Der deutsche Bundespräsident hat weitgehend repräsentative Aufgaben und nur wenig reale Macht. Umso besser eignet sich seine Wahl für politische Winkelzüge und die Vorbereitung zukünftiger politischer Konstellationen.
Das war schon 1969 so, als die Wahl des SPD-Mitglieds Gustav Heinemann mit den Stimmen der FDP die Ablösung der Großen Koalition (CDU/CSU und SPD) durch die Kleine Koalition (SPD und FDP) vorbereitete. Dem Seitenwechsel der FDP bei der Präsidentenwahl folgte damals die Wahl Willy Brandts (SPD) zum Bundeskanzler.
Der jetzige Bundespräsident Horst Köhler (CDU) verdankt sein Amt ähnlichen Umständen. Die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP) hatten den damaligen Chef des Internationalen Währungsfonds 2004 im engsten Kreis zum Kandidaten erkoren, um die Weichen für die Ablösung der rot-grünen Bundesregierung durch eine schwarz-gelbe zu stellen. Köhler wurde dann planmäßig gewählt, doch die schwarz-gelben Koalitionspläne scheiterten 2005 am Votum der Wähler.
Auch die Entscheidung der SPD, für die nächste Bundespräsidentenwahl mit Gesine Schwan eine eigene Kandidatin gegen Köhler aufzustellen, entspringt parteitaktischen Motiven. Da Schwan nur mit Unterstützung der Grünen und der Linken gewählt werden kann, könnte ihr Einzug ins Schloss Bellevue einer Rot-Rot-Grünen Koalition auf Bundesebene den Weg ebnen. Die nächste Bundestagswahl findet nur vier Monate nach der Bundespräsidentenwahl statt. Teile der herrschenden Elite halten die Einbeziehung der Linkspartei in die Bundesregierung für wünschenswert, um der wachsenden sozialen Empörung Herr zu werden.
Wie die Präsidentenwahl ausgehen wird, ist derzeit noch völlig offen. Das Staatsoberhaupt wird am 23. Mai 2009 von der so genannten Bundesversammlung gewählt, bestehend aus den 612 Mitgliedern des Bundestags sowie einer gleichen Anzahl von Mitgliedern der 16 Landtage. Derzeit haben CDU/CSU und FDP, die eine zweite Amtszeit Köhlers anstreben, in der Bundesversammlung die Mehrheit. Doch nach der bayerischen Landtagswahl vom September, für die der CSU hohe Verluste prophezeit werden, könnte sich dies ändern.
Gesine Schwan war - mit Unterstützung von SPD und Grünen - schon 2004 gegen Köhler angetreten und nur knapp, mit 589 zu 604 Stimmen unterlegen. Sie erhielt damals ein Dutzend Stimmen mehr als SPD, Grüne und Linke zusammen hatten.
SPD gespalten
Die SPD hat der erneuten Kandidatur Gesine Schwans nur widerstrebend zugestimmt. Die sozialdemokratischen Führungsspitzen - Parteichef Kurt Beck, seine Stellvertreter Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sowie SPD-Fraktionschef Peter Struck - hatten lange Zeit signalisiert, sie würden auf einen eigenen Kandidaten verzichten und eine zweite Amtszeit Köhlers unterstützen.
Am Montag nominierte der 45 Personen zählende Parteivorstand Schwan zwar dann einstimmig zur Kandidatin, doch das war vor allem dem Bemühen geschuldet, Parteichef Kurt Beck eine weitere Blamage zu ersparen und den Eindruck der Zerstrittenheit zu vermeiden. Am Rande des Treffens gaben die Gegner einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei offen zu erkennen, dass sie den Vorstandsbeschluss inhaltlich ablehnen.
Becks Vorgänger im Parteivorsitz, Franz Müntefering, forderte seine Partei am Dienstag öffentlich auf, jegliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei nach der Bundestagswahl 2009 durch einen formellen Parteibeschluss auszuschließen.
Der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement schrieb in der Welt am Sonntag : "Nach Lage der Dinge hat diese Kandidatin überhaupt nur eine - äußerst geringe - Chance, gewählt zu werden, wenn dazu die je rund 90 Stimmen der Grünen, aber auch der PDS-Linken ins SPD-Lager geholt würden. Da beißt keine Maus den Faden ab: Wer das will, der oder die setzt ein politisches Signal, und zwar für ein rot-rot-grünes Bündnis auf der Bundesebene."
Clement sprach sich für eine zweite Amtszeit Horst Köhlers aus, weil er für eine Fortsetzung der Reformpolitik in Deutschland stehe, "um deren Notwendigkeit er aus seiner exzellenten Kenntnis der weltwirtschaftlichen Zusammenhänge offensichtlich besser weiß als manche der in Berlin Regierenden". Köhler gilt als vehementer Verteidiger der Agenda 2010, für die Clement als zuständiger Minister der Regierung Schröder maßgeblich mitverantwortlich ist.
