Während die Linkspartei gegenwärtig auf Bundes- und Landeskonferenzen eine lange Liste sozialer Verbesserungen fordert und sich gegen eine "Politik der ständigen Lohndrückerei" ausspricht, praktiziert sie als Regierungspartei im Bundesland Berlin gemeinsam mit der SPD aktives Lohndumping im öffentlichen Dienst.
Anfang vergangener Woche traten in der Bundeshauptstadt 300 Polizisten des Objektschutzes sowie die Beschäftigten der Kfz-Zulassungsstelle und der Ausländerbehörde in einen zweistündigen Warnstreik. Sie reagierten damit auf die hartnäckige Weigerung der Landesregierung, mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Tarifverhandlungen zu führen.
Die Beschäftigten fordern die Gleichstellung mit den Arbeiter und Angestellten in anderen Bundesländern, das heißt: drei Einmalzahlungen in Höhe von jeweils 300 Euro sowie eine Einkommenserhöhung von 2,9 Prozent ab 2008. Sie begründen diese Forderungen mit dem bisher von ihnen geleisteten Beitrag zu Haushaltssanierung und dem "positiven Finanzierungssaldo", den die Landesregierung für das kommenden Jahr angekündigt hat.
"Wir haben seit 2003 mit Einkommenskürzungen bei gleichzeitig extrem steigenden Lebenshaltungskosten dazu beigetragen, den von den Politikern in Berlin allein zu verantwortenden Schuldenberg abzubauen, und das mit Gehaltsverzicht von 8 bis 12 Prozent und mit der Kürzung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes auf zusammen 640 Euro, das sind in 4 Jahren mindestens 2 Milliarden Euro", heißt es dazu in dem Aufruf für den Warnstreik.
Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben in Berlin in den vergangenen fünf Jahren unter der Landesregierung aus SPD und Linkspartei schärfere Angriffe auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen erdulden müssen, als in irgendeinem anderen deutschen Bundesland.
Die gegenwärtigen Auseinandersetzung findet vor dem Hintergrund eines jahrelangen Sozialabbaus und Lohndumpings statt, das nach der Machtübernahme des rot-roten Senats an der Spree noch verschärft wurde. Bereits in den ersten Koalitionsverhandlungen nach den Landtagswahlen 2001 hatten sich SPD und Linkspartei (damals noch PDS) auf den Abbau von 15.000 Stellen in Verbindung mit längeren Arbeitszeiten bei geringerer Bezahlung geeinigt, um im öffentlichen Dienst mehrere hundert Millionen Euro einzusparen.
Das rigorose Sparprogramm diente damals dazu, die Krise der Bankgesellschaft Berlin aufzufangen und den vermögenden Anlegern die zuvor versprochenen Gewinne aus dubiosen Immobilien-Fonds abzusichern. Die Bereicherung der Reichen auf Kosten der Bevölkerung hatte vor der Wahl großen Unmut und Proteste ausgelöst und wesentlich zu den Stimmengewinnen der PDS beigetragen.
Doch kaum an der Macht, setzten SPD und PDS dieselbe unsoziale Politik verschärft fort. Nach der offiziellen Übernahme der Regierungsgeschäfte im Januar 2002 versuchte die "Links-Koalition" die geplanten Kürzungen im öffentlichen Dienst zunächst durch eine Einigung mit den Gewerkschaften zu erreichen und sprach in demagogischer Weise von einem "Solidarpakt". Doch unter dem Druck zahlreicher Proteste waren die dreisten Forderungen nach Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkung nicht unmittelbar durchsetzbar.
Der Senat reagierte im Januar 2003, indem er den Ausstieg des Landes Berlin aus den Arbeitgeberverbänden beschloss. Die Linkspartei, die gegenwärtig die Tarifflucht von Unternehmern und Landesregierungen häufig und wortreich anprangert, ist selbst Pionier solch unsozialer und reaktionärer Maßnahmen. Die Gewerkschaft Verdi, die gerade in Berlin sehr eng mit der Linkspartei verbunden ist, widersetzte sich den Protesten der Beschäftigten. In einem Spitzengespräch stimmte Verdi-Chef Frank Bsirkse den wesentlichen Forderungen des Senats zu.
