Nato-Manöver „Anakonda” erhöht Gefahr eines Kriegs mit Russland

Einen Monat vor Beginn des Nato-Gipfels in Warschau organisiert das westliche Militärbündnis in Ost-Europa einen massiven Militäraufmarsch und erhöht damit die Gefahr eines Kriegs mit der Atommacht Russland.

Am Dienstag begann mit dem Absprung von 2000 britischen, polnischen und amerikanischen Fallschirmjägern in der Nähe der nordpolnischen Stadt Torun die größte Militärübung der Nato seit dem Ende des Kalten Kriegs. Offiziellen Angaben zufolge werden für das „Anakonda“-Manöver, das bis zum 17. Juni andauert, insgesamt mehr als 31.000 Soldaten aus 24 Ländern, 3.000 Fahrzeuge, 105 Flugzeuge und 12 Schiffe mobilisiert.

Unter den Teilnehmern befinden sich Nato-Staaten wie die Balten, Spanien, Türkei, Deutschland, Großbritannien, Albanien, Kanada, Kroatien, Tschechien, Slowakei, Rumänien und Bulgarien sowie Nicht-Mitglieder wie Finnland, Mazedonien, Ukraine, Georgien und sogar der Kosovo. Zum Einsatz kommen auch rund 400 Mitglieder rechter, paramilitärischer Gruppen. Sie sind Bestandteil einer 35.000 Mann starken Freiwilligen-Miliz, die Polen unter dem Deckmantel der „Landesverteidigung“ gegen Russland aufstellt.

Die anti-russische Ausrichtung des Manövers ist offensichtlich. Laut dem offiziellen Drehbuch von „Anakonda“ soll die Verteidigung des „Bündnisses der Blauen“ gegen einen Vorstoß des „Bündnisses der Roten“ geübt werden. Letzteres sei nach „einem unglücklichen Zwischenfall“ bzw. einer „Fehleinschätzung“, die es als Offensivaktion aufgefasst habe, in die baltischen Staaten sowie in das nördliche Polen einmarschiert.

„Die Russen haben etwas zu fürchten“, titelte die konservative polnische Zeitung Rzeczpospolita. Die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung Bild schrieb: „Anakonda 16: Hier übt die Nato Krieg gegen Putin“, und Spiegel Online attestierte: „Man muss kein Experte sein, um das Szenario zu verstehen. Kurz vor dem Nato-Gipfel spielt Polens Militär den Angriff Russlands auf den Ostrand der Allianz durch. Polen kann sich wehren, soll das heißen – wohlgemerkt gemeinsam mit den auf Manöverkarten blau markierten Nato-Truppen.“

Gebetsmühlenartig versuchen Vertreter der Nato, die Übung als „defensiv“ darzustellen und Russland als Aggressor zu brandmarken. Wenige Tage vor Beginn des Manövers erklärte der polnische Ministerpräsident Andrzej Duda bei einem gemeinsamen Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Das Ziel der Übung ist klar. Wir bereiten uns auf einen Überfall vor.“ Der Generalstabschef der US Army Mark Milley erklärte in Torun: „Es geht um die gemeinsame Handlungsfähigkeit und die kollektive Bereitschaft der Nato-Streitkräfte auf operativer und taktischer Ebene. Auf der strategischen Ebene geht es darum, sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten frei und unabhängig bleiben.“

All dies stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Putin ist ein nationalistischer Vertreter der russischen Oligarchie und sein militaristisches Gebaren hat nichts Fortschrittliches, sondern erhöht die Kriegsgefahr. Aber weder in Osteuropa noch in Syrien ist er der Aggressor, sondern die westlichen Mächte. Seit der Auflösung der Sowjetunion vor 25 Jahren verfolgen die Nato und allen voran die USA das Ziel, Russland einzukreisen und auf den Status einer Halbkolonie herabzudrücken.

Bezeichnenderweise wehte bei der Eröffnungszeremonie des Manövers neben der amerikanischen und der britischen Flagge provokativ auch die der Ukraine. In Kiew haben Washington und Berlin Anfang 2014 in enger Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften einen Putsch gegen den pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch organisiert. Seitdem wird die überwiegend defensive Reaktion Russlands benutzt, um systematisch politisch und militärisch gegen Moskau in die Offensive zu gehen.

Mit Blick auf den bevorstehenden Nato-Gipfel in Warschau erklärte Stoltenberg in der vergangenen Woche auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Berlin, die Nato reagiere auf den „Willen Russlands“, auf der Krim Gewalt anzuwenden, und die Bereitschaft Moskaus, Grenzen in Europa zu verschieben, mit den „größten Anstrengungen“ seit dem Kalten Krieg.

