Die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie werden in Deutschland täglich dramatischer. Nachdem am Mittwoch mit 952 Toten ein neuer Rekord bei den Todeszahlen vermeldet worden war, erreichte gestern auch die Zahl der Infizierten ein neues Allzeithoch und überschritt das erste Mal die Marke von 30.000. Deutschlandweit liegt die Positivrate der Testungen derzeit bei rund 12 Prozent – mehr als doppelt so hoch wie der Wert, den Epidemiologen als Schwelle angeben, jenseits derer das Infektionsgeschehen außer Kontrolle gerät.
Gestern gab das Robert-Koch-Institut knapp 27.000 Neuinfektionen bekannt, meldete im Verlauf des Tages jedoch weitere 3.500 Fälle aus Baden-Württemberg, die zunächst „aus technischen Gründen“ nicht übermittelt worden waren. Im Vergleich zur Vorwoche wuchs die Zahl der Neuinfizierten um 14 Prozent. Laut RKI starben weitere 698, laut Worldometers sogar weitere 749 Menschen an Corona. Damit stieg die Zahl der Corona-Toten in Deutschland auf über 24.000. Über 1,4 Millionen Menschen haben sich seit dem Ausbruch der Pandemie mit dem Virus infiziert.
Mit einem Anteil von 12,3 Prozent ist die „Altersgruppe 80+“ besonders stark betroffen. Aus dem ganzen Bundesgebiet häufen sich die Berichte von tödlichen Massenausbrüchen in Altenheimen, zuletzt in im Kreis Düren, wo nach einer Nikolausfeier 30 Infizierte und zwei Tote zu betrauern waren.
„Wir wissen, dass die Zahl der Sterbenden und der Schwerkranken immer so etwa vier bis fünf Wochen hinter den Infektionszahlen hinterherhinken“, sagte Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery gestern gegenüber n-tv. Bei der derzeitigen Todesrate würde dies zwischen 30.000 und 35.000 zusätzliche Tote bis Mitte Januar bedeuten. Doch die Überlastung der Krankenhäuser könnte in Wirklichkeit dazu führen, dass noch viel mehr Menschen sterben: Kliniken in ganz Deutschland „werden Triage-Entscheidungen treffen müssen“, so der Mediziner.
Bereits jetzt herrschen an deutschen Krankenhäusern Zustände wie im Krieg. Wie der ärztliche Direktor Mathias Mengel aus Sachsen dem Nachrichtenportal t-online berichtete, war das Zittauer Klinikum „in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht“. Auch Ingo Autenrieht, leitender ärztlicher Direktor der Uniklinik Heidelberg, sagte gegenüber der Presse, dass die Pfleger und Ärzte sich „auf Triage eingestellt“ hätten: „So eine Situation haben wir in den letzten 50, 60 Jahren weder in Heidelberg noch sonst wo in Deutschland erlebt.“
Deutschlands führende Uni-Klinik, die Berliner Charité, prüft unterdessen erstmals die Verlegung von Nicht-Covid-Patienten in andere Städte. Allein Berlin – wo die Schulsenatorin Scheeres (SPD) besonders vehement auf eine möglichst rasche Rückkehr zum Regelbetrieb an den Schulen drängt – meldete gestern 1473 neue Fälle und 30 Tote, eine Zunahme von 31 Prozent im Vergleich zur Vorwoche.
Fast 30 Prozent aller Intensivpatienten in der Bundeshauptstadt sind Covid-Erkrankte, die immer häufiger mit sogenannten ECMO-Maschinen behandelt werden müssen. Dazu werden an den Beinen des Patienten fingerdicke Schläuche in die Venen eingeführt, um das Blut künstlich zu zirkulieren und mit Sauerstoff anzureichern. Von den 35 Spezialmaschinen der Charité waren am Montag nur noch drei frei, berichtete der Tagesspiegel. Die Zeitung zitiert einen Covid-Stationsarzt mit den Worten: „Wir haben hier aktuell keinen einzigen freien Platz… Niemand geht mehr an die künstliche Lunge, nur weil er schwer krank ist.“ „Aussichtslose Fälle“ könne man „schlicht nicht mehr behandeln“.
