Angesichts der wachsenden militärischen Spannungen in der Schwarzmeerregion und der diplomatischen Krise zwischen den UA und Russland haben die EU und die Biden-Regierung erneut die Kampagne um den rechten Putin-Gegner Alexei Nawalny verschärft.
Nawalny wurde im Februar zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt, nachdem er aus Berlin nach Russland zurückgekehrt war. Zuvor hatte er mehrere Monate in Berlin verbracht, nachdem man ihn im August angeblich vergiftet hatte. Zwischen August und Januar waren die amerikanische und die deutsche Presse voll mit Berichten über den angeblichen Versuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Nawalny mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok umzubringen. Diese Vorwürfe werden zwar von den westlichen Medien als Tatsachen dargestellt, sind aber nie bewiesen worden. Sie stecken voller Widersprüche.
Jetzt haben die USA und die EU die Kampagne um Nawalny erneut verschärft. Er befindet sich seit drei Wochen im Hungerstreik. Laut seinen Ärzten sind seine Blutwerte so beängstigend schlecht, dass er „jeden Moment sterben könnte“.
Am Samstag bezeichnete US-Präsident Joe Biden die Behandlung Nawalnys als „völlig, völlig ungerecht“ und „völlig unangemessen“. Das Weiße Haus drohte mit „Konsequenzen“, falls Nawalny während seiner Haft sterben sollte. Am Montag betonte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, erneut: „Die russische Regierung ist dafür verantwortlich, was Herrn Nawalny in ihrem Gewahrsam passiert. Die internationale Staatengemeinschaft wird sie dafür zur Rechenschaft ziehen.“
Laut dem amerikanischen Botschafter in Russland, John Sullivan, verlaufe die „Kommunikation mit der russischen Regierung über das Thema“ hauptsächlich „auf privatem Weg und durch diplomatische Kanäle direkt an die obersten Ebenen der russischen Regierung“.
Auch die New York Times veröffentlichte am Samstag einen Leitartikel, in dem sie Putin aufforderte, Nawalny Zugang zu seinen Ärzten zu gewähren, um „sein Leben zu retten“.
Senator Bernie Sanders stellte sich sofort hinter die erneuerte Kampagne um Nawalny und twitterte: „Sagen wir klar, was hier passiert: Der Aktivist Alexei Nawalny wird von Wladimir Putin vor den Augen der Welt ermordet, weil er Putins immense Korruption aufgedeckt hat. Nawalnys Ärzte müssen sofort Zugang zu ihm erhalten.“
Mit Josep Borrel äußerte sich ein hoher Vertreter der Europäischen Union ähnlich. Er forderte den Kreml auf, Nawalny die notwendige medizinische Behandlung zukommen zu lassen. Er erklärte, die EU sei „sehr besorgt“ über seinen Zustand und Russland sei dafür „verantwortlich“.
Bei einem Auftritt vor dem Europarat in Straßburg am Dienstag forderte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merke indirekt die Freilassung Nawalnys. Die Bundesregierung mache sich „sehr große Sorgen" um ihn, so Merkel.
Am Montag war berichtet worden, Nawalny sei in ein Gefängniskrankenhaus verlegt worden. Laut seinen Mitarbeitern wurde er jedoch nur in eine andere Strafkolonie verlegt.
Arbeiter müssen die heuchlerische Kampagne der imperialistischen Mächte um die angebliche Misshandlung und „Ermordung“ Nawalnys mit der verdienten Verachtung zurückweisen. Die gleichen Politiker, die den Kreml jetzt wegen der angeblichen Misshandlung Nawalnys anklagen, sind dafür verantwortlich, dass der Journalist und Herausgeber Julian Assange seit Jahren gefoltert und rechtswidrig inhaftiert wird. Assange hat Kriegsverbrechen des US-Imperialismus im Nahen Osten von historischem Ausmaß enthüllt. Wenn derzeit irgendein politischer Gefangener weltweit nachweislich gefoltert und vom Staat in Zeitlupe ermordet wird, dann ist es Assange, und die US-Regierung trägt die Hauptverantwortung dafür.
In Wirklichkeit würde sich keiner dieser imperialistischen Politiker für Nawalny interessieren, wenn er nicht seit mehr als zehn Jahren als pro-kapitalistischer Oppositioneller aufgebaut worden wäre, um eine bestimmte Schicht in der russischen Oligarchie, des Staatsapparats und der oberen Mittelklasse gegen Putin zu mobilisieren. Obwohl ihn die New York Times und amerikanische und europäische Politiker als „demokratischen“ Oppositionellen darstellen, sind Nawalnis Beziehungen zur russischen Neonaziszene gut dokumentiert.
