Seit vergangener Woche legten bundesweit insgesamt 115.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die Arbeit nieder. Derzeit laufen die Tarifverhandlungen für rund 1,2 Millionen Beschäftigte des Bundes und der Kommunen sowie weitere 800.000 mittelbar im öffentlichen Dienst Beschäftigte. Zu letzteren gehören unter anderem die Angestellten der Bundesbank, der Bundesagentur für Arbeit und in den Kommunen die Beschäftigten der Wohlfahrtsverbände oder privatisierter städtischer Unternehmen.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi reagiert mit den Warnstreiks auf die Opposition unter ihren Mitgliedern, die angesichts jahrelanger Reallohnsenkungen weit verbreitet ist. Gleichzeitig versucht Verdi so der Gegenseite - allen voran dem Verhandlungsführer des Bundes, Innenminister Thomas de Maizière, und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) - deutlich zu machen, dass sie schnell ein Angebot vorlegen müssen, um die Entwicklung unter Kontrolle zu halten.
Denn die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben durch niedrige Abschlüsse und Einmalzahlungen in den letzten zehn Jahren ständig Reallohnsenkungen hinnehmen müssen. Durch die Ablösung des Bundesangestelltentarifs (BAT) durch den von Verdi bejubelten Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD) haben die Beschäftigten zusätzliche Lohneinbußen hinnehmen müssen. Auch die in den Medien immer wiederkehrende Behauptung, die öffentlichen Arbeitsplätze seien sicherer und rechtfertigten deshalb größere Zugeständnisse als in anderen Branchen, gehört schon lange ins Reich der Fabeln. Auch im öffentlichen Dienst haben nicht zuletzt durch Ausgliederungen und Privatisierungen öffentlicher Betriebe befristete Verträge in großem Umfang Einzug gehalten.
Dementsprechend sind der Unmut und die Bereitschaft, für mehr Lohn zu kämpfen, unter den Beschäftigten sehr groß. Im Verdi-Mitgliedernetz fordern Gewerkschaftsmitglieder, sich nicht mit Kompromissen abspeisen zu lassen. "Die 5 Prozent müssen stehen, ohne Wenn und Aber", schreibt ein Verdi-Mitglied. "Keine Schlichtung sondern unbegrenzter Streik. Jetzt erst recht." Ein anderer fordert, "auch zu Generalstreik" aufzurufen. "Und bloß nicht klein beigeben mehr, wie bei der letzten Tarifverhandlung vor zwei Jahren kurz vor dem Streik. Bleibt jetzt mal hart, Verdi."
Doch Verdi ist alles andere als an einem Arbeitskampf interessiert. In einem Interview mit der Südwest Presse am 5. Februar erklärte der Gewerkschaftsvorsitzende Frank Bsirske (Grüne), es müsse "endlich Bewegung auf der Arbeitgeberseite geben". Dann käme man auch zu einem Ergebnis am Verhandlungstisch, "was ich immer befürworte". Verdi wolle dazu beitragen, dass das am Ende gelinge.
Verdi ist mit einer "Gesamtforderung" von fünf Prozent in die Tarifverhandlungen gegangen. Diese in den Medien ständig wiederholte Forderung entspricht aber nicht der Lohnerhöhung, die Verdi verlangt. Darin enthalten sind weitere Forderungen, die der Gewerkschaft als Verhandlungs- und Verrechnungsmasse dienen.
So soll eine Verlängerung der am 1. Januar ausgelaufenen Altersteilzeitregelung gefunden werden, Auszubildende sollen für zwei Jahre übernommen werden und das Gesamtergebnis soll auf die Bundesbeamten übertragen werden. Zudem sollen Lohnkürzungen durch den TVöD, den Verdi selbst zu verantworten hat, rückgängig gemacht bzw. ausgesetzt werden. Im Rahmen der Umstellung des BAT auf den TVöD sind die Bewährungs-, Zeit- und Tätigkeitsaufstiege abgeschafft worden. Dies hatte für viele Beschäftigte hohe Lohn- und Gehaltseinbußen zur Folge. Nun fordert Verdi, diese sollten wieder eingeführt werden, "bis zum Abschluss einer neuen Entgeltordnung".
