Verteidigt die Tageszeitung junge Welt gegen den Verfassungsschutz

Die linke Tageszeitung junge Welt hat im September Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben, weil sie seit Jahren geheimdienstlich beobachtet und im Kapitel „Linksextremismus“ des Verfassungsschutzberichts aufgeführt wird.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) begrüßt und unterstützt die Klage uneingeschränkt. Unsere politischen Differenzen mit der jungen Welt sind bekannt, doch hier geht es um einen fundamentalen Angriff auf demokratische Rechte und auf jede sozialistische Organisation.

Der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit gegen die jW entbehrt jeder Grundlage. In ihrer Begründung macht die Bundesregierung klar, dass ihr Ziel darin besteht, jeden zu kriminalisieren, der sich auch nur in Worten auf Karl Marx und Friedrich Engels beruft oder sich gegen Aufrüstung und Rechtsextremismus ausspricht.

Schon die Nennung im Verfassungsschutzbericht ist ein Angriff auf die demokratischen Rechte einer Organisation oder Zeitung. Wie die junge Welt berichtet, ist sie mit erheblichen Einschränkungen der Gewerbefreiheit konfrontiert. „So verweigern die Deutsche Bahn und verschiedene Kommunen und Radiosender unter Verweis auf den Verfassungsschutz-Eintrag das Anmieten von Werbeplätzen, Bibliotheken sperren den Onlinezugang zur Zeitung, und eine Druckerei weigerte sich, eine andere Druckschrift mit einer Anzeige der jungen Welt herzustellen“, erklärt die Redaktion.

Zudem gefährdet die geheimdienstliche Beobachtung, darunter die verdeckte Überwachung der Kommunikation, der Einsatz von Spitzeln und die geheime Durchsuchung von Computern, den Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis einer Zeitung.

Neben der Klage beantragte die Zeitung deshalb eine einstweilige Verfügung, die es dem Verfassungsschutz verbieten soll, weiterhin Berichte mit der Erwähnung der jW zu veröffentlichen. Da das Berliner Verwaltungsgericht Fristverlängerung gewährte, liegt noch keine Klageerwiderung vor. Die Bundesregierung hatte die Beobachtung der jungen Welt aber bereits am 5. Mai in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ausführlich begründet.

Darin wiederholt die Bundesregierung die gleiche antidemokratische Argumentation der Gesinnungsjustiz, die sie zur Rechtfertigung der Überwachung der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) entwickelt hat. Sie wirft der jW keinerlei illegale Handlungen oder deren Vorbereitung vor, sondern begründet die angebliche Verfassungsfeindlichkeit ausschließlich mit der „marxistischen Grundüberzeugung“ der Redaktion. Diese „enthält als wesentliches Ziel, die freiheitliche Demokratie durch eine sozialistische/kommunistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen“, so die Bundesregierung. Dies sei dadurch belegt, dass die jW positiv auf Marx, Engels, Lenin, Liebknecht und Luxemburg Bezug nehme.

An anderer Stelle wirft die Regierung der jW eine „fundamentale Kapitalismuskritik“ vor. „Der Kapitalismus und die – nach marxistischer Lesart daraus entstehende – politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik werden grundsätzlich abgelehnt. Lösungen für bestehende politische und wirtschaftliche Krisen sehen Autoren der entsprechenden Beiträge in einer Abschaffung des als ursächlich identifizierten ‚Kapitalismus‘.“

Nach dieser haarsträubenden Lesart bilden nicht demokratische Rechte wie Meinungsfreiheit oder demokratische Wahlen die Basis der freiheitlich-demokratische Grundordnung, sondern das Eigentum an Produktionsmitteln und die Ausbeutung von Menschen. Denn das ist es, was im Sozialismus abgeschafft werden soll. Wer die Interessen der Superreichen antastet, soll kriminalisiert werden. Nach dieser Logik müssten auch 56,3 Prozent der Berliner in den Verfassungsschutzbericht aufgenommen werden, weil sie sich im Volksentscheid für die Enteignung der Wohnkonzerne ausgesprochen haben.

Noch deutlicher wird dies, wenn die Bundesregierung behauptet, dass schon die „Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit“ der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Menschenwürde widerspreche. Demnach widersprechen also nicht Armutslöhne, Obdachlosigkeit oder Mangelernährung der Menschenwürde, sondern die Benennung dieser schreienden sozialen Ungleichheit!

Während die Bundesregierung die größte soziale Ungleichheit in der Geschichte zu verantworten hat und in der Pandemie eine rücksichtslose „Profite vor Leben“-Politik durchsetzt, stempelt sie jeden zum Verfassungsfeind, der diese Klassenpolitik beim Namen nennt.

Bedeutsam ist dabei, dass sie mit der jungen Welt ein Presseerzeugnis angreift. Denn für die Rechtfertigung einer geheimdienstlichen Beobachtung reicht das Publizieren von wie auch immer gearteten Meinungen nicht aus. Einem Personenzusammenschluss müssen laut Bundesverfassungsschutzgesetz ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen nachgewiesen werden, die auf die Beseitigung oder Beeinträchtigung des jeweiligen verfassungsschutzrechtlichen Schutzgutes gerichtet sind.

