Perspektive

150 Jahre Pariser Kommune

Vor 150 Jahren, am 18. März 1871, erhoben sich die Arbeiter von Paris, um die französische Armee daran zu hindern, die Kanonen der Pariser Nationalgarde zu stehlen. Dieser Aufstand, der eine Woche später zur Bildung der Pariser Kommune führen sollte, war von weltgeschichtlicher Bedeutung. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass die Arbeiterklasse die Macht übernahm und einen Arbeiterstaat bildete.

Als sich die Soldaten mit den Pariser Arbeitern verbrüderten und den Schießbefehl ihrer Offiziere verweigerten, floh die französische Regierung von Adolphe Thiers in Panik von Paris nach Versailles. Da die Bevölkerung von Paris bewaffnet war und die Regierung Thiers die Stadt verlassen hatte, ging die Macht in die Hände der Arbeiter über.

Eine Barrikade in der Chaussée Ménilmontant, 18. März 1871

Am 26. März fanden die Wahlen zur Kommune statt. Die Kommune ergriff Maßnahmen, um die monströse soziale Ungleichheit, die das französische kapitalistische Regime geschaffen hatte, zu verringern und den Rückhalt der arbeitenden Menschen in Frankreich und Europa zu gewinnen.

Die Grausamkeit, mit der die Thiers-Regierung reagierte, stand in direktem Verhältnis zu der tödlichen Bedrohung, die die Finanzaristokratie für ihre Klassenherrschaft empfand. Nach zweimonatiger Vorbereitung stellte Thiers eine Armee auf, um die Kommune zu zerschlagen und Paris in Blut zu ertränken. In der berüchtigten Blutigen Maiwoche vom 21. bis 28. Mai 1871 stürmte die Versailler Armee Paris, setzte schwere Artillerie ein und ermordete wahllos Männer, Frauen und Kinder, die verdächtigt wurden, für die Kommune gekämpft oder mit ihr sympathisiert zu haben.

Schätzungsweise 20.000 Pariser wurden umgehend hingerichtet und weitere 40.000 wurden zu Fuß nach Versailles verbracht, um entweder in Frankreich inhaftiert oder in die Strafkolonien Französisch-Guayana und Neukaledonien deportiert zu werden und dort Zwangsarbeit zu leisten.

Mit der Kommune erkaufte sich die internationalen Arbeiterklasse zu einem enormen Blutzoll eine unschätzbare Erfahrung im Kampf um die Macht. Als die Bolschewiki unter der Führung von Wladimir Lenin und Leo Trotzki die Oktoberrevolution von 1917 und die Machtübernahme durch die Arbeiterklasse in Russland vorbereiteten, arbeiteten sie diese Lehren unermüdlich durch. Sie sind heute – inmitten der grotesken sozialen Ungleichheit, des polizeistaatlichen Militarismus und der Spekulationsorgien des zeitgenössischen Kapitalismus – aktueller denn je.

Die Lehren wurden allen voran von Karl Marx gezogen. In seinen Ansprachen an das Weltproletariat, die er zur Zeit der Entfaltung der Kommune für die Internationale Arbeiterassoziation schrieb, verteidigte Marx die Kommune und pries die Kommunarden als „Himmelsstürmer“. Die in ganz Europa veröffentlichten und in Der Bürgerkrieg in Frankreich gesammelten Ansprachen verschafften Marx die fortdauernde Unterstützung der Arbeiter von Frankreich und vielen anderen Ländern.

Der Klassenkampf in Frankreich und die materialistische Geschichtsauffassung

Die Analyse der Kommune durch Marx und seinen großen Weggefährten Friedrich Engels war das Ergebnis einer drei Jahrzehnte umfassenden theoretischen Vorwegnahme, die mit der Ausarbeitung der materialistischen Geschichtsauffassung verbunden war. Im Jahr 1844 wies Marx auf die entscheidende Rolle der proletarischen Revolution für die Emanzipation der Menschheit hin: „Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat.“ Das von Marx und Engels verfasste Kommunistische Manifest von 1847 beginnt mit der berühmten Aussage:

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander… Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, daß sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.

