Wie alle anderen bürgerlichen Parteien benutzt auch Die Linke den Wahlerfolg der rechtsextremen AfD, um deren ausländerfeindliches Programm zu übernehmen. Die Argumentation folgt dabei stets demselben Muster.
Der Gründervater der Linken, Oskar Lafontaine, behauptet auf seiner Facebook-Seite, der Schlüssel für die „mangelnde Unterstützung durch diejenigen, die sich am unteren Ende der Einkommensskala befinden“, sei „die verfehlte ‘Flüchtlingspolitik’“. Dieser Vorwurf treffe nicht nur Die Linke, „sondern alle bisher im Bundestag vertretenen Parteien“.
Er wettert gegen die „‘Flüchtlingspolitik’ der zu Recht abgestraften ‘Flüchtlings-Kanzlerin’“ und attackiert in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse auch die beiden Vorsitzenden der eigenen Partei, Katja Kipping und Bernd Riexinger. Er wirft ihnen – zu Unrecht – vor, sie verträten die Forderung, „alle, die nach Deutschland kommen wollen, aufzunehmen“. Das sei „völlig unrealistisch“.
In bewährter AfD-Manier spielt Lafontaine die ärmsten Teile der Bevölkerung gegen Flüchtlinge aus, die in ihrer großen Mehrzahl aus den Kriegsgebieten Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Osten nach Europa geflohen sind, als wären die Flüchtlinge – und nicht die SPD (und in vielen Ländern auch die Linkspartei) – für Hartz IV, Sozialabbau, Lehrermangel, sinkende Renten und Steuergeschenke an die Reichen verantwortlich.
Die „soziale Gerechtigkeit“ verpflichte „dazu, denen zu helfen, die darauf am meisten angewiesen sind“, schreibt Lafontaine. Man dürfe „die Lasten der Zuwanderung über verschärfte Konkurrenz im Niedriglohnsektor, steigende Mieten in Stadtteilen mit preiswertem Wohnraum und zunehmende Schwierigkeiten in Schulen mit wachsendem Anteil von Schülern mit mangelnden Sprachkenntnissen nicht vor allem denen aufbürden, die ohnehin bereits die Verlierer der steigenden Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen sind.“
Dann fügt er hinzu: „Die Erfahrung in Europa lehrt: Wenn diese Menschen sich nicht mehr durch linke bzw. sozialdemokratische Parteien vertreten fühlen, wählen sie in zunehmendem Maße rechte Parteien.“
Worauf Lafontaine damit hinaus will, ist offensichtlich: Nicht die soziale Katastrophe, welche die Linkspartei und die SPD insbesondere in Ostdeutschland und im Ruhrgebiet angerichtet haben, hat viele Arbeiter in die Hände der AfD getrieben, sondern ihre mangelnde Härte in der Flüchtlingspolitik. Um der AfD das Wasser abzugraben, muss die Linke deshalb deren Flüchtlingshetze übernehmen, so die Logik von Lafontaines Argumentation.
Tatsächlich lehren alle historischen und internationalen Erfahrungen, dass die Übernahme des Programms der Rechtsextremen durch die etablierten Parteien die Rechtsextremen nicht schwächt, sondern stärkt. Das weiß auch Lafontaine. Ihm geht es auch nicht um die Eindämmung der AfD. Der erfahrene Politiker, der 33 Jahren seines Lebens in der SPD verbrachte, davon 13 Jahre als saarländischer Ministerpräsident und vier als Parteivorsitzender, ist er Experte in der Unterdrückung sozialer Konflikte.
Lafontaine ist weit mehr über das Anwachsen sozialer und politscher Opposition besorgt, als über den Einfluss der AfD. Deshalb hat er ein Interesse daran, die rechte, ausländerfeindliche Ideologie zu stärken, mit der die AfD die wachsende Wut und Empörung in eine nationalistische Sackgasse lenkt.
Bezeichnenderweise verbindet Lafontaine seine Flüchtlingshetze mit einer Annäherung an die SPD. In der Passauer Neuen Presse sprach er sich für die Bildung eines rot-roten Bündnisses auf Bundesebene aus. „Das müssen jetzt die in Angriff nehmen, die bei SPD und Linkspartei die Verantwortung tragen, um den weiteren Niedergang der politischen Linken zu verhindern“. SPD und Linkspartei dürften sich im neuen Bundestag nicht bekämpfen: „Das wäre jetzt die falsche Antwort. In ganz Europa ist zu beobachten, dass eine Zersplitterung nicht weiterhilft“, so Lafontaine.
