Am Dienstag vergangener Woche gab der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup in Wiesbaden das Ergebnis der Schlichtung im Tarifkonflikt für das Kabinenpersonal der Lufthansa bekannt. Obwohl seit dem bundesweiten Streik nicht einmal drei Monate vergangen sind, spiegelt der zwischen der Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo und der Konzernleitung ausgehandelte Kompromiss nichts von der Kampfbereitschaft und der Entschlossenheit der Beschäftigten wider.
Im Gegenteil: Die Einigung passt nahtlos in das SCORE-Sparprogramm, mit dem die Lufthansa ihr jährliches Ergebnis um 1,5 Mrd. Euro steigern will.
An den Plänen zur Ausweitung der Billig-Airline German Wings wird nicht gerüttelt, die bereits eingestellten Leiharbeiter erhalten keine Festanstellung und der zukünftige Einsatz von Leiharbeitern wird nur bis 2016 ausgesetzt. Neben Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen durch flexiblere Arbeitszeiten gibt es eine neue Tarifstruktur und ein neues „Jahresarbeitszeitmodell“, mit deren Einführung zukünftig Lohnkürzungen möglich und dauerhafte Lohnsenkungen vertraglich festgeschrieben werden.
Die Einmalzahlung von 320 Euro, die jeder Flugbegleiter erhält, wird mit einem einjährigen Aufschub von Gehaltserhöhungen erkauft und liegt damit für viele Beschäftigte im ersten Jahr unter den ausgehandelten 3,95 Prozent. Die lange Laufzeit des Tarifvertrags von zwei vollen Jahren bis Januar 2015 verschafft dem Lufthansa-Vorstand Tariffrieden für eine Zeit, in der er massiven Sozialabbau durchsetzen will.
Die neue Tarifstruktur sieht zwar eine Erhöhung des Einstiegslohns von bisher 1.533 auf 1.670 Euro vor und lässt ihn innerhalb von fünf Jahren auf 2.050 Euro statt bisher 1.733 Euro ansteigen, erlaubt danach aber nur noch zweijährige Steigerungen und endet nicht wie bisher für einen Kabinenchef bei 4.400 Euro, sondern bei 3.700 Euro. Das kommt einer Senkung der Endvergütung um 16 Prozent gleich.
Der Wegfall des sogenannten Kont-Faktors erspart der Konzernleitung bei den Einsatzstunden des Personals zu dessen Lasten auf den Europaflügen rund zehn Prozent der Kosten. Dass die Lufthansa mehr Möglichkeiten erhält, das Kabinenpersonal in den Sommermonaten häufiger und in den Wintermonaten seltener einzusetzen, bedeutet ebenfalls eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.
Für Neueinstellungen ab 2012 sieht die neue Tarifstruktur ein nicht näher beziffertes „niedrigeres Entgelt“ vor, das eine „stärkere ergebnisabhängige Bezahlung“ vorschreibt und damit zukünftig Beschäftigte der Willkür der Geschäftsleitung ausliefert. Der Konzernleitung wird darüber hinaus das Recht eingeräumt, „für die Zeit eines zu erwartenden Personalüberhangs in einer möglichen Krise Arbeitszeit und Gehälter um bis zu fünf Prozent zu senken“.
Bei dieser Art der Flexibilisierung, von der Lufthansa-Spitze als „atmende Firma“ bezeichnet, handelt es sich um ein sehr weitgehendes tarifliches Zugeständnis der Gewerkschaft an die Konzernleitung. Die Regelung könnte auch schon bald zur Anwendung kommen, da wegen der Kürzung der Flugkapazitäten in den kommenden Monaten 2.000 Flugbegleiter weniger gebraucht werden. Konzernchef Christoph Franz hat bereits von einem „Personalüberhang von rund 1.250 Leuten“ gesprochen.
Obwohl die Flugbegleiter vor dem Schlichtungsverfahren im August und im September hohe Kampfbereitschaft und Entschlossenheit zeigten und beim ersten flächendeckenden Streik seit der Neugründung der Lufthansa 1954 einen Großteil des Flugbetriebes zum Stillstand brachten, brach die Gewerkschaft Ufo den Streik bereits nach drei Tagen ab und einigte sich kurz darauf mit dem Vorstand auf ein Schlichtungsverfahren.
In einem Brief an die Mitglieder bezeichnete der Ufo-Vorstand damals das Gesprächsangebot des Lufthansa-Vorstands als „fulminanten Erfolg“. Wörtlich schrieben die Ufo-Funktionäre: „Im Augenblick des Triumphs haben wir der Geschäftsleitung, die mit der Streichung des nahezu gesamten Flugprogramms am Freitag bereits die weiße Flagge gehisst hatte, die Hand gereicht.“
Der Schlichterspruch macht deutlich, dass diese Handreichung von Seiten der Gewerkschaft ein großer Fehler war. Der Lufthansa-Vorstand wollte lediglich den Streik möglichst schnell beenden, um wieder in die Offensive zu kommen und sich auf kommende Auseinandersetzungen besser vorzubereiten.
Schon während dem Schlichtungsverfahren fanden ständige Provokationen der Konzernleitung statt. So gab Lufthansa nach Beginn der Schlichtung u.a. die Einstellung der Augsburg Airways, verbunden mit 500 Kündigungen, die Auslagerung von 1.100 Arbeitsplätzen, darunter 700 in Deutschland, in Dienstleistungszentren nach Polen, Mexiko und Thailand und die Entlassung von mehr als 300 Mitarbeitern bei Lufthansa Revenue Services in Norderstedt bekannt. Trotz dieser Attacken auf die Beschäftigten brach Ufo die Verhandlungen nicht etwa ab, sondern war stattdessen zu noch weitergehenden Zugeständnissen als vor dem Streik bereit.
Wie Ufo in seiner Internet-Mitteilung über das Schlichtungsergebnis zugibt, sind über die aufgeführten Vereinbarungen hinaus einige ungelöste „Nebenthemen ... letztlich nicht abschließend geregelt“. Hierzu gehören unter anderem unrechtmäßige Gehaltsabzüge wegen des Streiks vor drei Monaten. Im Klartext heißt das: Ufo akzeptiert eine rechtswidrige Einschüchterungsmaßnahme, mit der der Vorstand die Kabinencrews unter Druck setzt, um sie von weiteren Streiks abzuhalten. Das kommt einer Komplizenschaft mit der Geschäftsleitung bei der Erpressung der Belegschaft sehr nahe.
Der Lufthansastreik war gerade deshalb auf breite Unterstützung gestoßen, weil die Kollegen in anderen Konzernbereichen, Luftfahrtunternehmen und Industrien, mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Der Kampf gegen Leiharbeit und Sozialdumping ist universell und findet weltweit statt.
Aber anstatt den Streik konsequent zu führen, auszuweiten und breite Unterstützung zu organisieren, war die Ufo-Führung über die große Streikunterstützung erschreckt. Sie wollte keine Ausweitung des Kampfs sondern eine engere Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung.
Nun nutzte die Geschäftsleitung das Schlichtungsverfahren, um diese Zusammenarbeit zu vertiefen. Sie will die im Rahmen des SCORE-Sparprogramms geplanten Kürzungen gemeinsam mit den Ufo-Funktionären so gestalten und staffeln, dass sie durchgesetzt werden können.
Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, ist es notwendig den Schlichterspruch in der bis zum 10. Dezember stattfindenden Urabstimmung abzulehnen.