Zudem, so Clement, würde Köhlers außenpolitisches Engagement in Afrika für eine zweite Amtsperiode sprechen, da von der künftigen Entwicklung dieses Kontinents "als eigentlich natürlicher Partner Europas, mehr für uns in old Europe’ abhängt, als viele heute wissen wollen".
Auch CDU und CSU reagierten verärgert auf Schwans Kandidatur. Bundeskanzlerin Angela Merkel, sonst mit Kritik am Koalitionspartner eher zurückhaltend, schimpfte höchst persönlich auf den SPD-Vorsitzenden. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla und die CSU schossen aus allen Rohren. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der bei der nächsten Landtagswahl von Linksparteichef Oskar Lafontaine persönlich herausgefordert wird, drohte sogar mit dem Bruch der Koalition. "Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende", sagte er.
Merkel betonte dagegen, dass sie nicht mit einem Ende des Regierungsbündnisses rechne. Sie ließ ihren Sprecher mitteilen, sie sehe die Nominierung der SPD-Kandidatin zwar "als Belastung für die große Koalition". Dennoch gehe sie davon aus, "dass wir die sachorientierte Politik für unser Land fortsetzen können".
Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hatte sich nur zögernd für die Kandidatur Schwans entschieden. Ihm ist, wie SpiegelOnline schreibt, "die Gesine Schwan mehr passiert als gelungen. Treibende Kräfte in seiner Partei und nicht zuletzt die Professorin selbst haben einen sanften Putsch durchgeführt und dem Parteivorsitzenden die Kandidatin aufgezwungen."
Zu diesen "treibenden Kräften" wird vor allem die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles gezählt, die als Vertreterin des so genannten linken Parteiflügels gilt. Wichtiger als Nahles dürfte für Becks Entscheidung aber der Druck führender Presseorgane - wie Süddeutsche Zeitung und SpiegelOnline - gewesen sein, die wahre Lobeshymnen auf Schwan anstimmten und auf ihre Kandidatur drängten. Selbst Frank Schirrmacher von der konservativen FAZ sieht in Schwan eine zukünftige "Mutter Courage".
Krise der Großen Koalition
Der Grund für diese Kampagne liegt einerseits in der Krise der Großen Koalition und andererseits in der Biografie der Kandidatin, die als Marxismus-Spezialistin und versierte Antikommunistin als Idealbesetzung für die Einbindung der Linkspartei in die Regierungsverantwortung gilt.
Die Große Koalition hat die Erwartungen nicht erfüllt, die 2005 in sie gesetzt wurden. Damals hatten Viele erwartet, sie werde mit ihrer großen parlamentarischen Mehrheit den "Reformkurs" der Regierung Schröder - also die sozialen Angriffe auf die Bevölkerung - fortsetzen und die Opposition dagegen unter Kontrolle halten. Doch inzwischen ist sie aufgrund der inneren Spannungen zunehmend gelähmt. Kommentare häufen sich, die von "Stillstand", "Vertrauenskrise", "Koalition der Verunsicherten" usw. reden, nachdem immer häufiger Gesetzesvorhaben an inneren Differenzen scheitern.
Hinzu kommt, dass beide Koalitionspartner rapide an Unterstützung verlieren. Die SPD sinkt von Umfragtief zu Umfragetief, und auch die Unterstützung für Merkel und die CDU beginnt zu bröckeln. Der CSU droht in Bayern erstmals seit Jahrzehnten der Verlust ihrer absoluten Mehrheit.
Der Aufstieg der Linkspartei ist ein direktes Ergebnis dieser Entwicklung. Sie ist inzwischen im Bundestag und zehn von 16 Landesparlamenten vertreten und - vor FDP und Grünen -drittgrößte Partei der Bundesrepublik. Die Partei Lafontaines und Gysis denkt zwar nicht im Traum daran, die kapitalistischen Verhältnisse ernsthaft anzugreifen, wie ihre Regierungspraxis in Berlin und zahlreichen Städten Ostdeutschlands beweist. Doch das ist nicht unbedingt die Haltung ihrer Wähler und zahlreicher empörter Arbeiter und Jugendlicher.
Die soziale Polarisierung und die Empörung darüber haben ein Ausmaß angenommen, das jederzeit in offene Auseinandersetzungen umschlagen kann. Die Streiks im öffentlichen Dienst, bei der Bahn, der Post und den Berliner Verkehrsbetrieben, die Verdi nur mit Mühe unter Kontrolle halten konnte, legen davon Zeugnis ab. Sinkende Löhne, steigende Preise und prekäre Arbeitsverhältnisse betreffen mittlerweile Millionen, darunter viele aus der Mittelklasse.
Das ist der Grund für die Bemühungen, die Große Koalition abzulösen und durch eine schlagkräftigere Regierung zu ersetzen. Dabei braucht die herrschende Elite neben einer rechten auch eine "linke" Option. Sie zweifelt, ob eine Koalition aus Union und FDP - die aufgrund des Anwachsens der Linkspartei immer unwahrscheinlicher wird - scharfen sozialen Konflikten wirklich standhalten kann.
