Weitere Angriffe auf die Belegschaft von ThyssenKrupp

Am Samstag, den 30. November, kündigte ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger auf der Bilanz-Pressekonferenz des Konzerns weitere Umstrukturierungen an. Den Preis dafür, dass ThyssenKrupp profitabler wird, bezahlen die 150.000 Arbeiter, die weltweit im Konzern beschäftigt sind.

Die bereits laufenden Sparprogramme haben den Verlust des Unternehmens von 5 Milliarden Euro im Vorjahr auf 1,5 Milliarden Euro reduziert. Der Umsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr ist aber um zwölf Prozent gesunken. „Wenn man ein Unternehmen umbaut, das sich über Jahre in eine tiefe Krise manövriert hat, dann dauert es auch Jahre, das Unternehmen wieder auf eine vernünftige Basis zu stellen“, sagte Hiesinger.

Mit anderen Worten: Zusätzlich zu den schon eingeleiteten Sparmaßnahmen, denen mehr als 5.000 Arbeitsplätze zum Opfer fallen, werden weitere Arbeitsplätze abgebaut, die Löhne gesenkt und die Arbeitshetze verschärft. Letzteres nennt sich in der Sprache der Manager „Effizienzsteigerung“.

Die europäische und weltweite Stahlindustrie leidet aufgrund der schwersten internationalen Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren an einem Rückgang der Nachfrage vor allem in der Auto- und Bauindustrie. In Europa wird dies durch die Kürzungs- und Sparprogramme, die die deutsche Regierung und die Europäische Union dem ganzen Kontinent aufzwingen, weiter verschärft.

ThyssenKrupp hat darauf mit dem Verkauf unprofitabler Bereiche reagiert, mit geringem Erfolg. Das neue Stahlwerk in Alabama, USA, ist mit hohen Verlusten an ein Konsortium aus ArcelorMittal, dem derzeit weltweit größten Stahlproduzenten, und dem japanischen Unternehmen Nippon Steel verkauft worden. Der Verkauf des neuen Stahlwerks in Brasilien ist ganz gescheitert.

Die ehemalige Edelstahltochter Inoxum hat ThyssenKrupp an den finnischen Konkurrenten Outokumpu verkauft. Nun musste der Konzern einen Teil davon zurücknehmen. Bedingt durch Auflagen der EU-Kommission und finanzielle Probleme von Outokumpu gehen das verlustbringende Edelstahlwerk AST in Terni, Italien, sowie das Unternehmen VDM, das auf Hochleistungswerkstoffe spezialisiert ist, an ThyssenKrupp zurück. Bereits vorher hatte Outokumpu angekündigt, das ehemalige ThyssenKrupp-Edelstahlwerk in Bochum zu schließen.

Die anhaltenden Gewinnausfälle haben die Eigenkapitalquote ThyssenKrupps derart gesenkt, dass der Konzern eine Kapitalerhöhung beschloss. Die Finanzmärkte waren nicht zufrieden. Nach der Bilanz-Pressekonferenz vom Samstag stürzte die ThyssenKrupp-Aktie am folgenden Montag über acht Prozent ab, während gleichzeitig die angekündigte Kapitalerhöhung anlief.

Durch die Kapitalerhöhung ist der Anteil der Krupp-Stiftung, die bisher mit etwas mehr als 25 Prozent über eine Sperrminorität verfügte, auf 23 Prozent gesunken. Dafür ist der Anteil des schwedischen Hedgefonds’ Cevian von 6,1 auf knapp 11 Prozent gestiegen. Cevian hat vermutlich über die Hälfte der neu ausgegebenen Aktien erworben und wird damit in Zukunft einen stärkeren Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausüben.

Die Süddeutsche Zeitung hatte schon am 26. September über den Einstieg des schwedischen Hedgefonds Cevian bei ThyssenKrupp berichtet und den Deutschland-Chef von Cevian, Jens Tischendorf, zitiert: „Über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren sehen wir ein signifikantes Potential, den Unternehmenswert zu steigern.“ Der Unternehmenswert an der Börse steigt, wenn sich auf Kosten der Arbeiter die Profite erhöhen.

Der schwedische Hedgfonds ist in Deutschland kein Unbekannter. Er ist unter anderem mit mehr als 17 Prozent an dem Bauunternehmen Bilfinger Berger beteiligt, das ebenfalls einen massiven Abbau von Arbeitsplätzen beschlossen hat.

Für kurze Zeit war Cevian auch mit zehn Prozent bei dem Baufahrzeuge- und Kranhersteller Demag Cranes eingestiegen. Der Finanzinvestor sorgte für einen massiven Arbeitsplatzabbau, um dann seine Anteile zum doppelten Preis an das US-Unternehmen Terex zu verkaufen, das Demag Cranes vollständig übernahm.

