Am letzten Donnerstag, dem 15. April, stimmte die französische Nationalversammlung für das „globale Sicherheitsgesetz“ der Macron-Regierung, das die Befugnisse der Polizei deutlich ausweitet. Zuvor hatte bereits im Februar der Senat dem Gesetz zugestimmt, sodass es mit der Abstimmung von Donnerstag jetzt rechtskräftig ist.
Das Gesetz hatte Massenproteste ausgelöst, seit es im November letzten Jahres erstmals der Nationalversammlung vorgelegt wurde. Sein Kernstück, Artikel 24, schränkt das Recht der Bevölkerung ein, Polizisten zu filmen. Vorgeblich soll es Polizeibeamte vor gezielten Angriffen schützen, doch die tatsächliche Absicht dahinter ist ganz klar: Die Polizei, die regelmäßig bei ihrem brutalen Vorgehen gegen die Bevölkerung gefilmt wird, soll Straffreiheit bekommen, indem die Bevölkerung daran gehindert wird, sie zu filmen.
Angesichts der Proteste mit Zehntausenden Teilnehmern hatte die Macron-Regierung versprochen, Artikel 24 „umzuschreiben“. Die neue Version erwähnt das „Teilen von Bildern“ von Polizeibeamten nicht mehr ausdrücklich. Allerdings verbietet sie jede Tat, die „mit dem offensichtlichen Ziel, die physische und psychische Sicherheit von Beamten anzugreifen, die Identifizierung eines Beamten der nationalen Polizei, des Militärs oder der Gendarmerie provoziert, solange diese an einer Polizeioperation beteiligt sind“. Die Höchststrafe hierfür sind fünf Jahre Haft und eine Geldstrafe von 75.000 Euro.
In der Praxis riskiert jeder, der ein Video veröffentlicht, auf dem Polizeibeamte zu sehen sind, eine Strafanzeige. Zudem muss man ausdrücklich beweisen, dass sie nicht „das offenkundige Ziel hatten“, einen Angriff auf einen Beamten zu provozieren.
Arbeiter und Jugendliche in Frankreich und auf der ganzen Welt waren empört über die Videos, die die Gewalt und Brutalität der französischen Staatsmacht gegen friedliche Proteste zeigten. 2018 sahen Millionen Menschen weltweit, wie Bereitschaftspolizisten Demonstranten über die Straße zerrten, Gummigeschosse und Tränengaskanister abfeuerten und mit Kampfhunden und Schlagstöcken gegen die Proteste der „Gelbwesten“ vorgingen, die gegen soziale Ungleichheit demonstrierten.
Letzten November beteiligten sich Hunderttausende an landesweiten Protesten, nachdem zwei Fälle von Polizeibrutalität auf Video festgehalten wurden. Die Video-Plattform Loopsider veröffentlichte am 26. November ein Video eines brutalen Polizeiübergriffs auf den Musikproduzenten Michel Zecler in seinem Tonstudio in Paris. Zecler wurde 20 Minuten lang verprügelt, danach für 48 Stunden ins Gefängnis gesperrt und fälschlich wegen Körperverletzung angezeigt. Er wurde erst freigelassen, als der Polizei Material einer Überwachungskamera vorgelegt wurde, auf dem der tatsächliche Hergang zu sehen war.
Eine Woche später tauchte ein Video auf, das Polizisten mitten in Paris bei der Misshandlung von Flüchtlingen zeigt, die ein Zeltlager auf der Place de la République errichtet hatten, um gegen fehlende Unterkünfte und mangelnde staatliche Unterstützung zu protestieren.
Die Macron-Regierung versucht, die Verbreitung von Videos über die Polizei zu verhindern, weil sie sich bewusst ist, dass es enorme Opposition gegen die staatliche Unterdrückung der arbeitenden Bevölkerung gibt.