Das Kommunistische Manifest erschien am Vorabend der ersten großen sozialen Eruption des 19. Jahrhunderts in Europa – der Revolution von 1848, die sich über Deutschland, Österreich, Frankreich und andere Länder ausbreitete. In diesem Jahr stürzte ein Aufstand in Paris den letzten in der Reihe der Könige, die durch Frankreichs Niederlage in den Napoleonischen Kriegen nach der Französischen Revolution wieder an die Macht gekommen waren. Zum ersten Mal seit dem 18. Jahrhundert und der Französischen Revolution von 1789 wurde in Frankreich wieder die Republik ausgerufen.

Karl Marx (1818-1883)

Einzig eine marxistische Analyse konnte erklären, warum die Revolution von 1848 so anders verlief als ihre große Vorgängerin im 18. Jahrhundert. Die Jakobiner, die nach der Revolution von 1789 an die Macht kamen – und den Feudalbesitz enteigneten, die absolute Monarchie abschafften und die Erste Republik gründeten – stützten sich auf die unabhängigen Handwerker, die Sansculotten. Die liberale Bourgeoisie, die 1848 in der Zweiten Republik die Macht übernahm, geriet in einen unversöhnlichen Konflikt mit dem neuen Industrieproletariat.

Als die Zweite Republik im Juni 1848 die Nationalwerkstätten schloss – die errichtet worden waren, um den Arbeitslosen Arbeit zu geben – erhoben sich die Arbeiter von Paris gegen diese Politik, die Armut und Hunger bedeutete. General Eugène Cavaignac, der die Armee und die Sicherheitskräfte bei der blutigen Repression der Junitage anführte, tötete mehr als 3.000 Arbeiter, verhaftete 25.000 weitere und verurteilte 11.000 zu Gefängnis oder Deportation. Die Zweite Republik geriet derart in Misskredit, dass Napoleons Neffe Louis Bonaparte im Jahr 1851 durch einen Staatsstreich die Macht übernehmen konnte. Er gründete das Zweite Kaiserreich und nahm den Namen Napoleon III. an.

Marx, der den Verlauf der Revolutionen von 1848-1851 in genialen Schriften kontinuierlich analysierte, zog die entscheidende Schlussfolgerung aus diesem großen Kampf. In einem Brief an Ludwig Kugelmann schrieb Marx:

Wenn Du das letzte Kapitel meines „Achtzehnten Brumaire" [des Louis Bonaparte] nachsiehst, wirst Du finden, dass ich als nächsten Versuch der französischen Revolution ausspreche, nicht mehr wie bisher die bürokratisch-militärische Maschinerie aus einer Hand in die andere zu übertragen, sondern sie zu zerbrechen, und dies ist die Vorbedingung jeder wirklichen Volksrevolution auf dem Kontinent.

Die Pariser Kommune und die Blutige Maiwoche

Die Kommune – das nächste große revolutionäre Unterfangen in Frankreich – entstand aus dem Krieg, den Napoleon III. im Juli 1870 gegen Preußen begann. Dieser Krieg war ein verbrecherisches Abenteuer, das darauf abzielte, Preußens Bestrebungen zur Einigung Deutschlands zu blockieren, um die Weltposition des französischen Imperialismus aufrechtzuerhalten und zugleich die zunehmenden Klassenkämpfe im Inneren zu unterdrücken. Tatsächlich hatte nur sechs Monate zuvor, nachdem Prinz Pierre Bonaparte im Januar 1870 den linken Journalisten Victor Noir erschossen hatte, ein Protest von über 100.000 Menschen bei Noirs Beerdigung in Paris zu einem Aufstandsversuch geführt.

