Einen Tag nachdem die USA die überaus provokante Entscheidung zur Entsendung von 8.500 Soldaten nach Osteuropa ankündigten, lieferten sie der Ukraine etwa 300 Javelin-Panzerabwehrraketen zum Stückpreis von 600.000 bis 1,4 Millionen Dollar. Dazu kamen schultergestützte Mehrzweck-Angriffswaffen und bunkerbrechende Waffen.
Die oberste US-Diplomatin in der Ukraine, Kristina A. Kvien, erklärte während eines Auftritts, bei dem sie neben den gelieferten Waffen stand, die ukrainischen Truppen seien „gut ausgerüstet und vorbereitet“. Als Warnung an Russland fügte sie hinzu, im Falle eines Kriegs müsse „Russland mit schweren Verlusten rechnen“.
Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow verurteilte diese Entscheidungen: „Die USA eskalieren die Spannungen. Wir beobachten dieses Vorgehen der USA mit tiefer Sorge.“ Die führende russische Wirtschaftszeitung Kommersant sprach am Montag offen von einer „Vorkriegssituation“.
Russland führte am Dienstag eine Reihe von Militärübungen durch, an denen Elite-Fallschirmjägereinheiten, Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe und Raketenverbände beteiligt waren.
Die Übungen fanden in Sibirien, dem Fernen Osten, der Ostsee, nahe der Ukraine, auf der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer und in anderen Teilen des riesigen russischen Staatsgebiets statt. Daneben hat Russland auch gemeinsame Militärübungen mit Belarus begonnen, die bis Mitte Februar andauern sollen.
Laut der Washington Post werden zu den 8.500 US-Soldaten einige Mitglieder der 82. und der 101. Fallschirmjägerdivisionen gehören, und es könnten noch mehr werden. Das Weiße Haus hat bereits über die Entsendung von 50.000 Soldaten in die Region diskutiert.
Am Dienstag erklärte US-Präsident Joe Biden, die USA würden keine Nato-Truppen in die Ukraine schicken. Zeitgleich trafen sich Vertreter der französischen, deutschen, russischen und ukrainischen Regierungen zu Gesprächen im „Normandie-Format“ in Paris – einem halbherzigen letzten Versuch einer diplomatischen Lösung, der von den meisten russischen Medien als bedeutungslos abgetan wurde.
Nachdem mehrere Berichte auf ernsthafte Spannungen zwischen den USA und Deutschland hindeuteten, ist vor allem in den US-Medien die Rede davon, dass die Biden-Regierung einen Großteil ihrer Energie darauf verwendet, eine „Einheitsfront“ der Nato gegen Russland aufzubauen. Die deutsche Regierung hat bisher die Bestrebungen der USA abgelehnt, das Gaspipelineprojekt Nord Stream 2 zu beenden. Russland liefert etwa 40 Prozent des europäischen Gases, und die Preise sind in den letzten Tagen aufgrund der Angst vor einem Krieg deutlich gestiegen.
Die von den USA angedrohten Sanktionen gegen Russland würden auch die europäische Wirtschaft schwer treffen, weil sie enger mit der russischen als der amerikanischen Wirtschaft verbunden ist. Das Weiße Haus stellte zwar Sanktionen gegen Nord Stream 2 und Russlands Ausschluss aus dem Finanztransaktionssystem SWIFT vorläufig zurück, kündigte aber diese Woche „beispiellose Exportkontrollmaßnahmen“ gegen Russland an.
US-Außenminister Antony Blinken diskutierte am Montagabend während eines langen Treffens mit den europäischen Außenministern über „Vorbereitungen für massive Konsequenzen und hohe wirtschaftliche Kosten“ für Russland und eine weitere Stärkung der Nato-Truppen in Osteuropa. Dänemark kündigte nach dem Treffen an, eine Fregatte in die Ostsee und vier F-16-Kampfflugzeuge nach Litauen zu entsenden. Spanien schickt Kriegsschiffe ins Mittelmeer und ins Schwarze Meer, und die französische Regierung stellte die Entsendung von Truppen in den Nato-Staat Rumänien in Aussicht, der an das Schwarze Meer und die Ukraine angrenzt.
Die Europäische Union kündigte obendrein einen weiteren Kredit in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar für die Ukraine an. Die britische Regierung, die am stärksten in die Provokationen der USA gegen Russland eingebunden ist, stellt der Ukraine 1,5 Milliarden Dollar für die Modernisierung ihrer Marine zur Verfügung.
In der Ukraine sind die Kriegsvorbereitungen weit fortgeschritten. Am Montag berief Präsident Selenskyj eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats ein. Am Dienstag fand eine Klausurtagung zwischen der Regierung und Parlamentsabgeordneten über die Kriegskrise statt. Der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko kündigte für den 28. Januar eine Konferenz der ukrainischen Bürgermeister an, auf der über die „territoriale Verteidigung“ der ukrainischen Städte im Kriegsfall diskutiert werden soll.
Die amerikanische Botschaft, Australien, Großbritannien und Deutschland haben bereits die Evakuierung zumindest eines Teils des diplomatischen Personals und deren Familien aus Kiew angekündigt. Mehrere große Fluggesellschaften, darunter die Lufthansa, gehen davon aus, dass jederzeit ein militärischer Konflikt ausbrechen könnte, und haben daher alle Nachtflüge nach Kiew eingestellt.
