Mit der internationalen Ausbreitung von Omikron haben die kapitalistischen Regierungen auf der ganzen Welt mehr und mehr jeden Versuch aufgegeben, das tödliche Virus einzudämmen oder auch nur seine schlimmsten Auswirkungen abzumildern. Mehr und mehr besteht ihre offen erklärte Politik darin, für die absehbare Zukunft ein massives Ausmaß an Ansteckungen zuzulassen, was immer neue globale Wellen von Krankheit und Tod bedeutet, wie es sie außerhalb von Kriegszeiten noch nie gegeben hat.
Die Veränderung der Weltlage kommt am deutlichsten in den Ländern zum Ausdruck, die zuvor öffentliche Pandemiemaßnahmen ergriffen haben, um die Übertragung des Virus erfolgreich zu unterdrücken, inzwischen aber das „Mit dem Virus leben“-Programm angenommen haben.
Australien ist ein typisches Beispiel dafür. In den ersten beiden Jahren der Pandemie – bis zum 15. Dezember letzten Jahres – gab es insgesamt nur 235.000 Infektionen. In den fünfeinhalb Wochen seither gab es in dem Land mit einer Bevölkerung von 25 Millionen Menschen 1,9 Millionen bestätigte Fälle.
Bis Ende Juli letzten Jahres – d.h. in den ersten 18 Monaten der Covid-Krise – lag die Gesamtzahl der Infektionen bei 32.000. Jetzt sind die offiziellen täglichen Fälle doppelt oder dreimal so hoch und schwanken zwischen 70.000 und 100.000. Epidemiologen warnen, dass die tatsächliche Zahl der Fälle bei unkontrollierter Übertragung um ein Vielfaches höher liegen könnte.
In den größten Bundesstaaten New South Wales (NSW) und Victoria greift das Virus um sich – und die Behörden erklären, dass wahrscheinlich jeder mit Covid infiziert ist oder damit in Berührung kommen wird. Am deutlichsten ist die Veränderung jedoch in den Bundesstaaten, in denen es zuvor nur eine geringe oder gar keine Übertragung gab. Queensland, das eine Einwohnerzahl von fünf Millionen hat, verzeichnete beispielsweise während der gesamten Pandemie bis Mitte Dezember nur etwas mehr als 2.000 Fälle und sieben Todesfälle. In den letzten sechs Wochen wurden dort mehr als 300.000 Infektionen und 88 Todesfälle registriert.
Die steigende Zahl der Todesfälle ist ein landesweites Phänomen, das die Behauptungen der Regierung widerlegt, Omikron sei „mild“ und schwere Erkrankungen und Todesfälle seien von den Infektionszahlen „entkoppelt“ worden. In den ersten drei Wochen dieses Jahres gab es mehr als 800 Todesfälle – verglichen mit 2.200 in beiden Vorjahren zusammen –, doch Ärzte warnen, dass diese Tragödien nur ein Vorgeschmack auf das sind, was noch kommen wird.
Wie die Regierungen überall auf der Welt stellen die australischen Regierungen die Zahl der Todesfälle als unvermeidlich und die grassierende Ausbreitung von Omikron geradezu als einen Akt Gottes dar, auf den sie keinen Einfluss haben. Damit soll die Tatsache vertuscht werden, dass die derzeitige Katastrophe das Ergebnis der Demontage grundlegender öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen ist, um die Voraussetzungen für ungehindertes Geldscheffeln der Unternehmen zu schaffen.
In Australien ist die Wirksamkeit öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen keine theoretische Frage. Die im Vergleich zu den Katastrophen in Europa, den USA und andernorts geringe Zahl von Infektionen und Todesfällen in den ersten beiden Jahren der Pandemie war das Ergebnis von Tests, der Rückverfolgung von Kontakten, von Isolierungs- und Lockdownmaßnahmen, die in der Bevölkerung breite Unterstützung fanden.