Der Deutsch-Französische Krieg brachte das Zweite Kaiserreich zu Fall. Die französische Armee, die zahlenmäßig und hinsichtlich ihrer Artillerie und Logistik unterlegen war und unter inkompetenter Führung stand, erlitt eine demütigende Niederlage. Napoleon III. wurde am 2. September bei Sedan gefangen genommen, und die preußische Armee besetzte Nordfrankreich. Am 4. September wurde inmitten von Massenprotesten in Paris die Dritte Republik proklamiert. Es wurde eine Regierung der Nationalen Verteidigung gebildet, die von Liberalen und bonapartistischen Bürgerlichen wie Thiers, Jules Favre und General Louis-Jules Trochu geführt wurde. Am 17. September belagerte die preußische Armee Paris.

Die Bourgeoisie stellte wieder einmal unter Beweis, dass sie sowohl der Demokratie als auch der Verteidigung der Bevölkerung feindlich gegenübersteht. Am 28. Oktober kapitulierte der Befehlshaber der französischen Armeen im Osten, General François-Achille Bazaine, mit seinen Truppen nach einer kurzen Belagerung bei Metz vor einer kleineren preußischen Armee. Bazaine, dessen Hass auf demokratische Prinzipien und den Republikanismus bekannt war, wurde weithin des Verrats beschuldigt. Die Situation in Paris, der belagerten Hauptstadt der neuen Republik, wurde immer verzweifelter.

Die Bevölkerung von Paris musste – bewaffnet und in Einheiten der Nationalgarde organisiert – inmitten einer weit verbreiteten Hungersnot ausharren, bis am 26. Januar 1871 ein Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Victor Hugo, der gefeierte Schriftsteller und Autor des Werks Les Misérables, war nach der Gründung der Republik nach Paris zurückgekehrt und hatte die Belagerung miterlebt. Er gab der weit verbreiteten Wut auf die herrschende Elite eine Stimme, als er schrieb: „Paris war ebenso das Opfer seiner Verteidiger wie das seiner Angreifer.“

Der Klassenkonflikt erwies sich als weit stärker und grundlegender als der nationale Konflikt zwischen der französischen und der deutschen Bourgeoisie. Thiers war, als er mit Preußen einen Waffenstillstand aushandelte, wie Bazaine vor allem darauf bedacht, eine Revolution abzuwenden. Was die preußische Armee betrifft, so hielt sie sich – abgesehen von einer kurzen, dreitägigen Besetzung der Avenue des Champs-Elysées – sorgfältig außerhalb der Pariser Stadtgrenzen und mied insbesondere die dicht besiedelten Viertel der bewaffneten Arbeiter im Osten von Paris. Sowohl die französische als auch die preußische herrschende Klasse waren vor allem darum bemüht, die Pariser Arbeiter zu entwaffnen.

Der Aufstand vom 18. März 1871 war die spontane Antwort der Pariser Arbeiterklasse auf Thiers' ersten Versuch, sie durch die Beschlagnahme der Kanonen der Nationalgarde zu entwaffnen. Die Arbeiter verbrüderten sich mit den Soldaten. Zwei Generäle, die den Soldaten erfolglos befohlen hatten, auf die Arbeiter zu schießen – Clément Thomas und Claude Lecomte, der die Repression im Juni 1848 mit angeführt hatte – wurden verhaftet und erschossen. Am selben Tag floh Thiers aus Paris nach Versailles.

Die von den Pariser Kommunarden auf den Hügel Montmartre transportierten Kanonen, nachdem die Armee am 18. März 1871 versucht hatte, sie zu beschlagnahmen.