Die arbeiterfeindliche Inhalt seiner Rechtsoffensive ist offensichtlich. Unter Bedingungen einer explosiven sozialen und politischen Krise in Deutschland und Europa rücken Linkspartei und SPD enger zusammen, um den wachsenden Widerstand gegen Militarismus, Staatsaufrüstung und Sozialabbau zu unterdrücken.
Bezeichnenderweise schlug Andrea Nahles, die neue Fraktionsvorsitzende der SPD, die über enge Verbindungen zu Lafontaine verfügt, in einem Interview in der aktuellen Ausgabe des Spiegel die gleichen rechten Töne an.
„Wir sind nicht naiv. Wenn eine Million Menschen zu uns kommen, sind nicht alle nur nett. Und wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit harten Konsequenzen rechnen,“ drohte sie in bester AfD-Manier. Auf die Frage, ob der Staat in der Lage sein müsse, seine Grenzen zu schließen, antwortete Nahles: „Ja, denn ein Staat muss auch in der Lage sein, Staat zu sein. Er ist eine regulierende, organisierende, ermöglichende, aber auch strafende und begrenzende Kraft. Wenn das infrage gestellt wird, geht es auf die Dauer nicht gut.“
Lafontaine und Nahles folgen einer klaren Strategie. Unter Bedingungen der sich verschärfenden sozialen und politischen Krise in Deutschland und Europa übernehmen sie das fremdenfeindliche und nationalistische Programm der Ultrarechten, um die Arbeiterklasse zu spalten und den Staatsapparat gegen die Gefahr einer sozialen Revolution zu stärken.
Kaum jemand verkörpert diese reaktionäre Politik so stark wie Lafontaine. Bereits Anfang der 1990er Jahre zählte er zu den Hardlinern in der Flüchtlingspolitik. Als sich im August 1990 der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und spätere Bundespräsident Johannes Rau (SPD) öffentlich hinter Lafontaine stellte, kommentierte der Spiegel: „Nordrhein-Westfalens SPD-Regierung will das Asylrecht verschärfen – ganz im Sinne des Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine.“
Im August 1992 setzte Lafontaine zusammen mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Björn Engholm inmitten einer Welle ausländerfeindlicher Terroranschläge die sogenannte „Petersburger Wende“ durch – die Neupositionierung der SPD in der Asyl- und Außenpolitik, die zur faktischen Abschaffung des Asylrechts im sogenannten Asylkompromiss führte. Ein zentrales Element war dabei die sogenannte „Drittstaatenregelung“. Diese legte den Grundstein für die heutigen Massenabschiebungen: Asylbewerber aus „sicheren Drittstaaten“ können ohne weitere Prüfung abgelehnt werden. Lafontaine bezeichnete das als „einen wirklichen Schritt nach vorne“.
Nach seinem Austritt aus der SPD 1999 blieb Lafontaine seiner Linie treu. 2004 unterstützte er die damals umstrittenen Pläne von Innenminister Otto Schily (SPD), Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika zu errichten. 2005 hetzte er dann gezielt gegen „Fremdarbeiter“. Der Staat sei verpflichtet, „zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“, erklärte er in einer berüchtigten Rede in Chemnitz.
In den vergangenen drei Jahren haben Lafontaine und seine Frau, die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Sahra Wagenknecht, die Flüchtlingspolitik der konservativen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) immer wieder von rechts angegriffen. Nun unterscheiden sich ihre Positionen kaum noch von denen der rechtsextremen AfD. In der letzten TV-Debatte vor der Bundestagswahl lobte ausgerechnet AfD-Vize Alexander Gauland die Spitzenkandidatin der Linkspartei mit den Worten: „Was Frau Wagenknecht sagt, ist richtig.“
Selbst Gregor Gysi, der traditionell den rechten Flügel der Linkspartei anführt, sah sich jüngst in einem Kommentar im Neuen Deutschland gezwungen, vor dem Ende der Linken „als linke Partei“ zu warnen, sollte sich der Kurs von Lafontaine und Wagenknecht durchsetzen.