Der kanadische Flugzeug- und Zughersteller Bombardier wird in den nächsten zwei Jahren rund 7000 Stellen streichen, das sind rund zehn Prozent der weltweiten Belegschaft. 3200 Arbeitsplätze sollen in der Waggonbau-Sparte wegfallen, die derzeit noch knapp 40.000 Arbeitsplätze umfasst. Der Konzernsitz der Bahn-Sparte ist in Berlin. Am Mittwoch hieß es dort, dass in Deutschland 1430 der rund 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden.
Bombardier hat in Deutschland Standorte in Hennigsdorf, Görlitz, Bautzen, Braunschweig, Kassel, Mannheim, Frankfurt am Main und Siegen. Dort werden Züge, Straßenbahnen und Lokomotiven entwickelt und gebaut, unter anderem Teile des neuen ICE-4 für die Deutsche Bahn, der ab 2017 zum Einsatz kommen soll. Die besonders stark betroffenen ostdeutschen Produktionsstandorte gehen vor allem auf die von Bombardier 1998 übernommene „Deutsche Waggonbau“ zurück, die nach der Wiedervereinigung aus Teilen des „VEB Kombinat Schienenfahrzeugbau der DDR“ hervorging.
Laurent Troger, Chef der Bombardier-Zugsparte, sagte Reuters in Berlin, in diesem Jahr wolle er den Umsatz auf 8,5 Milliarden Dollar steigern. Davon sollten sechs Prozent, also 510 Millionen Dollar (460 Millionen Euro) als Gewinn vor Steuern übrig bleiben. Der nun angekündigte Stellenabbau sei nötig, um die Profitabilität zu steigern. Die Anleger reagierten begeistert. Die Bombardier-Aktie stieg am Mittwoch um mehr als zehn Prozent.
Troger sagte nicht, wann, wo und wie viele Stellen wegfallen. Standorte schließen wolle der Konzern aber nicht. In den vergangenen Jahren waren wiederholt Stellen abgebaut und auch Werke verkauft worden, so in Niesky an der polnischen Grenze oder in Vetschau (Brandenburg). Das Werk Halle-Ammendorf (Sachsen-Anhalt) mit zuletzt knapp 700 Beschäftigten schloss Bombardier 2005. 2013 machte Bombardier das Aachener Werk mit zuletzt 600 Beschäftigten nach 175 Jahren Schienenproduktion dicht. Übrig geblieben sind dort nur noch gut 200 Arbeiter in der neuen „Talbot Service GmbH“.
Nun fürchten viele Arbeiter der verbleibenden Werke, dass ihre Arbeitsplätze unmittelbar bedroht sind. Im November war bereits angekündigt worden, das Görlitzer Werk mit derzeit etwa 2400 Beschäftigten innerhalb der nächsten drei Jahre mit dem Werk in Bautzen (1200 Beschäftigte) zum „Werk Sachsen“ zu fusionieren. Das Werk in Görlitz soll künftig den Rohbau und die Komponenten der Reisezugwagen liefern, Bautzen soll für Montage und Innenausbau zuständig sein.
Im Bautzener Werk sollen zusätzlich auch künftig Straßenbahnen gebaut werden, doch in einem geringeren Umfang als bislang. Teile der Straßenbahnfertigung sollen ins Bombardier-Werk Wien verlagert werden, hatte der Zentral- und Osteuropa-Präsident Dieter John vor vier Wochen erklärt. Eine langfristige Bestandsgarantie für beide Betriebe hatte er bei seinem damaligen Besuch im Görlitzer Werk ebenso abgelehnt, wie konkrete Aussagen zur künftigen Zahl der Belegschaft. „Wir sagen nicht, dass alle, die heute eine Stelle haben, diese auch behalten.“
Gesamtbetriebsratschef Michael Wobst behauptete: „Von der Dimension der Abbaupläne sind wir überrascht“. Das ist schlichtweg gelogen. Über ihre enge Zusammenarbeit im Aufsichtsrat und im Wirtschaftsausschuss sind die Betriebsräte bestens informiert und in alle Pläne eingebunden.
