Am gestrigen Dienstag setzten die Flughafenkontrolleure ihre Warnstreiks fort. An den acht Verkehrsflughäfen Frankfurt am Main, München, Hamburg, Bremen, Hannover, Leipzig/Halle, Dresden und Erfurt sorgten die ganztägigen Streiks für den Ausfall von fast 1200 Flügen. Schon vergangene Woche hatte das Sicherheitspersonal in Berlin Tegel und Schönefeld, sowie Düsseldorf, Köln/Bonn und Stuttgart die Arbeit niedergelegt.
Am größten Luftfahrt-Drehkreuz, dem Rhein-Main-Airport in Frankfurt, beteiligten sich rund tausend Streikende am Ausstand, der von 2 Uhr früh bis in die Abendstunden dauerte. Von geplanten 1200 Flügen wurden hier 610, also über die Hälfte, gestrichen. An allen acht Flughäfen waren nach Angaben des Flughafenverbandes ADV bis zu 220.000 Passagiere betroffen.
In der Bevölkerung stieß der Streik auf große Sympathie. Die meisten Passagiere, die von Pressejournalisten befragt wurden, unterstützten die Streikenden, obwohl der Ausstand ihnen persönlich Schwierigkeiten bereitete. „Der Streik ist an sich nicht das Problem“, sagte ein in Frankfurt gestrandetes Paar. „Von der Fluggesellschaft fühlen wir uns allein gelassen, aber der Streik ist offensichtlich berechtigt.“ Eine junge Frau sagte: „Man möchte ja selbst auch nicht unterbezahlt sein.“
Als Verdi die Streikenden an der Autobahn entlang demonstrieren ließ, hupten viele LKW-und andere Fahrer zur Unterstützung. Bestimmt erinnerte das Bild der gelben Streikwesten manchen an die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich, und viele sagten sich wohl: „Wir sollten alle auf die Straße gehen.“
Unternehmerverbände und manche Medien kritisierten dagegen den Streik heftig. „Verdi greift zur ganz großen Keule“, schrieb der Tagesspiegel am Dienstag. „Völlig überzogen“ sei der Streik, ließ der Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen (BDLS) wissen. Die Löhne der Beschäftigten in der Luftsicherheit seien schon heute höher als diejenigen im normalen Wach- und Sicherheitsgewerbe.
Das seien „keine Warnstreiks mehr, sondern regelmäßige Erzwingungsstreiks“, behauptete Dirk Pollert, Geschäftsführer der Vereinigung hessischer Unternehmerverbände (VhU). Er forderte, man müsse sie verbieten: „Jede Form von Streikaktionen muss gesetzlich solange verboten werden, bis die Verhandlungen der Tarifvertragsparteien endgültig gescheitert sind,“ so Pollert.
Lautstark beschwerten sich die betroffenen Flughäfen. „Einmal mehr werden die Flughäfen als Schauplatz in einem Arbeitskampf missbraucht, bei dem sie noch nicht einmal Tarifpartei sind,“ schimpfte der Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbands ADV, Unternehmensberater Ralph Beisel. Sein Argument ist absurd: Es sind die Flughafengesellschaften wie Fraport selbst, die seit Jahrzehnten immer neue Bereiche ausgegliedert und die Subunternehmen angeheuert haben. Während beispielsweise in München die Passagierkontrolleure noch immer nach dem Tarif des Öffentlichen Diensts bezahlt werden, hat Fraport diese Kontrollen längst in das eigens geschaffene Subunternehmen Frasec und andere Unternehmen ausgegliedert.
Interessant ist die Kritik aus Kreisen der DGB-Gewerkschaften selbst. Der Tagesspiegel zitierte den Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder (Uni Kassel), der 15 Jahre lang IG-Metall-Referent war. Schröder warnte Verdi, die Gewerkschaften müssten „berechenbar, verlässlich und regelkonform agieren, um die Sozialpartnerschaft nicht zu gefährden … Es darf nicht zu einer überzogenen Demonstration von Mächtigkeit einer Gruppe kommen, die über eine spezielle Macht verfügt.“
Allerdings hält die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi es gerade jetzt für notwendig, ein Ventil für die enorme Unzufriedenheit und hohe Kampfbereitschaft an den Flughäfen zu schaffen.
Die Warnstreiks sind Teil der Tarifverhandlungen mit dem Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen (BVLS), der in bisher vier Verhandlungsrunden nur eine Lohnerhöhung von jährlich 2 Prozent im Westen und bis zu 6 Prozent im Osten angeboten hat. Eine Angleichung von Ost und West wollen die Unternehmer erst bis 2024 vornehmen. Verdi fordert offiziell einen bundesweit einheitlichen Stundenlohn von 20 Euro bei einer Laufzeit von zwei Jahren, während die jetzigen Löhne zwischen 11,30 (in Thüringen) und 17,16 Euro (Maximum im Westen) schwanken.
Die Verhandlungen betreffen 23.000 Beschäftigte privater Sicherheitsunternehmen, die im Auftrag der Bundespolizei an den Flughäfen Kontrollen der Passagiere, des Personals und der Warenzugänge durchführen. Diese Bereiche wurden von den Flughafengesellschaften vor zwanzig Jahren mit Hilfe der Gewerkschaften bewusst aus den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes herausgelöst, um Kosten zu sparen.
Natürlich weiß Verdi genau, dass sich bis zu den nächsten Verhandlungen, die seit langem für den 23. Januar festgelegt sind, nichts Wesentliches an den Löhnen mehr ändern wird. Allerdings hat die Gewerkschaft schon im Oktober zugesagt, mit dem neuen Tarif auch die Grundstruktur der Tätigkeiten zu verändern. In einem Gespräch auf dem Luftfahrtgipfel mit Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Oktober wurde beschlossen, dass die Regierung und die Bundespolizei künftig den Beruf der Flughafen-Kontrolleure flexibler gestalten werden.
Bisher dürfen die Kontrolleure für Fracht und Personal nach dem Luftsicherheitsgesetz keine Passagiere kontrollieren. Das darf nur das Personal, das von der Bundespolizei besonders trainiert und geprüft ist. Künftig soll es aber nur noch einen Beruf vom Rang einer IHK-geprüften Fachkraft geben, damit sämtliches Personal bei Passagierkontrollen einspringen darf. Das Ziel ist eine erhebliche Steigerung der pro Stunde kontrollierten Passagiere.
Für die Beschäftigten wird das mit noch größerem Druck, mehr Flexibilität und dem Springen zwischen unterschiedlichen Bereichen verbunden sein. Diese Neuerung hat die ausdrückliche Unterstützung von Verdi. Das steckt hinter ihrer aktuell plakativen Forderung von 20 Euro, und auch aus diesem Grund versucht Verdi mit den Warnstreiks, an den Flughäfen Präsenz zu zeigen und die Kontrolle nicht zu verlieren. Erst in letzter Minute hat die Gewerkschaft die Warnstreiks vom Dienstag, die ursprünglich nur für Frankfurt und einen weiteren Flughafen angekündigt waren, auf insgesamt acht Flughäfen ausgedehnt.
Die große Unzufriedenheit zeigte sich in allen Gesprächen am Tor 3, wo sich die Frankfurter Streikenden versammelten.
„Dass wir streiken, das war schon längst überfällig“, sagte Jorge aus Spanien. (Jorge heißt in Wirklichkeit anders, aber viele hatten Bedenken, ihre richtigen Namen publiziert zu sehen. Nicht nur weil sie für die Bundespolizei arbeiten müssen. Auch Verdi hatte sie schriftlich davor gewarnt, mit Pressevertretern zu sprechen.) „Die Arbeit ist auf Dauer schwer erträglich“, so Jorge weiter.