Die australischen Regierungen führten diese Maßnahmen nicht aus wohlwollender Sorge um die öffentliche Gesundheit durch. In der Anfangsphase der Pandemie lehnten sie ein wissenschaftlich fundiertes Programm zur Ausrottung des Virus mit der Begründung ab, dass dies zu „teuer“ sei. Unter starkem Druck der Arbeiterklasse – insbesondere von Schlüsselberufen wie dem Gesundheitspersonal und den Lehrern – nahmen sie jedoch eine Politik der „starken Unterdrückung“ im Falle von Ausbrüchen an.
Obwohl diese Maßnahmen von der Regierung nur widerwillig, verspätet und mit einer Reihe von Ausnahmen zugunsten der Wirtschaft durchgeführt wurden, gelang es ihnen immer wieder, Ausbrüche des Virus zu unterdrücken. Obwohl es nicht ihr erklärtes Ziel war, haben diese Maßnahmen die Übertragung mindestens einmal in jedem australischen Bundesstaat verhindert, in einigen Fällen für längere Zeit.
Mitte letzten Jahres nutzten die wirtschaftlichen Eliten und ihre politischen Vertreter – die seit Langem gegen die „Sucht nach Lockdowns“ in der Bevölkerung angekämpft hatten – das Auftreten der Delta-Variante, um zu behaupten, dass die bisherigen Maßnahmen nicht mehr praktikabel seien. Im Juli und August verabschiedeten alle Regierungen des Landes – sowohl Labor- als auch liberal-nationale Regierungen – basierend auf willkürlichen Impfzielen eine Strategie zur dauerhaften Beendigung der pandemischen Beschränkungen.
Die Regierungen ignorierten die Warnungen der Epidemiologen, dass Impfungen allein, so wichtig sie auch sind, die Pandemie nicht beenden können. Sie folgten wirtschaftlichen anstelle von gesundheitlichen Ratschlägen. Diese wurden in einem Brief von 80 der weltweit größten Unternehmen zusammengefasst, über den die Financial Times berichtete und in dem erklärt wurde, dass Australien sich „öffnen“ müsse.
Nachdem diese „Wiederöffnung“ in Gang gesetzt wurde, reagierte die herrschende Elite Australiens mit Freude auf das Auftreten von Omikron. Weniger als eine Woche nach der Identifikation der neuen Variante in einem südafrikanischen Labor erklärte Australiens Chief Medical Officer Paul Kelly gleich einem zum Brandstifter gewordenen Feuerwehrmann, dass die massenhafte Verbreitung von Omikron sein „wichtigstes Weihnachtsgeschenk“ an die Bevölkerung sei.
Während die neue Variante bereits in der Bevölkerung zirkulierte, veranstaltete die Regierung von NSW am 15. Dezember einen „Freedom Day“, ermutigte zur massenhaften Teilnahme an Nachtclubbesuchen und anderen Superspreader-Events und hob alle Beschränkungen auf – selbst das Tragen von Masken in Innenräumen. Die Labor-Regierung von Victoria verfolgte eine ähnliche Politik, während die Zero-Covid-Bundesstaaten und -Territorien ihre Grenzen öffneten und Omikron buchstäblich willkommen hießen und hereinbaten.
Die Behauptungen der Regierungen, dies würde eine neue Ära der „Freiheit“ und eine „Rückkehr zur Normalität“ einleiten, erweisen sich als verlogene Rechtfertigung für ein massives soziales Verbrechen an der Bevölkerung. Das von privaten Unternehmen beherrschte und von der Regierung massiv subventionierte Testsystem ist innerhalb weniger Wochen zusammengebrochen. Die Krankenhäuser befinden sich in der schwersten Krise seit 100 Jahren. Patienten mit Krebs und lebensbedrohlichen Herzkrankheiten wird bereits mitgeteilt, dass ihre Behandlung auf unbestimmte Zeit verschoben wird.
Der Kampf gegen die Pandemie nimmt immer direkter die Form eines Klassenkampfes an.