Die Grünen, die schon bei der Verwirklichung der Agenda 2010 eine wichtige Rolle spielten, bewegen sich zwar immer offener in Richtung CDU und FDP. Ihr Vorsitzender Reinhard Bütikofer hat im Interview mit der Frankfurter Rundschau betont, dass die SPD-Kandidatin Schwan die Stimmen der Grünen keinesfalls "automatisch" bekommen werde. Die Grünen würden sich erst nach der bayerischen Landtagswahl im September endgültig festlegen. Doch angesichts der scharfen sozialen Spannungen kann sich die Parteiführung der Gefolgschaft von Basis und Wählern für ihren rechten Kurs keineswegs sicher sein.
Die Einbeziehung der Linkspartei in die Bundesregierung wird daher ernsthaft erwogen. Die Linke - und die Gewerkschaftsfunktionäre, die ihr nahe stehen - könnten eine wichtige Rolle dabei spielen, sozialen Widerstand zu unterdrücken. Das zeigt die Berliner Erfahrung. Bisher hat es keine andere Landesregierung geschafft, derart weitgehende Lohn- und Sozialkürzungen durchzusetzen, wie der rot-rote Berliner Senat.
Versierte Antikommunistin
Gesine Schwan, die als Bundespräsidentin einigen Einfluss auf die öffentliche Meinung hätte, gilt als ideale Besetzung für diese Aufgabe.
Die 65-jährige Professorin promovierte 1970 über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski, der sich vom Mitglied der Kommunistischen Partei zum Kritiker der stalinistischern Bürokratie und schließlich zum Gegner des Marxismus entwickelte, den er als "größte Fantasie unseres Jahrhunderts" bezeichnete. Sie lehrte seit 1977 an der Freien Universität Berlin und an mehreren amerikanischen Universitäten Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Sozialismus, Marxismus und Philosophie. Seit 1999 ist sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) an der polnischen Grenze.
Die gebürtige Berlinerin trat 1970 der SPD bei und zählte bald zu deren rechtem Flügel. Sie beteiligte sich an der Gründung des rechten "Seeheimer Kreises" und unterstützte zu Beginn der 1980er Jahre den heftig umstrittenen NATO-Doppelbeschluss des damaligen Kanzlers Helmut Schmidt (SPD). Weil sie die ihrer Meinung nach zu große Nähe der SPD zu den osteuropäischen Kommunistischen Parteien anprangerte, flog sie 1984 auf Druck Willy Brandts aus der Grundwertekommission der SPD.
Im Gegensatz zu anderen Vertretern der SPD-Rechten hat Gesine Schwan aber keinerlei Berührungsängste gegenüber der Linkspartei. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen in Polen und später in ihrem Wohnort Berlin, wo die Linkspartei seit sieben Jahren mit der SPD im Senat sitzt, kann sie sehr gut zwischen linkem Gerede und rechter Praxis unterscheiden.
Schwan bekannte sich am Montag auf einer Pressekonferenz zu ihrer offiziellen Kandidatur offen dazu, dass sie um die Stimmen der Linken werbe. SPD-Chef Beck versuchte dagegen, die Zusammenarbeit mit der Linken herunterzuspielen. In der Bundesversammlung gäbe es keine Koalitionen, "sondern nur Wahlfrauen und Wahlmänner, die ihre Entscheidung zu treffen haben", sagte er. Mit der Kandidatur Schwans werde "in keinster Weise" an "irgendwelche Koalitionsvorbereitungen" gedacht.
Schwan erklärte dagegen, sie appelliere auch diesmal an alle Parteien, sie zu wählen, namentlich auch an die Linke. Sie wolle mit ihrer Kandidatur diejenigen in der Linken ermutigen, die eine "konstruktive Politik" anstreben. Ihr Ziel sei, "mitzuhelfen, Politik nachvollziehbar zu machen und damit Vertrauen zu ermöglichen". Das Amt des Bundespräsidenten biete eine sehr gute Chance, "die Demokratie, die gegenwärtig in einer kulturellen Krise ist, wieder zu stärken".
Die Politikwissenschaftlerin ist sich im Klaren darüber, dass die wachsenden sozialen Spannungen die kapitalistische Gesellschaft in Frage stellen - und ist entschlossen, sie zu verteidigen. Sie habe "immer bezweifelt, ob die Demokratie in Westdeutschland so tief verankert sei, wie viele meinen", sagte sie. Sie habe gefragt, wie es aussehen würde, "wenn die Demokratie nicht mehr positiv empfunden wird durch die Verteilung sozialer und materieller Güter. Die Probe aufs Exempel kommt erst noch".
Die Linke ihrerseits hat ihre Bereitschaft geäußert, mit Schwan ins Gespräch zu kommen. "Wenn die SPD will, dass wir Gesine Schwan mitwählen, gehört es zum Grad der Zivilisation, dass sie mit uns redet", sagte Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi. Und der Parteivorsitzende Lothar Bisky gab bekannt, auch seine Partei wolle sich erst nach den Landtagswahlen in Bayern in der Bundespräsidentenwahl festlegen. Das diese Festlegung schließlich auf die Unterstützung Schwans hinausläuft, dürfte allerdings feststehen.