Daimler weitet Werkverträge aus

Der Daimler-Konzern weitet in Bremen die Werkverträge aus, um Kosten einzusparen. Betroffen sind zunächst rund 90 Stammarbeitsplätze in der Karosseriebau-Abteilung, die bald von Billiglohnkräften ersetzt werden.

Im Daimler-Werk in der Hansestadt bauen rund 12.000 Arbeiter verschiedene Modelle der C-Klasse. In den vergangenen Monaten war es mehrmals zu begrenzten Protesten gegen die Vergabe von Teilen des Karosseriebaus gekommen. Zudem droht der Konzern, die Produktion von zwei Fahrzeugmodellen ins Werk Sindelfingen bei Stuttgart zu verlegen. Das würde rund 1.500 Arbeitsplätze in Bremen kosten.

Ende August legten 3.000 Beschäftigte für 75 Minuten die Arbeit nieder. Insgesamt standen die Bänder viermal still. Bei der jüngsten Streikaktion Anfang Oktober besetzten nach einer Informationsveranstaltung des Betriebsrats etwa 1.000 Arbeiter eine Kreuzung und eine Brücke in der Nähe des Werks.

„Diese Auseinandersetzung [über die Fremdvergabe im Karosseriebau] ist beendet, da haben wir eine Niederlage erlitten“, erklärte Betriebsrat Gerhard Kupfer der WSWS. Seit Jahren würden ständig Löhne und Arbeitsbedingungen angegriffen.

Betriebsrat Jens Müller sagte in einem Radio-Interview, die Bremer Belegschaft habe seit vielen Jahren immer wieder Opfer gebracht, um den Standort zu sichern. So erhalten Neueingestellte seit 2004 ein Drittel weniger Lohn als die Stammbeschäftigten. Inzwischen müssen auch alle Arbeiter einen Tag ihres Urlaubs oder ihres Freischichtenkontos anrechnen, wenn sie auf einen Lehrgang oder eine Fortbildung gehen. Daneben sollen 15 Sonderschichten je nach Auftragslage die Produktion flexibler gestalten. Am Freitag trifft sich die betriebliche Einigungsstelle, weil der Konzern fordert, Pausen im Presswerk „durchzufahren“.

Die Fremdvergabe im Karosseriebau sowie die weitere Flexibilisierung der Produktion ist Teil der Unternehmensstrategie „Mercedes-Benz 2020“. Sie soll dafür sorgen, dass die Konkurrenten BMW und Audi beim Absatz in den nächsten Jahren wieder überholt werden. Gleichzeitig soll das konzerninterne Programm „Fit for Leadership“ die Profitraten erhöhen.

In den letzten Monaten ist deutlich geworden, dass dabei der Einsatz von Niedriglöhnern über Leih- und Werkvertragsarbeit eine wichtige Rolle spielt. Eine Fernsehreportage des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR) hat schon im vergangenen Mai über entsprechende Praktiken im Daimler-Werk Untertürkheim berichtet.

Ein SWR-Journalist, der über Werkvertrag undercover bei Daimler arbeitete, konnte aufzeigen, dass in der Verpackung eine ganze Schar von Arbeitern zu Billiglöhnen eingesetzt wird. Sie verdienen so wenig, dass sie in der Regel gezwungen sind, ihre Löhne mit Hartz IV aufzustocken oder noch weitere Jobs anzunehmen. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Daimler, Erich Klemm, will davon nichts gewusst haben.

Die Reportage deutete an, dass bei Daimler in großem Stil Werkvertrags- und Leiharbeiter eingesetzt werden. Dies bestätigten in der Folge weitere Meldungen. So berichtete die Südwest Presse (SP) Anfang August von Testfahrern, die vorwiegend aus Rumänien stammen und über Werkverträge an Daimler vermittelt wurden. Sie arbeiten für 3,80 Euro pro Stunde.

In einem weiteren Bericht der SP kommen die Testfahrer selbst zu Wort. „Mir wurden Teile meines Lohnes nicht ausbezahlt, ich wurde rassistisch beschimpft, gedemütigt, es wurden mir Fehler unterstellt, die ich nicht begangen habe und bestimmte Arbeiten zur Strafe aufgebrummt“, schildert einer.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt inzwischen wegen des Verdachts auf illegale Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen sogenannter Schein-Werkverträge gegen mehrere Subunternehmen. Von Schein-Werkverträgen spricht man, wenn die Werkvertragsarbeiter Anweisungen von Vorgesetzten des Auftragsgebers, also Daimler, erhalten und damit wie Stammbeschäftigte behandelt werden. Im Fall von zwei IT-Experten, die bei Daimler beschäftigt waren, hat das Landesarbeitsgericht Stuttgart bereits festgestellt, dass sie über solche Schein-Werkverträge angestellt waren.

Von krimineller Ausbeutung wollte Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth im Interview mit der Stuttgarter Zeitung dennoch nichts wissen. Werkverträge seien „ein unverzichtbares Instrument für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland“, sagte er. Er drohte mit Angriffen auf die Stammbelegschaft, falls bei Werkverträgen höhere Tariflöhne aus der Metallindustrie festgelegt würden. Die steigenden Kosten müssten „dann in anderen Bereichen wieder aufgefangen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden“.

Unterstützt werden Porth und Daimler-Chef Dieter Zetsche von der IG Metall und dem Gesamtbetriebsrat. Die Proteste der Bremer sind auch deshalb folgenlos geblieben, weil sich Gewerkschaft und Betriebsrat geweigert haben, sie zu unterstützen. Fast zur selben Zeit, zu der die Bremer Arbeiter gegen die Fremdvergabe protestierten, bemühte sich der Gesamtbetriebsrat, mit dem Konzern eine Vereinbarung über den Einsatz von Werkvertragsarbeitern zu erzielen.

