Heute Morgen um fünf Uhr sind die entlassenen WISAG-Kollegen in Frankfurt am Main in den Hungerstreik getreten. Sie greifen zu diesem extremen Mittel, um gegen willkürliche Entlassungen und monatelangen Lohnraub zu kämpfen. Kurz vor Weihnachten hat der Dienstleistungskonzern 230 seiner rund 800 Flughafen-Beschäftigten entlassen. 31 Vorfeld-Busfahrer erhalten schon seit Oktober keinen Lohn mehr.
Der WISAG-Konzern nutzt die Corona-Pandemie schamlos aus, um seine Profite zu steigern und Arbeiterrechte zu zerschlagen. Seit einem Jahr, seit Beginn der Pandemie, muss die Belegschaft infolge von Kurzarbeit bis zu 40 Prozent Lohneinbußen hinnehmen. Im Sommer wurden in Berlin-Tegel 350 WISAG-Beschäftigte entlassen. In Frankfurt am Main flatterte am 17. Dezember, kurz vor Weihnachten, 230 Bodenarbeitern die Kündigung von WISAG ins Haus.
Cemaleddin Benli ist einer der betroffenen WISAG-Arbeiter, die sich für den Hungerstreik entschieden haben. Ihm ist es wichtig, allen Arbeitern zu sagen: „Heute wir, morgen ihr! Wir müssen alle gemeinsam kämpfen und zusammenhalten. WISAG hat unser Leben zerstört – morgen kann es jeden von euch auch treffen.“
Benli arbeitet seit 36 Jahren am Flughafen. „Mein Traum war es immer, Pilot zu werden. Am Flughafen habe ich mit tollen Airlines gearbeitet, Pan American, Delta und andere. Die Firma Acciona habe ich mit aufgebaut, das war wie meine eigene Firma. Wir haben über 200 Maschinen am Tag abgefertigt.“ Als WISAG im Jahr 2018 die Konzessionen auf dem Vorfeld von der Firma Acciona Airport Services übernahm, war das für viele der Anfang vom Ende.
Die WISAG Holding mit Deutschland-weit an die 50.000 Mitarbeitern gehört einer der 300 reichsten deutschen Familien; ihr Vermögen wird auf knapp eine halbe Milliarde Euro geschätzt. Familienpatriarch und Konzerngründer Claus Wisser und sein Sohn Michael Wisser sind bestens vernetzt mit der Frankfurter SPD und den Grünen, die in Wiesbaden den Verkehrsminister stellen. Benli vermutet: „Hinter der Übernahme von WISAG am Flughafen steckt ein politischer Klüngel, an dem auch Verkehrsminister Tarek Al-Wazir beteiligt ist.“
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, deren Führungspersonal mehrheitlich der SPD, der Linken und den Grünen angehört oder nahesteht, hat die Übergabe der Konzessionen an WISAG in 2018 aktiv unterstützt. Ihr Führungspersonal sitzt in den Aufsichtsräten sämtlicher Flughafenunternehmen, von Lufthansa über Fraport bis WISAG. Bei Lufthansa hat Verdi zusammen mit Ufo und Cockpit der Konzernleitung Lohnsenkungen von bis zu 50 Prozent angeboten. Auch im Arbeitskampf gegen WISAG steht Verdi auf der anderen Seite der Barrikade.
Wie Benli berichtet, haben die Vorfeldarbeiter mit der Dienstleistungsgewerkschaft üble Erfahrungen gemacht. „Am Schlimmsten von allen ist Verdi“, so Benli, „die kannst du vergessen. Sie haben für uns keinen Finger gerührt.“ Sie hätten nicht einmal ihre Mitglieder über den Kampf bei WISAG informiert. „Sie sind nur daran interessiert, ob der Mitgliedsbeitrag kommt oder nicht.“
Benli berichtet, wie 230 Arbeiter die Entlassungen von WISAG zugestellt bekamen: „Zwei Mitarbeiter mussten die Kündigungen kurz vor Weihnachten verteilen. Das war knallhart. Es hat klar gezeigt, dass die ganze ‚Wertschätzung‘, die Claus Wisser offiziell behauptet, nur Reklame ist. Im Innern des Konzerns gibt es das alles nicht.“
Er berichtet: „WISAG sagt uns, wegen der Pandemie sei keine Arbeit da, aber das ist gelogen. Jeden Tag werden 40 bis 50 Maschinen abgefertigt.“ Die Kollegen, die jetzt auf dem Vorfeld arbeiten, würden massiv ausgebeutet. Außerdem sei die Sicherheit im Flugverkehr akut bedroht. „Wir haben doch alle eine gründliche Ausbildung gemacht und müssen uns alle zwei Jahre weiterbilden. WISAG hat neue Leiharbeiter angeheuert, die gar nicht für die Arbeit ausgebildet sind. Was ist, wenn da was passiert? Sie riskieren einen Absturz.“
Außerdem hätten die Vorfeld-Arbeiter auch keinerlei Corona-Schutz. „Es gab bisher schon viele Fälle. Normalerweise müssten die Kollegen informiert und geschützt werden. Aber hier wird alles vertuscht – wie bei der Mafia.“
Benli hatte vor zehn Jahren einen schweren Arbeitsunfall erlitten. Er stürzte aus viereinhalb Meter Höhe von einem Flugzeug auf die Betonpiste, musste per Hubschrauber in die Klinik geflogen werden. „Mein ganzes Leben zog wie ein Film an mir vorbei“, berichtet er. „Seither habe ich fast immer Schmerzen, muss Tabletten nehmen und habe schwere Schlafstörungen. Die Kündigung hat alles noch viel schlimmer gemacht.“ Der fünffache Vater mit zwei noch schulpflichtigen Söhnen weiß nicht, wie es weitergehen soll. „Mich würde mit 53 doch niemand mehr einstellen. Ich habe eine Miete von fast tausend Euro und Kredite abzuzahlen.“
Die Entlassenen sollen mit einer schäbigen Abfindung abgespeist werden: Der Konzern habe ihm nach 22 Jahren Betriebszugehörigkeit eine Abfindung von gerade mal 4.000 Euro angeboten, berichtet Benli. Das bedeute die Zerstörung seiner Existenz und derjenigen seiner Familie. Mit einem Federstrich sollen die Arbeiter alle ihre Rechte aufgeben, obwohl die meisten von ihnen schon viel länger am Flughafen sind als die Firma WISAG, die erst vor zwei Jahren ihre Tätigkeit aufnahm. Tatsächlich sind es gerade diejenigen Arbeiter, die seit 20 oder mehr Jahren am Flughafen Schwerstarbeit verrichten und sich etwas bessere Konditionen, zum Beispiel den Anspruch auf Betriebsrente, erarbeitet haben, die der Konzern jetzt loswerden will.
