IG Metall verlängert Leiharbeitsdauer auf vier Jahre

Die IG Metall hat sich in der vergangenen Woche mit dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall auf einen neuen Tarifvertrag für Leiharbeiter geeinigt, der eine Höchstdauer der Leiharbeit bis zu vier Jahren ermöglicht. Damit wird die zulässige Dauer eines Leiharbeitsverhältnisses weit über die gesetzliche Regelung von 18 Monaten ausgedehnt, die erst am 1. April in Kraft getreten ist.

Die Metallarbeitgeber begrüßen die Vereinbarung, die bereits unterschriftsreif vorliege, berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung, der der „Tarifvertrag zum Einsatz von Leih- und Zeitarbeitnehmern“ vorliegt. Die HAZ zitiert den Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall Volker Schmidt mit den Worten: „Zeitarbeit hilft unseren Unternehmen, flexibel auf Auftragsspitzen reagieren zu können.“

Die Bundesregierung hatte im Herbst ein neues Arbeitnehmerüberlassungsgesetz für die rund eine Million Zeitarbeiter beschlossen und darin eine Höchstverleihdauer von anderthalb Jahren festgeschrieben. SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles pries das Gesetz als Fortschritt, um die sich immer weiter ausbreitende Praxis von Leiharbeit als Dauerzustand zu bremsen. Auch die Arbeitgeberverbände und die DGB-Gewerkschaften begrüßten das Gesetz.

Jetzt wird klar, warum. Das Nahles-Gesetz hatte für Arbeitgeber und Gewerkschaften ein Schlupfloch eingebaut. Sie dürfen als Tarifpartner für einzelne Branchen eigene Vereinbarungen treffen, die von den 18 Monaten Höchstdauer abweichen. SPD und Gewerkschaften behaupteten, dies ermögliche vorteilhaftere Abkommen für die betroffenen Arbeiter auf betrieblicher und Branchenebene. Doch das Gegenteil ist der Fall, wie sich nun erweist.

Ein Sprecher der Tarifabteilung des IG-Metall-Vorstands erklärte laut HAZ, eine Höchstverleihdauer von 48 Monaten sehe die Gewerkschaft als Ausnahme, um betrieblich bessere Beschäftigungsbedingungen zu sichern. Allerdings sei eine Verlängerung nur möglich, wenn die Arbeitnehmervertreter ihr „freiwillig zustimmen“. Das heißt, die Betriebsräte können jederzeit eine verlängerte Leiharbeit mit der Geschäftsleitung vereinbaren, wenn diese „Auftragsspitzen“ geltend macht.

Dazu bemerkt das Internetmagazin Finanzmarktwelt: „Kann man zukünftig solche freiwilligen Zustimmungen mit dem Hinweis auf drohende Entlassungen ‚erwirken‘?“ Der angebliche Einstieg in Festanstellungen durch die Leiharbeit, wie von Gewerkschaftsseite versprochen, sei „realitätsfern“, so die Finanz-Website weiter. „Und welcher Arbeitnehmer zittert sich fröhlich und glücklich gerne jahrelang durch die Arbeitswelt in der Hoffnung auf einen festen Job?“

Genau dieses Leiharbeitssystem, bei dem Arbeiter von einer befristeten Stelle zur nächsten geschoben werden und nie einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten, wird durch den jüngsten Tarifvertrag der IG Metall zementiert.

Selbst der Experte für Arbeitsrecht Professor Dr. Rolf Geffken in Hamburg, der den Gewerkschaften nahesteht, kritisierte die Vereinbarung scharf. „Sie schlägt dem Fass den Boden aus“, sagte er im Freiburger Radio Dreyeckland und fügte hinzu, die IG Metall stelle sich damit selbst in Frage. Früher hätte man dies als „gelbe Gewerkschaftspolitik“ bezeichnet. Die IG Metall sei nur noch „historisch gesehen eine Arbeitskampforganisation“.

Der Arbeitsrechtler beklagt, dass durch Leiharbeit und Werkverträge die einheitliche Belegschaftsstruktur aufgebrochen und das Arbeitsrecht untergraben werde. Die Gewerkschaft zementiere und „vertiefe“ mit ihrer Vereinbarung diese systematische Spaltung der Belegschaften.

Auch der Sozialwissenschaftler und Arbeitsmarktpolitiker Stefan Sell von der Hochschule Koblenz kritisiert auf seinem Blog „Aktuelle Sozialpolitik“ heftig die IG Metall. Unter dem Titel, „Wenn die Leiharbeiter in der Leiharbeit per Tarifvertrag eingemauert werden und ein schlechtes Gesetz mit gewerkschaftlicher Hilfe noch schlechter wird“, stellt er die Frage: „Ist es nicht eigentlich der Sinn tarifvertraglicher Regelungen, dass damit die Arbeitnehmer bessergestellt werden und gerade nicht schlechter?“ Dies sei nun ins Gegenteil verkehrt worden.

Auf ihrer Website „igmetall-zoom.de“ räumt die IG Metall-Spitze ein, dass es „viel Kritik an dem neuen Tarifvertrag für Leiharbeit“ gibt, und sieht sich zu einer Stellungnahme gezwungen. Sie lässt den IG Metall-Bevollmächtigten von Köln-Leverkusen Wittich Roßmann zu Wort kommen, der langatmige Beispiele und Berechnungen über angebliche Vorteile aufzählt.