Das „globale Sicherheitsgesetz“ sieht noch weitere Maßnahmen zur Stärkung der Polizei vor. So legalisiert das Gesetz erstmals den Einsatz von Drohnen durch die Polizei zur Überwachung von Demonstrationen, was jetzt bereits praktiziert wird. Die Polizei soll außerdem mit Körperkameras ausgerüstet werden, die das Videomaterial direkt an ihre Präsidien übertragen.
Das Gesetz sieht keine Einschränkungen für den Einsatz von Körperkameras und automatisierter Gesichtserkennungs-Technologie vor. Im Dezember hatte die Macron-Regierung eine Reihe von Dekreten herausgegeben, die die Bedingungen erweitern, unter denen die Polizei detaillierte Daten über die Bevölkerung sammeln kann, u.a. über die Ansichten und politischen Aktivitäten von Bürgern. Es schafft außerdem eine Klausel der aktuellen Polizeivorschriften ab, die ausdrücklich die Verwendung von Polizeiakten durch groß angelegte automatisierte Gesichtserkennungs-Technologie verbietet.
Die Bürgerrechtsorganisation Quadrature du Net schrieb damals: „Wenn durch das globale Sicherheitsgesetz alle Teilnehmer an einer Protestkundgebung gefilmt werden können und... ein Großteil von ihnen durch Gesichtserkennungs-Technologie identifiziert werden kann, hat [das Polizeiaktensystem] für sie bereits ein vollständiges System zur Zentralisierung aller Informationen geschaffen, ohne dass diese Überwachung jemals genehmigt oder von einem Richter kontrolliert wurde.“
Das „globale Sicherheitsgesetz“ erlaubt es Polizisten außerdem, in der Öffentlichkeit überall Waffen zu tragen, auch in Restaurants und Kinos und sogar außerhalb der Dienstzeit.
Am Sonntag erklärte Macron in einem Interview mit der rechten Tageszeitung Le Figaro, er werde sein Wahlversprechen einhalten, bis zum Ende seiner Amtszeit im nächsten Jahr 10.000 neue Stellen bei der Polizei zu schaffen: „Jeder Franzose wird im Jahr 2022 mehr Polizeiuniformen sehen als im Jahr 2017.“
Die Entscheidung der Nationalversammlung für Macrons Polizeistaatsgesetz kam zu einem Zeitpunkt, als die offizielle – zu niedrig angesetzte – Zahl der Toten durch Covid-19 in Frankreich die Marke von 100.000 überschritt. Dieses Massensterben ist das Ergebnis von Macrons Politik. Er hat einen an der Wissenschaft orientierten Lockdown abgelehnt, der die Schließung der nicht systemrelevanten Produktion erfordern würde. Schulen und nicht systemrelevante Arbeitsplätze wurden offen gehalten, damit die Arbeiter weiter die Profite für die französischen Konzerne erwirtschaften können.
Neben dem Massensterben hat sich in diesem Jahr die winzige Wirtschaftselite weiter bereichert. Ihre 42 Milliardäre verfügen jetzt zusammen über ein Vermögen von 512,2 Milliarden Dollar, d.h. 66 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die französische herrschende Klasse betrachtet voller Sorge den Ausbruch sozialer Wut gegen ihre Profitmacherei in der Pandemie und baut deshalb den staatlichen Unterdrückungsapparat auf.
Die Sozialistische Partei, die Grünen und Jean-Luc Mélenchons Unbeugsames Frankreich (LFI) haben sich allesamt zu Unrecht als Gegner von Macrons Polizeigesetz inszeniert. Die PS hat eine Klage gegen das gesamte Gesetz angekündigt.
Unter der Präsidentschaft von François Hollande hatte die PS jedoch selbst die Befugnisse der Polizei deutlich ausgeweitet, u.a. durch die Verhängung eines zwei Jahre andauernden Ausnahmezustands und die Aussetzung von Bürgerrechten, für die damals auch Mélenchons LFI gestimmt hatte. Macrons „globales Sicherheitsgesetz“ und dessen Ausweitung der Polizeibefugnisse geht in die gleiche Richtung, die auch Hollande mit Unterstützung von LFI eingeschlagen hatte.