„WISAG hat 230 Familien zerstört, und die Regierung schaut zu“, sagt Benli. „Sind nicht die Kinder die Zukunft? Unsere Kinder sind ihnen scheißegal.“ Den Hungerstreik betrachtet Benli als einen „Anfang“, um die Öffentlichkeit und vor allem alle Arbeiter aufzurütteln. „Wir kämpfen schon seit Monaten, aber weder WISAG noch die Politiker haben sich gerührt.“
Im August hat WISAG eine neue „unternehmerische Weichenstellung und Strategie“ beschlossen, der zufolge das Unternehmen seine Festanstellungen am Flughafen „dauerhaft auf ca. 60 Prozent unserer Kapazitäten vor der Pandemie“ reduzieren will. Zum Ausgleich setzt der Konzern auf Leiharbeiter, um die Belegschaft zu spalten und das Prinzip Hire and Fire praktisch uneingeschränkt durchzusetzen. Schon im März 2020 waren die Leiharbeiter die ersten, die entlassen wurden.
Am Hungerstreik nehmen auch einige Busfahrer teil, die seit Monaten ohne Lohn ausharren. Am 1. Oktober hat der WISAG-Konzern seinen 31 Busfahrern eröffnet, sie würden ab sofort in die Firma Sky City Bus GmbH ausgegliedert – eine Firma, die erst seit März existiert und die erworbenen Rechte der Arbeiter nicht respektiert. Weil die Fahrer sich der Ausgliederung verweigerten, wie es ihr gutes Recht ist, erhalten sie seither seit vier Monaten keinen Lohn.
Die WISAG-Arbeiter haben sich der IGL zugewandt, einem Zusammenschluss der Spartengewerkschaften im Flugverkehr, die seit Dezember mehrere Demonstrationen und Kundgebungen mit ihnen organisiert hat. „Die IGL hat uns geholfen“, sagt Benli. Allerdings unterscheidet sich die politische Perspektive der IGL nicht von derjenigen der DGB-Gewerkschaften; wie diese stützt sie sich auf ein nationales und kapitalistisches Programm.
In der Mitteilung, mit der die IGL den Hungerstreik ankündigt, schreibt sie: „Gemeinsam mit unseren Mitgliedern haben wir alles versucht“ (Hervorhebung im Original). Damit meint sie ihre Appelle an Claus Wisser und den WISAG-Vorstand, an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und an den hessischen Landtag, die – nicht überraschend – ohne Erfolg und praktisch ohne Antwort geblieben sind.
Die WISAG-Arbeiter dürfen ihre Hoffnungen nicht auf Minister und Kapitalisten setzen, die ja hinter den Angriffen auf Arbeitsplätze und Löhne stecken. Sie müssen sich an ihre natürlichen Verbündeten richten: die vielen hunderttausend Kollegen in den anderen Betrieben und Flughäfen, die während der Corona-Pandemie ebenfalls unter dem Damoklesschwert drohender Entlassungen und Ausgliederungen stehen und gezwungen werden, zu immer schlimmeren Bedingungen zu arbeiten und ihr Leben und ihre Gesundheit zu riskieren.
Alle Flughafenarbeiter – ob bei WISAG, Lufthansa, Fraport, im Cargo-Bereich oder anderswo – müssen gemeinsam den Kampf aufnehmen, um jeden Arbeitsplatz und alle Errungenschaften zu verteidigen! Solange die Pandemie wütet, muss die Arbeit auf das Lebensnotwendige reduziert werden, bei vollem Lohnausgleich für alle Betroffenen! Die Sozialistische Gleichheitspartei schlägt vor, unabhängige, international vernetzte Aktionskomitees aufzubauen, die gemeinsam einen europaweiten Generalstreik vorbereiten.