Anfang der Woche bestätigten Vertreter des Nabucco-Konsortiums in Wien, dass der frühere Außenminister und Vize-Kanzler der rot-grünen Bundesregierung, Joschka Fischer (Grüne), eine Beratertätigkeit für das Nabucco-Pipeline-Projekt, an dem auch der deutsche RWE-Konzern beteiligt ist, übernommen habe.
Medienberichten zufolge ist der Beratervertrag, der ein "sechsstelliges Salär" umfasse, bereits unterschrieben.
Fischer folgt damit seinem ehemaligen Koalitionspartner, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), in die Chefetagen der Energiewirtschaft. Allerdings arbeiten beide nun an entgegengesetzten Polen der europäischen Energieversorgung. Schröder hatte schon wenige Monate nach dem Regierungswechsel Ende 2005 den lukrativen Posten des Aufsichtsratschefs im Pipeline-Konsortium NEGP Company übernommen, das in enger Zusammenarbeit mit dem russischen Energiekonzern Gazprom eine Pipeline unter der Ostsee baut.
Fischer soll nun das Nabucco-Projekt beschleunigen, das neben der EU auch von der amerikanischen Regierung unterstützt wird und - unter Umgehung Russlands - Erdgas aus der kaspischen Region nach Europa bringen soll, aber seit einigen Jahren nicht von der Stelle kommt.
Der Schwerpunkt der Nabucco-Pipeline-Pläne liegt in der Türkei. Von Ankara aus soll nach Osten über Georgien eine Verbindung zur aserbaidschanischen Hafenstadt Baku am Kaspischen Meer hergestellt werden. Das Gas soll dann nach Westen, über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich, Tschechien und Deutschland fließen.
Die Pipeline ist in einer Länge von etwa 3.300 km geplant und soll 7,9 Milliarden Euro kosten, die durch ein Bankenkonsortium - darunter die Europäische Investitionsbank - aufgebracht werden. Obwohl die EU die Nabucco-Pipeline als eines ihrer wichtigsten Energieprojekte bezeichnet, wurde der Baubeginn mehrfach verschoben und ist derzeit für 2011 vorgesehen. Die erste Ausbaustufe soll bis 2014 fertig gestellt sein.
Als wichtigstes Nabucco-Transitland fordert die Türkei Sonderkonditionen beim Gaspreis. Die Regierung in Ankara sieht in Nabucco ein willkommenes Instrument, um ihre EU-Mitgliedschaft zu forcieren. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan forderte im Januar die Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen und brachte diese erstmals direkt mit Nabucco in Verbindung. Im Falle des Scheiterns der Verhandlungen betrachte die Türkei das Projekt Nabucco als "gefährdet".
In Medienberichten heißt es, Fischers Aufgabe bestehe vor allem darin, schnellstmöglich Verhandlungen mit der türkischen Regierung zu führen. In seiner Zeit als Außenminister habe er sich immer für eine EU-Mitgliedschaft stark gemacht und sei daher für den Job bestens geeignet.
Doch Nabucco hat ein viel größeres Problem als die türkischen Forderungen bezüglich des Gas-Transitpreises. Bisher ist völlig unklar, welche Länder das Gas liefern sollen, um die Röhre zu füllen. Mögliche zentralasiatische Lieferländer wie Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan exportieren ihr Gas bisher über Russland. Moskau verkauft den Rohstoff dann mit einem Preisaufschlag an Westeuropa.
Bisher war für Nabucco vor allem Gas aus Aserbaidschan vorgesehen, doch das würde nur ein Fünftel der benötigten Menge decken. In den Gesprächen mit der Türkei geht es daher vor allem um die Frage, wie der Iran zu einer Mitarbeit im Nabucco-Projekt gewonnen werden kann. Auf dem "Energiegipfel" der EU Anfang Mai in Prag betonte der türkische Staatspräsident Abdullah Gül, die Türkei setze darauf, dass der Iran zur Mitarbeit am Nabucco-Pipeline-Projekt gewonnen werden könne.
In einem Artikel für die österreichische Zeitung Die Presse erläuterte der Innsbrucker Professor Gerhard Mangott, vom Österreichischen Institut für internationale Politik, die Bedeutung des Iran für Nabucco mit folgenden Worten: "Für die Rentabilität von Nabucco ist eine Transportmenge von 31 bcm (Milliarden Kubikmeter) erforderlich. Aus derzeitiger Sicht kann dieses Volumen ohne iranisches Erdgas nicht erzielt werden. Iran hält nach Russland die zweitgrößten gesicherten globalen Erdgasreserven (16 Prozent). Bis zu 60 Prozent davon liegen in dem weitgehend unerschlossenen Feld South Pars’. Zugriff auf dieses Gas ist für die Energiesicherheit der EU strategisch unerlässlich."
Nur drei Tage bevor seine Beratertätigkeit für Nabucco bekannt wurde, hatte Fischer in einem ausführlichen Artikel in der Süddeutschen Zeitung zu den aktuellen Entwicklungen im Iran Stellung genommen.
