Nach zweitägigen Verhandlungen haben sich die Mitglieder der Großen Koalition am Mittwochabend auf ein 130 Milliarden schweres Konjunkturpaket für die Jahre 2020 und 2021 geeinigt.
Es kommt zu mehreren bereits bestehenden Programmen hinzu: zum Corona-Hilfspaket, das die Bundesregierung im März beschloss und das sich inzwischen auf fast 1,2 Billionen Euro beläuft; zu den Anleihenkäufen der Europäischen Zentralbank, die bis Ende des Jahres ebenfalls die Billionengrenze übersteigen werden; und zu den Corona-Hilfen der Europäischen Union von 750 Milliarden Euro, die zum Teil ebenfalls nach Deutschland zurückfließen.
Von all diesen Programmen profitieren vor allem die großen Konzerne und die Börsen. Seit dem Corona-bedingten Absturz im März hat der DAX kräftig zugelegt und beinahe wieder den historischen Höchststand vor der Krise erreicht. Das Vermögen der Aktionäre aller im DAX gelisteten Unternehmen ist dadurch innerhalb von zweieinhalb Monaten um 360 Milliarden Euro gestiegen – das ist fast das Dreifache des neuen Hilfspakets.
„Der Börsenboom dieser Tage ist der beste Börsenboom, den man für Geld kaufen kann“, kommentiert der frühere Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart in seinem Morning Briefing. „In Washington, London, Paris und Berlin öffnen sich die Steuerkassen – und an den Finanzplätzen spritzt der Champagner. … An den Weltfinanzmärkten hat man längst begriffen, dass Corona keine Zumutung, sondern eine Injektion bedeutet. Die dortigen Investoren zählen zu den eindeutigen Gewinnern der Pandemiebekämpfung.“
Das verhält sich auch mit dem jüngsten Konjunkturpaket nicht anders.
Die Große Koalition und insbesondere die SPD geben sich zwar große Mühe, es als soziale Wohltat zu verkaufen. Angesichts der Explosion heftiger Klassenkämpfe in den USA und anderen Ländern sind sie darauf bedacht, sich als Parteien des sozialen Ausgleichs darzustellen. Dabei werden sie von Ökonomen und Medien unterstützt. So behauptet die Süddeutsche Zeitung, das Paket stärke „die sozial Schwachen“.
Das ist schlicht gelogen. Wie die früheren Programme lässt auch dieses einen Geldregen auf die Reichen niederprasseln, kaschiert mit einigen dürftigen Almosen für Familien. Außerdem ist schon jetzt klar, dass die gewaltigen Summen später durch Sparprogramme auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden, wie dies bereits nach der Finanzkrise 2008 der Fall war. Es ist bezeichnend, dass eine Finanzierung des Programms durch eine höhere Belastung von Spitzeneinkommen und -Vermögen noch nicht einmal erwogen wurde.
So wird das Konjunkturpaket zu einer weiteren Verschärfung der sozialen Ungleichheit führen und die Reichen auf Kosten der großen Mehrheit bereichern. Und das in einer Situation, in der große Unternehmen wie Lufthansa, ZF und fast alle Autokonzerne bereits den massenhaften Abbau von Arbeitsplätzen angekündigt haben. Die Arbeitslosenzahlen sind schon im April und Mai kräftig angestiegen. 7,3 Millionen befinden sich in Kurzarbeit und fürchten um ihren Arbeitsplatz. Hinzu kommt die Gefahr einer zweiten Welle der Pandemie als Folge der verantwortungslosen Öffnungspolitik.
Vor allem die Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent (von 7 auf 5 Prozent beim ermäßigten Satz) für die Dauer von fünf Monaten, die mit 20 Milliarden Euro veranschlagt ist, wird als Beleg für die soziale Ausgewogenheit des neuen Konjunkturpakets angeführt. „Von einer Mehrwertsteuersenkung profitieren besonders Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen, die einen Großteil ihres Nettogehalts für den Konsum ausgeben“, schreibt etwa die F.A.Z..
Doch gerade elementare Konsumgüter wie Nahrung sind während der Corona-Krise um ein Vielfaches von dem gestiegen, was jetzt kompensiert werden soll. So haben sich die Gemüsepreise zwischen Januar und März im Schnitt um 26,3 Prozent erhöht. Auch Obst, Milch und Butter sind stark angestiegen.
Die Reduzierung der Mehrwertsteuer wird unter diesen Bedingungen vor allem den Unternehmen und Händlern zugutekommen. So sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, dem Handelsblatt: „Mir ist nicht ganz klar, ob die Unternehmen wirklich für die kurze Zeit ihre Preise senken werden oder diese Steuersenkung nicht einfach nur mitnehmen.“ Gerade Unternehmen mit Marktmacht könnten das halbe Jahr einfach aussitzen, ohne die Preise zu senken.
Die geringen Summen, die den am stärksten von der Corona-Krise Betroffenen direkt zugutekommen sollen, sind eher eine Beleidigung als eine Hilfe.