Mit der Erhöhung des Aktienanteils von Cevian auf über zehn Prozent wachsen die Befürchtungen der Arbeiter von ThyssenKrupp, der Konzern könnte in mehrere Einzelteile zerschlagen werden. Die Aktienbesitzer erhoffen sich vom Abstoß oder der brutalen Sanierung weniger profitabler Teile, wie derzeit des Stahlgeschäfts, hohe Profite und Dividenden.

Wie ernsthaft diese Überlegungen sind, zeigt eine aktuelle Erklärung Hiesingers. Laut Focus sah sich der ThyssenKrupp-Chef Mitte letzter Woche auf einem Treffen von 320 internationalen Führungskräften in Essen zur Feststellung gezwungen,das Stahlgeschäft in Europa stehe nicht zum Verkauf. Das Unternehmen verdiene mit der Stahlproduktion Geld, ein Verkauf wäre zudem ein Verlustgeschäft. Im aktuell schwierigen wirtschaftlichen Umfeld und mit der gewaltigen Pensionslast, die auf der Sparte laste, könne man mit dem Verkauf des europäischen Stahlbereichs keinen vernünftigen Wert erzielen.

ThyssenKrupp konnte bisher die Angriffe auf Arbeitsplätze und soziale Errungenschaften nur dank der vollen Unterstützung der Gewerkschaft IG Metall und der Betriebsräte derart reibungslos durchführen. Bei der Vorstellung der Geschäftszahlen auf der Bilanz-Pressekonferenz betonte Finanzvorstand Guido Kerkhoff, dass die „Effizienzsteigerungsziele“ des Konzernvorstands im Rahmen der laufenden, immer wieder ergänzten Sparprogramme mit Einsparungen von 600 Millionen Euro um 20 Prozent übertroffen worden seien.

Auf einer Konferenz in Duisburg Anfang November versuchte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von ThyssenKrupp Steel Günter Back die Komplizenschaft der Betriebsräte und der IG Metall mit der Behauptung zu bemänteln, auch die Konzernspitze leiste ihren Beitrag. Der fünfköpfige Vorstand sei um einen Posten verkleinert und fünf von 28 Direktoren-Posten seien gestrichen worden.

Das ist reine Kosmetik. Thilo Lutz, der seinen Vorstandsposten erst ein Jahr zuvor angetreten hatte, ging laut Vorstand „in gegenseitigem Einvernehmen“ – d.h. vermutlich mit einer Millionen-Abfindung. Und während Arbeiter mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes, gestiegener Arbeitshetze und niedrigeren Löhnen und Renten für die Krise des Konzerns zahlen, sind die Einkommen der Vorstandsmitglieder im letzten Jahr rasant gestiegen.

Das Jahresgehalt von ThyssenKrupp-Chef Hiesinger erhöhte sich von 3,85 auf 4,9 Millionen Euro, das von Finanzchef Guido Kerkhoff von 1,9 auf 2,5 Millionen Euro. Der von der IG Metall in den Personalvorstand von ThyssenKrupp gewechselte Oliver Burkhard erhielt ein Jahresgehalt von 1,6 Millionen Euro. Diese obszön hohen Einkommen wurden von den Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat abgesegnet.

IGM und Betriebsrat unterstützten nicht nur alle Angriffe auf die Belegschaft, sie sind die eigentlichen Initiatoren der Kürzungen. So vereinbarten IGM und Betriebsrat im September „zur Rettung des ThyssenKrupp Stahlkonzerns“ die Absenkung der Arbeitszeit von 34 auf 31 Stunden pro Woche ab Oktober 2014. Dies wird für die betroffenen Arbeiter zu Lohnsenkungen von mehr als zehn Prozent führen. Erst ab Oktober 2018 soll die Arbeitszeit wieder schrittweise angehoben werden – wenn dann die Profite stimmen.

Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Back rechtfertigte diese drastische Lohnsenkung vor der Belegschaft. Er verwies darauf, dass der Stahlbereich von ThyssenKrupp in den vergangenen zwei Jahren „nur“ einen Gewinn von etwa 100 Millionen Euro jährlich erzielt habe. Nötig – zur Befriedigung der Finanzmärkte und Aktienbesitzer – sei aber ein Jahresgewinn von 500 Millionen Euro.

Back erklärte: „Wir (!) sind derzeit nicht in der Lage, diese Lücke zu schließen.“ Da der Mutterkonzern wegen seiner Verluste derzeit kein Geld zuschießen könne, müsse „man“ (also Gewerkschaft und Betriebsrat) das fehlende Geld durch eigene Maßnahmen generieren. Selten war die Rolle eines Betriebsrats als Co-Manager und Einpeitscher gegen die eigene Belegschaft deutlicher.

Loading