Der russische Vizeaußenminister Sergei Rjabkow erklärte letzte Woche in einer Rede vor dem bedeutenden Moskauer Thinktank Waldai-Klub, die europäische Sicherheitslage sei mittlerweile „kritisch“. Weiter nannte er die wichtigsten Forderungen, die Russland der Nato im Dezember schriftlich vorgelegt hatte: juristische Garantien, die Nato nicht auszuweiten, eine Rückkehr der Nato zu den Grenzen von 1997 und ein Verzicht auf die Stationierung von Raketen in Osteuropa.
Rjabkow erklärte: „Wir sind nicht bereit, ewig zu warten. Wir sind nicht bereit, uns in den üblichen diplomatisch-bürokratischen Prozess um optimale Formate ziehen zu lassen. Wir brauchen eine direkte und verständliche Antwort, und sie muss schriftlich erfolgen.“
Die Nato und die USA übermittelten am Mittwoch ihre Antwort auf Russlands Forderungen. Blinken und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg machten in ihren Statements keinerlei Zugeständnisse, sondern forderten nichts weniger als die vollständige Kapitulation Moskaus, was die Kriegsgefahr weiter verschärft.
Der Ehrenvorsitzende des Präsidiums des russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik, Sergei Karaganow, warnte in einem Interview mit Russia in Global Affairs, dem führenden russischen Außenpolitik-Magazin, sollten die USA und die Nato keine Garantien vorlegen und weitere Sanktionen gegen Russland verhängen, würde der Kreml mit harten Maßnahmen reagieren.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Karaganow erklärt gegenüber Russia in Global Affairs: „Ich kann nur sagen, dass wir Waffensysteme entwickelt haben, die die Lebensfähigkeit der USA sehr stark gefährden könnten. ... Wir haben auch Waffen wie die Vertiefung [unserer] militärisch-politischen Kooperation mit China, die für Washington ein echter Alptraum werden könnten. Und wenn uns die Amerikaner mit ,verheerenden‘ Sanktionen drohen, was einer Kriegserklärung gleichkommt, sollten sie sich daran erinnern, dass Russland und China die Möglichkeit haben, die westliche Wirtschaft und Gesellschaft [durch Mittel] wie Cyberkriegsführung zu zerstören.“
Die gefährliche Kriegskrise, die sich jetzt in Osteuropa entwickelt, ist das Ergebnis der jahrzehntelangen Politik und der Provokationen des US-Imperialismus. Seit der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion 1991 ist die Nato immer näher an die russischen Grenzen gerückt. Dies war Teil der US-Strategie, die Kontrolle über die „eurasische Landmasse“ zu erlangen, d.h. über ganz Europa und Asien. In den Jahren 2004 und 2014 organisierten die USA und die EU in der Ukraine Putsche, um pro-westliche Vertreter der ukrainischen Oligarchie an die Macht zu bringen.
Seit dem Putsch von 2014 war Kiew ein wichtiger Partner der anti-russischen Provokationen der Nato. Vor allem im vergangenen Jahr haben die USA und die EU den militärischen Druck auf Russland gesteigert und bewusst die Bedingungen für eine militärische Eskalation geschaffen.
Während in den USA und Europa jeden Tag Tausende in überlasteten Krankenhäusern an Covid-19 sterben, vergeuden die imperialistischen Mächte immense gesellschaftliche Ressourcen, um den größten und tödlichsten militärischen Konflikt Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorzubereiten. Ein zentrales Motiv für diese irrationale Politik ist ihr verzweifelter Versuch, vom explosionsartigen Anwachsen der Klassenspannungen in ihren eigenen Ländern abzulenken.
Das Kiewer Regime und die faschistischen Kräfte, die seit 2014 die Hauptrolle im Bürgerkrieg in der Ostukraine spielen, wurden bereits mit Milliarden Dollar finanziert. Gleichzeitig sind Zehntausende ukrainische Soldaten – bisweilen ganze Einheiten – von der Front desertiert, weil sie nicht kämpfen wollten. Mit dem Geld der USA wurden Panzer und andere moderne Waffen für das faschistische Asow-Bataillon finanziert, das offiziell Teil der ukrainischen Nationalgarde ist.
Das Asow-Bataillon und andere rechtsextreme paramilitärische Gruppen haben gezielt Journalisten ermordet, Pogrome und andere schreckliche Verbrechen verübt, für die sie nahezu vollständige Straffreiheit genießen. Die Behörden lassen zu, dass sie Dutzende von Camps in der Ukraine betreiben, in denen Kinder – teilweise erst neun Jahre alt – im Umgang mit Waffen ausgebildet und mit ukrainischem Nationalismus und faschistischer Ideologie indoktriniert werden.
Die Zeitung Haaretz berichtete am Montag, dass auch der israelische Staat seit Jahren Waffen an die Ukraine schickt, die einer der Hauptschauplätze des Holocaust an den europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs war. Diese Nachricht entlarvt eindeutig den Klassencharakter des Zionismus.
In einem Krieg gegen Russland werden die imperialistischen Mächte und die ukrainische Regierung hauptsächlich auf diese neofaschistischen Kräfte setzen. Die Folgen eines solchen Konflikts für die Arbeiterklasse in Europa und der Welt wären katastrophal. Nur eine Intervention der internationalen Arbeiterklasse als unabhängige politische Kraft kann einen solchen Krieg verhindern.