Im Rahmen dieses Gesamtpakets sollen dann auch die Entgelte erhöht werden, wobei Verdi den Arbeitgebern mit einer "sozialen Komponente" zusätzlich entgegen kommt. Ein fester Betrag, der den unteren Lohngruppen entgegenkommt, soll mit einer prozentualen Erhöhung verrechnet werden. Die Arbeitgeber sparen so Gelder ein.
Dieses schwammige und nicht im Detail aufgeschlüsselte Fünf-Prozent-Paket gibt Verdi genügend Spielraum für einen Ausverkauf. Im Interview erklärte Bsirske ausdrücklich, er beachte "auch die Kostenwirkung", und von der Umsetzung der "Forderung etwa nach einer Altersteilzeit-Regelung" hinge dann auch "der Verteilungsspielraum für lineare Lohnerhöhungen" ab.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnte die Forderungen Verdis brüsk ab. Vertreter von Bund und Gemeinden haben in bislang zwei Verhandlungsrunden noch keinerlei Angebot vorgelegt.
Die kommunalen Arbeitgeber haben erklärt, es sei kein Geld für lineare Lohnzuwächse da. Sie möchten die Leistungsentgelte erhöhen, die unter den Beschäftigten "Nasenprämien" genannt werden. Diese ebenfalls von Verdi, bzw. der Vorläuferorganisation ÖTV (Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr), durchgesetzte Leistungsprämienzahlung stößt bei den Mitglieder auf Widerstand. Im Verdi-Mitgliedernetz fordert ein Mitglied: "Wir müssen der Forderung der kommunalen öffentlichen Arbeitgeber nach Erhöhung dieser Zulage sehr offensiv gegenüber treten". Von all den Versprechungen sei nichts übrig geblieben. "Das Vertrauen der Beschäftigten wurde letztendlich nur missbraucht, um den Personalabbau im kommunalen Bereich zu forcieren, mit dem Argument, die Personalräte und die Gewerkschaft wären ja beteiligt."
Schäuble behauptet in den Medien stur, der Staat habe kein Geld. Für die Rettung der Banken stellten die derzeitige Bundesregierung und ihre Vorgängerin allerdings binnen kürzester Zeit mehrere Hundert Milliarden Euro zur Verfügung. Für eine examinierte Krankenschwester hingegen, die beim Berufseinstieg brutto 2084 Euro verdient, gibt es angeblich kein Geld. Sie soll gemeinsam mit allen anderen Arbeitenden die Last der Geschenke an die Unternehmen und Reichen bezahlen - mit Arbeitsplatzabbau, Lohn- und Sozialkürzungen.
Verdi-Chef Bsirske ist sich mit den politischen Vertretern der Arbeitgeberseite einig, dass die Kassen leer sind und die Beschäftigten dies auszugleichen haben. "Es war ein richtiger Schritt, die Neuverschuldung zunächst zu erhöhen", sagte er der Südwest Presse. (Mit den zusätzlichen Schulden sind die Banken und Konzerne unterstützt worden). Doch wenn "wir aus der Krise raus sind, dann muss Schluss sein mit der Neuverschuldung."
Bsirske unterstrich ohne Widerspruch, dass der Bund vor dem Hintergrund der Schuldengrenze bis 2016 ein Fünftel des Bundeshaushaltes dauerhaft streichen müsse. Kommunen würden jährlich Milliarden-Defizite einfahren. "Das heißt im Umkehrschluss: Wenn die Arbeitgeber 2010 eine Nullrunde propagieren, wollen sie ein Jahrzehnt der Lohnkürzungen, der Streichungen von öffentlichen Dienstleistungen und der Entstaatlichung einleiten."
"Wenn sie jetzt mit Lohnpausen kommen, kommen sie demnächst mit Lohnkürzungen", bereitete Bsirske Krankenschwestern, Busfahrer, Müllwerker, Erzieherinnen, Sozialarbeiter, Sachbearbeiter und andere Beschäftigte in den Ämtern vor. "2010 ist ja eher noch ein günstiges Jahr verglichen mit dem, was noch auf uns zukommt."
