In den Vereinigten Staaten ist die Covid-19-Pandemie außer Kontrolle geraten.
Die schlimmsten Warnungen der Experten für öffentliche Gesundheit haben sich bewahrheitet. Eine Viertelmillion Menschen sind mittlerweile gestorben. Im vergangenen Monat hat sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen verdreifacht: Am 13. Oktober wurden in den Vereinigten Staaten 51.000 neue Fälle gemeldet – am Freitag waren es fast 188.000 neue Fälle, am Samstag erneut knapp 160.000.
In den Industriezentren ist es noch schlimmer. Die Fabriken sind zu Brutstätten der Krankheit geworden. Im US-Bundesstaat Michigan hat sich die Zahl der täglich neu auftretenden Fälle im vergangenen Monat verfünffacht.
Überall im Land füllen sich die Krankenhäuser, und die Städte lassen Kühllastwagen anrücken, um Leichen zu lagern. Der Bundesstaat Illinois meldet, dass die Krankenhäuser in weniger als zwei Wochen ihre Kapazitätsgrenze überschritten haben werden.
Bei der derzeitigen Ausbreitungsrate wird es nächsten Monat landesweit nicht mehr genügend Krankenhausbetten geben. Weil die Verfügbarkeit medizinischer Versorgung über die Überlebenschancen entscheidet, wird dieses Szenario mit einem Massensterben einhergehen. Nach Angaben des Institute for Health Metrics and Evaluation könnte die Zahl der Todesopfer bis März 439.000 erreichen.
Angesichts dieser Katastrophe haben die weltweit führenden Experten für öffentliche Gesundheit zu Notfall-Lockdowns aufgerufen.
Am Mittwoch forderte Dr. Michael Osterholm die landesweite Schließung der nicht lebensnotwendigen Produktion bei vollem Lohnausgleich. „Wir könnten jetzt sofort ein Paket finanzieren, das alle Löhne und Gehälter abdeckt, entgangene Löhne für Arbeiter, die Verluste der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Stadt-, Landes- und Kreisregierungen“, sagte er. „Wenn wir das tun würden, könnten wir für vier bis sechs Wochen dichtmachen.“
Angesichts der Tatsache, dass Osterholm Mitglied der Covid-19-Taskforce der neuen Biden-Regierung ist, brachen die Aktienkurse nach seinen Äußerungen sofort ein. An der Wall Street wurde befürchtet, dass die neu gewählte Regierung einen Lockdown ins Auge fassen könnte.
Die Reaktion des Biden-Teams fiel kategorisch aus. Dr. Vivek Murthy, ein Sprecher der Covid-19-Taskforce der Biden-Kampagne, antwortete: „Wir sind nicht in einer Situation, in der wir sagen: ‚Fahrt das ganze Land herunter‘.“
Angesichts dieser Ablehnung aus den Reihen der neuen Regierung stellte Osterholm klar, dass er nur für sich selbst spricht: „Niemand wird das unterstützen. Es wird keine Unterstützung vonseiten der Regierung erhalten. Auch der Kongress wird es nicht unterstützen.“
Die Ablehnung eines landesweiten Lockdowns durch die Biden-Vertreter trieb die Aktienkurse wieder in Höhe. Der Dow Jones Industrial Average schloss mit einem Plus von 400 Punkten und lag damit inmitten steigender Fallzahlen und Todesfälle weniger als 200 Punkte von einem Allzeithoch entfernt.
Was US-Präsident Donald Trump betrifft, so stellte er klar, dass es während seiner Amtszeit keinen Lockdown geben wird. „Ich werde keinen Lockdown verhängen“, erklärte er am Freitag. „Diese Regierung wird unter keinen Umständen einen Lockdown beschließen. Das Heilmittel darf nicht schlimmer sein als das Problem selbst.“
Osterholms Reaktion auf die Pandemie ist unter allen angesehenen und unabhängigen Wissenschaftlern Konsens. Sie wird jedoch vom politischen Establishment einhellig abgelehnt.
Das Wall Street Journal verurteilte in einem Leitartikel „das Hausmittel des Onkel Doktors“ und erklärte: „Lockdowns bezwingen das Virus nicht. Sie verzögern lediglich seine Ausbreitung bis zum Ende der Lockdowns.“
Was für schmutzige Lügner! Dieselben Leute haben noch vor wenigen Tagen die „Corona-Impfstoff-Kavallerie“ bejubelt, die zu einem „Ende der Pandemie bis Mitte 2021“ führen würde. Zugleich behaupteten sie einerseits, dass die Pandemie innerhalb weniger Monaten vorbei sein werde, und andererseits, dass bis dahin nichts getan werden könne, um Leben zu retten.