Die Wahlen zur Kommune und zum Zentralkomitee der Nationalgarde wurden nach Bezirken abgehalten und ergaben für die Arbeiterviertel eine überwältigende Mehrheit. Diese Gremien entwickelten sich zunehmend zu Organen der Arbeitermacht. Die Mitglieder der Kommune und des Zentralkomitees der Nationalgarde, die von den wohlhabenden westlichen Bezirken gewählt wurden, machten sich nicht die Mühe, an den Sitzungen der beiden Gremien teilzunehmen. In Der Bürgerkrieg in Frankreich erklärte Marx das Wesen des neuen Arbeiterstaates:

Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse… Die Polizei, bisher das Werkzeug der Staatsregierung, wurde sofort aller ihrer politischen Eigenschaften entkleidet und in das verantwortliche und jederzeit absetzbare Werkzeug der Kommune verwandelt. Ebenso die Beamten aller andern Verwaltungszweige. Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts, mußte der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden. Die erworbnen Anrechte und die Repräsentationsgelder der hohen Staatswürdenträger verschwanden mit diesen Würdenträgern selbst.

Während sie von französischen und preußischen Armeen umzingelt war, verfolgte die Kommune eine sozialistische und demokratische Politik. Sie legte einen Mindestlohn fest, richtete kommunale Kantinen für Arbeiter ein und vergab leerstehende Wohnungen an arme Familien. Sie gewährte kleinen Unternehmen und Mietern, die durch die Belagerung bankrottgegangen waren, einen Schuldenerlass auf Kosten der Banken und Vermieter und ließ Arbeiter Wertsachen aus Pfandhäusern zurücknehmen. Sie stellte die Pressefreiheit sicher, führte eingetragene Partnerschaften ein, säkularisierte das Bildungswesen und setzte sich dafür ein, dass Männer und Frauen für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden.

Die Kommune traf keine Unterscheidung zwischen Nationalitäten und trat offen für die internationale Einheit der Arbeiterklasse ein. So schrieb Marx 1871:

Die Kommune ließ alle Fremden zu der Ehre, für eine unsterbliche Sache zu fallen. – Zwischen dem durch ihren Verrat verlornen auswärtigen Krieg und dem durch ihre Verschwörung mit dem fremden Eroberer entzündeten Bürgerkrieg hatte die Bourgeoisie Zeit gefunden, ihren Patriotismus durch die Organisation von Polizeijagden auf die Deutschen in Frankreich zu betätigen. Die Kommune machte einen Deutschen zu ihrem Arbeitsminister [Leo Frankel]… Die Kommune ehrte die Heldensöhne Polens, indem sie sie an die Spitze der Verteidigung von Paris stellte [Jaroslaw Dombrowski und Walery Wróblewski].

Zwischen der proletarischen Kommune, die für Gleichheit kämpfte, und der Dritten Republik, die das kapitalistische Privileg verteidigte, entstand ein Konflikt von epochaler Bedeutung. Thiers verhandelte mit Preußen und arbeitete fieberhaft daran, genügend gefangene französische Soldaten zu befreien, um eine überwiegend aus den ländlichen Gebieten rekrutierte Armee aufzustellen, die die Kommune zerschlagen sollte. Diese Truppe erhielt doppelte Rationen an Alkohol und wurde durch Jugendliche aus wohlhabenden Familien verstärkt, die aus Paris nach Versailles geflohen waren. Im Mai war sie schließlich bereit, den Angriff auszuführen.

Nachdem die Versailler Armee am 21. Mai einen schlecht verteidigten Teil der Stadtmauer eingenommen hatte, massakrierte sie die Kommune innerhalb einer Woche in einem grausamen Gemetzel. Während sie Paris mit schwerer Artillerie bombardierte, rückte sie ostwärts in die Arbeiterviertel vor und zerschlug derweil Barrikaden, die die Kommunarden in den Straßen der Stadt errichtet hatten. Thiers selbst ließ keinen Zweifel an der Politik der Dritten Republik. In einer Rede vor der Nationalversammlung erklärte er am 24. Mai öffentlich: „Ich habe Ströme von Blut vergossen.“