Das Ergebnis war der so genannte "Anwendungstarifvertrag", der den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Berlin bei einer geringfügigen Verkürzung und weitgehenden Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit Einkommenskürzungen zwischen acht und 12 Prozent verordnete. Im Gegenzug wurde ein formeller Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis zum Ende des Jahres 2009 versprochen, der von den Gewerkschaften zur Rechtfertigung ihrer Zustimmung stets hervorgehoben wird. Doch das war reine Augenwischerei. Der Einstellungsstopp und Arbeitsplatzabbau ging seitdem unvermindert weiter.
Diese und alle anderen Sozialkürzungen rechtfertigte die PDS/Linkspartei immer mit demselben Standardargument: Erst müsse der Landeshaushalt saniert werden, um dadurch "etwas mehr Spielraum" für eine sozialere Politik zu schaffen.
So konnte Berlin im vergangenen Jahr erstmals einen Überschuss im Primärhaushalt (Einnahmen minus Ausgaben, ohne Zinsen und Vermögensveräußerungen) verbuchen. Im laufenden Jahr wird die Neuverschuldung minimal ausfallen und ab 2008 soll damit begonnen werden, die Altschulden des Landes zu tilgen. Für das kommende Jahr ist ein Finanzierungsüberschuss von 474 Millionen Euro geplant. Doch statt eine "sozialere Politik" zu machen wollen SPD und Linkspartei sämtliche Kürzungen beibehalten und in den nächsten Jahren weiter verschärfen.
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) erklärte dazu bereits: "Die Sanierung geht weiter. Insbesondere wird Berlin auch in den kommenden Jahren weiter daran arbeiten, seinen öffentlichen Dienst so weit zu reduzieren, dass er nicht mehr größer ist als in den beiden anderen Stadtstaaten Bremen und Hamburg." In einer Presseerklärung der Senatsverwaltung für Finanzen heißt es übereinstimmend: "Die strikte Ausgabendisziplin der vergangenen Jahre wird über den gesamten Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung fortgesetzt: Die Primärausgaben (ohne Zinsen) bleiben auf dem Niveau von 2004 eingefroren."
Auf die Warnstreiks der vergangenen Woche reagierte der Senat provokativ. Als Verhandlungsführer ließ Innensenator Ehrhardt Körting (SPD) erklären, es werde keine Einmalzahlungen und keine Tariferhöhung geben. Der Senat werde den Gewerkschaften nur anbieten, die allgemeinen Vereinbarungen des 2006 geschlossenen Tarifvertrages für die Länder (TV-L) zu übernehmen. Darin wurde die Anzahl der Gehaltsstufen im öffentlichen Dienst reduziert, was - laut Körting - für einige Landesangestellte auch eine Schlechterstellung bedeuten könne. Mehr Geld werde es auf keinen Fall geben, ließ der Innensenator "gleich mehrfach" (Berliner Zeitung) mitteilen.
Verdi reagierte auf dieses "Angebot" mit Verhandlungsbereitschaft und nahm den für den 19. September vom Senat vorgeschlagenen Termin für eine neue Verhandlungsrunde an. Die stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiterin Astrid Westhoff erklärte auf einer Pressekonferenz: "Die Forderung nach Lohnerhöhungen ist für uns zentral, das brennt den Kolleginnen und Kollegen auf den Nägeln." Sie kündigte "falls notwendig" für die kommenden Wochen ausgedehnte Warnstreiks an.
Das sind hohle Drohungen, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass Verdi mit der Linkspartei und der SPD in einem Boot sitzt. Die Verdi-Funktionäre haben den vergangenen Lohnsenkungen regelmäßig zugestimmt und sie gegen den Widerstand vieler Beschäftigter durchgesetzt. Nicht zufällig haben mehr als sechzig Verdi-Funktionäre den Aufruf zur Gründung der Linkspartei unterschrieben. Viele von ihnen waren auf der Gründungskonferenz im vergangenen Juni anwesend.
Die Beschäftigten im Berliner öffentlichen Dienst müssen politisch Bilanz ziehen und der unsozialen und verlogenen Politik von SPD/Linkspartei auf der einen und Verdi auf der anderen Seite mit offener Feindschaft entgegen treten. Nur wenn sie ihren Arbeitskampf selbst in die Hand nehmen, das heißt, eigene Aktions- und Verhandlungskomitees aufbauen und den Verdi-Funktionären das Recht absprechen, in ihrem Namen zu sprechen oder Verträge zu unterschreiben, können sie einen Ausverkauf und eine weitere Verschlechterung ihrer Einkommen und Arbeitsbedingungen verhindern.