Neuerscheinung im Mehring Verlag:

„Agenten. Das FBI und die GPU in der trotzkistischen Bewegung“

Im Mehring Verlag ist in dieser Woche die deutsche Übersetzung des Buchs „Agents: The FBI and GPU Infiltration of the Trotskyist Movement“ von Eric London erschienen. Es erzählt, wie die stalinistische Geheimpolizei die Vierte Internationale infiltrierte und im August 1940 Leo Trotzki in Coyoacan, Mexiko, ermordete. Trotzkis Ermordung beraubte die internationale Arbeiterklasse des größten lebenden Vertreters der russischen Revolution von 1917.

Die Ereignisse endeten jedoch nicht mit Trotzkis Ermordung. Die US-Regierung und die stalinistische Bürokratie fürchteten den Fortbestand der Vierten Internationale und fluteten die Bewegung mit Agenten, einschließlich ehemaliger stalinistischer Spione, die weiterhin großen organisatorischen und politischen Schaden anrichteten, bis das Internationale Komitee der Vierten Internationale 1975 seine Untersuchung „Sicherheit und die Vierte Internationale“ einleitete.

Die Untersuchung bewies, dass Sylvia Callen, die persönliche Sekretärin von James P. Cannon, dem Führer der amerikanischen Socialist Workers Party (SWP), Agentin der GPU war. Sie belegte, dass Joseph Hansen, Trotzkis Sekretär in Mexiko und langjähriger SWP-Führer, nach Trotzkis Ermordung im Austausch gegen „Straffreiheit“ „vertrauliche Informationen“ an das FBI weitergegeben hatte.

„Agenten“ bringt Material aus vielen Quellen zusammen – Prozessprotokolle, Zeugenaussagen vor einer Grand Jury, Archivmaterial und FBI-Aufzeichnungen über die Verfolgung von 29 Mitgliedern der Socialist Workers Party durch die US-Regierung im Jahr 1941 unter dem Vorwurf des Aufruhrs und der Verschwörung zum Sturz der Regierung. Es stützt sich dabei auch auf ein kürzlich erschienenes Buch der Historikerin Donna T. Haverty-Stacke über den Prozess gegen die Trotzkisten.

Der Autor, Eric London, ist Mitglied des Politischen Komitees der Socialist Equality Party (USA) und schreibt regelmäßig für die World Socialist Web Site.

Das Buch kann als Paperback oder E-Book beim Mehring Verlag oder über den Buchhandel bezogen werden. Wir dokumentieren im Folgenden die Einleitung.

* * *

Einleitung

Am 20. August 1940 wurde Leo Trotzki in Mexiko-Stadt ermordet. Dieses Attentat war der Höhepunkt des Terrors, den das stalinistische Regime in der Sowjetunion entfesselte. Er richtete sich gegen die gesamte Generation marxistischer Politiker, Arbeiter und Intellektueller, die 1917 die Oktoberrevolution angeführt und in Russland den Kapitalismus gestürzt hatten. Der Mord an Trotzki, dem herausragendsten Vertreter dieser Generation, versetzte der internationalen sozialistischen Bewegung einen verheerenden Schlag. Seine Folgen für das politische Bewusstsein und die Orientierung der Arbeiterklasse und somit für die Möglichkeit einer sozialistischen Revolution wirkten jahrzehntelang nach. Aus diesem Grund zählt der Mord an Trotzki zu den folgenreichsten und schlimmsten politischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts.

Schon Monate vor dem Anschlag hatte sich Ramón Mercader (alias Frank Jacson), ein Agent der stalinistischen Geheimpolizei GPU, in Trotzkis gesichertes Anwesen in Mexiko-Stadt eingeschlichen. Dort lebte der Führer der Russischen Revolution seit Januar 1937 im Exil. Am Tag des Anschlags betrat Mercader das Gelände und traf Trotzki allein in seinem Büro an. Dort zog er einen Eispickel unter seinem Regenmantel hervor und schlug Trotzki nieder. Der Revolutionär starb am nächsten Tag im Alter von sechzig Jahren.

