Aus Protest gegen die unsicheren Schulöffnungen nach den Winterferien haben Schüler in Griechenland mehr als 250 Schulen besetzt, die meisten in der Hauptstadt Athen, der zweitgrößten Stadt Thessaloniki und auf der Insel Kreta. Im Laufe der ersten Schulwoche fanden auch lokale Protestkundgebungen von Lehrern statt. Am Freitag protestierten Schüler vor dem Bildungsministerium in Athen, und am selben Tag stieg die Zahl der Schulbesetzungen auf über 350, wie die Bildungswebsite esos.gr berichtet.
Bereits im ersten Jahr der Pandemie hatten griechische Schüler mit 700 Besetzungen die Schließung ihrer Schulen erzwungen. Im Herbst letzten Jahres brachen erneut Schulbesetzungen sowie ein landesweiter Lehrerstreik aus.
Jetzt entfaltet sich eine internationale Protestwelle gegen die gezielte Durchseuchungspolitik der kapitalistischen Regierungen. In mehreren US-Städten protestieren Schüler und Lehrer, in Frankreich traten am Donnerstag die Lehrer in den Streik und in Deutschland hat der mutige Protest einer Schülerin in Hagen große Solidarität ausgelöst.
Obwohl die Infektionszahlen in Griechenland auf Rekordniveau liegen, begann am Montag vor einer Woche die Schule im vollen Präsenzbetrieb. Im Fernsehsender Skai schätzte Nikos Tzanakis, Professor für Pneumologie, dass es aktuell etwa bis zu 80.000 aktive Fälle in den Schulen gibt.
Die Öffnung erfolgte „unter den schlimmsten Bedingungen, sowohl was Hygiene als auch Bildung betrifft“, erklärte Fani Christani, eine Schülervertreterin aus der nördlichen Region Ostthrakien, in einem Videointerview vor der Presse. Schon vor den Feiertagen seien 20 bis 30 Prozent aller Covid-Fälle Schüler gewesen.
„Es ist mittlerweile eindeutig, dass die Hygienemaßnahmen lächerlich sind“, so Christani. „Das Überleben der Wirtschaft ist offenbar wichtiger als unsere Gesundheit und Sicherheit.“ Dass die Forderungen der Schüler nicht umgesetzt würden, sei eine „politische Entscheidung“. Die Regierung habe stattdessen jahrelang bei den Gesundheits- und Bildungsausgaben gekürzt. Knapp zwei Milliarden Euro wurden allein im Bildungsbereich in den letzten zehn Jahren eingespart.
Das Koordinierungskomitee der Schüler Athens, das zu dem Protest vor dem Bildungsministerium aufgerufen hatte, fordert u.a. eine Verkleinerung der Klassen, die sofortige Einstellung von mehr Lehrpersonal, kostenlose und häufigere Schnelltests unter professioneller Durchführung des Gesundheitsministeriums, kostenlose Masken und mehr Reinigungspersonal. „Wir werden nicht zulassen, dass ihr mit unserer Gesundheit und unserem Leben spielt, als ob sie nicht zählen würden!“, heißt es in ihrem Statement.
Ab dieser Woche gelten aktualisierte Leitlinien, mit denen die Regierung unter der rechten Partei Nea Dimokratia (ND) nochmals bekräftigt, dass an allen Schulen voller Präsenzunterricht laufen soll. Abgesehen von Mund-Nasen-Schutz und zwei Schnelltests pro Woche gibt es keinerlei Schutzmaßnahmen. Die verhasste 50+1-Regel bleibt bestehen, d.h. eine Klasse muss erst in Quarantäne, wenn mehr als die Hälfte der Schüler coronapositiv sind. Wie in anderen Ländern wurde auch in Griechenland die Isolations- und Quarantänezeit auf fünf Tage verkürzt.
Zudem sollen Lehrkräfte, die an Covid erkrankt bzw. in Quarantäne sind, „auf freiwilliger Basis und wenn sie dazu in der Lage sind“, von Zuhause aus Distanzunterricht anbieten. Die angekündigte Einstellung von 2.500 Vertretungslehrern, um die Lücken zu füllen, wird von den Lehrern als Tropfen auf den heißen Stein empfunden. Der chronische Personalmangel an den Schulen führt zu überfüllten Klassen, was noch dadurch verschärft wird, dass mitten in der Pandemie Klassen zusammengelegt werden.
