„Berlin brennt“: Feuerwehrleute wehren sich gegen Sparpolitik von Rot-Rot-Grün

Schon seit über einer Woche protestieren mehr als hundert Feuerwehrleute mit einer Mahnwache gegen die verheerenden Zustände im Berliner Notrettungssystem. Katastrophale Arbeitsbedingungen, viel zu wenig Personal, schlechte Ausstattung und schließlich die Einführung eines Zwölf-Stunden-Schichtsystems zu Jahresbeginn haben das Fass zum Überlaufen gebracht.

Auf einem kleinen Platz vor dem Roten Rathaus, eingezwängt und schlecht sichtbar zwischen den Zäunen der dortigen Baustellen, stehen die Feuerwehrleute seit dem 26. März in abwechselnden Schichten bei Regen und Kälte. Mit einem großen Holzfeuer in einer Feuertonne setzen sie ihrem Motto – „Berlin brennt“ – ein symbolisches Zeichen, um auf die „lebensbedrohliche Situation für die Berliner Bevölkerung“ aufmerksam zu machen.

Die Feuerwehrleute richten sich in ihrem Protest konkret gegen die Ignoranz der rot-rot-grünen Regierung. Unter dem Druck eines drohenden Kollapses des Notrettungssystems haben sich Verdi, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) Berlin-Brandenburg gezwungen gesehen, wenigstens diese Mahnwache einzurichten.

Im Gespräch mit einem Team der WSWS machten die Feuerwehrleute deutlich, dass die Berliner Parteien aller Couleur für den drohenden Zusammenbruch verantwortlich sind.

Bernd ist Einsatzleiter der Brandwache Berlin-Tegel und seit 32 Jahren bei der Berliner Berufsfeuerwehr. Wie er berichtet, ist die Unterfinanzierung schon seit der Wende 1989 ein Problem. „Die Sparerei ging schon vor dreißig Jahren los und verschlimmerte sich immer mehr. Wir sind am Ende. Es fängt an, für die Berliner Bevölkerung gefährlich zu werden. Wir können das nicht mittragen!“

Sein Kollege K., der lieber anonym bleiben möchte, fügt hinzu: „Wir fahren im Moment rund 1500 Einsätze pro Tag und haben die gleiche Anzahl Personal wie zu Zeiten des Mauerfalls, also etwa 4000 Leute inklusive Verwaltungspersonal. Etwa 600 Einsatzbeamte tun tagsüber in den rund 35 Wachen Dienst. Dieselbe Anzahl Einsatzbeamter hatten wir in Westberlin vor dem Mauerfall bei nur bis zu 700 Einsätzen pro Tag.“

Die Berliner Berufsfeuerwehr, die 2007 rund 280.000 Einsätze bewältigte, hatte 2016 bereits über 430.000 Einsätze zu leisten. Im vergangenen Jahr gab es rund 918.000 Notrufe. Das ist mehr als eine Verdopplung der Arbeitsbelastung im Vergleich zu 2016.

Das vorhandene Personal reicht vorne und hinten nicht: Die sprunghaft gestiegene Anzahl der Notrufe, die vielen Ausnahmezustände und der eigene hohe Krankenstand führen zur permanenten Überlastung.

Auf die Frage, ob die Stellenbesetzung seiner Brandwache in Tegel ausreiche, antwortet Bernd: „Nein, nicht alle Stellen sind besetzt. Selbst wenn alle besetzt wären, würden die Stellen nicht reichen.“ Laut Berliner Morgenpost sind allein in der Notruf-Leitstelle 26 Stellen unbesetzt.

Die Arbeitsbelastung sei extrem hoch. Das bestätigt auch K. „Wir kommen mit der ganzen Arbeit auf der Wache nicht mehr nach.“ Neben den Rettungseinsätzen bewältigen sie die Reinigung, die Instandhaltung, die Dokumentation der Einsätze, das Vorhalten von Ressourcen und vieles mehr: „Darüber hinaus sind wir Selbstversorger. Woanders geht man in die Kantine.“

Einer der Feuerwehrleute ist jeweils für die Technik und für die Fahrzeuge zuständig; er spricht mit der Werkstatt, wenn etwas kaputt ist. Auch müssen sie im Fernmeldedienst dafür sorgen, dass „alles, was wir an Funkgeräten und an Fernmeldetechnik haben“, in Stand gehalten wird.

Seit Jahresbeginn hat die Berliner Feuerwehr dutzende Male den „Ausnahmezustand Rettungsdienst“ ausgerufen, was bedeutet, dass die Auslastung der Retter zu 90 Prozent erreicht ist. In der Folge müssen Löschfahrzeuge aus dem Betrieb genommen werden, um die Notfallrettung aufrechtzuerhalten.

Um den endgültigen Kollaps zu vermeiden, haben die Behördenleitung und die Senatsinnenverwaltung versprochen, ab sofort eine „taktische Reserve von Rettungswagen“ auf jeder Wache vorzuhalten.