Obwohl die Kremlbürokratie und ihr internationales Syndikat politischer Lakaien versuchten, die Identität des Attentäters und seiner Auftraggeber zu verschleiern, stand Stalins Urheberschaft außer Zweifel. So stellte die trotzkistische Bewegung auf der Titelseite des „Militant“, der Zeitung der Socialist Workers Party (SWP), sofort Stalin und seine globale Mordoperation an den Pranger. In den Jahren zuvor war es demselben Agentennetzwerk gelungen, einen bedeutenden Teil der Führung der Vierten Internationale zu töten. Zu seinen Opfern zählten Leo Sedow, Trotzkis ältester Sohn und Leiter der Vierten Internationale in Europa, Rudolf Klement, Sekretär der Vierten Internationale, und Erwin Wolf, ein Sekretär Trotzkis. Die Stalinisten ermordeten außerdem Ignatz Reiss, einen Abtrünnigen der GPU, der sich zur Vierten Internationale bekannt hatte. Alle diese Mordanschläge gingen von einem weltweiten Agentennetz aus, dessen Ziel die Liquidierung Trotzkis und der trotzkistischen Bewegung war.

Auch in den Wochen und Jahren nach Trotzkis Ermordung waren zahlreiche Agenten weiterhin innerhalb der SWP aktiv. Sie operierten im Auftrag sowohl der stalinistischen Geheimpolizei als auch des amerikanischen Staats. Sie stahlen Parteidokumente und übermittelten ihren Auftraggebern Details wie Namen und Adressen von Mitgliedern, Informationen darüber, wo diese arbeiteten und ob sie Kinder hatten, wie auch Details über die Parteifinanzen, interne politische Konflikte und die internationale Korrespondenz.

Das furchtbare Verbrechen hatte umso schlimmere Auswirkungen, als es 35 Jahre lang so gut wie unerforscht blieb. Über fast die Hälfte der Zeitspanne, die seit dem Mord an Trotzki bis heute vergangen ist, war praktisch nichts darüber bekannt, wie die GPU das Attentat bewerkstelligt hatte. Weitgehend unbekannt war auch die Art und Weise, wie die Agenten im Auftrag sowohl der GPU wie auch des US-amerikanischen Staats die Socialist Workers Party und die Vierte Internationale ausspionierten.

Im Mai 1975 leitete das Internationale Komitee der Vierten Internationale die erste umfassende Untersuchung des Attentats von 1940 ein. Unter dem Titel Sicherheit und die Vierte Internationale veröffentlichte es in den darauffolgenden zehn Jahren die Ergebnisse seiner Untersuchung. Immer neue Einzelheiten kamen ans Licht. Die Hauptverantwortung für den Schutz Trotzkis in Coyoacán und für das katastrophale Versagen der Sicherheitsmaßnahmen lag bei der Socialist Workers Party (SWP). Und doch hatte sie über die Jahrzehnte hinweg darauf verzichtet, den Mord zu untersuchen. Wie sich zeigte, war dies nicht dem Mangel an Ressourcen geschuldet. Die SWP war von Agenten der stalinistischen Geheimpolizei durchsetzt, die jede Untersuchung sabotierten. Unter diesen Agenten sind vor allem Joseph Hansen und Sylvia Franklin (geborene Callen, Parteiname Sylvia Caldwell) zu nennen. Ihre Machenschaften stehen im Mittelpunkt dieses Bands.

In einem Dokument von 1981, das im Namen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale verfasst wurde, erklärte David North die historische Bedeutung der Untersuchung:

Sie ist sowohl die Fortsetzung als auch der Höhepunkt von Trotzkis Kampf. Der Mann, der mit Lenin gemeinsam die Oktoberrevolution von 1917 geführt und die Vierte Internationale gegründet hatte, wollte die Verbrechen des Stalinismus aufdecken und die internationale Arbeiterbewegung ein für alle Mal von dessen konterrevolutionärer Hinterlassenschaft befreien …