Kämpfer der Kommune wurden entweder an Ort und Stelle erschossen, sobald sie gefangen genommen wurden, oder – wenn es zu viele waren – an einen anderen Hinrichtungsort geschickt. Rund um die für Massenerschießungen genutzten Plätze – darunter bekannte Touristenziele wie die Gärten Monceau und Luxembourg, der Italienische Platz, die Militärschule und der Friedhof Père Lachaise – färbten sich die Straßen rot vom Blut. Erschießungskommandos und Maschinengewehre waren rund um die Uhr im Einsatz. Einige Häftlinge wurden gezwungen, ihre eigenen Gräber zu schaufeln, bevor sie erschossen wurden. Andere – Männer wie Frauen – wurden erschossen oder mit dem Bajonett aufgespießt, nackt ausgezogen und auf die Straße geworfen, um die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen.

Eine mörderische Raserei ergriff von den Wohlhabenden Besitz. Le Figaro schrieb: „Nie hat sich eine solche Gelegenheit geboten, Paris von dem moralischen Wundbrand zu heilen, der es in den letzten 20 Jahren zerfressen hat. ... Auf geht's, liebe Leute! Helfen Sie uns, mit dem demokratischen und sozialistischen Ungeziefer fertig zu werden.“

Für die Finanzaristokratie war die Jagdsaison auf die Arbeiter eröffnet. Nachdem in der Presse wilde Gerüchte über weibliche Kommunarden verbreitet wurden, die angeblich Häuser mit Benzin in Brand setzten, war jede Frau aus der Arbeiterklasse, die im Besitz von Öl angetroffen wurde, in Gefahr. Frauen, die versuchten, ihre toten Ehemänner einzuäschern, oder nach dem Kauf von Olivenöl erwischt wurden, wurden ermordet. Von der Armee inhaftierte Kommunarden wurden vor ihrer Erschießung oft von wohlhabenden Schlägern misshandelt. Mitglieder dieses Pöbels zahlten Geldbeträge an Soldaten, die sich damit brüsteten, Frauen und Kinder der Kommune getötet zu haben. In seinem 2014 erschienenen Buch über die Pariser Kommune, Massacre, schrieb der Historiker John Merriman:

Menschen wurden entkleidet und ihre Schultern auf die Spuren untersucht, die der Rückstoß eines Gewehrs hinterlässt. Wurden solche Spuren gefunden, erschoss man die Person sofort. Männer, die „zerlumpt“ aussahen, schlecht gekleidet waren und sich nicht sofort rechtfertigen konnten oder keinem „ordentlichen“ Beruf nachgingen, hatten kaum eine Chance, die kurze Anhörung vor dem Standgericht zu überleben.

Nachdem 20.000 Bürger von Paris von der französischen Armee nach Gutdünken erschossen worden waren, verbrachte man weitere 40.000 ohne Nahrung und Wasser zu Fuß zum Gericht nach Versailles. Offiziere und Wachen erschossen unterwegs willkürlich Nachzügler oder andere Gefangene. Etwa 11.000 wurden in Zwangsarbeitslager deportiert.

In einem Tagebucheintrag vom 31. Mai 1871 legte der bekannte Literaturkritiker Edmond de Goncourt rückblickend auf die Blutwoche das mörderische Kalkül der herrschenden Elite dar:

Es ist gut, dass weder eine Schlichtung noch eine Verhandlung stattfand. Die Lösung war brutal. Sie wurde durch schiere Gewalt erreicht. ... Die Lösung hat der Armee wieder Selbstvertrauen eingeflößt. Sie hat im Blut der Kommunarden gelernt, dass sie noch immer zu kämpfen im Stande ist; durch die Ausrottung des kämpferischsten Teils der Bevölkerung schiebt eine solche Säuberung die nächste Revolution um eine ganze Generation hinaus. Das alte Regime wird nun 20 Jahre Ruhe und Frieden haben, wenn der Staat weiterhin alles wagt, was er sich jetzt traut.

