Die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Großbritanniens und Hollands sowie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini haben dem amtierenden Präsidenten Venezuelas, Nicolás Maduro, am Samstag ein Ultimatum gestellt: Entweder er rufe innerhalb von acht Tagen „freie, transparente und demokratische Wahlen“ aus oder man werde Juan Guaidó, der sich letzte Woche selbst zum Staatschef ernannt hat, als neuen Präsidenten anerkennen.
Maduro hat diese Forderung postwendend abgelehnt, während Guaidó die „harte“ Antwort der EU begrüßte. Sie sei „sehr positiv, sehr produktiv für Venezuela“ ausgefallen. Die von Europa eingeschlagene Richtung „des Drucks“ sei richtig, sagte er vor Anhängern in Caracas und appellierte erneut an das Militär, sich auf seine Seite zu stellen.
Die Drohung gegen Maduro zeigt, was von der Propaganda zu halten ist, Berlin und Brüssel betrieben im Gegensatz zu Washington eine Außenpolitik, die dem Multilateralismus, der Demokratie und dem Frieden verpflichtet sei. Nicht nur die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD, sondern auch die Grünen und die Linke unterstützen mit dieser Behauptung die Rückkehr Deutschlands zu Großmachtpolitik und Militarismus.
Es ist bereits das zweite Mal innerhalb von fünf Jahren, dass Berlin und Brüssel einen rechten Putsch unterstützen, der das Markenzeichen „Made in USA“ trägt. 2014 beteiligten sie sich aktiv am Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, der durch den pro-westlichen Oligarchen Petro Poroschenko abgelöst wurde.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier, inzwischen Bundespräsident, reiste damals persönlich nach Kiew, um den Machtwechsel auszuhandeln, und traf sich dabei auch mit Oleh Tjahnybok, dem Führer der rechtsextremen Swoboda-Partei, die in der Tradition von Nazi-Kollaborateuren aus dem Zweiten Weltkrieg steht. Die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland brüstete sich, Washington habe fünf Milliarden Dollar ausgegeben, um den Machtwechsel in Kiew zu finanzieren. Und die deutschen Medien faselten selbst dann noch von einer „demokratischen Revolution“, als längst klar war, dass sich die bewaffneten Milizen auf dem Maidan aus Neonazis rekrutierten.
Die Folgen dieses Putsches waren verheerend. Wie abzusehen war, löste die Machtübernahme eines ultranationalistischen Regimes Kiew unter den – je nach Quelle – 30 bis 50 Prozent russischsprachigen Bewohnern der Ukraine heftige Gegenreaktionen aus. Russland wiederum war nicht bereit, die Errichtung eines Pro-Nato-Regimes an seiner unmittelbaren Grenze und den Verlust seiner Marinebasis auf der Krim hinzunehmen. Der Nato diente das als Vorwand, Truppen in Polen und im Baltikum zu stationieren. Inzwischen wächst die Gefahr, dass Europa zum nuklearen Schachtfeld eines Dritten Weltkriegs wird.
Die Unterstützung des Putsches in Caracas ist nicht weniger reaktionär und seine Konsequenzen sind nicht weniger katastrophal. Die Behauptung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron, das venezolanische Volk solle in die Lage versetzt werden, „frei über seine Zukunft zu entscheiden“, ist schlichtweg absurd.
Juan Guaidó ist eine Marionette der USA, und diese geben sich nicht einmal Mühe, es zu verbergen. Selbst die Frankfurter Allgemeine gesteht dies in seltener Offenheit ein.
„Die sich überstürzenden Ereignisse in der venezolanischen Hauptstadt überraschten die Außenpolitiker in Washington nicht“, berichtete sie am Montag. Vize-Präsident Mike Pence habe die Proteste gegen Maduro in einer Videobotschaft öffentlich unterstützt. Er habe Guaidó am Abend vor dessen Selbsternennung zum Präsidenten angerufen und ihm seine Unterstützung versprochen – was Washington dann auch tat. Inzwischen droht es sogar mit einer Militärintervention
Seit Wochen, schreibt die FAZ unter Berufung auf das Wall Street Journal, „habe es vertrauliche Gespräche mit der Opposition in Caracas, mit Verbündeten in der Region und mit Außenpolitikern im Kongress gegeben“. Die Idee, auf Guaidó zu setzen, sei dann letztlich von Trumps Sicherheitsberater John Bolton gekommen, einem Kriegshetzer auch gegen den Iran.
Auch Associated Press berichtete am Freitag, die Anti-Maduro-Koalition sei in wochenlangen Geheimgesprächen entstanden. Guaidó sei heimlich nach Washington und zum ultrarechten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro gereist, lange „Sitzungen mit verschlüsselten Textnachrichten“ seien zur Norm geworden. Als die Entscheidung für den Putsch dann gefallen sei, habe man Guaidó und seine rechtsextremen Unterstützer ausgewählt. „Gemäßigtere Vertreter ließ man im Dunkeln.“
Von einem solchen rechtsextremen Verschwörer hat die venezolanische Bevölkerung weder Freiheit noch Demokratie zu erwarten. Guaidó steht in der Tradition jener lateinamerikanischen Eliten, die ihren Reichtum und ihre Macht immer wieder mithilfe von US-gestützten Diktaturen verteidigt haben und dabei auch nicht davor zurückschreckten, Zehntausende zu massakrieren.
Es ist bezeichnend, dass die Trump-Administration Elliott Abrams damit beauftragt hat, den „Übergang zur Demokratie“ in Venezuela zu beaufsichtigen. Abrams gehörte in den 1980er Jahren zu den prominentesten Befürwortern der Todesschwadronen, die ganze Länder verwüsteten. Im Laufe des Iran-Contra-Skandals, bei dem es um die heimliche Finanzierung von Todesschwadronen in Nicaragua aus dem Untergeschoß des Weißen Hauses ging, wurde Abrams wegen Meineids verurteilt.
Berlin und Brüssel stellen sich hinter den Putsch in Venezuela, weil sie in Lateinamerika ihre eigenen imperialistischen Interessen verfolgen und dabei nicht weniger kriminell und skrupellos vorgehen als Washington.
Auch hier ist die Frankfurter Allgemeine bemerkenswert offen. Unter der Überschrift „Venezuelas Reichtum“ schreibt sie: „Natürlich geht es ums Erdöl in Venezuela. Das Land besitzt die größten nachgewiesenen Reserven der Welt. China, Russland, die Vereinigten Staaten und die gesamte Erdölindustrie schauen gierig nach Venezuela.“
Der Artikel versucht zwar dann, diese Aussage unter Hinweis auf die katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage des Landes zu relativieren, die die Massenproteste gegen Maduro ausgelöst habe. In Gaidó hätten die Venezolaner „einen neuen Hoffnungsträger“ gefunden.
In Wirklichkeit ist Gaidó der „Hoffnungsträger“ der – wie es die FAZ ausdrückt – „gesamten Erdölindustrie“, einschließlich der europäischen, die die Reichtümer des Landes ungehindert ausbeuten will. Deutschland und der EU geht es um ihre Absatzmärkte, ihre Investitionen und ihre Rohstoffquellen in Lateinamerika, einem Halbkontinent mit 500 Millionen Einwohnern. Betracht die USA Lateinamerika seit der Monroe-Doktrin vor 200 Jahren als ihren „Hinterhof“, treten in jüngster Zeit auch Russland und vor allem China als Konkurrenten auf.
Der Putsch in Venezuela ist Bestandteil einer weltweiten Offensive gegen die Arbeiterklasse, bei der die herrschende Klasse immer offener zu autoritären und diktatorischen Mitteln greift, um ihren Reichtum zu verteidigen. Und er ist Bestandteil eines globalen Kampfs um Märkte, Rohstoffe und strategische Interessen zwischen den Großmächten, der unweigerlich in einen Weltkrieg führt, wenn die Arbeiterklasse den Kriegstreibern nicht rechtzeitig das Handwerk legt.