Wenn man von Sicherheit und die Vierte Internationale als einer „Untersuchung“ spricht, muss man verstehen, dass dieses Wort den politischen und historischen Inhalt des Kampfs, den das Internationale Komitee seit sechs Jahren führt, nur zum Teil erfasst. Wie schon Trotzkis Entlarvung der Moskauer Prozesse von 1936–1938 ist auch dieser Kampf der höchste und bewussteste Ausdruck der objektiven Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie und alle ihre Organe. [1]

Die Untersuchung Sicherheit und die Vierte Internationale war von bemerkenswerter Breite und Tiefe. Sie beruhte auf einer investigativen Arbeit von enormem Umfang, die sich über mehrere Kontinente erstreckte und Hunderte Stunden Interviews und Tausende Seiten historischer Dokumente umfasste.

Zum ersten Mal stellte die trotzkistische Bewegung eine systematische Untersuchung darüber an, wie sie von Agenten der GPU und der US-Regierung infiltriert worden war. Wenn die Fragen, die dabei gestellt wurden, einige Jahrzehnte früher aufgeworfen und beantwortet worden wären, hätte erheblicher Schaden von der Bewegung und ihren Mitgliedern abgewendet werden können.

Die Untersuchung war ein politischer Kampf, denn sie musste unter dem Beschuss eines internationalen Netzwerks der Stalinisten und ihrer politischen Verbündeten geführt werden. Diese reagierten auf Sicherheit und die Vierte Internationale mit erbitterter Feindschaft.

Das IKVI wusste, dass es für die Angriffe auf Sicherheit und die Vierte Internationale politische Gründe geben musste. In den Augen der Pablisten (einer internationalen Tendenz von Ex-Trotzkisten, die in ihrer Politik vor dem Stalinismus kapituliert hatten) war es ein unverzeihliches „Verbrechen“, dass das IKVI Dokumente ans Licht brachte, welche die Rolle der stalinistischen Geheimpolizei bei der Destabilisierung der trotzkistischen Bewegung und der Ermordung ihrer Führung entlarvten.

In ihrer Perspektivresolution von 1978 ging die Workers League auf die noch laufende Untersuchung ein. (Die Workers League war 1966 von den Trotzkisten in den USA gegründet worden, nachdem diese aus der SWP ausgeschlossen worden waren.) Mit folgenden Worten bewertete sie die politischen und historischen Errungenschaften der Untersuchung:

Durch Sicherheit und die Vierte Internationale haben die Vierte Internationale und das Internationale Komitee nichts Geringeres erreicht als die Wiederherstellung der historischen Kontinuität des Bolschewismus, die damit dem Griff der stalinistischen Konterrevolution und Fälschung entwunden wurde. Alle Lügen, Verdrehungen und Verbrechen des Stalinismus gegen den Trotzkismus, der den Kampf für einen Welt-Oktober verkörpert, all die ungeheuerlichen Taten, die Generationen von Arbeitern über die wahre Geschichte der Oktoberrevolution und die Rolle Trotzkis verwirren und desorientieren sollten – ihnen allen wurde ein gewaltiger Schlag versetzt, von dem sich der Stalinismus und alle Agenturen der imperialistischen Konterrevolution nie wieder erholen werden. [2]

Diese Einschätzung hat sich bestätigt. Das stalinistische Regime, das einst über ein Sechstel der Erdoberfläche herrschte, existiert heute nicht mehr. Die Kommunistischen Parteien, die einst Hunderte Millionen Mitglieder hatten und weltweit die Arbeiterorganisationen dominierten, sind zusammengebrochen.

Ein Vierteljahrhundert nach der Auflösung der Sowjetunion nimmt das Interesse der Bevölkerung am Sozialismus auf der ganzen Welt zu. Unter jungen Menschen in den USA und in Europa ist er populärer als der Kapitalismus. Aber gerade in Zeiten eines neuen Aufschwungs kommt der politischen Ausbildung von Arbeitern und Jugendlichen in historischen Fragen besonders große Bedeutung zu. Die Untersuchung Sicherheit und die Vierte Internationale liefert nicht nur wichtige historische Informationen über die Verbrechen gegen die trotzkistische Bewegung. Sie erklärt auch die entscheidende Bedeutung aller Fragen der politischen Sicherheit angesichts der Bedrohung durch den Staat und seine repressiven Polizei- und Nachrichtendienste.