Angesichts der drohenden Überlastung hatte sich die Charité bereits hilfesuchend an Universitätskliniken in Dresden, Leipzig und Magdeburg gewandt. „Doch dort brauchen sie derzeit selbst Hilfe“, schreibt der Tagesspiegel. „Da die ostdeutschen Universitätskliniken ausfallen, hat [Charité Vize-Chef] Ulrich Frei nun in einem 400-Kilometer-Umkreis anrufen lassen.“ Diskutiert wird die Notverlegung schwerer Nicht-Covid-Fälle nach Lübeck, Kiel, Hannover, Göttingen. Zu Beginn der Pandemie hatte Frei erklärt, man stehe vor der „größten medizinischen Herausforderung der bundesdeutschen Geschichte“.
In ganz Deutschland wütet das Virus in den Pflegeheimen. Hessen meldete Ende November, dass zwei Drittel der Corona-Toten im Herbst auf die Alten- und Pflegeeinrichtungen entfallen seien. Die Süddeutsche Zeitung schilderte einen Fall in München, wo im Oktober erst Mitarbeiter, dann immer mehr Bewohner positiv getestet wurden. Es fand aber keine Trennung zwischen Infizierten und Nicht-Infizierten statt, so dass die Ausbreitung des Virus ungehindert weiterging. Ein Angehöriger einer betroffenen Bewohnerin sagte: „Hier findet eine Triage statt, bevor überhaupt ein Arzt ins Spiel kommt.“
Auf seinen Brandbrief an die Politiker und Behörden, in dem er vor der „potenziell tödlichen Gefahr“ in dem Heim warnte, reagierten der Münchner Gesundheitsrat und das bayerische Gesundheitsministerium abwiegelnd. Bei Demenzkranken sei es angeblich unmöglich, Abstandsregeln umzusetzen.
Nach fast einem Jahr Pandemie gibt es noch immer keine vernünftige Schutzausrüstung für Pflegeheime. Die großspurige Ankündigung der Bundesregierung, die Heime mit FFP2-Schutzmasken zu versorgen, entpuppt sich jetzt als Hohn. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) im westlichen Westfalen hat 30.000 Masken vom Bund erhalten, die sie aber als medizinisch untauglich einstuft und daher in ihren Heimen nicht einsetzen kann.
Die Regierung, die mit ihrer Profite-vor-Leben-Politik diese Zustände herbeigeführt hat, geht davon aus, dass sich die Situation in den kommenden Wochen und Monaten um ein Vielfaches verschlimmern wird. „Die nächsten drei Monate werden die mit Abstand härtesten Monate im gesamten Verlauf der Pandemie“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD Karl Lauterbach im Interview mit der Tageszeitung Welt. Auch Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) drohte, der Bevölkerung stünden drei „besonders schwierige Monate“ bevor. Der Tod von Zehntausenden ist dabei aus Sicht der Regierung unabwendbar: Die aktuellen Maßnahmen, so Lauterbach, seien „das Maximum, was wir derzeit beschließen können“.
Wie bewusst sich die Regierung auf das massenhafte Sterben der Bevölkerung vorbereitet hat, zeigt sich derzeit besonders grell im hessischen Hanau. Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) teilte gestern auf Twitter mit, die Stadt sehe sich „gezwungen, erstmals den Kühlcontainer für Corona-Tote in Betrieb zu nehmen, weil die Hanauer Kliniken überlastet sind“. Es sei „gut, dass wir schon sehr früh dafür Vorsorge getroffen haben“, so Kaminsky weiter.
Mit „früher Vorsorge“ meint der SPD-Politiker offenkundig nicht etwa das rechtzeitige Ergreifen von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, sondern Vorkehrungen zur fachgerechten Zwischenlagerung ihrer Leichen. Einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge war der Kühlcontainer „bereits im April“ aufgestellt worden.
In der Bevölkerung wächst die Opposition gegen die mörderische Politik, die die Katastrophe mit dem monatelangen Offenhalten von Betrieben und Schulen herbeigeführt hat. „Hätten sie frühzeitig die richtigen Maßnahmen ergriffen, würden sie keinen Kühlcontainer benötigen, auf den sie offenbar noch stolz sind. Ist ja makaber. Mein Mitgefühl gilt allen Angehörigen“, kommentiert ein Nutzer mit dem Namen Tigerlutz den Twitter-Beitrag von Kaminsky.