Das ist höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein. Mehrere Kollegen betonen, dass die vorhandenen Reserven schon längst ständig im Einsatz seien: „Spitzenauslastungen – wie früher nur an Silvester – kommen heute täglich vor.“ Die versprochenen Reserven sollten besser „gleich als aktives Fahrzeug oder Personal“ den Wachen zugeteilt werden.

In der Notrufzentrale steht darüber hinaus das „Standardisierte Notruf-Abfrage-Protokoll“, kurz SNAP, stark in der Kritik. Darauf angesprochen, erklären die Feuerwehrleute, dass ein Computersystem über die Kollegen hinweg bestimmte Entscheidungen treffe. „Abhängig davon, welche Antwort kommt, gibt der Computer einen anderen Fragebaum vor. Dann wird ein Alarmierungsstichwort gebildet“ und auf dieser Grundlage ein Kräfteaufgebot losgeschickt.

Problematisch daran sei, dass grundsätzlich jeder Anrufer zum Notfall werde, egal wie absurd die Antworten auf die einzelnen Fragen seien. Feuerwehrmann K.: „Das ist unser großes Handicap: Wir fahren ganz oft zu Einsätzen, wo kein wirklicher Notfall vorliegt.“ Doch würden die Kollegen sich gegen die Computervorgabe entscheiden, „wäre das ein Rechtsbruch, Befehlsverweigerung. Das könnte theoretisch auch zur Abmahnung führen.“

Früher trafen die Kollegen in der Notfallzentrale die Entscheidung selbst. „Wenn du zum siebten Mal anrufst und sagst, du hast Hunger, schicke ich dir immer noch keinen Rettungswagen.“ Mit dem 2004 eingeführten SNAP habe sich dies geändert.

Zusätzlich zum gestiegenen Arbeitsvolumen werden die Feuerwehrleute in dem zu Jahresbeginn 2018 eingeführten neuen Zwölf-Stunden-Schichtsystem „verheizt“.

Bernd erinnerte sich, dass wegen „der Misere mit dem Personalmangel“ schon vor zehn Jahren die Arbeitszeit von 44 auf 48 Wochenstunden erhöht wurde. „‚Vorübergehend‘ hieß es, bis wir wieder mehr Leute haben.“ Die Kollegen sammelten so viele Überstunden an, „dass wir zum Teil eine 55- bis 56-Stunden-Woche hatten. Damit verstießen wir gegen geltende Arbeitszeitgesetze.“ Erst nach Jahren, und auch nur, weil Kollegen das Land Berlin verklagt hatten, habe die Behörde wenigstens einen Teil der geleisteten Überstunden bezahlt.

Mit dem Zwölf-Stunden-Schichtsystem soll es keine Überstunden mehr geben. Doch die Schichten sind noch härter. Habe man in dem 24-Stunden-Schichtdienst noch ganze vier Tage frei gehabt, so seien es jetzt nur noch 2,5 Tage. Das Thema erhitzt spürbar die Gemüter.

Ein neu hinzugekommener Kollege erklärt den Wechselschicht-Rhythmus: „Wir fangen zum Beispiel Montag im Tagesdienst an, das dauert von 07.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Am Dienstag müssen wir in den Nachtdienst von 19.00 Uhr bis Mittwochfrüh um 07.00 Uhr. Mit jeweils zwölf Stunden haben wir Donnerstag wieder den Tagesdienst und Freitag den Nachtdienst bis Samstagfrüh um 07.00 Uhr. Dann haben wir 2,5 Tage frei.“

Da die Kollegen mit dem neuen Schichtsystem nicht auf ihre 48-Stunden-Woche kommen, müssen sie in den 2,5 freien Tagen oder zwischen den Diensten noch Sonderdienste übernehmen und an Fortbildungen teilnehmen.

Einer schimpft: „Ich bin gestern aus dem Tagesdienst nach Hause gekommen und habe meinen Kindern einen Gute-Nacht-Kuss gegeben. Dann habe ich noch zwei Stunden Fernsehen geschaut. Heute früh musste ich um 05.00 Uhr wieder zum Dienst.“ Ein weiterer ergänzt frustriert: „Zum Teil schläft man auf der Wache, weil es sich gar nicht mehr lohnt, nach Hause zu fahren.“

Alle bestätigten, dass diese sehr hohe Belastung sich auf den Krankenstand auswirke. Und noch immer gebe es Überstunden, die aber eingefroren oder gar nicht erst aufgeschrieben würden.

