Am letzten Donnerstag kam es vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zu einem brutalen Übergriff auf mindestens zwei Flüchtlinge durch die private Sicherheitsfirma SpySec. Die Medien veröffentlichten ein Video, auf dem mehrere Sicherheitsleute die Flüchtlinge überwältigen, zu Boden ringen und mit Faustschlägen und Fußtritten malträtieren.
Das Video zeigt nicht, was unmittelbar vor der Attacke geschah, macht aber deutlich, wie brutal die Sicherheitsleute vorgegangen sind.
Nach Presseberichten wurden beide Flüchtlinge derart schwer verletzt, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Beide Seiten haben nun Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Laut dem Chef der Sicherheitsfirma SpySec wurden die verantwortlichen Sicherheitsleute vorübergehend suspendiert.
SpySec ist ein Subunternehmen der Gegenbauer Facility Management GmbH, die vom Lageso beauftragt worden ist, die restriktiven Verfahren auf dem Gelände durchzusetzen. In langen Schlangen und unter unmenschlichen Bedingungen warten seit dem Sommer täglich Hunderte Flüchtlinge oftmals wochenlang darauf, sich registrieren zu lassen, um einen Asylantrag stellen zu können und weitere Leistungen zu erhalten.
Sozialsenator Mario Czaja (CDU), der für die Zustände am Lageso unmittelbar verantwortlich ist, war von 2002 bis 2011 bei Gegenbauer angestellt. Sein ehemaliger Arbeitgeber setzt nun Hand in Hand mit der Senatsverwaltung Maßnahmen zur Abschreckung der Flüchtlinge durch.
Bei dem Übergriff handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Die Lage der Flüchtlinge ist nach wie vor derart prekär, die Organisation vor Ort derart brutal, dass Gewalt zur Durchsetzung der menschenfeindlichen Ordnung die logische Konsequenz darstellt.
Ein Reporterteam der WSWS konnte sich am Montag selbst ein Bild von der Situation am Lageso machen. In einem Zelt, das zur Vorregistrierung der Neuankömmlinge aufgebaut wurde, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen.
Am Ausgang des Zelts, der zur Registrierungsstelle führt, hatte sich eine Traube aus Menschen gebildet, die darauf hofften, endlich an die Reihe zu kommen. Einige von ihnen waren schon mehrere Tage in Folge gekommen. Es kam zu einem Streit, als plötzlich der Leiter des Zeltplatzmanagements sowie ein Mitarbeiter des Lageso laut schreiend in das Zelt stürmten und die Wartenden brutal zur Seite stießen. Auch die anwesenden Reporter wurden angeschrien und des Zeltes verwiesen, obwohl sie eine Genehmigung des Lageso vorweisen konnten.
„Ich habe so etwas schon oft erlebt“, sagt Badjan (Name von der Redaktion geändert), der aus Gambia nach Deutschland geflohen ist. „Aber man darf sich nicht zur Wehr setzen, sonst gibt es Probleme. Und das führt zu mehr Problemen.“ Er berichtet davon, wie Flüchtlinge der Schikane von Sicherheitsmitarbeitern ausgesetzt sind.
Er sei vor wenigen Tagen am Abend mit dem Bus in ein Lager gefahren worden, erzählt Badjan. Zuvor habe er einen ganzen Tag darauf gewartet, endlich mit einem Mitarbeiter des Lageso sprechen zu können. Weil er den Tag über die Schlange nicht habe verlassen wollen, habe er seine Notdurft zurückgehalten.
Als der Bus endlich beim Lager angekommen sei, habe man den Flüchtlingen erklärt, dass sie noch nicht aussteigen dürften. „Ich habe darum gebeten, auf die Toilette zu dürfen“, sagt Badjan. „Aber der Sicherheitsmann hat gesagt, dass ich im Bus bleiben muss.“ Als er schließlich doch auf die Toilette gegangen sei, habe ihn der Wachmann mit den Worten empfangen: „Ich habe Dir doch gesagt, dass Du nicht raus darfst. Jetzt musst Du eine Stunde draußen bleiben.“ Es sei kalt gewesen und er habe keine Jacke gehabt.
Einige Flüchtlinge berichten, dass einfache Sicherheitsleute durchaus bemüht, aber sichtlich überfordert seien. Gerade das aggressive Vorgehen der Sicherheitsleitung am Lageso zeigt jedoch, dass hinter dieser Überforderung System steckt. Die unmenschliche Behandlung der Flüchtlinge kann letztlich nur mit Gewalt aufrecht erhalten werden.