U. Lancier schreibt: „‘Früh Vorsorge getroffen‘ – bitterer Hohn für die Angehörigen der Tausenden zu früh Gestorbenen und Sterbenden. Frühe Vorsorge wäre ein harter Lockdown nach dem Ende der Ferienzeit mit geschlossenen Schulen für mindestens drei Wochen gewesen. [Was jetzt gemacht wird,] ist ‚Das Falsche, zu wenig, zu spät‘.“
Die Nutzerin Tirza fügt hinzu: „Eine zynische Aussage und Schlag ins Gesicht der Angehörigen. Vorsorge wäre ein rechtzeitiger Lockdown und eine vernünftige Schulpolitik gewesen. Stattdessen wurde diese Entscheidung verzögert und Schutz in Schulen verhindert.“
Zahlreiche Schüler, Pädagogen und Eltern verleihen ihrer Wut darüber Ausdruck, dass sich Bund und Länder nach wie vor weigern, die Schulen und nicht lebensnotwendigen Betrieben konsequent zu schließen.
„Kitas sind in Berlin weiterhin geöffnet, nicht nur für Systemrelevante, sondern auch für Eltern, die Bedarf haben. In meiner Kita sind mehrere Erzieher, Kinder und Eltern Covid-positiv. Ich bin froh, dass ich mein Kind seit Monaten raushalten konnte“, schreibt Jesse, eine Lehrerin aus dem Rot-Rot-Grün regierten Berlin, auf Twitter.
Franziska aus Mecklenburg-Vorpommern kritisiert, dass auch die dortige Landesregierung aus SPD und CDU sich weigert, Kitas und Schulen konsequent zu schließen. „Die Kitas sind normal geöffnet. Es gehen noch viele Kinder in die Schule. Ich bin der Meinung, sie hätten alles dicht machen müssen bis zum 10. Januar, inklusive Schulen und Kitas. So bringt es alles nix“, schreibt sie in der Facebook-Gruppe „Schulstreik“.
Marie-Luise aus Brandenburg/Oberhavel, die in der gleichen Gruppe aktiv ist, berichtet: „Wir haben eine Inzidenz von 177 – Tendenz steigend. Trotz Aufhebung der Präsenzplicht seit Montag sind Schulen und Kitas immer noch voll. Abschlussklassen und Förderschulen haben Präsenzpflicht.“ Und Lisa M. erklärt: „In Potsdam beträgt der Inzidenzwert 193 – trotzdem sind die Schulen voll und die Abschlussklassen und Förderklassen haben sogar Präsenzpflicht. Ich bin so stocksauer!“
Clemens aus München, der in einer Kita ein FSJ absolviert und Mitglied im Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Bildung ist, erklärt gegenüber der WSWS: „Die tausend Corona-Toten pro Tag sind das tragische Ergebnis der kriminellen Politik der herrschenden Klasse. Die Bundes- und Länderregierungen haben gewusst, dass es soweit kommen kann und haben das bewusst in Kauf genommen, um die Betriebe offen halten zu können. Dazu mussten auch die Schulen und Kindergärten offen bleiben.“
In seiner Kindergarten-Gruppe seien „heute wieder zehn Kinder da. Unser Schutz beläuft sich auf ständiges Tragen von Masken – bis vor kurzem waren es noch FFP2-Masken, die sind jetzt aber alle. Jetzt haben wir nur noch Einwegmasken, die wir nicht regelmäßig auswechseln können.“
Zu den politischen Aufgaben, mit denen Arbeiter und Jugendliche in dieser Situation konfrontiert sind, sagt Clemens: „Kanzlerin Merkel und andere Regierungspolitiker haben klar gemacht, dass sie unsere Einrichtungen um jeden Preis offen halten wollen. Der Preis für diese Politik sind tausende Tote, zu denen noch weitere hinzukommen werden, wenn die Arbeiterklasse nicht aktiv wird und überall Aktionskomitees gründet und auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive für ihre Forderungen kämpft.“
Das von der SGP und den IYSSE initiierte Netzwerk der Aktionskomitees kämpft dafür, die wachsende Opposition zu organisieren und einen europaweiten Generalstreik zur Schließung der Schulen und nicht lebensnotwendigen Betriebe vorzubereiten. Zu ihren Forderungen gehören „Milliardeninvestitionen in sichere und gute Bildung“ und „voller Lohnersatz für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen“. Registriere Dich hier, um dich an diesem Kampf zu beteiligen und dem Massensterben ein Ende zu setzen.
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