Der Widerstand gegen das El-Khomri-Arbeitsmarktgesetz in Frankreich stößt unter Arbeitern und Jugendlichen in ganz Europa auf Sympathie und Unterstützung.
Seit Jahrzehnten werden sogenannte „Strukturreformen“ – Sozialabbau, Niedriglöhne, Privatisierung – als alternativlos dargestellt. Die Regierung von François Hollande und Manuel Valls dachte, sie könne in einem Gewaltakt Rechte und Errungenschaften abschaffen, die sich Generationen von Arbeitern erkämpft haben. Doch sie hat sich geirrt. Als sie das verhasste Gesetz per Dekret erzwang, schüchterte sie die Arbeiter nicht ein, sondern weckte deren Wut. Seither dehnen sich die Streiks und Proteste aus und legen das ganze Land lahm.
Die Auseinandersetzung in Frankreich kennzeichnet eine Wende im internationalen Klassenkampf. Eine ähnliche Stimmung existiert auch in vielen anderen europäischen Ländern, in den USA und großen Teilen der Welt. Sie äußert sich in der Rückkehr des Klassenkampfs, der Zunahme von Streiks und Protesten.
Es besteht die Gefahr, dass die Bewegung in Frankreich – wie schon in früheren Fällen – isoliert und abgewürgt wird und dass der rechte Front National von der daraus resultierenden Enttäuschung profitiert. Um dieser Gefahr zu begegnen, muss man sich Rechenschaft über die Ursachen und die Verantwortlichen der gegenwärtigen Angriffe ablegen.
Die französischen Arbeiter kämpfen gegen eine Regierung, die sich selbst als „links“ und „sozialistisch“ bezeichnet. Das ist weder ein Zufall noch ein Missverständnis. Seit über 15 Jahren sind es vor allem die Sozialdemokraten, die – unterstützt von den Gewerkschaften, den Kommunistischen Parteien und ihren Nachfolgern sowie einer Vielzahl pseudolinker Gruppen – die Strukturreformen gegen die Arbeiter durchsetzen.
Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, einen Blick zurück auf ein Papier zu werfen, das zwei sozialdemokratische Regierungschefs, der britische Premier Tony Blair und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, 1999 gemeinsam veröffentlichten. Darin findet sich fast alles wieder, was seither in Deutschland, Großbritannien, Süd- und Osteuropa, Griechenland und nun in Frankreich an sozialem Kahlschlag stattgefunden hat.
Unter dem Titel „Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten“ forderten Blair und Schröder, das „Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung“ umzuwandeln.
In dem Papier, schrieben wir damals auf der WSWS, „werden minutiös all jene sozialen Grausamkeiten aufgelistet, die heute zum Standardrepertoire der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gehören: Kürzung der staatlichen Ausgaben, Effizienz-, Wettbewerbs- und Leistungsdenken im öffentlichen Dienst, Anpassung der sozialen Sicherungssysteme, Modernisierung des Renten- und Gesundheitssystems, Förderung von Unternehmergeist, Senkung der Unternehmen- und Körperschaftssteuern, Flexibilität“.
Das Kapitel „Eine aktive Arbeitsmarktpolitik für die Linke“ verlangte, wie die WSWS zusammenfassend schrieb, „alle sozialpolitischen Instrumente müssten dazu dienen, Eigenverantwortung zu fördern, das System der Steuern und Sozialleistungen müsse ‚sicherstellen, dass es im Interesse der Menschen liegt, zu arbeiten‘. Niedrig bezahlte ‚Einstiegsjobs‘ in den Arbeitsmarkt sollen staatlich subventioniert und alle Leistungsempfänger auf ihre Fähigkeit überprüft werden, ihren Lebensunterhalt zu verdienen – massiver staatlicher Druck zur Aufnahme von Niedriglohnjobs also, die ihrerseits das gesamte Lohnniveau nach unten drücken werden.“
Das Schröder-Blair-Papier erschien zu einem Zeitpunkt, an dem fast überall in Europa Sozialdemokraten regierten. Die 1990er Jahre waren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von einer Bereicherungsorgie der herrschenden Eliten und heftigen Angriffen auf die Arbeiterklasse geprägt gewesen. Doch gegen Ende des Jahrzehnts drehte sich die Stimmung und die Sozialdemokraten wurden in der Hoffnung gewählt, sie würden einen sozialeren Kurs einschlagen.
Doch das Gegenteil fand statt. Das Schröder-Blair-Papier diente als Blaupause für die Hartz-Gesetze in Deutschland, den Sparkurs in Spanien, Portugal, Italien und Griechenland. Nicht nur in Italien verfolgten die Sozialdemokraten dabei in der Regel einen weit rigoroseren Sparkurs als konservative Regierungen.
Der Autor und Namensgeber der Hartz-Gesetze, Peter Hartz, ein Gewerkschafts- und SPD-Mitglied, reiste vor zwei Jahren nach Paris, um den französischen Präsidenten in Sachen Sozialabbau zu beraten. Das El-Khomri-Gesetz ist das unmittelbare Ergebnis dieser Zusammenarbeit.
Inzwischen befinden sich die Sozialdemokraten überall im freien Fall. In Frankreich rebellieren die Arbeiter gegen die Sozialistische Partei und in Griechenland gegen Syriza, die den Sparkurs ihrer Vorgängerregierungen weiter verschärft hat. Diese Rebellion erfordert eine bewusste politische Strategie.
Nicht nur die korrupten sozialdemokratischen Apparate, die Gewerkschaften und die pseudolinken Gruppen, die sich in ihrem Umfeld bewegen, sind bankrott, sondern auch das nationale Programm, auf das sie sich stützen. Die Globalisierung der Produktion hat jeder nationalstaatlichen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik den Boden entzogen. Die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften sehen heute ihre Aufgabe darin, durch ständige Angriffe auf die Arbeiter ihre „eigenen“ Unternehmen im internationalen Konkurrenzkampf zu unterstützen.
Das El-Khomri-Gesetz und alle anderen sozialen Angriffe können – ebenso wie die wachsende Kriegsgefahr und das Anwachsen der Rechten – nur durch eine unabhängige, internationale Bewegung der Arbeiterklasse zurückgeschlagen werden, die sich auf ein revolutionäres, sozialistisches Programm stützt. Die Offensive gegen das El-Khomri-Gesetz muss zum Ausgangspunkt für den Aufbau einer solchen Bewegung werden.
Die Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa reagieren mit Schrecken auf die Offensive der französischen Arbeiter und stellen sich hinter Hollande. Die europäischen Arbeiter müssen sich hinter ihre französischen Kollegen stellen, sich vom Einfluss der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften befreien und den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa aufnehmen.