Siemens will im Getriebemotorenwerk in Tübingen über 330 Arbeitsplätze abbauen. Bis zum Frühjahr 2020 soll die Zahl der Arbeitsplätze von derzeit 580 auf 250 sinken. Die Montage der Motoren soll komplett in ein bereits bestehendes Motorenwerk nach Tschechien verlagert und ein Teilbereich der Fertigung an Zulieferer vergeben werden. Lediglich ein Teil der Teilefertigung soll zunächst in Tübingen bleiben. Das wurde am 16. Februar 2017 bekannt.
Am Tag zuvor hatte das Handelsblatt berichtet, dass Siemens ein Werk im dänischen Engesvang schließen wird, das Rotorblätter für Windturbinen fertigt. 430 Arbeiter verlieren dadurch ihren Arbeitsplatz. Ein Siemens-Sprecher begründete die Schließung damit, dass das Werk nicht für die Fertigung von größeren Rotorflügeln geeignet sei und sich auch nicht erweitern lasse. Die Fertigung von Rotorflügeln für das Windkraftgeschäft werde deshalb auf zwei andere Werke in Dänemark konzentriert.
Die Ankündigung des Abbaus von mehreren hundert Arbeitsplätzen erfolgt nur zwei Wochen nach der Siemens-Hauptversammlung am 1. Februar dieses Jahres. Dort hatte der Konzernvorstand Rekordzahlen bei Umsatz und Gewinn für das letzte Geschäftsjahr vorgelegt, das am 30. September 2016 endete, und eine Dividendenausschüttung von 3,60 Euro je Aktie angekündigt.
Der Auftragseingang erhöhte sich gegenüber dem Geschäftsjahr 2015 um 5 Prozent auf 86,5 Milliarden Euro. Der Gewinn nach Steuern belief sich auf 5,6 Milliarden Euro. Ohne Berücksichtigung der Erlöse aus dem Verkauf der Hörgerätesparte und des Siemens-Anteils am Hausgerätehersteller BSH sind das 28 Prozent mehr als im Vorjahr.
Der Umsatz im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres, das im Oktober 2016 begann, ist erneut angestiegen, auf 19 Milliarden Euro. Auch der Gewinn erhöhte sich um 30 Prozent auf 1,9 Milliarden Euro.
Die Beschäftigten des Getriebemotorenwerks in Tübingen, die letzten Donnerstag fast zeitgleich mit der Presse über den massiven Arbeitsplatzabbau informiert wurden, reagierten schockiert auf die Ankündigung und organisierten eine Protestkundgebung vor dem Werk. Die meisten arbeiten seit vielen Jahren in der Motorenmontage und machen sich große Sorgen um ihre Zukunft. Auch die Arbeiter aus der Fertigung, die nicht unmittelbar von dem Arbeitsplatzabbau betroffen sind, fragen sich, wie lange die dann noch 250 Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Das Getriebemotorenwerk in Tübingen hat eine lange Tradition. Es gehörte bis 2005 zu Flender, einem Unternehmen, das auf die Fertigung von Getrieben und Kupplungen aller Art spezialisiert war. 2005 wurde es von Siemens gekauft und in den Konzern eingegliedert.
Der Siemens-Vorstand rechtfertigt die Verlagerung der Motorenmontage und den Abbau der Arbeitsplätze in Tübingen damit, dass das Getriebemotorengeschäft seit Jahren Verluste mache und der Wettbewerbsdruck auf diesem Gebiet sehr hoch sei.
Die Reaktion von Betriebsrat und IG Metall auf den massiven Arbeitsplatzabbau ist von vorhergehenden Abbau- und Rationalisierungsmaßnahmen zu Lasten der Arbeiter sattsam bekannt.
Die erste Bevollmächtigte der IG Metall Reutlingen-Tübingen, Tanja Grzesch, beklagte sich darüber, dass der Konzern nicht genügend auf die Vorschläge der IG Metall und des Betriebsrats eingegangen sei. Sie hätten immer wieder auf erhebliches Verbesserungspotential für den Bereich hingewiesen und sich gesprächsbereit gezeigt.
„Wir haben Vorschläge gemacht, wie sich etwa Betriebsabläufe verbessern ließen, haben immer wieder Gespräche angeboten, aber sie haben nichts gemacht“, beklagte sie sich gegenüber dem Schwäbischen Tagblatt. Gleichzeitig versuchte sie, auf nationalistischer Grundlage Stimmung gegen die Arbeiter in Tschechien zu machen. „Aber“, fragte Grzesch, „ist die Produktivität dort genauso gut wie hier?“
Diese Aussagen bringen die wirkliche Rolle, die die Gewerkschaften seit Jahrzehnten spielen, zum Ausdruck. Sie verstehen sich als Co-Manager der Konzerne, die selbst Vorschläge für eine verstärkte Ausbeutung der Arbeiter ausarbeiten und durchsetzen. Während sie keinen Finger rühren, um Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen effektiv zu verteidigen, schüren sie Nationalismus und spielen die Beschäftigten der verschiedenen Standorte und Länder gegeneinander aus. Bei Siemens gescheht dies unter der Parole „Verteidigung des Standorts D(eutschland)“.
Der Betriebsratsvorsitzende des Tübinger Werks, Ismayil Arslan, verhandelt jetzt bereits zum dritten Mal über einen Sozialplan. Er wolle versuchen, den Verlust von Arbeitsplätzen in den Verhandlungen abzumildern, sagte er gegenüber der Presse.