Mit anderen Worten: Nach Jahren der Reallohnsenkung im öffentlichen Dienst ist sich Bsirske bewusst, dass die wirklichen Angriffe noch bevorstehen. Verdi versucht mit allen Mitteln zu vermeiden, dass sich dagegen eine breite soziale Bewegung über den öffentlichen Dienst hinaus entwickelt, die in Konflikt mit der schwarz-gelben Bundesregierung in Berlin sowie den Vertretern von SPD, Grünen, Linkspartei und Union in den Städten und Gemeinden gerät.
Aus diesem Grund hat Verdi in diesem Jahr auch keine konkret bezifferte Gehaltsforderung für die 250.000 Beschäftigten der Banken, die sie ebenfalls vertritt, beschlossen. Die Tarifkommission der Gewerkschaft hat entschieden, in den Gesprächen mit den Vertretern der privaten und öffentlichen Banken im April, den Schwerpunkt auf "neue Regeln gegen zu starken Vertriebsdruck’ auf Bankberater im Tarifvertrag" zu setzen.
Unterstützt wird Verdi dabei von den Gewerkschaften IG Metall und IG Bergbau, Chemie und Energie. Die beiden größten Industriegewerkschaften fallen den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ebenfalls in den Rücken mit dem Beschluss, ohne Lohnforderung in die bald beginnenden Tarifverhandlungen zu gehen. Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise gehe es "um die Sicherung von Arbeitsplätzen".
Wie alle Arbeiter, die für ihre Arbeitsplätze, Löhne und Lebensbedingungen kämpfen, ob bei der Bahn, Opel oder sonst wo - die Beschäftigten im öffentlichen Dienst stehen einer breiten Front aus Gewerkschaft, Berliner Parteien, Banken, Unternehmen und Medien gegenüber. Verdi wird in den kommenden Verhandlungsrunden einen faulen Kompromiss schließen, der Einkommen und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten den Sparplänen der Berliner Parteien in Bund, Ländern und Gemeinden opfert.
Protest gegen Berliner Tarifergebnis
Trotz eisiger Kälte folgten am Dienstag (9. Februar) rund 2000 Beschäftigte des öffentlichen Diensts in Berlin dem Aufruf der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zum Warnstreik. Kita-Erzieherinnen, Krankenschwestern und Pfleger, aber auch Angestellte der Landes- und Bundeseinrichtungen der Stadt, verließen am Vormittag ihre Arbeitsstellen, um gegen die provokative Haltung des Berliner Senats und der Bundesregierung zu protestieren.
Kurzfristig hatte auch die Lokführergewerkschaft GdL zu Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr aufgerufen, sodass morgens einige U-Bahnen ausfielen. Die Tarifrunde bei Bund und Kommunen überschneidet sich in Berlin mit den Tarifverhandlungen mit dem Berliner Senat, der 2003 die Tarifgemeinschaft der Länder verlassen und seitdem die Einkommen der Beschäftigten drastisch gesenkt hat.
Bei der Auftaktkundgebung berichtete die stellvertretende Landesvorsitzende von ver.di, Astrid Westhoff, von der vorläufigen Einigung in der vorangegangenen Nacht mit dem Berliner Senat. Während bei einer Pressekonferenz zuvor der Berliner SPD-Vorsitzende Michael Müller und der Landesvorsitzende der Linkspartei Klaus Lederer das Ergebnis über den Klee lobten, erntete die Gewerkschaftsfunktionärin bei den versammelten Beschäftigten wütende Buh-Rufe.
Die knapp 50.000 Berliner Landesbeschäftigten verdienen im Durchschnitt 6 Prozent weniger als in anderen Bundesländern. Nach der jetzt vorgelegten Einigung sollen sie nun in diesem Jahr völlig leer ausgehen und dafür erst ab August 2011 eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 3,1 Prozent bei einer Arbeitszeit von 39 Stunden erhalten. Danach will das Land Berlin wieder in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückkehren und erst 2017 sollen die Berliner Beschäftigten wieder an das Tarifniveau der anderen Bundesländer angeglichen sein. Die Forderung nach Übernahme der Auszubildenden wurde fallengelassen, obwohl der Personalmangel in allen Bereichen für jeden deutlich spürbar ist. Als Westhoff eine Mitgliederbefragung ankündigte und Versammelten zurief: "Ihr müsst jetzt mit Ja, oder Nein stimmen!" erklang es im Chor: "Nein!"