Die gründlichste Aufarbeitung dieser niederschmetternden Erfahrung wurde von den großen Marxisten vom Standpunkt der Interessen der Arbeiterklasse vorgenommen. Diese Lehre über die schrecklichen Folgen der Niederlage einer Revolution durfte nicht vergessen werden. Sie zeigte, zu welcher Grausamkeit die Bourgeoisie fähig war, um eine Bedrohung ihrer Herrschaft abzuwehren, und dass sie bereit war, Städte, Länder oder sogar die ganze Welt zu zerstören. Um diese konterrevolutionäre Gewalt der privilegierten Minderheit niederzuhalten, musste die Arbeiterklasse die Staatsmacht durch rücksichtsloses, entschlossenes Handeln übernehmen und halten.

Die Pariser Kommune in der Geschichte

Die zentrale Frage, die die Kommune der Arbeiterklasse in jedem Land stellt, ist der Aufbau einer revolutionären Führung. Vor einem Jahrhundert, als er im russischen Bürgerkrieg den Kampf der jungen Sowjetrepublik gegen die imperialistische Intervention anführte, schrieb Trotzki: „Wir können die ganze Geschichte der Kommune durchblättern, wir finden stets dieselbe Lehre: eine starke Führung der Partei ist notwendig.“ Trotzki stellte die Alternative auf, was geschehen wäre, wenn die Arbeiterklasse – und nicht die Dritte Republik – nach dem Sturz Napoleons III. die Macht übernommen hätte:

Wenn im September 1870 an der Spitze des französischen Proletariats eine straff organisierte Partei der revolutionären Aktion gestanden hätte, würde die Geschichte Frankreichs und damit die ganze Geschichte der Menschheit eine andere Richtung eingeschlagen haben. Wenn am 18. März die Macht dem Pariser Proletariat in die Hände fiel, so war es nicht die Folge einer bewussten Aktion, sondern die Folge des Rückzuges der Gegner aus Paris… Erst am nächsten Tag kam es ihm aber zum Bewusstsein… Unvorbereitet wurde es von der Revolution überrascht.

Die Kommune lieferte die entscheidende Erfahrung, aus der heraus die marxistische Bewegung das politische und theoretische Fundament einer festen revolutionären Führung erarbeitete.

Seinen höchsten Ausdruck fand dies in der gründlichen Aufarbeitung der Erfahrungen der Kommune durch die bolschewistische Partei, als sie die Machtergreifung im Oktober 1917 vorbereitete. In Staat und Revolution zog Lenin eine meisterhafte Bilanz über die Schriften von Marx und Engels zur Frage des Staats und die kurze Erfahrung der Arbeitermacht, die die Pariser Kommune bot.

Marx und Engels, so erklärte Lenin, hatten geschlussfolgert, dass der Staat kein Werkzeug zur Versöhnung der Klassen, sondern das Produkt der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ist. Sie untersuchten einerseits anthropologische Daten über primitive Gesellschaften, in denen es keinen Staat gab, als auch den Konflikt zwischen dem kapitalistischen Staat und der bewaffneten Bevölkerung von Paris im Jahr 1871. Der Staat, schrieb Engels, errichtet „eine öffentliche Gewalt, welche nicht mehr unmittelbar zusammenfällt mit der sich selbst als bewaffnete Macht organisierenden Bevölkerung“. Er fuhr fort:

Diese besondre, öffentliche Gewalt ist nötig, weil eine selbsttätige bewaffnete Organisation der Bevölkerung unmöglich geworden seit der Spaltung in Klassen… Diese öffentliche Gewalt existiert in jedem Staat; sie besteht nicht bloß aus bewaffneten Menschen, sondern auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art… Sie verstärkt sich aber in dem Maß, wie die Klassengegensätze innerhalb des Staats sich verschärfen…

Die Erfahrung der Pariser Kommune und diese von den großen Marxisten vorgenommene Analyse des Staats hatten weitreichende Folgen. Eine reformistische Perspektive, die auf die Hoffnung baute, mithilfe des kapitalistischen Staats die Klassengegensätze zu verringern und für dauerhaften Frieden und Wohlstand zu sorgen, war falsch und hoffnungslos utopisch. Gleiches galt für eine anarchistische Perspektive, die zur sofortigen Auflösung jeder Form von Staatsmacht aufrief – es also ablehnte, einen Arbeiterstaat gegen die konterrevolutionäre Gewalt der herrschenden Klasse zu errichten.

