Perspektive

Die Festnahme Puigdemonts und der Aufbau eines europäischen Polizeistaats

Die Verhaftung des früheren katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont in Deutschland ist ein großer Schritt zu einem europäischen Polizeistaat. Die europäischen Polizeistrukturen, die unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und der Flüchtlingsabwehr entstanden sind, werden nun zur Verfolgung politischer Gegner eingesetzt.

Puigdemonts Festnahme erfolgte auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls. Dieser wurde 2004 eingeführt, um nach dem Wegfallen der Grenzkontrollen die Auslieferungsverfahren zwischen den EU-Ländern zu vereinfachen. Er sollte angeblich dazu dienen, Terrorismus, kriminelle Vereinigungen, Menschenhandel, Drogenschmuggel und andere Schwerverbrechen zu bekämpfen.

Die Polizei, die Geheimdienste und die Justiz der EU-Mitglieder arbeiten seither immer enger zusammen. Die Verhaftung Puigdemonts erfolgte laut einem Bericht des Spiegel in Abstimmung zwischen dem spanischen Geheimdienst, der Puigdemont quer durch Europa mit zehn bis zwölf Agenten beschattete, und dem deutschen Bundeskriminalamt, das vom spanischen Geheimdienst im Voraus über das Auto und die mutmaßliche Fahrtroute Puigdemonts informiert wurde und die Festnahme organisierte.

Das einzige „Verbrechen“, dessen sich Puigdemont schuldig gemacht hat, ist sein Eintreten für die Abtrennung Kataloniens von Spanien. Dasselbe Ziel – die Abspaltung ganzer Regionen und Staaten – haben die europäischen Mächte und die USA im Falle Jugoslawiens und der Sowjetunion mit rücksichtsloser Gewalt verfolgt. Im Gegensatz dazu haben sich die katalanischen Separatisten demokratischer und friedlicher Mittel bedient – Wahlen, Parlamentsbeschlüsse und Demonstrationen.

Trotzdem fährt der spanische Staat gegen sie seine schwersten juristischen Geschütze auf und hat dabei die volle Unterstützung der deutschen Regierung und der Europäischen Union. Puigdemont und 24 weitere katalanische Politiker sind der „Rebellion“ angeklagt, darauf stehen bis zu dreißig Jahren Haft. Der entsprechende Paragraf im deutschen Strafgesetzbuch, auf dessen Grundlage Puigdemont möglicherweise ausgeliefert wird, bestraft „Hochverrat gegen den Bund“ mit einer Freiheitsstrafe zwischen zehn Jahren und lebenslänglich.

Beide Straftatbestände setzen den Einsatz von Gewalt voraus. Um Puigdemont diesen nachzuweisen, greift der zuständige spanische Richter Pablo Llarena zu den absurdesten Konstruktionen. Er wirft ihm vor, er habe bei Protesten gegen eine Razzia spanischer Einsatzkräfte in katalanischen Ministerien das Risiko von Gewalttaten durch eine aufgeheizte Menge in Kauf genommen.

Die deutsche Regierung, die sonst gerne Russland, die Türkei und andere Länder wegen Justizwillkür kritisiert, unterstützt diese juristische Farce. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, die Festnahme sei auf Basis der deutschen Gesetze und der Regelungen zum europäischen Haftbefehl erfolgt. Spanien sei ein demokratischer Rechtsstaat.

Er erhielt umgehend Beihilfe von einem deutschen Rechtsprofessor. Martin Heger, der an der Berliner Humboldt-Universität den Lehrstuhl für Europäisches Strafrecht innehat, erklärte auf Spiegel Online: „Die Rechtslage ist im Prinzip einfach: Wenn ein EU-Haftbefehl vorliegt, wird dieser auch vollstreckt, sofern die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. … Also steht fest: Deutschland muss Puigdemont ausliefern.“

Puigdemont ist ein pro-kapitalistischer bürgerlicher Politiker, dessen Katalanische Europäische Demokratische Partei (PDeCAT) der liberalen Fraktion (ALDE) im Europaparlament angehört. Wenn ein liberaler, demokratisch gewählter Politiker wie Puigdemont in der Europäischen Union als Hochverräter verfolgt wird, kann man sich leicht vorstellen, wie es den Führern einer wirklichen Rebellion ergehen würde – den Anführern von Massenprotesten oder einem Generalstreik, der die kapitalistische Herrschaft in Frage stellt.

Hier liegt der tiefere Grund für den Aufbau eines europäischen Polizeistaats und die enge Zusammenarbeit zwischen Berlin und Madrid. Es geht darum, jede Form von Opposition, Widerstand und Protest einzuschüchtern und zu ersticken.

Europa steht am Rand heftiger Klassenkämpfe. Die sozialen Beziehungen sind zum Zerreißen gespannt. Kaum ein europäisches Land verfügt über eine stabile Regierung. Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy führt eine Minderheitsregierung, die unter dem Druck massiver soziale Proteste steht. Allein am letzten Samstag gingen mehrere Hunderttausend Rentner auf die Straße. Frankreich erlebte am selben Tag Massenproteste gegen die Arbeitsmarktreformen von Präsident Macron. In Deutschland hat die Neuauflage der Großen Koalition, die erst nach seiner sechsmonatigen Krise zustande kam, in den Umfragen bereits keine Mehrheit mehr.

Die herrschende Klasse Europas reagiert auf die explosiven Klassenspannungen, indem sie zu autoritären und diktatorischen Herrschaftsformen zurückkehrt. Während die EU zunehmend auseinanderbricht, rücken die Regierungen enger zusammen, wenn es um den Aufbau eines Polizeistaats geht.

Am vergangenen Freitag hielt der neue deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Bundestag seine Antrittsrede, in der er den Aufbau eines Polizeistaats beschwor. Sicherheit sei „ein Menschenrecht“, und dafür setze er sich jeden Tag ein, verkündete er und fuhr fort: „Auf europäischer Ebene müssen wir alles daransetzen, die vielen Datenbanken so miteinander zu verknüpfen, dass unsere Sicherheitsbehörden künftig schneller und zielgerichteter agieren können.“ Zwei Tage danach zeigte die Verhaftung Puigdemonts, was damit gemeint war.

Die Zusammenarbeit zwischen Madrid und Berlin im Fall Puigdemont ruft Erinnerungen an die finsterste Periode der europäischen Geschichte wach. Schon 1940 hatten deutsche Behörden einen katalanischen Ministerpräsidenten festgenommen. Damals verhaftete die Gestapo Lluis Companys, der 1936 ins französische Exil geflohen war, nachdem General Franco mit deutscher Militärhilfe die spanische Revolution niedergeschlagen und seine blutige Diktatur errichtet hatte. Sie lieferte Companys nach Madrid aus, wo er gefoltert, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.

Die World Socialist Web Site verurteilt die Verhaftung Puigdemonts und fordert seine sofortige Freilassung. Das Vorgehen der deutschen Behörden gegen ihn ist eine Warnung. Der einzige Weg, den Aufbau eines Polizeistaats und die Rückkehr zu Krieg und Militarismus zu verhindern, ist die Entwicklung einer sozialistischen Bewegung, die die europäische und internationale Arbeiterklasse im Kampf gegen soziale Ungleichheit, Diktatur und Krieg vereint.

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