„Wir haben auch nicht genug Verantwortliche für den Rettungsdienst.“ Oft würden zehn, elf Einsätze in zwölf Stunden gefahren. Die Einsätze müssen anschließend dokumentiert werden, wofür jedoch keine Zeit bleibe. Einer berichtet, was für einen bürokratischen Druck die Wachvorsteher ausüben (denn sie können die Kosteneinziehung nur auf Grundlage der dokumentierten Alarme machen). Ihre Antwort lautet in so einem Fall: „Dann komm doch einfach zwei Stunden früher zum Nachtdienst und schreibe die Dokumentation in dieser Zeit.“

Ein anderer erzählt: „Wir haben bei uns auf der Wache immer den gleichen Kollegen im Rettungswagen, der am Steuer sitzt und nicht wechseln kann. Der geht am Stock. In zwölf Stunden fährt der manchmal elf Einsätze. Er fährt bis zu 150 km in einer Schicht. Zusätzlich muss er noch dem Notarzt assistieren und Medikamente aufziehen.“

Die Wartezeit auf einen Rettungswagen betrage teilweise bis zu 40 Minuten. Aber: „Der Senat stellt sich hin und sagt, wir halten doch die Hilfsfristen ein.“

Um diese Hilfsfristen einzuhalten, werde bei einem Notruf oft das erste beste Fahrzeug losgeschickt, um Erste Hilfe zu leisten. „Ein Notruf kommt rein wegen einer Schnittverletzung, und ein Löschfahrzeug mit sechs Mann Besatzung wird hingeschickt. Denn die Leute von der Leitstelle sind verpflichtet, überhaupt irgendein Fahrzeug zu schicken, wenn kein Rettungswagen verfügbar ist.“

Die Feuerwehrleute sind sich darin einig, dass ihre Arbeitsbedingungen einer falschen Politik geschuldet sind. Bernd betont: „Die Situation ist auch dem Gesundheitssystem geschuldet. Da kränkelt alles. Die Rettungswagen stehen teilweise Schlange an der Rampe. Wir kommen gar nicht hoch, und wenn wir dann auf die Rampe kommen, müssen wir erstmal warten, weil die Krankenschwestern überfordert sind.“

Auf die von der rot-rot-grünen Regierung geplante weitere Spezialisierung der Krankenhäuser angesprochen, erklärt Bernd, dies verursache bereits heute große Probleme: „Das Schlimmste jedoch sind die Intensivfälle. Der Patient ringt mit dem Leben, und wir kriegen kein Bett für ihn, weil die Intensivstationen überlastet sind. Dann kann es schon passieren, dass man einen frischen Herzinfarkt quer durch Berlin fahren muss.“

Obwohl laut Verdi akut 1000 zusätzliche Feuerwehrleute notwendig sind, um den Rettungsdienst abzudecken, werden nur rund 350 neue Stellen geschaffen. Gleichzeitig werden weitere Brandwachen eröffnet, und die Berliner Feuerwehr soll 36 neue Rettungswagen, 20 Notarzt-Fahrzeuge und 16 Lösch- und Spezialfahrzeuge erhalten.

Bernd würde sich freuen, „wenn jedes Jahr 350 eingestellt würden. Besser wäre es, gleich auf 500 jährlich zu erhöhen, denn viele gehen in Pension.“

Ein Kollege fordert: „Ein millionenschweres Sofortprogramm müsste her.“ Ein anderer wendet ein, dass die Kollegen auch besser bezahlt werden müssen. „Viele wollen gar nicht zu uns, denn selbst die Hilfsorganisationen zahlen mehr.“

Die Situation der Feuerwehrleute hat vielen klargemacht, mit welcher Verachtung die Berliner Regierung mit den sozialen Fragen umgeht. Auch das Vertrauen in die Gewerkschaften ist nicht mehr groß.

Ein Kollege ist aus seiner Gewerkschaft ausgetreten, weil sie zu wenig unternommen habe, und 2015 habe es beinahe einen „wilden“ Streik gegeben. Bernd bestätigt: „Das war die Operation Paukenschlag. Aber dann wurde gesagt, wer zu Hause bleibt, auch mit Krankenschein, hat mit Konsequenzen zu rechnen. Das ging durch Funk und Fernsehen, und der Druck auf die Kollegen war so hoch, dass am Tag des Aufrufs der Krankenstand so niedrig war wie nie.“

Die Feuerwehrleute hoffen, dass ihr Kampf besser bekannt wird. „Auf unserer Facebook-Seite bekommen wir unglaublich viel Solidarität“, sagt Bernd. Dort gehen täglich Grußadressen von Feuerwehrleuten und ihren Familien aus Deutschland und weltweit sowie Sympathiebekundungen aus verschiedensten Berufssparten ein.

Ihre Mahnwache wollen sie fortsetzen, obwohl diese zwischen den Bauzäunen kaum auffällt, während 100 Meter weiter viele Berliner und Touristen vorbeigehen. Laut Verdi sei kein anderer Platz genehmigt worden. Dies macht deutlich, dass sich die Feuerwehrleute nicht einmal mit der allereinfachsten Aufgabe, eine Mahnwache vernünftig zu organisieren, auf Verdi und die andern Gewerkschaften verlassen können.

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