Wie üblich machte Wobst Produktionsverlagerungen ins Ausland verantwortlich, um schon jetzt einen Blitzableiter für die Wut der Arbeiter in Stellung zu bringen, nämlich billige Arbeitskräfte in Osteuropa. Es gäbe seit längerem einen Trend, vor allem die Produktion von Wagenkästen an Standorte in Tschechien und Polen zu verlagern, sagte er.
Seit Jahren fordern IG Metall und Betriebsräte im Stile von Co-Managern, „Prozesse zu verbessern und die Projektabwicklung zu optimieren“. Dass der Konzern in „eine deutliche Schieflage geraten“ sei, würden auch sie sehen. Ursächlich dafür sei aber im Wesentlichen die Flugzeugsparte.
Der Bombardier-Gesamtkonzern weist bei 18,2 Milliarden Dollar Umsatz einen Verlust von 5,3 Milliarden Dollar aus. Ein Grund dafür ist die Entwicklung eines neuen Flugzeugs, die länger und teurer als geplant wurde. Die Berliner Morgenpost berichtete, dass der Konzern zuletzt 30 Prozent der Zugsparte an den Pensionsfonds der kanadischen Provinz Quebec (Caisse de dépôt et placement du Québec) verkaufte, um an frisches Geld zu kommen. Am Mittwoch unterzeichnete Air Canada aber eine Absichtserklärung zum Kauf von bis zu 75 Jets vom Typ CS300, die zusammen rund 3,8 Milliarden Dollar wert sind.
Die Haltung der IG Metall und Betriebsräte ist klar. Arbeitsplatzabbau sei wohl unvermeidlich, aber nicht in der Zugsparte. Die Spaltung der Arbeiter nach Standorten, Sparten und Ländern spielt multinationalen Konzernen – die Muttergesellschaft Bombardier hat Standorte in 60 Ländern – direkt in die Hände. Die Arbeiter werden von der IGM und ihren Betriebsräten gegeneinander ausgespielt.
Auf die jetzt bekannt gewordenen Abbaupläne reagieren sie wie immer mit einer Mischung aus verbaler Drohkulisse und gleichzeitigem Angebot, in enger Zusammenarbeit die Interessen der Anteilseigner zu wahren.
Der Vorsitzende der ostsächsischen IG Metall, Jan Otto, erklärte am Mittwoch: „So nicht!“ Er verstieg sich zur Behauptung: „Wir greifen jetzt an.“ Wenn es an die Arbeitsplätze gehe, „machen wir nicht mit“.
Jeder Arbeiter kennt diese Phrasen, die nur verdecken sollen, dass IGM und Betriebsrat längst ihre Zustimmung zu Arbeitsplatzabbau signalisiert haben. Unter allen Entlassungen der letzten Jahrzehnte stehen die Namen der IG-Metall- und Betriebsratsvertreter.
Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Wobst forderte: „Zur Zukunftssicherung der Standorte und Arbeitsplätze in Deutschland erwarten wir deshalb vom Management, das Unternehmen endlich zukunftssicher zu gestalten.“ Aber genau das macht das Unternehmen – aus Sicht der Anteilseigner. Die Bombardier-Manager wollen die Rendite sichern.
Lehnt man, wie Gewerkschaft und Betriebsräte, nicht grundsätzlich das kapitalistische Prinzip ab, dass die Profite der Eigentümer die Produktion bestimmen, gibt es keine andere Logik, als schlechteren Arbeitsbedingungen, niedrigeren Löhnen und dem Abbau von Arbeitsplätzen zuzustimmen, um den Konzern „wettbewerbsfähig“ (Bombardier) bzw. „zukunftssicher“ (Betriebsrat) zu machen.
IG-Metall-Funktionäre und Betriebsratsvertreter werden schon am heutigen Freitag auf einer außerordentlichen Bombardier-Aufsichtsratssitzung mit der Konzernspitze und Vertretern der Anteilseigner über das weitere Vorgehen sprechen. Für die Hälfte der über 1400 abzubauenden Arbeitsplätze in Deutschland werden die Gewerkschaft und ihre betrieblichen Vertreter keinen Finger rühren, diese werden von Leiharbeitern besetzt. Für die andere Hälfte werden sie wohl Sozialpläne ausarbeiten.