Die Verhandlungen scheiterten Anfang Oktober unter anderem, weil das Unternehmen dem Betriebsrat keine Mitbestimmungsrechte beim Einsatz von Werkvertragsarbeitern einräumen will. Dabei blieb Daimler auch, nachdem Vertreter des Gesamtbetriebsrats dem Vorstand angeboten hatten, im Gegenzug einer Anhebung des Anteils von Leiharbeitern an der Gesamtbelegschaft von derzeit acht auf zehn Prozent zuzustimmen.

Betriebsratschef Erich Klemm wandte sich daraufhin hilfesuchend an die Bundesregierung und forderte sie auf, „die gesetzliche Grundlage für ein echtes Mitbestimmungsrecht von Betriebsräten bei der Fremdvergabe von Arbeit und Leistungen zu schaffen“.

Klemm erhielt Unterstützung von seinem Kollegen beim Volkswagen-Konzern, Bernd Osterloh. Dieser empörte sich über die „Unverfrorenheit, den [Daimler-]Betriebsräten Mitbestimmung bei Werkverträgen absprechen zu wollen“. Sein Unternehmen stellte er als Vorbild dar: „Bei Volkswagen hat das Management mit der Mitbestimmung kein Problem.“

Der Gesamtbetriebsrat verfolgt in den Verhandlungen mit dem Daimler-Vorstand nicht das Ziel, den Einsatz von Werkvertragsarbeitern einzudämmen oder gar zu unterbinden. IG Metall und Betriebsrat unterstützen Daimler dabei, die Kosten auf dem Rücken der Belegschaft zu senken. Sie wollen aber den Einsatz von Werkvertragsarbeitern juristisch einwandfrei gestalten, um Proteste dagegen wie bei VW im Keim zu ersticken.

Wie so eine Zusammenarbeit aussehen kann, exerziert derweil die VW-Tochter Audi vor. Nur wenige Kilometer vom Audi-Stammwerk in Ingolstadt entfernt soll ab 2014 ein Gebäudekomplex für Dutzende von Subunternehmen entstehen. So soll nach Aussage des Unternehmens der Anschein entstehen, dass es eine „saubere, für jedermann sichtbare Abgrenzung und klare Verantwortlichkeiten“ gibt – also keine Schein-Werkverträge. An den Niedriglöhnen für die Werkvertragsarbeiter ändert das nichts.

Auch beim Mutterkonzern VW wird ein Teil der Logistik an Subunternehmen wie Ceva Logistics vergeben. Gesamtbetriebsratschef Osterloh hat zwar öffentlich versichert, es gebe „keine Scheinwerkverträge. Die passen nicht zu unserer Unternehmenskultur.“

Doch mehrere eidesstattliche Versicherungen von Beschäftigten der Ceva Logistics, von denen etwa 450 bei VW arbeiten, widersprechen dieser Darstellung. Danach hat man sie wie Festangestellte behandelt, was ihre Werkverträge zu illegalen Scheinwerkverträgen machen würde. Mit einem Stundenlohn von 9,77 Euro bekommt ein Staplerfahrer bei Ceva nicht einmal halb so viel wie sein Kollege bei VW.

So werden die Produktionskosten auf Kosten der Beschäftigten der Autohersteller Schritt für Schritt gesenkt, um im Konkurrenzkampf jeweils wieder aufzuholen.

Das BMW-Werk in Leipzig gilt dabei allen Automobilherstellern als Vorbild. Von den 7.500 dort Beschäftigten gehören weniger als die Hälfte zur BMW-Stammbelegschgaft. 1.800 sind Leiharbeiter und 2.200 Beschäftigte von Werkvertragspartnern, Dienstleistern, Zulieferern und deren Subunternehmern.

Bei Daimler gilt intern die Fabrik im ungarischen Kecskemét als Vorbild. Dort sind Stammbeschäftigte fast nur noch in der Fahrzeugendmontage tätig. Alle anderen Arbeiten werden an Zulieferer vergeben.

Die Gewerkschaften und Betriebsräte spielen eine Schlüsselrolle bei der Ausweitung von Werkverträgen. Als Hüter der Wettbewerbsfähigkeit „ihrer Unternehmen“ haben sie ein unmittelbares Interesse an der Flexibilisierung der Produktion und der Senkung der Kosten.

So hat die IG Metall die Leih- und Werkarbeit bewusst aus der letzten Tarifauseinandersetzung in der Metall- und Elektroindustrie herausgehalten. Nur kurze Zeit später vereinbarten die IG Metall und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi dann im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) mit den Arbeitgeberverbänden der Zeitarbeitsunternehmen einen neuen Tarifvertrag, der für die nächsten Jahre Niedriglöhne festschreibt.

Vor allem aber bewahrt der Vertrag die Konzerne davor, den fast eine Million Leiharbeitern den ansonsten per Gesetz zustehenden gleichen Lohn wie den Stammbeschäftigten (Equal Pay) zu zahlen. Einen größeren Dienst hätten sie den Unternehmen – und der Bundesregierung – nicht erweisen können.

Nun bieten sich die IG Metall und die Betriebsräte der großen Autohersteller an, die Werkvertragsarbeit im Interesse „ihrer Konzerne“ zu regeln – gegen die Belegschaften.

Siehe auch: Berlin: PSG gewinnt Unterstützung bei Mercedes

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