In dem Zelt am Lageso beginnt die Odyssee der Flüchtlinge erst. Haben sie dort eine Wartenummer erwischt, müssen sie auf einen Bus warten, der sie in eine Notunterkunft bringt. Diese Unterkünfte sind eigentlich nur auf wenige Tage ausgelegt. Danach sollen die Bewohner zur zentralen Registrierungsstelle in der Bundesallee gebracht werden, wo sie Taschengeld, Krankenschein und eine langfristig ausgelegte Unterkunft erhalten sollen. Viele Betroffene berichten jedoch, dass sie schon seit fast zwei Wochen in den Notunterkünften ausharren müssen.
Vor dem Lageso kommt eine Gruppe syrischer Flüchtlinge auf uns zu, die froh sind, endlich Journalisten zu treffen. Sie berichten von den unsäglichen Zuständen in ihrer Unterkunft. „Wir gehen zurück nach Syrien, wenn das so weitergeht“, sagt eine Frau. Sie seien vor zwei Wochen dort hingebracht worden. Man habe ihnen gesagt, dass sie nur für wenige Tage bleiben müssten und anschließend schnell registriert würden.
Das Lager wird vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betrieben. Dort befindet sich niemand, der Auskunft über das Verfahren geben könnte. Deshalb haben sie sich selbst zum Lageso aufgemacht. Sie wollen endlich Antworten erhalten. Doch am Lageso bekommen sie nur Sicherheitskräfte zu Gesicht, die ihnen erklären, dass sie sich für eine Wartenummer anstellen müssten.
Die Gruppe bittet uns, mit in die Unterkunft in Berlin-Steglitz zu kommen, um uns ein eigenes Bild von den Verhältnissen zu machen. 173 Menschen sind dort in zwei Turnhallen untergebracht, Frauen und Männer getrennt, auch Familien. Es gibt zwischen den Betten keinerlei Trennwände, keine Intimsphäre. Die wenigen sanitären Anlagen reichen für die Menschenmassen nicht aus und sind immer wieder überschwemmt.
Als Notunterkunft entspreche die Einrichtungen „nicht den Standards, die wir uns wünschen würden“, erklärt auch der Geschäftsführer des DRK Berlin Südwest, Holger Höringklee. Doch bewahre man Menschen zumindest vor der Obdachlosigkeit. Der Senat habe die Bundeswehr beauftragt, Betten in der Turnhalle aufzubauen. Dann habe man den DRK Kreisverband Steglitz-Zehlendorf an dem Tag mit der Leitung beauftragt, an dem bereits 150 Flüchtlinge eintrafen und versorgt werden mussten. Derzeit versucht der Verband, die Arbeit mit ehrenamtlichen Helfern und den eigenen Strukturen zu stemmen. Hauptamtliche sind in Planung.
Die Aufteilung der Flüchtlinge in solche Lager hat die Situation am Lageso kaum entspannt. Bis Mitte November werden dort noch diejenigen abgearbeitet, die vor dem 15. Oktober eine Wartenummer bekommen hatten. Auch müssen Flüchtlinge monatlich bei der Landesbehörde vorstellig werden, um 140 Euro Taschengeld bzw. Gutscheine und einmal im Quartal einen Krankenschein zu erhalten.
So geht es z.B. Mudassar, der aus Pakistan geflohen ist. Er wartet seit fünf Tagen am Lageso, um einen Krankenschein zu bekommen. Selbst wenn man einen Termin habe, warte man oft tagelang, sagt er. Am Nachmittag hieße es einfach, dass man am nächsten Tag wieder kommen solle. „Einige kommen deshalb schon um drei Uhr nachts und stellen sich in die Reihe.“ Die Schlange, von der Mudassar spricht, umfasst am Montag früh mehrere hundert Menschen.
Yasan ist schon vor drei Monaten aus Syrien nach Deutschland gekommen. Er unterstützt jetzt die Initiative „Moabit hilft“, die sich um Flüchtlinge am Lageso kümmert. „Leute müssen so lange hier warten, die Spannungen sind sehr hoch“, sagt er. „Ich habe Rechte hier als Mensch, auch wenn ich nicht Deutscher bin. Angriffe sind nicht akzeptabel.“ Auch er verweist auf die unmenschlichen Unterkünfte: „Das eine Problem ist das Warten hier, das größere Problem ist die Unterbringung in den Lagern.“