Lenin bekräftigte die Schlussfolgerung von Marx, dass „die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann“. Stattdessen musste die Arbeiterklasse ihren eigenen Staat aufbauen, wie es die Pariser Arbeiter im Jahr 1871 taten. Dies bedeutete zuallererst, eine Partei aufzubauen, um die Arbeiterklasse mit politischem und historischem Bewusstsein zu erfüllen und eine revolutionäre Politik zu verankern.

Diese Perspektive bildete die Grundlage der Oktoberrevolution von 1917 und des Übergangs der Staatsmacht von der zaristischen Autokratie auf die Organe der Arbeitermacht – die Sowjets –, wie er unter der Führung der bolschewistischen Partei stattfand. Als Lenin mitten im Gemetzel des Ersten Weltkriegs die bolschewistische Partei für den Kampf um die Macht sammelte, betonte er in seinen Schriften, dass der Kampf für die Errichtung eines Arbeiterstaats eine globale Politik sein müsse. Mit Bezug auf Marx‘ Bemerkung, dass die Arbeiterklasse „die bürokratisch-militärische Maschine“ zerschlagen müsse, um eine echte Revolution auf dem europäischen Kontinent durchzuführen, schrieb Lenin:

Jetzt, im Jahre 1917, in der Epoche des ersten großen imperialistischen Krieges, fällt diese Einschränkung von Marx [auf den europäischen Kontinent] fort. Sowohl England als auch Amerika, die im Sinne des Nichtvorhandenseins von Militarismus und Bürokratismus größten und letzten Vertreter angelsächsischer „Freiheit“ in der ganzen Welt, sind vollständig in den allgemeinen europäischen, schmutzigen, blutigen Sumpf der bürokratisch-militärischen Institutionen hinabgesunken, die sich alles unterordnen, die alles erdrücken.

In den 150 Jahren seit der Pariser Kommune mangelte es der Arbeiterklasse nicht an Gelegenheiten, die Macht zu übernehmen, wie sie es im Oktober 1917 tat. Im Mai 1968 besiegte ein Generalstreik von über 10 Millionen Arbeitern in Frankreich die Bereitschaftspolizei und zwang die de Gaulle-Regierung in die Knie – ein Beweis dafür, dass die Arbeiterklasse nichts von ihren revolutionären Fähigkeiten verloren hatte. In jüngerer Zeit stürzten eine revolutionäre Mobilisierung und ein Generalstreik der ägyptischen Arbeiterklasse im Jahr 2011 den Militärdiktator Hosni Mubarak, einen Handlanger des Imperialismus.

Die entscheidenden Fragen der politischen Perspektive und Führung, die von der Pariser Kommune aufgeworfen wurden, bleiben jedoch bestehen. Im Jahr 1968 verhinderte die Kommunistische Partei Frankreichs eine Revolution. Als stalinistische Partei lehnte sie die internationalistische Perspektive der Oktoberrevolution ab und stimmte einer Anpassung an den Imperialismus zu, die mit Stalins nationalistischer Perspektive des „Sozialismus in einem Land“ für die Sowjetunion gerechtfertigt wurde. Auf dieser Grundlage kettete sie die Arbeiterklasse im Mai 1968 durch das Abkommen von Grenelle an den französischen kapitalistischen Staat.