Theodora, eine Grundschullehrerin in Athen, sagte im Interview mit der Onlinezeitung ThePressProject, dass an ihrer Schule bereits drei Lehrer mit Symptomen und etwa 40 Prozent aller Schüler fehlen, weil sie entweder infiziert sind oder „ihre Eltern Angst haben, sie unter diesen Bedingungen in die Schule zu schicken“. Die Realität sei düster: „Die Bedingungen und Regeln, mit denen wir geöffnet haben, können nur als Regeln für eine massenhafte Corona-Übertragung betrachtet werden. Durchseuchung in den Schulen und dann zuhause bei den Kindern und dem Schulpersonal und so weiter…“
In einem Videointerview der Lokalzeitung stonisi.gr mit streikenden Schülern auf der Insel Lesbos betont die Schülerin Kalliroi, dass ihre Lehrer die Forderungen der Besetzung voll und ganz unterstützen und selbst verzweifelt sind angesichts der Zunahme der Infektionsfälle in der Schule. Auf ihrem Banner am Schultor steht in roten Lettern: „Raus mit Covid aus den Schulen!“ Sie fordern sofortigen Distanzunterricht, um die Pandemie einzudämmen.
Die Schüler eines Lyzeums in der kretischen Hafenstadt Iraklio schildern in einem Protestbrief vom 11. Januar ihre dramatische Situation: „Die neue, ansteckendere Virusmutante, die steigende Zahl der Fälle und die persönliche Nachlässigkeit stellen eine Gefahr für die Gesundheit und die Entwicklung der Schülergemeinschaft dar.“ Sie verweisen auf die Rekordzahl von landesweit 50.000 Neuinfektionen wenige Tage vor Schulbeginn.
Ihre Heimatstadt Iraklio gehöre zur Risikostufe 5 und „in unserem Wohngebiet sind Familienangehörige, Verwandte, Freunde und Nachbarn von Klassenkameraden und von uns selbst erkrankt, wobei sich einige in einer schlimmen Lage befinden“. Während die Bildungsministerin behauptet, der Präsenzunterricht sei entscheidend für die Entwicklung der Kinder, herrsche „in den Klassenzimmern ein Klima der Unsicherheit, in dem sich die Schüler nicht entfalten können“.
In der Kleinstadt Kilkis im nordgriechischen Makedonien beteiligen sich alle Sekundarschulen an den Besetzungen. Laut einem regionalen Gewerkschaftsvertreter seien bereits vor Schulbeginn 16 Lehrer an Covid-19 erkrankt und danach infizierten sich weitere drei Lehrer; einige mussten hospitalisiert werden.
Die Schüler des 2. Lyzeums von Kilkis, die den Unterricht online fortsetzen, werfen dem Bildungsministerium vor, es habe „unter Missachtung der Empfehlungen von Experten und mit völliger Gleichgültigkeit gegenüber der Gesundheit von Schülern und Lehrern beschlossen, die Schulen inmitten der schlimmsten Welle seit Beginn der Pandemie zu öffnen. Trotz Beschwerden von allen Seiten bleiben die Schulen geöffnet, was dazu führt, dass sich das Virus weiter ausbreitet und viele unserer Mitschülerinnen und Mitschüler dem Unterricht fernbleiben, ohne dass sie die Möglichkeit haben, den Stoff online nachzuholen oder nachzuarbeiten.“ Mit ihrer Besetzung des Schulgebäudes fordern sie „die Einstellung des Präsenzunterrichts und seine Ersetzung durch Online-Unterricht“.
Auch an den Universitäten nimmt der Widerstand zu. An der Wirtschaftsuniversität Athen (OPA) stimmten die Studierenden letzte Woche auf einer Vollversammlung für eine Besetzung ihrer Hochschule, die am Freitag begann. Sie fordern u.a. den Rücktritt des Rektors, kostenlose und mehrfache Schnelltests für alle Studenten und keine Universitätspolizei und Überwachung am Campus.
Studenten der Aristoteles-Universität Thessaloniki protestieren ebenfalls gegen die Durchseuchung. „Unsere Hochschulen werden mit Beschluss der Regierung in der nächsten Zeit zu Infektionsherden“, sagt Paraskevi Tsekoura, Mitglied der Studentenvertretung der Agrarwissenschaft, laut der Website voria.gr. Die Prüfungsphase werde ohne jegliche Schutzmaßnahmen umgesetzt.