Die verzweifelten Warnungen der Pfleger und Ärzte vor dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems werden als „Panikmache“ abgetan. Premierminister Scott Morrison erklärte letzte Woche, dass die Virusübertragung am Arbeitsplatz so groß sei, dass zu einem beliebigen Zeitpunkt bis zu zehn Prozent der gesamten nationalen Belegschaft gleichzeitig unpässlich sein könnte. Die Antwort der Regierung lautet, dass Arbeiter, die mit dem Virus in Berührung gekommen sind und infiziert sein könnten, gezwungen werden sollen, an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben.
Distanzunterricht, so warnte Morrison, würde die „Fehlzeiten in den Belegschaften um weitere fünf Prozent erhöhen“, daher müssten die Schulen Ende dieses Monats und Anfang nächsten Monats wieder geöffnet werden, um sicherzustellen, dass die Eltern an ihren gefährlichen Arbeitsplätzen sind. In NSW und Victoria werden bereits Ersatzkräfte aus Universitätsstudierenden und hoch gefährdeten pensionierten Pädagogen einberufen, in der Erwartung, dass tausende Lehrer durch Krankheit ausfallen werden.
Gegen diese Politik existiert eine massenhafte Opposition, die sich in einer weit verbreiteten Feindseligkeit gegenüber den Schulöffnungen und in ersten Anfängen von Arbeitskämpfen äußert. Regierungen und Wirtschaftsbosse beklagen die Versuche der Bevölkerung, sich so weit wie möglich zu isolieren, als Verhängung eines „Schattenlockdowns“.
Das Anwachsen von Omikron hat gezeigt, dass der Kampf gegen die Pandemie einen Kampf gegen das gesamte politische Establishment erfordert – einschließlich der Gewerkschaften, die alles in ihrer Macht Stehende tun, um Arbeiter in den Betrieben zu halten und den Widerstand zu unterdrücken. An allen Arbeitsplätzen müssen Aktionskomitees gebildet werden, die für die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Übertragung kämpfen, darunter die sofortige Schließung nicht lebensnotwendiger Industriezweige bei vollständiger Entschädigung der betroffenen Arbeiter und Kleinunternehmer sowie Online-Unterricht.
Die Entwicklungen in Australien sind von internationaler Bedeutung und zeigen, dass die Zeit, in der manche kapitalistische Regierungen den Mittelweg der Mitigation verfolgten, vorbei ist. Neuseeland, eines der wenigen kapitalistischen Länder, die eine Eliminierungsstrategie verfolgt haben, hat diese aufgegeben und Premierministerin Jacinda Ardern erklärt nun, dass die Ausbreitung von Omikron unvermeidlich ist – noch bevor die neue Variante in die Bevölkerung eingedrungen ist. Die äußerst erfolgreiche Zero-Covid-Politik in China wird von Regierungen und Konzernmedien überall auf der Welt unerbittlich angeprangert und verleumdet.
Die Erfahrungen in Australien unterstreichen die Tatsache, dass die Pandemie nicht in einem einzigen Land beendet werden kann; dass Impfungen allein nicht ausreichen, um die Übertragung zu beenden; und dass die früher durchgeführten und jetzt aufgegebenen Pandemiemaßnahmen entscheidend sind.
Vor allem aber zeigen sie, dass der Kampf für die weltweite Eliminierung des Virus eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse erfordert, die mit wissenschaftlichen und politischen Kenntnissen ausgestattet ist. Die notwendigen Pandemiemaßnahmen, einschließlich der Schließung nicht lebensnotwendiger Betriebe, werden mit der Begründung blockiert, dass sie sich auf den Profit der Unternehmen auswirken würden. Das zeigt nur, dass der Kapitalismus abgeschafft, das große Bank- und Industriekapital in öffentliches Eigentum überführt und die Gesellschaft nach sozialistischen Gesichtspunkten umgestaltet werden muss, um den sozialen Bedürfnissen gerecht zu werden.