Er war mehrere Jahre lang Mitorganisator der berüchtigten, jährlich stattfinden Demonstration der Rechtsextremen, „Russischer Marsch“, und veröffentlichte auf seinem YouTube-Kanal bösartige rassistische Propagandavideos. Darin beschimpfte er Immigranten aus dem Kaukasus als „Kakerlaken“, die wie faule Zähne „entfernt“ werden müssten. Von diesen rechtsextremen Ansichten und Aktivitäten hat er sich weder distanziert, noch dafür je entschuldigt. Im Februar musste Amnesty International ihm den Status eines „gewaltlosen politischen Gefangenen“ entziehen, zweifellos wegen des enormen öffentlichen Drucks, und zugeben, dass das „Hassreden“ waren.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die erneuerte Kampagne um Nawalny erfolgt vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen zwischen der Nato und Russland wegen des Konflikts in der Ukraine und der Schwarzmeerregion. Letzte Woche hatten die USA die geplante Stationierung von zwei Kriegsschiffen im Schwarzen Meer abgesagt, nachdem ein Vertreter des Kreml zuvor die Warnung ausgesprochen hatte, die USA sollten sich „in ihrem eigenen Interesse vom Schwarzen Meer fernhalten“. Kurze Zeit später kündigte US-Präsident Joe Biden am 15. April jedoch neue Sanktionen gegen Russland und die Ausweisung von zehn russischen Diplomaten an.
Der Kreml hat seither als Reaktion darauf ebenfalls zehn US-Diplomaten ausgewiesen. Auch Tschechien hat eine ungeklärte Explosion in einer Waffenfabrik vor sieben Jahren als Vorwand benutzt, um 18 russische Diplomaten als „Spione“ auszuweisen, woraufhin Moskau 20 tschechische Diplomaten ausgewiesen hat. Großbritannien kündigte am Sonntag die Entsendung von zwei Kriegsschiffen ins Schwarze Meer an.
Fjodor Lukjanow, einer der wichtigsten Außenpolitikexperten in Russland, der enge Beziehungen zum Kreml unterhält, schrieb am Montag über die rapide Verschlechterung der amerikanisch-russischen Beziehungen: „Zwischen Russland und den USA gibt es fast keine Gemeinsamkeiten mehr außer dem ,Konfliktabbau‘ [in Syrien und der Ukraine], wofür jedoch das Militär zuständig ist.“ Er wies darauf hin, dass Washingtons Hin und Her gegenüber Russland, einschließlich Bidens Vorschlag eines bilateralen Gipfels, auf „Chaos“ hindeute, und schrieb: „Wir erleben das endgültige Ende der Beziehungen zwischen Moskau und Washington, wie sie [in den letzten Jahrzehnten] existierten.“ Er argumentierte, Moskau müsse sich als Reaktion darauf noch stärker auf ein Bündnis mit China orientieren.
Angesichts des Zusammenbruchs der russisch-amerikanischen Beziehungen ist der Kreml besonders besorgt wegen Berlins massiver Beteiligung an der Kampagne um Nawalny. Als dieser im August an Bord eines Flugzeugs erkrankte, wurde er aufgrund einer direkten Intervention von Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Charité verlegt. Letzte Woche enthüllte der Spiegel, dass mehrere führende Politiker, darunter Jürgen Trittin (Grüne) und Nils Schmid (SPD), Nawalny einen Brief geschrieben haben, in dem sie der russischen Regierung vorwerfen, Nawalny „gezielt zu foltern“, und ihre „volle Solidarität“ mit ihm erklären.
Der Spiegel berichtete auch, dass der russische Botschafter in Deutschland, Sergei Netschajew, am 16. Februar bei einem offiziellen Besuch im Bundesaußenministerium der deutschen Regierung vorgeworfen hat, sie habe Nawalny bei der Produktion eines zweistündigen Videos unterstützt, das Korruptionsvorwürfe gegen Putin erhebt. Das Video appelliert bewusst an die Unzufriedenheit der Massen über die soziale Ungleichheit, die in Russland 30 Jahre nach der Zerstörung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie höher ist als in allen anderen Industrienationen. Es wurde bereits 116-Millionen-Mal angesehen.
Der Tagesspiegel veröffentlichte am Montag ein Interview mit Nawalnys Mitarbeiter Alexei Gresko. Darin erklärte dieser: „Früher haben wir im Team nie gewagt, über die Möglichkeit seines Todes zu sprechen. Jetzt sprechen wir ganz offen darüber, dass er sterben kann.“ Dabei hatte sein Team schon vor Monaten die Welt fast täglich gewarnt, Nawalny könnte jederzeit an seiner Nowitschok-Vergiftung sterben. Gresko forderte den Westen auf „Stärke“ zu zeigen. Weiter erklärte er: „Es braucht eine Antwort mit finanziellen Folgen: Die Konten von Putins Unterstützern müssen eingefroren werden. Das ist die einzige Sprache, die er und seine Vertrauten verstehen.“
Diese Appelle machen deutlich, was hinter der Kampagne um Nawalny steckt: Sie soll das Putin-Regime destabilisieren, indem sie die Oligarchen unter Druck setzt, von denen noch immer die überwältigende Mehrheit hinter Putin steht. Gleichzeitig sollen rechte Schichten des Kleinbürgertums hinter einer rivalisierenden Gruppe von Oligarchen und dem Imperialismus mobilisiert werden. Die Kampagne ist Teil einer Operation, die Putins Regime durch eine rechte, prowestliche Regierung ersetzen soll. Die Arbeiterklasse kann ihre eigenen Interessen nur durchsetzen, wenn sie ihren Widerstand gegen das Putin-Regime auf eine sozialistische Grundlage stellt, die völlig unabhängig ist von den Machenschaften des Imperialismus und der Oligarchie.
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