Bauindustrie: Gewerkschaft paktiert mit Unternehmern und verschleppt Tarifverhandlungen

Am 21. Juni haben die Bauunternehmer die Tarifverhandlungen für rund 890.000 Beschäftigte des Bauhauptgewerbes vorzeitig abgebrochen. Obwohl der Bautarifvertrag schon nächste Woche, am 30. Juni, ausläuft, soll die dritte Verhandlungsrunde nicht vor August stattfinden.

Die Bauunternehmer beharren auf ihrem ersten Angebot – einer Gesamterhöhung von 3 Prozent bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwei Jahren – das sie schon in der ersten Runde, am 11. Mai, vorgelegt hatten. Die Provokation ist offensichtlich und zielt darauf ab, die Verhandlungen möglichst weit hinaus in den Herbst zu verschieben. Verhandlungsführer sind der sächsische Bauunternehmer Uwe Nostitz, Vizepräsident des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes, und Jutta Beeke, Geschäftsführerin der Echterhoff Bau Gruppe in Osnabrück, für den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.

Die Gewerkschaft IG BAU setzt dieser Provokation nichts entgegen. IG-BAU-Vorsitzender Robert Feiger und Verhandlungsführer Carsten Burckhardt beklagten sich lediglich über das rücksichtslose Verhalten der Bauunternehmer: „Sie zeigten völliges Unverständnis; sie waren konzeptlos, sie waren planlos.“ Das habe es noch nie gegeben: „Vor unsern Augen haben sie den Saal verlassen.“

Gleichzeitig lässt sich die Gewerkschaft widerstandslos auf die Verzögerungstaktik ein, die darauf abzielt, die Hauptbausaison verstreichen zu lassen und den Konflikt möglichst in die Winter- und Schlechtwettersaison zu ziehen. Nach der Sitzung der Bundestarifkommission am Mittwoch, 23. Juni, erklärten die Gewerkschaftsführer, sie wollten als nächsten Schritt die Schlichtung anrufen. Gleichzeitig betonte Burckhardt, die Gewerkschaft sei „zu weiteren Gesprächen bereit; unsere Tür stand und steht immer noch offen.“

Die Gewerkschaft fordert 5,3 Prozent mehr Lohn und Gehalt, Entschädigung der oft langen Wegezeiten zu den Baustellen und die Angleichung der Ost-Einkommen an das West-Niveau. Diese Forderungen sind höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Bauindustrie gehört zu den wenigen Branchen, die trotz Corona-Pandemie letztes Jahr von Zuwächsen und steigende Baupreisen profitieren und hohe Profite einfahren konnte. Dennoch müssen Bauarbeiter bis zum Umfallen schuften und sind großen Gefahren ausgesetzt. In der Baubranche gilt eine 48-Stunden-Woche. Die Arbeitszeiten reichen bis zu zehn Stunden täglich, und im Sommer ist auch die Sechstagewoche möglich, wobei es oft keine Überstundenzuschläge gibt. Infolge der unübersichtlichen Subunternehmer-Strukturen herrschen auf den Großbaustellen Willkür und faktische Regellosigkeit.

Die Bauarbeiter haben die gesamte Corona-Pandemie durchgearbeitet. Sie tragen die Hauptlast des Baubooms, und gehen ein großes Gesundheitsrisiko ein. Das zeigen in letzter Zeit auch zahlreiche schwere Bauunfälle. Allein in fünf Tagen, vom 9. bis zum 14. Juni, ereigneten sich nicht weniger als drei tödliche Unfälle in der deutschen Bauindustrie.

Am Mittwoch, 9. Juni, stürzte ein 34-jähriger Bauarbeiter in Karlsruhe zu Tode. Der Mann war auf der Baustelle für einen Neubau des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) am Adenauerring beschäftigt, wo er auf dem Dach eines Rohbaus Ausschalungsarbeiten durchführte. Es war um die Mittagszeit, und es war heiß, als er unvermittelt 20 Meter in die Tiefe stürzte und noch am Unfallort seinen schweren Verletzungen erlag. Obwohl die unmittelbare Unfallursache bisher ungeklärt ist, hieß es sofort, dass es „für ein Verschulden Dritter keine Anhaltspunkte“ gäbe. Offensichtlich arbeitete der Mann aber ohne ausreichende persönliche Schutzausrüstung in der Mittagshitze allein auf dem Dach.

Ein weiterer schrecklicher Unfall ereignete sich drei Tage später bei Göttingen, als am 12. Juni auf einer Baustelle in Esebeck ein Kran umstürzte. Ein Bauarbeiter aus Südosteuropa wurde sofort getötet, ein zweiter so schwer verletzt, dass er nach einer Notoperation in das künstliche Koma versetzt werden musste. Es war ein Samstag, an dem normalerweise gar nicht gearbeitet werden dürfte.

An der Baustelle eines Mehrfamilienhauses waren zu diesem Zeitpunkt nur Kollegen einer Subunternehmerfirma tätig, der auch der Kran gehört. Wie ein Gutachter inzwischen festgestellt hat, war der Kran defekt: Eine Schraube zur Sicherung vor Überlast war schon seit einiger Zeit abgebrochen oder entfernt worden. An dem Baukran, der für 1,25 Tonnen zugelassen war, hing zum Zeitpunkt des Unfalls ein Gewicht von fast 2,2 Tonnen. Der Kran kippte und durchschlug die Decke des Rohbaus, an dem die zwei Männer gearbeitet hatten. Beide stürzten in die Tiefe und wurden unter Betonteilen begraben.

Dieses Beispiel macht wohl am besten klar, dass die wirklichen Ursachen in der gnadenlosen „Profite-vor-Leben“-Politik der Kapitalisten liegen. Um Zeit und Kosten zu sparen, werden Arbeiter unter Druck gesetzt und Baumaschinen manipuliert oder nicht repariert, mit tödlichen Konsequenzen.

Nur zwei Tage später kam es in Freiberg am Neckar, Kreis Ludwigsburg, erneut zu einem tödlichen Unfall, als ein 49-jähriger Baggerfahrer in eine Baugrube stürzte und zwischen dem kippenden Bagger und einer Mauer eingequetscht wurde. Mehrere Augenzeugen rannten sofort herbei, hoben mit vereinten Kräften den Bagger ein Stück weit an und zogen den Arbeiter darunter hervor, doch vergebens. Er starb im Krankenhaus an seinen Verletzungen.

Immer wieder kommt es auch vor, dass Wanderarbeiter aus Osteuropa um ihren Lohn geprellt werden, und wenn sie klagen, erweist es sich, dass die Tochter- oder Subunternehmen inzwischen insolvent und zahlungsunfähig sind. Dies hat die Wut unter Bauarbeitern aufs Höchste gesteigert.

Ein Beispiel für diese Wut ist wohl der rumänische Baggerfahrer Daniel Neagu, der im August 2018 im britischen Buntingford entlassen und um seinen Lohn geprellt wurde. Er setzte sich auf den Bagger und demolierte fünf neu gebaute Reihenhäuser, die anschließend abgerissen und neu aufgebaut werden mussten. Ein Richter verurteilte Neagu deshalb zu vier Jahren Haft.

Die extreme Ausbeutung und wachsende Wut der Arbeiter macht deutlich, wie wichtig die Perspektive der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) ist. Arbeiter müssen auch am Bau Aktionskomitees aufbauen, um einen gemeinsamen Kampf gegen die, nicht selten, kriminellen Methoden der Bau- und Subunternehmen aufzunehmen. Dabei müssen sie unabhängig von den Gewerkschaften vorgehen und vor allem der IG BAU misstrauen.

Die IG BAU ging vor 23 Jahren aus der Vorgängerorganisation Bau-Steine-Erden hervor. Unter Klaus Wiesehügel, ihrem 18 Jahre langen Gewerkschaftsboss, entwickelte sie sich zu einer Art rechten Hilfspolizei, die im Namen des Kampfs gegen Schwarzarbeit am Bau, ausländische Wanderarbeiter attackiert und rassistische Stimmungen schürt.

Seither hat die IG BAU zwei Drittel der damals über 700.000 Mitglieder verloren. Heute verzeichnet sie nur noch 247.000 Mitglieder, obwohl nicht nur Bauarbeiter, sondern auch Beschäftigte der Gebäudereinigung und der Müllabfuhr, Entsorgung und Recycling (des sogenannten „Umweltmanagements“) dazu gehören.

Die IG BAU-Vorstandsmitglieder sind durchwegs hochbezahlte Aufsichtsräte von großen Bauunternehmen, wie Carsten Burckhardt, der zusammen mit seiner Vorstandskollegin Nicole Simons im Aufsichtsrat der Hochtief AG sitzt, oder Ulrike Laux, die als Aufsichtsrätin der WISAG-Holding Aveco zurzeit die Entlassungen langjähriger WISAG-Arbeiter am Frankfurter Flughafen mitverantwortet.

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