„Wir sollten hier gegen die ganzen Arbeitsbedingungen streiken“, ergänzte Manuela, die nicht ganztags arbeitet, weil sie noch ein kleines Kind hat. „Wir haben zu wenige Pausen. Man steht manchmal sechs Stunden am Gerät, ohne rauszukommen. Früher war Pflicht, dass wir nach drei Stunden Pause hatten.“
Als ein Verdi-Vertreter großspurig vom Podium herab verkündete: „Was ihr hier macht, ist großartig. Ihr setzt ein Zeichen. Gemeinsam müssen wir den Arbeitgebern die Stirn bieten“, rief ein Arbeiter laut dazwischen: „Apropos Bedingungen: Wir fordern mehr Pausen!“
Arbeiter berichteten, dass sie in einer Zehnstundenschicht gerade mal 45 Minuten Pause bekommen. „Und bei acht Stunden haben wir nur eine halbe Stunde Mittagspause“, sagte Manuela. „Hinzu kommt, dass wir in der Pause schon wieder schauen müssen, wo wir als nächstes hindürfen. Und Wegezeit wird nicht bezahlt.“
„Versuche mal, die Familie unter einen Hut zu bringen, wenn du zehn Stunden arbeitest“, fuhr sie fort. „Die Anreise ist da nicht mitgerechnet. Viele kommen von weit her, weil in Frankfurt ja keine Wohnung zu finden ist. Jetzt überleg mal: wenn du um zwei Uhr anfangen musst, geht’s um Mitternacht los.“
Tatsächlich berichteten uns Arbeiter, dass sei aus Hanau, Flörsheim, Wiesbaden oder sogar Bonn zur Arbeit anreisen müssen.
Eine weitere Security-Mitarbeiterin sagte: „Wir sind definitiv zu wenig Frauen. Wir dürfen ja nur gleichgeschlechtlich kontrollieren, d. h. Männer kontrollieren die Männer, und Frauen die Frauen. In den Gruppen, die im Minimum aus fünf Personen bestehen, ist fast immer nur eine Frau. Das heißt für uns permanent Stress.“
Jannis aus Griechenland sagte: „Unsere Schichten wechseln ständig. Eine Schicht geht um 1:15 Uhr nachts los. Dann gibt es stündliche Rotation bis um 19 Uhr, dann ist Feierabend, denn um 23 Uhr ist ja hier Flugverbot.“ Dann setzte er hinzu: „Meine Ehe hat das nicht ausgehalten. An meinen Arbeitsbedingungen ist meine Ehe kaputtgegangen.“
Ein Kollege berichtete: „Wir arbeiten immer fünf Tage und haben dann zwei Tage frei, aber manchmal ist es auch nur ein Tag. Die Schicht wechselt ja permanent, es ist immer anders.“ Und Manuela bestätigte, dass tatsächlich auch der Lohn dringend angehoben werden müsse: „Für das Geld bekommst du keine Wohnung in Frankfurt. Und allein der Parkplatz kostet für uns hier am Flughafen zwischen 160 und 210 Euro im Monat!“
Zwei junge Sicherheitsarbeiterinnen bestätigten, dass ihnen vor allem der permanente Druck zu schaffen mache: „Wir arbeiten zehn Stunden mit nur einer Pause. Es stimmt, dass wir gut 17 Euro bekommen, aber wir arbeiten sehr hart dafür. Das ist eine Arbeit, die dich körperlich und seelisch belastet. Nicht nur stehst du die ganze Zeit, du bist auch ständig mit immer neuen Menschen konfrontiert.“
Eine Kollegin ergänzte: „Wir müssen hier auch die eigenen Kollegen kontrollieren. Piloten, Flugbegleiter, Lotsen, alle Warenzugänge, auch die eigenen Leute. Das schafft manchmal Stress und auch Misstrauen. Viele rempeln uns an.“
Alle, die wir fragten, hatten große Zweifel, ob Verdi die versprochenen 20 Euro Stundenlohn wirklich durchsetzen werde. „Zwanzig Euro – das glaube ich keine Sekunde“, sagte einer. „Vielleicht erhöhen sie uns auf 17,50, wenn es hoch kommt und sie Ruhe haben wollen.“
Vertreter der WSWS und der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) erklärten, dass die Arbeiter unabhängige Aktionskomitees bilden müssten, um den Streik unabhängig von den Gewerkschaften selbst zu organisieren und sofort Kontakt zu Beschäftigten an anderen Standorten und in anderen Ländern aufzunehmen. Die Flughafenbeschäftigten müssten ihre eigene Situation in Zusammenhang mit dem wachsenden Klassenkampf überall auf der Welt sehen und sich einer sozialistischen Perspektive zuwenden.