Den kämpfenden Schülern und Studenten, die wissenschaftliche Erkenntnisse ernst nehmen und weitere Opfer verhindern wollen, antwortet Bildungsministerin Niki Kerameos (ND) mit skrupelloser Arroganz. Die erste Schulwoche sei „reibungslos“ verlaufen, behauptete sie. Die Kinder könnten nun in der Schule wieder „wertvolle Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben und sich sozial und psychisch-emotional entwickeln“.
Es bleibt Kerameos’ Geheimnis, wie sich ein Kind „sozial und psychisch-emotional entwickeln“ kann, wenn es ängstlich im Klassenraum mit 25 Mitschülern zusammengepfercht sitzt, sich selbst infiziert und im schlimmsten Fall sogar schwer erkrankt oder den Tod eines Angehörigen miterleben muss. Ein tragisches Ende nahm letzte Woche das Leben eines 14-jährigen Teenager in der Region Lamia. Nur drei Tage nachdem er zusammen mit seinen ebenfalls infizierten Eltern in die Notaufnahme eingeliefert worden war, starb der Junge auf der Intensivstation an Corona.
Mit fast 22.000 Opfern hat Griechenland eine der höchsten Todesraten der Europäischen Union. Wie katastrophal die Situation an den Krankenhäusern ist, schilderte eine griechische Pflegerin Anfang Januar in einem Social-Media-Video. An der Covid-Klinik, wo sie arbeitet, seien nur zwei Pfleger für 46 Patienten zuständig. „Es ist, als ob wir in einem Kriegsgebiet wären. Wir kämpfen ohne Soldaten, ohne Munition, ohne alles“, sagt sie. „Die Menschen sterben und werden weiter sterben.“
Das ist die Realität, die der offiziellen Lüge vom „Kindeswohl“ in den offenen Schulen den Spiegel vorhält. Die Regierung braucht den Präsenzunterricht um jeden Preis, damit die Kinder verwahrt werden, während die Erwachsenen arbeiten gehen und die Profite der Unternehmen erwirtschaften. Der Kurs der rigorosen Durchseuchung betrifft alle Lebensbereiche – von den Betrieben bis zu den Bildungseinrichtungen.
Gegen die Schulbesetzungen geht die Regierung deshalb mit harscher Repression vor. Lehrer werden dazu gedrängt, bei Besetzungen auf Distanzunterricht zu wechseln, aber die am Streik beteiligten Schüler davon auszuschließen und mit Fehlstunden zu belegen.
Viele Lehrer weigern sich, diese Anordnung umzusetzen. Auch die Lehrergewerkschaft der Sekundarstufe OLME fordert dazu auf, sich der Maßnahme zu widersetzen, und ruft für den morgigen Dienstag zu einer Demonstration vor der Schuldirektion in Athen auf. OLME kritisiert die fehlenden Schutzmaßnahmen in den Schulen und hatte eine Verschiebung der Schulöffnungen um eine Woche gefordert. Am ersten Schultag rief sie zu einem zweistündigen Warnstreik auf.
Die Gewerkschaften und ihre pseudolinken Unterstützer versuchen verzweifelt, die wachsende Opposition zu kontrollieren, und eine breite Bewegung von Schülern, Lehrern und anderen Teilen der Arbeiterklasse gegen die „Profite vor Leben“-Politik der Regierung zu unterdrücken. Sie haben während der Pandemie durchgehend die Politik der offenen Schulen und Betriebe unterstützt und den Widerstand in harmlose Kanäle gelenkt.
Als die Lehrer im Oktober im ganzen Land in den Streik traten, um gegen die Angriffe auf das öffentliche Bildungssystem und für besseren Coronaschutz zu kämpfen, sorgte OLME für die rasche Beendigung des Streiks, bevor er sich ausweiten konnte. Obwohl die Gewerkschaftsmitglieder in lokalen Vollversammlungen mehrheitlich für eine Fortsetzung des Arbeitskampfs gestimmt hatten, votierte die Gewerkschaftsführung von OLME dagegen.
Die Schüler und Lehrer brauchen neue Kampforganisationen, die unabhängig von den Gewerkschaften und prokapitalistischen Parteien sind. Die Aktionskomitees für sichere Bildung, die bereits in mehreren Ländern aufgebaut wurden, kämpfen als Teil der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees für einen global koordinierten Lockdown bei vollem Lohnausgleich und eine Strategie zur Eliminierung von Covid-19.
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