Fischer beginnt mit einer Laudatio auf die "große Rede", die Präsident Obama in Kairo an die muslimische Welt gerichtet hatte und die "massive Folgewirkungen" entfaltet habe. Der Nahe Osten sei seitdem in Bewegung geraten, schreibt Fischer und fragt: "Bloßer Zufall oder hervorragendes Timing?"
"Seit dieser Rede haben Wahlen im Libanon stattgefunden, bei der sich überraschenderweise die prowestliche Parteienallianz klar gegen die Hisbollah und ihre Verbündeten durchgesetzt hat", schreibt Fischer. Diese Rede habe auch die iranische Bevölkerung ermutigt, gegen "die offensichtliche Fälschung der Wahl zugunsten des amtierenden Präsidenten" auf die Straße zu gehen. Für das Verhalten von Ahmadinedschad gäbe es nur eine Erklärung: "Die Wahlen wurden gestohlen!"
Neben der Innenpolitik sei es im iranischen Wahlkampf vor allem auch darum gegangen, "ob das Land durch Öffnung und internationale Einbindung zu einer rationaleren Außenpolitik übergehen sollte oder nicht." Ahmadinedschad stehe für die Politik der Konfrontation und partiellen Isolierung, Mussawi für die Öffnung der islamischen Republik.
Der Westen stehe vor einem Dilemma. Denn das Regime in Teheran sei "einerseits durch Wahlbetrug diskreditiert und delegitimiert". Anderseits könnten viele Probleme "nicht ohne die Mitarbeit der iranischen Regierung" gelöst werden. Das gelte nicht nur für das iranische Atomprogramm, die Konflikte in Afghanistan, Pakistan, im Irak, am Persischen Golf, im Libanon sowie in Palästina. "Auch im Kaukasus und in Zentralasien wird Iran eine Rolle spielen."
Fischer sagte es in seinem Artikel nicht ausdrücklich, doch er ist sich bewusst, dass die Regierung Ahmadinedschad in den vergangenen Jahren die Zusammenarbeit mit China deutlich intensiviert hat. Seine Unterstützung für das Lager Mussawis hat seinen Grund auch darin, dass die deutschen und europäischen Energiekonzerne befürchten, vom Zugriff auf die iranischen Energievorräte abgeschnitten zu werden.
Erst kürzlich hat die iranische Regierung der National Iranian Oil Company (NIOC) die Erlaubnis erteilt, einen Vertrag zur Erschließung des Erdgasfeldes "South Pars" mit der China National Petroleum Corporation (CNPC) abzuschließen. Neben diesem 4,7-Milliarden-Dollar-Deal mit der CNPC bereitet die NIOC eine Zusammenarbeit mit der China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) bei der Ausbeutung des Erdgasfeldes "North Pars" vor.
Die deutschen Konzerne drohen den Anschluss zu verlieren, erklärt Guido Steinberg, Mittelostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Wenn die Iraner mit uns nicht mehr ins Geschäft kommen, werden sie sich andere Partner suchen", warnt er. Teheran befände sich in eine besorgniserregenden "geopolitischen Umorientierung", schreibt er in der jüngsten Ausgabe des Eurasischen Magazins (06/2009).
Ein weiteres Problem für Fischer und das Nabucco-Projekt kommt aus dem Kreml, bzw. aus der Chefetage von Gazprom, für das Gerhard Schröder arbeitet. Es heißt "South Stream" und ist eine geplante russisch-italienische Erdgas-Pipeline, die auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlaufen und dabei die russische Hafenstadt Noworossijsk mit der bulgarischen Stadt Warna verbinden soll.
Von Bulgarien aus soll South Stream auf je einem Strang nach Italien und Österreich weitergeführt werden. Die Durchleitungskapazität soll im Endausbau 47 Milliarden Kubikmeter im Jahr betragen. Partner des Joint Ventures sind Gazprom und der italienische Energieversorger Eni. Die Kosten werden auf mehr als 10 Milliarden Euro geschätzt.
South Stream soll die Lieferrouten des russischen Erdgases nach Europa von den bisherigen Transitstaaten Ukraine und Weißrussland unabhängig machen. Gleichzeitig könnte das South-Stream-Projekt das Ende von Nabucco bedeuten, da neben Bulgarien auch Serbien und Ungarn einer Durchführung der Leitung bereits zugestimmt haben. Damit kann der Bau von South Stream wesentlich schneller erfolgen als der der Nabucco-Pipeline.
Vor hundert Jahren wollten die deutsche Regierung und Kaiser Wilhelm II mit dem Bau der Bagdadbahn ihren Einfluss im damaligen Osmanischen Reich stärken und eine Verbindung zu den gerade erst entdeckten Öl-Vorkommen im Nahen Osten aufbauen. Das führte zu heftigen Konflikten zwischen den europäischen Großmächten, die schließlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beitrugen. Eine ähnliche Rolle spielen heute die Nabucco-Pipeline und der damit verbundene globale Streit um Energie. Die Grünen und ihre langjährige Leitfigur Joschka Fischer spielen eine Schlüsselrolle dabei, dieses imperialistische Projekt voranzutreiben.