Bundeswehr aktuell, die offizielle Wochenzeitung der Bundeswehr, gibt einen Überblick über die laufenden Kriegsvorbereitungen gegen Russland. Das Bündnis sei dabei, „seine Reaktionsfähigkeit zu stärken und noch flexibler zu machen“. „Zentrale Bedeutung“ habe dabei die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), also die superschnelle Eingreiftruppe der NATO, die als Bestandteil der NATO Response Force (NRF) auf dem Nato-Gipfel in Wales 2014 gegen Russland in Leben gerufen worden war.

Deutschland sei daran „maßgeblich beteiligt und wird auch 2019 eine führende Rolle übernehmen“, so das Blatt. Insgesamt werde die NRF künftig bis zu 40.000 Soldaten umfassen und „in Osteuropa sollen insgesamt acht Stützpunkte mit dem Titel NATO Force Integration Units (NFIU) den Einsatz von Reaktionskräften erleichtern“. Hinzu kämen die Entsendung einer US-Brigade von rund 5000 Soldaten nach Osteuropa und der Aufbau eines NATO-Raketenabwehrschirms in Polen und Rumänien.

„Anakonda“ ist nur eine von zahlreichen Nato-Übungen, die gegenwärtig mit deutscher Beteiligung in Osteuropa stattfinden. Als Teil des Manövers „Persistent Presence“ verlegten in dieser Woche Teile des Artilleriebataillons 295 aus dem baden-württembergischen Stetten nach Litauen. Am Seemanöver „Baltops“ in der Ostsee, an dem insgesamt 45 Schiffe, 60 Luftfahrzeuge und 4.000 Soldaten aus 14 Nationen teilnehmen, beteiligt sich die deutsche Marine mit neun Schiffen.

Außerdem nimmt die Bundeswehr mit 16 Fahrzeugen, darunter Spähpanzer vom Typ „Fennek“ und Transportpanzer vom Typ „Fuchs“, an der „Verlegeübung“ „Dragoon Ride II“ teil. Auf der offiziellen Website der Bundeswehr heißt es dazu: „Deutsche und amerikanische Soldaten machen sich auf den Weg nach Estland. Der gewaltige Landmarsch über Polen, Litauen und Lettland umfasst knapp 2.400 Kilometer und verlangt den Soldaten sowie dem Material einiges ab. Bis zum 15. Juni soll die Strecke zurückgelegt werden, um im Anschluss gemeinsam bei der Übung Saber Strike zu trainieren.“

Bereits vier Wochen vor Beginn des Gipfels in Warschau haben die Provokationen gegen Russland einen Punkt erreicht, an dem selbst ein kleine Unachtsamkeit eine direkte militärische Konfrontation auslösen kann. „Jedes noch so kleine Missgeschick, das die Russen missverstehen oder sich entscheiden falsch zu deuten, könnte eine Offensive auslösen“, zitiert der der britische Guardian einen Verteidigungsexperten der europäischen Botschaft in Warschau. Dies könne zu einem „Alptraum-Szenario“ führen.

Aus Moskau, das als Reaktion ebenfalls Truppen an seiner Westgrenze zusammenzieht – laut einem Bericht der Bundeswehr sollen mindestens drei neue russische Divisionen mit rund 30.000 Soldaten stationiert werden – kommen scharfe Warnungen.

„Die Übung trägt nicht dazu bei, eine Atmosphäre von Vertrauen und Sicherheit zu schaffen“, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau. Vize-Außenminister Alexei Meschkow sprach von einer „weiteren Eskalation an der russischen Grenze“, und Außenminister Sergei Lawrow warnte: „Die Ausdehnung der Nato-Militäraktivitäten an unseren Grenzen zusammen mit anderen Länder zu trainieren, weckt bei uns negative Gefühle.“

Dies war eine kaum verhohlene Anspielung auf frühere blutige Kriege und Invasionen. Lawrow sprach es nicht direkt an, aber Deutschland hat fast auf den Tag genau vor 75 Jahren seinen fürchterlichen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion begonnen, der zu den schrecklichsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheitsgeschichte führte: dazu zählen der Holocaust, die Ermordung von bis zu 40 Millionen Sowjetbürgern und die Verwüstung weiter Teile Osteuropas.

Den deutschen Eliten ist bewusst, dass ihre gegenwärtige Kriegspolitik (zumindest momentan) entlang ähnlicher Linien verläuft wie damals. So stellte die Welt in einem Artikel zur deutschen Beteiligung an „Anakonda“ fest: „Zum ersten Mal seit Einmarsch der Nationalsozialisten im sowjetisch besetzten Polen am 22. Juni 1941 durchqueren auch deutsche Soldaten das Land von West nach Ost.“

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