Mit den endlosen imperialistischen Kriegen, dem sozialen Kahlschlag und der Bereicherung der Finanzaristokratie in den Jahrzehnten seit der Auflösung der Sowjetunion durch die Stalinisten im Jahr 1991 stellen sich die Fragen der revolutionären Führung und der Arbeitermacht jetzt mit besonders großer Dringlichkeit.

Die Reaktion auf die Covid-19-Pandemie hat das kapitalistische System entlarvt. Mit der Begründung, dass für Abstandsregeln und andere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus kein Geld vorhanden sei, wurden selbst in den reichsten Ländern der Welt Hunderttausende dem Tode überantwortet, während in Form von Bankenrettungen Billionen Dollar und Euro an die Reichen verteilt wurden. Die bürgerlichen Parasiten von heute haben sich als nicht weniger rücksichtslos erwiesen als die des Zweiten Kaiserreichs in Frankreich, und übertreffen diese noch in ihrer Verkommenheit.

Auf der anderen Seite kam es in den letzten Jahren auf allen Kontinenten zu einer Explosion des Klassenkampfs. In einem kürzlich erschienenen Bericht über den weltweiten Ausbruch sozialer Massenproteste, die derzeit im Gange ist, schrieb der imperialistische US-Thinktank Center for Strategic and International Studies:

Wir leben in einem Zeitalter globaler Massenproteste, die in ihrer Häufigkeit, ihrem Ausmaß und ihrer Größe historisch beispiellos sind… Tatsächlich sind [sie] Teil eines jahrzehntelangen Trends, der jede bewohnte Weltregion umfasst, und dessen Häufigkeit zwischen 2009 und 2019 jedes Jahr durchschnittlich um 11,5 Prozent zugenommen hat. Die Größe und Häufigkeit der jüngsten Proteste stellen alle historischen Beispiele von Zeiten des Massenprotests in den Schatten, wie etwa die späten 1960er Jahre, die späten 1980er Jahre und die frühen 1990er Jahre.

Am 6. März 2021 blockieren indische Bauern anlässlich des hundertsten Tags der andauernden Proteste eine Hauptverkehrsstraßein der Nähe von Neu-Delhi (AP Photo/Emilio Morenatti)

Die sozialen Probleme, die das internationale Wiederaufleben des Klassenkampfes antreiben, können nicht ohne einen sozialistischen Kampf der Arbeiterklasse um die Macht gelöst werden, der erneut alle Fragen aufwirft, die sich aus der Erfahrung der Pariser Kommune ergeben. Die Covid-19-Pandemie ist nur eine besonders verheerende Erinnerung daran, dass der Kapitalismus von einer Finanzaristokratie beherrscht wird, die für Forderungen nach Reformen völlig unempfänglich ist. Die Alternative, die sich heute stellt, ist nicht Reform oder Revolution, sondern diejenige, die sich auch im Jahr 1871 den französischen Arbeitern stellte: sozialistische Revolution oder kapitalistische Konterrevolution.

Der Lebensstandard, die Gesundheit und das nackte Leben der Menschheit hängen davon ab, in jedem Land für den Übergang der Staatsmacht auf die Arbeiterklasse zu kämpfen. Gegen die Diktatur der Banken müssen die Arbeiter, die den Reichtum der Menschheit produzieren, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, und dazu brauchen sie eine internationale revolutionäre Führung.

Zweifellos wird der Kampf der Arbeiter um die Staatsmacht von bestimmten Kreisen als Versuch, die Diktatur des Proletariats zu errichten, abgelehnt und bekämpft werden. Dieser Begriff wird heute oft fälschlicherweise mit den Verbrechen des stalinistischen Regimes in Verbindung gebracht, das in Wirklichkeit vor 30 Jahren die Sowjetunion auflöste und die kapitalistische Herrschaft wiederherstellte. Diesen Gegnern des Kampfes um die Arbeitermacht kann man mit Engels entgegnen:

Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.

Loading