Die New York Times brachte am Mittwoch einen Leitartikel mit dem Titel „New York, lass deine Schulen offen“. Zur Rechtfertigung meldete sie ergänzend: „Untersuchungen aus der ganzen Welt haben gezeigt, dass es in Grundschulen nur begrenzte Ausbrüche gegeben hat.“
In Wirklichkeit stand die Times an der Spitze der Fürsprecher einer unkontrollierten Ausbreitung von Covid-19. Im März prägte der Times-Kolumnist Thomas Friedman den Satz: „Das Heilmittel darf nicht schlimmer sein als die Krankheit“, um die vorzeitige Wiederöffnung von Unternehmen zu rechtfertigen. Mit eben diesem Satz rechtfertigte Trump am Freitag die Ablehnung weiterer Lockdowns.
Während Millionen Menschen bei den Wahlen Anfang November gegen Trump stimmten – in der Hoffnung, dass eine Biden-Regierung die Politik der „Herdenimmunität“ beenden und dringende Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergreifen würde – unterstützt keine Fraktion des politischen Establishments der USA auch nur die grundlegendsten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.
Deshalb ist es notwendig, dass Arbeiter Notfallmaßnahmen ergreifen. Fabriken und Arbeitsplätze entwickeln sich zu zentralen Brutstätten für die Übertragung des Coronavirus. Mit der zunehmenden Ausbreitung der Pandemie werden Betriebe, die teilweise mit jeweils hunderten Fällen in Zusammenhang stehen, zu regelrechten Todesfallen.
Arbeiter müssen Aktionskomitees gründen, um die Schließung nicht lebenswichtiger Produktion durchzusetzen und in allen unverzichtbaren Betrieben sichere Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Allerdings wird sich die Pandemie nicht auf der Ebene der Unternehmen stoppen lassen. Um ihr Einhalt zu gebieten, ist ein landesweiter Shutdown notwendig, begleitet von der massiven Umleitung von Ressourcen in die Gesundheitsversorgung, Kontaktverfolgung und Tests. Nur so kann das Virus bis zur Bereitstellung der Impfstoffe eingedämmt und das Leben von Hunderttausenden Menschen gerettet werden.
Solche Lockdown-Maßnahmen sind nur tragbar, wenn sie mit vollständigen Lohnfortzahlungen für Arbeiter und Umsatzentschädigungen für Kleinunternehmen einhergehen. Alle arbeitenden Menschen, die wirtschaftlich von der Pandemie betroffen sind, müssen vollumfänglich entschädigt werden.
All diejenigen, die Menschenleben und Lebensunterhalt einander entgegenstellen, verbreiten Lügen. Diese angeblich unvermeidliche Abwägung besteht nur dann, wenn man von vornherein akzeptiert, dass der Reichtum der Finanzoligarchie nicht angetastet werden darf. Inmitten der größten Notsituation des Jahrhunderts muss der riesige Reichtum, den die Finanzelite in den USA gehortet hat, beschlagnahmt und der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden.
Alle Mietzahlungen an Immobilienkonzerne und alle Hypotheken an Großbanken müssen sofort ausgesetzt werden, zusammen mit der Rückzahlung von Studien- und Verbraucherkrediten. Alle Arbeiter, die wegen der Betreuung und Beschulung von Kindern zuhause bleiben mussten und Lohneinbußen erlitten haben, müssen entschädigt werden.
Im März hat die Stilllegung wesentlicher Teile der nicht lebensnotwendigen Produktion unzählige Menschenleben gerettet, indem eine Überlastung der Krankenhäuser verhindert wurde. Doch die herrschende Klasse hat diese Maßnahme nicht freiwillig getroffen. Sie war zu Tode erschrocken über die Massenstreiks im gesamten Mittleren Westen, wo Arbeiter in wichtigen Betrieben die Initiative ergriffen und die Produktion stilllegten.
Die herrschende Klasse hat ihre Position deutlich gemacht: Hunderttausende Menschenleben sollen für die Wall Street geopfert werden, bevor ein Impfstoff eintrifft. Arbeiter dürfen diesen Massenmord nicht zulassen! Sie müssen in Stellung gehen, um ihr Leben und das ihrer Kollegen, Freunde und Familien zu verteidigen.
Die zur Eindämmung der Pandemie notwendigen Maßnahmen sind mit dem kapitalistischen System unvereinbar. Wenn eine Gesellschaftsordnung dem menschlichen Leben den Krieg erklärt, dann ist es diese Gesellschaftsordnung – und nicht das menschliche Leben – das zu Grabe getragen werden muss.