Die Notwendigkeit, gegenüber staatlicher Unterwanderung und Provokationen wachsam zu sein, ergibt sich aus den politischen Gegebenheiten unserer Zeit. Wir leben in einer Periode von Massenüberwachung, gezielten Morden, ständigen Kriegen, Massenabschiebungen, Polizeimorden und CIA-Folter. Wie denkende Arbeiter sehr wohl wissen, hängt für die Arbeiterbewegung alles davon ab, dass sie politisch und faktisch von staatlichen Agenten unabhängig bleibt. Das ist für das Schicksal der sozialistischen Revolution eine Überlebensfrage.

Die Texte in diesem Buch behandeln zwei entscheidende und miteinander verbundene Themen der Geschichte der Vierten Internationale.

Der erste Essay, „Der Smith-Act-Prozess und die staatliche Unterwanderung der trotzkistischen Bewegung“, stützt sich zum einen auf Informationen aus dem wertvollen Buch „Trotskyists on Trial: Free Speech and Political Persecution Since the Age of FDR“ von Donna T. Haverty-Stacke und zum anderen auf eine unabhängige Untersuchung durch die „World Socialist Web Site“, in deren Verlauf Tausende Seiten von Gerichtsprotokollen, Archivmaterial und bisher nicht verfügbaren FBI-Aufzeichnungen durchforstet wurden. Sein Thema ist die Entscheidung der US-Regierung vor dem Zweiten Weltkrieg, 29 Mitglieder der amerikanischen trotzkistischen Bewegung wegen „Aufruhr“ vor Gericht zu stellen.

Der zweite Artikel, „Eine ‘vorbildliche Genossin‘: Sylvia Callen, stalinistische Agentin, 40 Jahre lang von der Socialist Workers Party (USA) gedeckt“, schildert den Kampf des IKVI für die Entlarvung dieser stalinistischen Agentin. Fast neun Jahre lang hatte Callen privilegierten und uneingeschränkten Zugang zu äußerst sensiblen Informationen der Partei. Selbst als die Socialist Workers Party schon wusste, dass Callen eine Agentin war, fuhr sie fort, ihre Rolle als Spionin innerhalb der trotzkistischen Bewegung zu vertuschen, und betrieb eine Verschleierung, die fast vierzig Jahre lang Bestand haben sollte.

Im Anhang enthält dieser Band den „Offenen Brief an Susan Weissman“, in dem David North dem verlogenen Versuch dieser langjährigen Verteidigerin Joseph Hansens entgegentritt, Sicherheit und die Vierte Internationale zu diskreditieren. Es sei darauf hingewiesen, dass Weissman, die seit Jahrzehnten eine komfortable Stellung im Wissenschaftsbetrieb innehat, bis heute keinen Versuch unternommen hat, auf Norths Enthüllung ihrer Geschichtsfälschung zu antworten.

Ohne die politische Unterstützung von David North, dem Nationalen Vorsitzenden der Socialist Equality Party, wären diese Texte nicht entstanden. North hat in der Untersuchung Sicherheit und die Vierte Internationale eine führende Rolle gespielt. Ich danke auch Alan Gelfand und John Burton, mit denen ich über die Entwicklung und das Ergebnis des „Gelfand Case“ sprechen konnte. In diesem Gerichtsprozess, den Gelfand (mit Burtons Hilfe, der ihn als Anwalt vertrat) gegen die SWP und die US-Regierung führte, wurden wichtige Dokumente entdeckt, die Sicherheit und die Vierte Internationale auf der ganzen Linie bestätigt haben. Abschließend danke ich Jeannie Cooper und Heather Jowsey für ihre unermüdliche Arbeit bei der Herausgabe dieses Buchs, ebenso wie Jim Brewer, der an der Zusammenstellung und Anordnung des Bildmaterials beteiligt war.

Eric London

Anmerkungen

[1] How the GPU Murdered Trotsky, London 1981, S. i.

[2] Perspektivdokument der Workers League von 1978 (unveröffentlicht), S. 38.

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