Perspektive

Der Klassenkampf und die Ausrottung von Covid-19

Gut anderthalb Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie formiert sich unter Eltern, Lehrern, Schülern, Arbeitern und Wissenschaftlern eine Bewegung für Maßnahmen zur weltweiten Ausrottung des Coronavirus.

Am 15. Oktober fand der zweite Schulstreik statt, zu dem Lisa Diaz, eine Mutter aus England, aufgerufen hatte. Mit den Streiks am 1. und 15. Oktober wurde die Forderung erhoben, die Schulen zu schließen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Unterdessen heben die Regierungen alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf und schicken die Kinder ungeschützt zurück in die Klassenzimmer.

Form und Inhalt der Schulstreiks waren international. Rund um die Welt gaben Eltern und Arbeiter Erklärungen ab und posteten Unterstützungsvideos: aus Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Kanada, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Polen, der Türkei, Sri Lanka, Australien und Neuseeland. Der Hashtag #SchoolStrike2021 wurde am Tag des Ereignisses fast 7.500 Mal getwittert und in den letzten drei Wochen fast 40.000 Mal verwendet. Diaz hat dazu aufgerufen, die Schulstreiks künftig jeden Freitag zu wiederholen.

Der Streik vom 15. Oktober fand bereits vor dem Hintergrund einer wachsenden Streikbewegung statt, die in den letzten zwei Wochen rasch eskaliert ist und zeigt, welche gesellschaftliche Kraft in der Lage ist, eine weltweite Ausrottungspolitik zu erzwingen.

Letzte Woche legten über 10.000 Beschäftigte des Landwirtschafts- und Baumaschinenherstellers John Deere die Arbeit nieder. Es ist der erste Streik bei diesem Unternehmen seit 35 Jahren. Die Beschäftigten haben einen von der Gewerkschaft United Auto Workers ausgehandelten Tarifvertrag mit einer Mehrheit von 90 Prozent abgelehnt.

Beinahe wäre es auch zu einem Streik von 60.000 Film- und Fernsehschaffenden in Kalifornien gekommen. Die Gewerkschaft International Alliance of Theatrical Stage Employees (IATSE) hat einen Arbeitskampf am späten Samstagabend in letzter Minute abgeblasen und eine vorläufige Einigung mit Hollywood-Produzenten bekannt gegeben. Die Nachricht von der Einigung rief in den sozialen Medien breite Opposition unter den Beschäftigten der Filmbranche hervor. Sie wissen genau, dass die „Einigung in letzter Minute“ – deren Einzelheiten von der IATSE geheim gehalten werden – ihren Forderungen nicht gerecht wird.

Andernorts gehen die Streiks weiter: bei Kellogg's in der Lebensmittelproduktion, bei Bergarbeitern in Alabama und bei Krankenschwestern in New York, Massachusetts und Minnesota. Die aktuell größte Arbeitsniederlegung weltweit spielt sich in Südafrika ab. Rund 170.000 Metallarbeiter sind seit knapp zwei Wochen im Ausstand für Lohnerhöhungen, um die steigende Inflation auszugleichen.

Auch wenn es vielen der Streikenden noch nicht völlig klar ist, gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem Kampf gegen die Pandemie und dem Klassenkampf. Die Bedingungen, gegen die sich die Arbeiter zur Wehr setzen, herrschten in hohem Maße schon vor Covid-19. Sie wurden jedoch verschlimmert durch die kriminelle Reaktion der herrschenden Elite auf die Pandemie, die in erster Linie durch die Sicherung ihrer Profite bestimmt ist.

Der Verlust an Menschenleben hat ein Ausmaß erreicht, wie es außerhalb von Kriegszeiten noch nie dagewesen ist. Die Gesamtzahl der gemeldeten Covid-19-Todesfälle in den USA nähert sich schnell 750.000. Allein in den letzten zwei Wochen sind über 20.000 Menschen dem Virus erlegen. Die offiziellen Zahlen sind jedoch deutlich zu niedrig angesetzt. In Wirklichkeit könnten seit Ausbruch der Pandemie bis zu 17 Millionen Menschen weltweit gestorben seien, darunter mehr als 1 Million in den USA. Dies geht aus Modellen des Institute for Health Metrics and Evaluation an der University of Washington hervor, in denen die Dunkelziffern berücksichtigt werden.

Allein in den USA sterben weiterhin jeden Tag durchschnittlich mehr als 1.500 Menschen an Covid-19, fast doppelt so viele wie zur gleichen Zeit des Vorjahres, als es noch keine Impfstoffe gab. In den USA ist die Zahl der täglichen Neuinfektionen, der Krankenhausaufenthalte und der Todesfälle vor Beginn dieses Winters deutlich höher als in der gleichen Jahreszeit 2020, als Urlaubsrückkehrer und ein vermehrter Aufenthalt in geschlossenen Räumen zum bisher schlimmsten Anstieg der Pandemie beitrugen.

Das wahre Ausmaß des derzeitigen Massensterbens würde verborgen bleiben, wenn man nur nach den Berichten der Mainstream-Medien ginge. Ihre Berichterstattung ist darauf ausgelegt, der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass die Pandemie fast vorbei sei – und das nun schon zum wiederholten Male. Typisch ist ein Bericht der New York Times vom September, in dem es heißt: „Auch wenn sich das Virus ausbreitet und auf eine endemische Ausbreitung zuzusteuern scheint, könnte es zu einer weniger tödlichen Bedrohung werden, die mit Impfstoffen zu bewältigen ist, wenn diese in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden, um vor Varianten zu schützen.“

Wenn die Pandemie in den Medien und im offiziellen politischen Diskurs überhaupt noch thematisiert wird, dann in einem völlig verengten Diskussionsrahmen. Darin gibt es nur die Alternative zwischen „Herdenimmunität“ und Schadensbegrenzung („Mitigation“), also das Virus entweder ohne jegliche Einschränkung auf die Bevölkerung loszulassen oder Schulen und Betriebe mit minimaler Masken- und Impfpflicht offen zu halten. Die Schließung der Schulen, die bezahlte Freistellung für Arbeiter, universelle Tests und die umfassende Nachverfolgung der Infektionsketten werden dagegen als nicht vertretbar dargestellt.

Die Versuche, die Bevölkerung zur Kapitulation vor dem Virus zu zwingen, werden von Epidemiologen und Experten für öffentliche Gesundheit grundsätzlich abgelehnt. „Das Mantra, mit dem Virus leben zu lernen, ist gleichbedeutend mit der Propagierung der natürlichen Herdenimmunität im letzten Jahr“, erklärte Dr. Eric Feigl-Ding von der Federation of American Scientists in einem Interview mit der WSWS letzten Monat. Seiner Ansicht nach „sollten wird Null anstreben; wir sollten das Ziel [der Infektionen] so niedrig wie möglich ansetzen“.

Die Vertuschung der weiterhin tödlichen Auswirkungen von Covid-19 durch die Medien und die Versuche, die Bevölkerung zu benebeln, gehen Hand in Hand mit der Kampagne, alle noch verbliebenen Schutzmaßnahmen in den Betrieben abzubauen, um die Produktion so schnell wie möglich hochzufahren.

Beschäftigte des Autozulieferers Dana in Ohio haben der WSWS mitgeteilt, dass sich das Coronavirus in ihrem Werk „wie ein Lauffeuer“ ausbreitet und der hohe Krankenstand den Personalmangel verschärft. Die Gewerkschaften sehen über diese katastrophalen Bedingungen hinweg und unternehmen nichts, um die Arbeiter zu schützen. Das war ihr Verhalten während der gesamten Pandemie. Die Gewerkschaften UAW und United Steelworkers haben die Dana-Belegschaften nach dem offiziellen Ablauf des Tarifvertrags nicht in den Ausstand gerufen, sondern den Betrieb auf der Grundlage von täglichen Vertragsverlängerungen weiterlaufen lassen. Und das, obwohl viele Beschäftigte mehr als 60 Stunden pro Woche arbeiten und eine von der Gewerkschaft ausgehandelte Tarifeinigung in der Urabstimmung mit 90 Prozent abgelehnt wurde.

Die Unternehmen und ihre politischen Vertreter reagieren mit zunehmender Panik auf die Unterbrechung der Lieferketten, die eine Folge ihres eigenen kriminellen Umgangs mit der Pandemie ist. Letzte Woche kündigte die Regierung Biden Pläne an, den Hafen von Long Beach in Kalifornien mit Unterstützung der International Longshore and Warehouse Union rund um die Uhr zu betreiben. Das würde brutale Anforderungen an die Hafenarbeiter mit sich bringen, die ohnehin schon an der Belastungsgrenze sind.

Die wachsende Bewegung für die Ausrottung von Covid-19 und der zunehmende Widerstand der Arbeiterklasse gegen verschärfte Ausbeutung werden von derselben objektiven Ursache angetrieben: der Krise und dem Zusammenbruch des Kapitalismus. Nachdem die bürgerlichen Regierungen zugelassen haben, dass eine soziale Katastrophe ungeahnten Ausmaßes über die Bevölkerung hereinbricht, versuchen sie nun, die Kosten ihrer Krise auf die Arbeiter abzuwälzen, indem sie längere Arbeitszeiten erzwingen und Löhne und Sozialleistungen kürzen.

Sozialisten und alle, die der Pandemie ein Ende setzen wollen, stehen vor der Aufgabe, alle Kämpfe gegen diese Angriffe zu vereinen, ihnen ihre gemeinsamen Ziele bewusst zu machen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, die von den Bedürfnissen der großen Mehrheit der Weltbevölkerung, der Arbeiterklasse, ausgeht.

So schrieb die Redaktion der World Socialist Web Site am 5. Oktober in ihrem Aufruf Wie die Pandemie beendet werden kann: Ein Plädoyer für die Ausrottung des Virus: „Die Arbeiterklasse kann den Kampf gegen die Pandemie nicht ohne die Hilfe der Wissenschaft vorantreiben, und die Umsetzung der wissenschaftlich notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hängt vom Aufbau einer Bewegung in der Arbeiterklasse ab.“

Zu dieser Strategie veranstalten die WSWS und die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees am 24. Oktober gemeinsam ein Online-Meeting: How to end the pandemic: The case for eradication. Wissenschaftler und Arbeiter werden den tatsächlichen Stand der Pandemie erörtern und aufzeigen, welche Strategien und Maßnahmen erforderlich sind, um das Virus auszurotten und weitere unnötige Todesfälle zu verhindern. Wir rufen alle unsere Leser auf, an dieser wichtigen Veranstaltung teilzunehmen und in den sozialen Medien und anderswo dafür zu werben, damit sie ein möglichst breites Publikum erreicht.

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