Den wirklichen Beweggrund für die Haltung der IG Metall verdeutlicht ein Fallbeispiel aus der Perspektive eines Betriebsrats des Entwicklungszentrums der Kölner Ford-Werke. „In Bereichen der hochqualifizierten Beschäftigung in internationalen Arbeitsverbünden (…) richtet sich die Vergabe von Projekten und Entwicklungsprogrammen nicht nur nach bestehenden Dauerarbeitsplätzen“, sagt dieser Betriebsrat, der nicht mit Namen genannt wird.

Die Unternehmen schreckten wegen „häufig schwankenden Arbeitslasten und nicht absehbaren Zeiträumen für Bedarfe an bestimmten Qualifikationen“ davor zurück, feste Stellen zu schaffen, erläutert er und zieht die Schlussfolgerung: „Dies führt dazu, dass Betriebsräte dem Einsatz von Leiharbeitnehmern – entgegen den eigenen Grundsätzen – zustimmen, um entsprechende Projekte und Programme (…) in deutschen Standorten zu halten oder sie dorthin zu bekommen.“

Weiter führt der Betriebsrat aus, man habe ohne eine tarifliche Öffnungsklausel nur zwei Alternativen: „Wir beenden die entsprechenden Projekte und verlagern sie an andere globale Standorte. Wir beachten die Fristen für die Leihleute, beenden deren Einsatz hier und ersetzen sie durch neue Leihbeschäftigte, damit die Projekte hier weitergeführt werden können. Wir finden, beides kann man nicht wollen. Solange andere wichtige Länder (USA, Türkei, China um die für uns wichtigsten zu nennen) Leiharbeit gar nicht begrenzen, werden solche Kompromisse nötig bleiben.“

Mit dem TV LeihZ könne man nun den „Balanceakt“ weiter betreiben, fährt Wittich Roßmann in seinem Fallbeispiel aus der Perspektive des Betriebsrats fort: „Einerseits so viel wie möglich Aufträge und Arbeitsplätze nach Deutschland zu holen, und andererseits so viel Menschen, wie möglich, einen festen Ford-Arbeitsvertrag zu beschaffen.“

Unter dieser IG Metall Stellungnahme, die am 20. April auf Facebook gepostet wurde, finden sich empörte Kommentare. „Ihr habt die Leiharbeiter verkauft und verraten! Schämt euch!“ schreibt Horst Schneider. Ein anderer, Alexander Brandner, nennt das IGM-Statement „hilflos“ und wendet sich gegen die ständige „Drohung der Standortverlagerung“.

Verdi-Mitglied Renate Angstmann sagt: „Die IG Metall erleichtert Unternehmen exzessive Leiharbeit über den gesetzlichen Rahmen hinaus.“ Die angeführten Beispiele zeigten, „wie erpressbar solche Öffnungsklauseln Betriebsräte machen“. Edeltraud Thiel-Rogee, spricht davon, dass „hier Arbeitnehmerinteressen verraten“ werden, sie sei „sehr traurig“. Und Frank Becker bemerkt kurz und knapp: „Die IGM vertritt nur ihre Interessen, der Rest ist Lüge.“

Aus der Leiharbeiter-Tarifvereinbarung der IG Metall ergeben sich zwei wichtige Schlussfolgerungen. Erstens: Wie das Fallbeispiel des Ford-Betriebsrats deutlich macht, unterstützt die IG Metall völlig die Position der Unternehmensleitungen, die „Auftragsspitzen“ kostengünstig abwickeln will. Dabei werden die Arbeitsbedingungen, wie der Betriebsrat offen zugibt, am Niveau von Ländern wie der Türkei, USA oder China gemessen, wo die Ausbeutungsbedingungen der Arbeiter schon extreme Ausmaße angenommen haben.

Zweitens: Die IG Metall zwingt die Arbeiter zu dauerhaften Niedriglöhnen und prekären Arbeitsverhältnissen, indem sie mit Produktionsverlagerungen in andere Länder droht. Sie spaltet die Arbeiter nicht nur in Stammbelegschaft, Zeit- und Leiharbeiter und Beschäftigte mit Werkverträgen, sondern verbreitet das Gift des Nationalismus und hetzt Arbeiter gegen die Beschäftigten in anderen Ländern auf. Sie fordert Niedriglöhne und Abbau von Sozialleistungen, um „so viel wie möglich Aufträge und Arbeitsplätze“ nach Deutschland zu holen.

Dieselbe nationalistische Politik betreiben die Gewerkschaften auch in den anderen Ländern. Die Autoarbeitergewerkschaft UAW hat sich kürzlich demonstrativ an die Seite des US-Präsidenten Trump und seine Handelskriegs- und Kriegspolitik gestellt.

Hier wie dort haben sich die Gewerkschaften längst aus Arbeitnehmerorganisationen in Partnerorganisationen der Arbeitgeber verwandelt. Sie sind prokapitalistisch und durch und durch nationalistisch.

Überall sind Arbeiter damit konfrontiert, dass sie die Abwärtsspirale bei ihren Arbeits- und Lebensbedingungen nur stoppen können, wenn sie die Kontrolle der Gewerkschaftsapparate durchbrechen und sich unabhängig organisieren, um einen gemeinsamen internationalen Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen.

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