Die Bundesregierung versucht, eine solche Verhaltensweise zu konstruieren, indem sie auf die Organisation von Konferenzen durch die Zeitung verweist und ihr Interviews mit Vertretern von Gruppen wie der kolumbianischen FARC-EP oder Palästinenservertretern vorwirft. Doch diese absurden Konstruktionen können nicht verschleiern, dass es sich hier tatsächlich um reine Gesinnungsjustiz handelt. Die Zeitung ist ausschließlich ins Fadenkreuz der Behörden geraten, weil sie unliebsame Meinungen vertritt.

Dabei gibt die Regierung ganz offen zu, dass es ihr darum geht, die Verbreitung der Zeitung zu behindern und damit die Pressefreiheit anzugreifen. Ziel der Nennung im Verfassungsschutzbericht sei gerade, „die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren, um diesen damit den weiteren Nährboden entziehen zu können“, so die Regierung.

Der erneute Versuch der Regierung, jeden positiven Bezug auf Karl Marx oder andere Marxisten sowie „pauschale Kritik am Kapitalismus“ und sogar die Benennung von Klassengegensätzen zu kriminalisieren, bestätigt den Kampf der Sozialistischen Gleichheitspartei gegen ihre geheimdienstliche Beobachtung und Nennung im Verfassungsschutzbericht.

Die SGP hat am 24. Januar 2019 Klage beim Verwaltungsgericht Berlin erhoben, nachdem sie 2018 zum ersten Mal im Verfassungsschutzbericht im Kapitel „Linksextremismus“ aufgeführt worden war. Der Geheimdienst begründete die Aufnahme der Partei ausschließlich damit, dass sie ein sozialistisches Programm vertritt, den Kapitalismus kritisiert und die etablierten Parteien sowie die Gewerkschaften ablehnt.

In der Klageerwiderung entwickelte die Bundesregierung dann erstmals die antidemokratische Auffassung, die jetzt auch gegen die junge Welt Anwendung findet. So erklärte sie allein schon das „Streiten für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“ und die „Agitation gegen angeblichen ‚Imperialismus’ und ‚Militarismus’“ für verfassungswidrig. Auch das „Denken in Klassenkategorien“ und der „Glaube an die Existenz einander unversöhnlich gegenüberstehender konkurrierender Klassen“ wurde bereits in der Erwiderung auf die SGP als Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung dargestellt.

In ihrer Antwort zeigte die SGP auf, dass Bundesregierung und Verfassungsschutz mit dieser Linie direkt an die Sozialistengesetze Bismarcks und das Willensstrafrecht der Nazis anknüpfen und eine extrem rechte Agenda verfolgen. „Der Verfassungsschutzbericht und der Schriftsatz der Anwälte des Innenministeriums sind Produkte einer rechtsextremen Verschwörung im Staatsapparat, die darauf abzielt, die öffentliche Meinung einzuschüchtern und jede Opposition gegen Kapitalismus, Nationalismus, Imperialismus und Militarismus und gegen die AfD als ‚linksextremistisch‘ und ‚verfassungsfeindlich‘ zu kriminalisieren“, erklärte die SGP.

Der Verfassungsschutz sei selbst aufs engste mit der rechtsextremen Szene verwoben. „Mit ihrem Angriff auf die SGP will diese kriminelle Behörde einen Präzedenzfall für eine neue Gesinnungsjustiz schaffen, mit der jeder verfolgt werden kann, der die reaktionäre soziale und politische Entwicklung kritisiert. Streikende Arbeiter werden dann ebenso verfolgt wie Buchhändler, die marxistische Literatur verkaufen, oder kritische Künstler, Journalisten und Intellektuelle.“

Diese Warnung hat sich mit dem antidemokratischen Traktat der Bundesregierung gegen die junge Welt bestätigt. Im letzten Jahr wurde schon die Bewegung „Ende Gelände“ vom Berliner Verfassungsschutz unter Beobachtung gestellt, weil sie unter anderem Klimaschutz mit den „Themenfeldern Anti-Kapitalismus und Anti-Faschismus“ verbinde, so der Geheimdienst. Auch Musik-Bands und Konzerte gegen rechts wurden als linksextremistisch diffamiert, weil sie sich den Rechten entgegenstellen.

Unter diesen Bedingungen gewinnt die Klage der SGP gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz außerordentliche Bedeutung. In unserer Erklärung zur mündlichen Verhandlung, die für den 18. November angesetzt ist, schreiben wir:

„Wir rufen deshalb noch einmal alle dazu auf, die demokratische Rechte verteidigen und der rechten Gefahr entgegentreten wollen, gegen den Angriff des Verfassungsschutzes zu protestieren und die SGP zu verteidigen. Unterzeichnet die Online-Petition der SGP auf change.org und veröffentlicht eigene Stellungnahmen, Bilder und Videos in den sozialen Medien unter dem Hashtag #defendSGP. Die Beobachtung der SGP und aller anderen linken Gruppen durch den Verfassungsschutz muss sofort eingestellt und diese rechte Brutstätte antidemokratischer Verschwörungen aufgelöst werden.“

Wir bekräftigen diese Forderung nach Auflösung des Verfassungsschutzes und fordern die sofortige Streichung der jungen Welt aus dem Verfassungsschutzbericht.

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