So erhalten Eltern für Kinder unter 18 Jahren eine einmalige Erhöhung des Kindergelds von 300 Euro. Gesamtkosten: etwa 4,3 Milliarden Euro. Ein lächerlich geringer Betrag, wenn man bedenkt, dass viele Eltern wochenlang auf Einkommen verzichten oder hohe Gebühren zahlen mussten, um die Kinder während der Schließung von Schulen und Kitas zu betreuen.
Eine weitere Milliarde Euro ist bundesweit eingeplant, um marode Kitas zu erweitern, umzubauen und die Hygienesituation zu verbessern. Das ist gerade einmal ein Neuntel der Summe, die die Bundesregierung in die Rettung der Lufthansa steckt!
Für arme Menschen ohne Kinder ist im ganzen Paket „nicht ein Cent“ vorgesehen, wie der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, kritisierte. Auch das Wort „Pflege“ kommt in der gesamten Vereinbarung nicht vor. Dabei hat die Corona-Krise die unhaltbaren Zustände in den Pflegeheimen aufgedeckt, wo es zu zahlreichen vermeidbaren Todesfällen gekommen ist.
Für die Kommunen, die von der Großen Koalition systematisch kaputtgespart wurden, sind gerade 6 Milliarden Euro vorgesehen. Und dies, obwohl sie durch wegbrechende Gewerbesteuereinnahmen, wachsende Sozialausgaben und fehlende Einnahmen für Kultreinrichtungen besonders betroffen sind. Der Vorschlag, hoffnungslos überschuldete Kommunen von Altschulden zu befreien, wurde verworfen; stattdessen will der Bund einen Teil der Kosten für die Unterbringung von Sozialhilfeempfängern übernehmen.
Der größte Teil des 130-Milliarden-Pakets fließt direkt in die Unternehmen. So sind 11 Milliarden Euro eingeplant, um die Ökostrom-Umlage zu senken. Das wirkt sich zwar in geringem Maße auch auf die Stromrechnung von Privathaushalten aus, Hauptprofiteure sind aber die Großverbraucher in der Industrie.
25 Milliarden Euro sollen als „Überbrückungshilfen“ an besonders belastete Branchen und kleine und mittelständische Betriebe fließen, deren Umsätze weggebrochen sind. Geplant ist neben steuerlichen Entlastungen die Erstattung von fixen Betriebskosten bis zu einem Betrag von 150.000 Euro für Branchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe, Clubs und Bars, Reisebüros, Schausteller und Profisportvereine der unteren Ligen. Zur Milderung der Corona-Auswirkungen im Kulturbereich ist eine Milliarde Euro eingeplant.
5,3 Milliarden Euro plant das Konjunkturpaket für die Deckelung der Sozialbeträge auf maximal 40 Prozent des Einkommens ein. Auch davon fließt die Hälfte direkt in die Taschen der Arbeitgeber.
Die größte Summe ist mit 50 Milliarden Euro für „Investitionen in Klimaschutz und Zukunftstechnologien“ vorgesehen. Hinter diesem hochtrabenden Titel verbirgt sich eine Geldschwemme für die Autoindustrie.
Mit der Forderung nach einer Kaufprämie auch für Benzin- und Dieselfahrzeuge konnten sich die Autokonzerne zwar trotz intensiver Lobbyarbeit nicht durchsetzen. Stattdessen können sie nun bei Elektrofahrzeugen umso großzügiger abkassieren. Der Kauf eines E-Autos wird zukünftig mit 6000 statt mit 3000 Euros vom Staat bezuschusst.
Hinzu kommen weitere Förderprogramme für die Hersteller. 2,5 Milliarden Euro werden für den Ausbau des Ladenetzes für E-Autos und für die Batteriezellfertigung eingesetzt, weitere 2 Milliarden für ein „Bonus-Programm“ für den technologischen Umbau. Und bei Diesel- und Benzin-Fahrzeugen kann die Autoindustrie doch noch von der gesenkten Mehrwertsteuer profitieren. Bei einem Mittelklassewagen im Wert von 30.000 Euro macht dies immerhin 900 Euro aus.
Bei der Bahn will der Bund das Eigenkapital um 5 Milliarden erhöhen. Für Hilfen für den öffentlichen Nahverkehr sind 2,5 Milliarden vorgesehen.
Das Konjunkturpaket wurde von allen Wirtschaftsinstituten und -Verbänden gelobt. Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, bezeichnete es als „ausgewogen“. Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, lobte, es sei „überraschend groß“ und „fiskalisch verantwortbar“. Der wissenschaftliche Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, findet es „erfreulich, dass sich die Bundesregierung auf ein Konjunkturpaket mit einem erheblichen Umfang geeinigt hat“.
Das Programm dient, neben der Vorbereitung neuer Angriffe auf die Arbeiterklasse, auch dazu, der deutschen Wirtschaft im Handelskrieg mit ihren europäischen und internationalen Rivalen einen Vorteil zu verschaffen. Deshalb hat es die ungeteilte Unterstützung von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften.