Die Uniklinik Münster (UKM) hat einem Fachkrankenpfleger fristlos gekündigt, weil er auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Klinik aufmerksam gemacht hat. Ende letzten Monats hatten mehrere Pflegekräfte der UKM, darunter auch der jetzt gekündigte Intensivpfleger, bessere Arbeitsbedingungen gefordert und in der WDR-Sendung Lokalzeit Münsterland ihre prekäre Situation geschildert.
In einem Brief haben zahlreiche UKM-Beschäftigte „Wut und Entsetzen über die Kündigung von einem der Unseren“ geäußert. Man habe nach der öffentlichen Kritik miterleben müssen, „wie ein geschätztes Mitglied unserer Gruppe über mehr als eine Woche hinweg massiv unter Druck gesetzt und letztlich außerordentlich und fristlos gekündigt wurde“, heißt es in dem Brief.
Die Beschäftigten beklagen auch, dass ihr vor Monaten vorgebrachter Vorwurf der Überbelastung vom Klinikvorstand ignoriert worden sei. Sie hatten bereits im letzten November in einem offenen Brief an die Klinikleitung die unhaltbare Personalsituation kritisiert. Die derzeitige Dienstplanung sei „patientengefährdend“, warnten sie.
Weil seit dem 1. Oktober keine Leiharbeitskräfte mehr in der Pflege der Uniklinik eingesetzt werden sollen, hieß es in dem Brief, habe sich die Arbeits- und Belastungssituation enorm zugespitzt. Trotz der extremen Belastung infolge der Corona-Pandemie und den zahlreichen schweren Fällen auf den Intensivstationen seien einzelne Kräfte von dort auf andere Stationen versetzt worden, um auszuhelfen.
Weiter schrieben die Beschäftigten, die Aussage des Klinikmanagements, eine sichere Versorgung von intensivpflichtigen Corona-Patienten sei gewährleistet, spiegle „nicht die Realität wider, wenn man bedenkt, dass jedes belegte Intensivbett von überlasteten Pflegenden betreut werden muss“.
59 Intensivpflegekräfte unterschrieben eine Verfügung, die es der Klinik untersagen soll, sie in ihrer Freizeit wegen dienstlicher Belange anzurufen. Sie seien nicht mehr bereit, Ausfälle „zulasten ihrer eigenen Ruhezeiten und Gesundheit zu kompensieren“.
Die Klinikleitung ignorierte die Vorwürfe der Beschäftigten und warf ihnen vor, die Frage des Personalmangels aufzubauschen. Sie rechtfertigte die Entlassung der Leiharbeiter damit, dass der Personalschlüssel noch immer über der Mindestgrenze liege.
In den folgenden Monaten änderte sich die Lage nicht. Die Betten waren weiterhin mit schweren Fällen voll ausgelastet. Zu wenig Pflegekräfte und zu viele Überstunden sind der Alltag. Die Folgen für Patienten und Beschäftigte sind dramatisch, wie die WDR-Sendung schilderte. So werden Patienten zu früh aus der Intensivstation verlegt, und bei einer Pflegekraft für 13 Patienten ist die fachgerechte Versorgung nicht gesichert.
Das erklärte Ziel der Pflegekräfte war es, durch die WDR-Sendung mehr Pflegekräfte zu mobilisieren. Das sollte der „Startschuss“ sein, sich breit zu vernetzen und Forderungen zu stellen. Genau dies soll nun durch die Kündigung verhindert werden. Sie soll Pflegekräfte und andere Beschäftigte einschüchtern, damit sie sich nicht gegen die desaströsen Bedingungen zur Wehr setzen.
Auch die Asklepios-Klinik St. Georg in Hamburg hat unlängst einer Pflegekraft wegen angeblicher Falschdarstellungen gekündigt, nachdem sie gegenüber dem Hamburg Journal über die Zustände auf den Intensivstationen des Krankenhauses gesprochen hatte.
Dies macht deutlich, dass entsetzliche Arbeitsbedingungen in den Kliniken nicht die Ausnahme sind, sondern die Regel. Nachdem sich die Lage der Kliniken und die Arbeitsbedingungen des Krankenhauspersonals in den letzten drei Jahrzehnten durch Bettenabbau, Privatisierung und immer stärkeren Wettbewerb immens verschlechtert haben, spitzt sich die Lage in der Corona-Pandemie immer heftiger zu.
Dabei sind laut einer Studie der Techniker Krankenkasse Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen besonders häufig von Covid-19-Infektionen betroffen. Während im Durchschnitt von 100.000 Erwerbstätigen knapp 500 aufgrund einer Corona-Infektion krankgeschrieben wurden, waren es bei ambulanten und stationären Altenpflegekräften mit gut 1200 mehr als doppelt so viele, ebenso bei Gesundheits- und Krankenpflegern mit rund 1100 Fällen.
Die Auswirkungen der Pandemie, deren Ausbreitung durch die Öffnungspolitik der Regierung befeuert wurde, zeigen sich nun auch in den Kliniken, wo es trotz teilweise engmaschiger Testungen immer wieder zu massenhaften Ausbrüchen kommt. Betroffen ist dort verstärkt das Personal, das mittlerweile seit über einem Jahr unter extremen Bedingungen tätig ist. Wenn weiter geöffnet wird, drohen deutlich mehr Klinikeinweisungen und höhere Todeszahlen.
Die Pandemie bringt die Folgen des Kahlschlags im Gesundheitswesen ans Licht, das immer mehr auf Profit getrimmt wurde. Trotzdem fordern Politik und Wirtschaft weitere Kürzungen. Dabei spielt ihnen die finanzielle Krise vieler Krankenhäuser in die Hände.
Am Anfang der Corona-Pandemie hatten viele Kliniken ihre Betten freigehalten, um notfalls schnell Corona-Infizierte behandeln zu können. Krankenhäuser sollten dafür Ausgleichszahlungen erhalten, die aber nicht ausreichen, um sie finanziell am Leben zu erhalten. Nach einer aktuellen Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sind die monatlichen Erlöse im Vergleich zum Vorjahresmonat um 1,8 Milliarden Euro bzw. 20 Prozent zurückgegangen.
„Die Politik muss die dramatische finanzielle Lage der Krankenhäuser zur Kenntnis nehmen und erkennen, dass das reguläre Finanzierungssystem in dieser Ausnahmesituation nicht funktioniert“, forderte DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß. 40 Prozent der Kliniken bekommen keine Ausgleichszahlungen, da sie die hohen Voraussetzungen nicht erfüllen. Knapp 70 Prozent aller Kliniken gehen in diesem Jahr von einem Verlust aus.
Dies dient als Vorwand, um inmitten der Pandemie Klinikpersonal zu entlassen und Betten abzubauen, wie im rot-rot-grün regierten Bremen. Im Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno) werden bis Ende 2024 440 Vollzeitstellen abgebaut. Zusätzlich sollen 250 Krankenhausbetten wegrationalisiert werden. Diese Pläne wurden von der Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) ausgearbeitet.
Im Sommer 2019 hat die Bertelsmann-Stiftung die Schließung jeder zweiten Klinik in Deutschland gefordert und in einer Studie vorgeschlagen, dass von den heute knapp 1400 Krankenhäusern weniger als 600 überleben. Im letzten Jahr wurden in Deutschland 21 Krankenhäuser geschlossen. Von 2018 bis 2019 fielen 4000 Betten weg.
Gleichzeitig schreitet die Privatisierung voran. Nachdem von 2005 bis 2019 über 200 öffentliche und 173 freigemeinnützige Krankenhäuser geschlossen oder veräußert wurden, stieg im selben Zeitraum die Anzahl der privaten Einrichtungen um 154.
So wird nun auch das defizitäre katholische Krankenhaus Groß-Sand in Hamburg privatisiert. Bereits jetzt gehen Beobachter davon aus, dass mit der Privatisierung möglicherweise Stellenstreichungen und weitere Sparmaßnahmen verbunden sein werden. Während die Klinik rund 80.000 Menschen versorgen muss, bedienen die Gesundheitsbehörden lediglich die Interessen der privaten Betreiber und deren Investoren. Während diese die Gewinne einstreichen, wurde von Behördenseite zugesichert, dass bei Investitionen großzügige finanzielle Unterstützung aus Steuergeldern fließen wird.
Unter diesen Bedingungen sind Ärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigte im Gesundheitswesen immer heftigeren Angriffen ausgesetzt, wie jetzt in Münster. Um diese Angriffe zurückzuschlagen, müssen sich die Beschäftigten unabhängig organisieren und der vorherrschenden Politik entgegentreten. Sämtliche Kürzungen der letzten Jahrzehnte müssen rückgängig gemacht werden. Kliniken und andere Gesundheitseinrichtungen müssen in öffentliches Eigentum umgewandelt werden und nicht mehr der Profitgier von Investoren, sondern dem Wohl der Gesellschaft dienen.