ehemaligen DKP-Mitglied, später PDS, jetzt Die Linke, Heidi Knake-Werner, als Senatorin für Arbeit und Soziales geprägt. Das heißt: Frage und Antwort kommen aus derselben Partei.
Die Linkspartei behauptet stets, sie sei gegen Hartz IV, müsse aber Bundesgesetze und Vorgaben der Bundespolitik einhalten und umzusetzen. Das ist eine gezielte Irreführung. Niemand hat Knake-Werner und die Linkspartei gezwungen die Gesetze und Vorschriften mit einer derartigen Aggressivität gegen die Betroffen durchzusetzen, wie sie es seit Jahren tut. Der einzige Grund dafür ist die Unterwürfigkeit dieser Partei unter die Interessen der großen Konzerne und Wirtschaftsverbände. Die Linkspartei wollte von Anfang an beweisen, dass sie mindestens ebenso, wenn nicht sogar besser, als die CDU die Wirtschaftsinteressen vertritt und vor sozialen Grausamkeiten nicht zurückschreckt.
Als erste Amtshandlung sicherte der SPD-PDS-Senat Anfang 2002 mit dem so genannten Risikoabschirmungs-Gesetz für die Berliner Landesbank die Gelder der Anleger durch Milliarden an Steuergeldern. Anschließend wurde die dadurch entstandene Finanzkrise benutzt, um soziale Kürzungen nie gekannten Ausmaßes durchzusetzen. Löhne im öffentlichen Dienst wurden gekürzt, Arbeitszeiten verlängert, soziale Leistungen für die Bevölkerung zusammengestrichen, gleichzeitig Ein-Euro-Jobs und Niedriglohnarbeit durchgesetzt.
Auch die Behörden in Berlin haben keine Anweisung des Senats, im Zweifel für die Arbeitslosen und Armen zu entscheiden. Die Gesetzesformulierungen sind häufig bewusst nicht eindeutig formuliert und lassen unterschiedliche Interpretationen zu. Der Senat hat die Bezirksämter und Entscheidungsträger angewiesen hart durchzugreifen. Die Berliner Jobcenter wurden ermutigt häufig zuungunsten der Arbeitslosen zu entscheiden und tun das oft zu Unrecht.
So gab es im vergangenen Monat Juli in Berlin die bisher höchste Zahl von Klagen (2648) gegen Hartz-Bescheide seit Einführung der Gesetze 2005. Aktuell sind vor dem Berliner Sozialgericht noch fast 30.000 Klagen anhängig. Im ersten Halbjahr 2009 erzielten aber über die Hälfte Hartz-IV-Bezieher wenigstens einen teilweisen Erfolg. Im Jahr 2008 lag die Erfolgsquote bei 48 Prozent.
Die Streitpunkte betreffen zumeist die Kosten der Unterkunft, anrechenbare Einkommen und Kürzungen. Eine "angemessene Miete" muss finanziert werden. Aber welche Miete angemessen ist, entscheiden die Berliner Jobcenter sehr restriktiv.
Der Berliner Senat hat Ende letzten Jahres beschlossen, dass trotz starker Anstiege der Heiz- und Nebenkosten sowie der Mieten in den letzten fünf Jahren, die seitdem festen Bemessungsgrenzen nicht für Familien sondern nur für die Single-Haushalte anzuheben und das auch nur um 5 Prozent. Für zwei Drittel der 600.000 Hartz-IV-Empfänger bleibt es bei den alten fünf Jahre alten Bemessungsgrenzen.
Da auch die allgemeine Übergangsfrist, in der teurere Wohnungen ohne Überprüfung vom Jobcenter bezahlt werden, auf ein halbes Jahr verkürzt wurde, steigen die Klagen an.
Wegen der hohen Zahl von "Aufstockern", den Working Poor, finden in Berlin viele Verfahren auch zu den ergänzenden Hartz-IV-Leistungen statt.
Außerdem wurde 2008 in Berlin 7.530 Arbeitslosen die Unterstützung gekürzt, 298 Menschen sogar komplett. Die Jobcenter können bei Hartz-IV-Empfängern Leistungen um 30 Prozent und mehr kürzen, wenn diese beispielsweise Termine nicht wahrnehmen, zu spät kommen oder einen "zumutbaren Job" ablehnen. Besonders häufig betroffen von Sanktionen, vor allem von den hundertprozentigen Leistungskürzungen, sind Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren. Das Ergebnis der Kürzungen beschreibt ein Arbeitslosen-Sprecher: "Stromsperre, Mietrückstand, Hunger. Und das Gefühl, dem Sachbearbeiter ausgeliefert zu sein."
Das Bündnis aus Parteipolitikern von Grünen, Jusos, SPD und Linken sowie aus Sozialverbänden, Wissenschaftlern und Gewerkschaftern, das letzte Woche in Berlin ein Moratorium bei den Kürzungen gegen Hartz-IV-Empfänger forderte, ist daher reine Heuchelei und Wahlkampftheater. Wenn SPD, Jungsozialisten und Linkspartei Hartz-IV-Kürzungen wirklich einschränken wollten, hätten sie es längst tun können.
2008 verhängten die staatlichen Behörden in Deutschland 789.000 Geldkürzungen oder andere Strafen gegen Hartz-IV-Empfänger - zumeist willkürlich. Denn zwei Drittel der Straf-Maßnahmen werden von Gerichten widerrufen.
Neben der stellvertretenden Vorsitzenden der Linken Katja Kipping gehören dem Bündnis Ottmar Schreiner (SPD), die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel, die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth und der sozialpolitische Sprecher der Grünen Markus Kurth sowie der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske an.
Das ganze erinnert an den Ruf "Haltet den Dieb." SPD und Grüne haben die Hartz-Gesetze in ihrer Regierungsverantwortung durchgesetzt, Linkspartei und SPD setzen sie in Berlin in der Praxis um. Die Kürzungen bei Arbeitslosen waren und sind ausdrücklich gewollt. Neben zahlreichen Wirtschafts- und Bankenvertretern saßen Sozialdemokraten und Gewerkschafter, auch von Verdi (Isolde Kunkel-Weber, Mitglied des Verdi-Bundesvorstandes), in der Hartz-Kommission und haben an der Ausarbeitung der Gesetze mitgewirkt.
Dieses Bündnis hat nichts damit zu tun, die Verhältnisse der Betroffenen zu verbessern. "Der Staat hat ein Recht auf Gegenleistungen", sagte Kurth denn auch am Donnerstag bei der Vorstellung des Bündnisses. Nur unter "den gegenwärtigen Bedingungen in den Jobcentern" forderten er und seine Bündnispartner ein Moratorium der Sanktionen. Mit anderen Worten: Die Sanktionen sollten solange ausgesetzt werden, bis "bessere Bedingungen" in den Jobcentern herrschen.
Es ist der durchsichtige Versuch der Teilnehmer, kurz vor der Bundestagswahl zu demonstrieren - von Seiten der SPD- und Grünen-Mitgliedern vor allem den Widersachern in der jeweils eigenen Partei -, dass man als SPD, Grüne und Linke durchaus zusammen arbeiten kann. "Das sind keine vorweggenommenen Koalitionsverhandlungen", sagte Kipping. "Aber es ist erkennbar, dass es Schnittmengen gibt", sekundierte Kurth.