Schüler in Chicago: „Kapitalismus ist Gift“

Lehrkräfte und Schüler überall auf der Welt intensivieren Kampf gegen die Ausbreitung von Covid-19

Während die kapitalistischen Regierungen immer offener zu einer Politik der Durchseuchung mit Covid-19 übergehen und die Schulen und Betriebe mit aller Gewalt offenhalten, breitet sich die Protestwelle von Schülern und Lehrkräften über die ganze Welt aus.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Arbeiter erkennen, dass ihre Kämpfe weder isoliert noch vereinzelt sind. Die Lehrer und Schüler der Welt sprechen zwar unterschiedliche Sprachen, aber seit der Öffnung der Schulen in diesem Jahr über dasselbe Thema: eine universelle Katastrophe. Es geht um gefährliche Bedingungen, massive Infektionszahlen und Rekordwerte bei Krankmeldungen von Schülern und Personal.

Israel

Am Donnerstag verhängte das Arbeitsgericht von Tel Aviv eine einstweilige Verfügung gegen die israelische Lehrergewerkschaft. Damit soll ein landesweiter Streik verboten werden, der am Mittwochabend ausgerufen wurde.

Zuvor hatte Ministerpräsident Naftali Bennett beschlossen, die Quarantänepflicht für alle Schüler aufzuheben, die mit Covid-19 in Kontakt gekommen sind. Diese Regelung trat ab Donnerstag in Kraft, obwohl das Gesundheitsministerium auf einen späteren Zeitpunkt drängte. Angesichts einer möglichen spontanen Arbeitsniederlegung hatte die Gewerkschaft in letzter Minute zum Streik aufgerufen.

Nach den neuen Regeln können Schüler, die Kontakt mit Infizierten hatten, aber negativ getestet wurden, sofort in die Schule zurückkehren. Positiv getestete Schüler müssen nur für fünf Tage in Quarantäne. Israel folgt damit der fahrlässigen Entscheidung der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC, ihre Quarantänezeiten zu verkürzen.

In ganz Israel ist die Zahl der Corona-Fälle in die Höhe geschossen. Der Sieben-Tage-Durchschnitt liegt bei 80.575 Fällen, was einen Anstieg von fast 7.000 Prozent im Zeitraum vom 24. Dezember bis zum 26. Januar bedeutet. Die Zahl der Hospitalisierungen nähert sich dem höchsten Stand seit Beginn der Pandemie. Der Sieben-Tage-Durchschnitt der Hospitalisierungen liegt laut „Our World in Data“ bei 2.102 Personen und bei 214 Personen auf den Intensivstationen.

Der wahre Charakter der Forderung der herrschenden Klasse nach einer Fortsetzung des Präsenzunterrichts zeigt sich in den provokanten Äußerungen von Merom Shiff, dem Vorsitzenden der National Parenting Leadership Group, welche die Schulen geöffnet halten will. Shiff schrieb in einem offenen Brief an den Präsidenten der Lehrergewerkschaft: „In Israel fliehen Soldaten nicht vor dem Kampf... In Israel lassen Lehrer ihre Schüler nicht im Stich.“ Er warnte die Lehrkräfte vor „Ihren Kriegen, Ihren Machtspielchen, Egotrips und Händeringen“.

In den USA wurden diese Drohungen, in denen Klassenzimmer mit besetzten Gebieten verglichen werden, bereits in die Praxis umgesetzt. In Oklahoma wurden letzte Woche unmaskierte bewaffnete Polizisten als „Vertretungslehrer“ eingesetzt. In New Mexico hat die Gouverneurin, Michelle Lujan Grisham von den Demokraten, ein Programm ins Leben gerufen, durch das Nationalgardisten im Schnelldurchlauf als Vertretungslehrer ausgebildet werden sollen.

Italien

In Italien haben sich in den letzten Wochen Tausende von Schülern an Protesten gegen die gefährlichen Bedingungen in den Schulen beteiligt. Ein italienischer Lehrer erklärte gegenüber der World Socialist Web Site über die Bedingungen an Schulen: „Es gibt in vielen Klassen Ausbrüche. Es wurde nichts unternommen [um die Schulen sicherer zu machen]. Sogar die Distanzierung unter den Schülern ist keine Pflicht mehr. Sie sitzen in den Klassenzimmern wie Hühner auf der Stange.

Wir wissen nicht, wie viele positive Fälle es gibt. Wir wissen nur von denen in unseren Klassen. In einigen Schulen fehlen Lehrkräfte, Schüler und Hilfspersonal, sodass unmöglich Unterricht abgehalten werden kann. Eine Schule hat arbeitslose Eltern aufgerufen, als Lehrer einzuspringen. Die Regierung will die Schulen um jeden Preis offenhalten.

Die Streiks der Schüler und Lehrer in den USA und Frankreich machen mir Hoffnung. Wir müssen gemeinsam gegen die Öffnung der Schulen kämpfen. Die Initiativen zum Aufbau eines Netzwerks von unabhängigen Komitees in Schulen auf nationaler und internationaler Ebene begrüßen wir, damit wir uns nicht alleine und desorientiert fühlen.“

Illinois

Nachdem vor zwei Wochen Tausende von Schülern in Chicago den Unterricht verlassen hatten, organisierten sie am Donnerstag einen weiteren Streik. Die Organisatoren fordern ihre Mitschüler jetzt auf, aus Protest zu Hause zu bleiben, statt große Kundgebungen zu veranstalten.

Ein Chicagoer Schüler, der an der Organisation des Streiks am Donnerstag beteiligt war, erklärte gegenüber der WSWS: „Ich habe zu dem Ausstand aufgerufen, weil mir die ganze Schulgemeinschaft am Herzen liegt. Das liegt daran, dass ich mir Sorgen mache. Die ganze Situation rund um die Pandemie und die Fortsetzung des Präsenzunterrichts machen mir Angst. Das Virus hat hier Rekorde gebrochen, und die Chicagoer Schulbehörde erdreistet sich, uns weiterhin zur Schule zu schicken... Die Schüler fordern, dass die Schulbehörde Distanzunterricht anbietet.“

Über den Ausverkauf, den die Chicago Teachers Union ausgehandelt hat, erklärte der Schüler: „Nach der Ankündigung war ich wirklich baff. Die CTU hat diesen ganzen Aufwand betrieben, nur um dann nachzugeben. Wenn man darüber nachdenkt, hat die Schulbehörde die Abstimmung manipuliert, weil die Lehrer keinen Zugang zu ihren Google-Accounts hatten und deshalb nicht mit ihren Schülern kommunizieren konnten, und sie wurden nicht bezahlt.“ Die Bürgermeisterin Lori Lightfoot von den Demokraten „hat als meisterhafte Manipulatorin“ den Streik beendet.

Als er nach seiner Meinung zum Anwachsen der sozialen Ungleichheit gefragt wurde und zu der Tatsache, dass eine Handvoll Milliardäre ihr Vermögen verdoppeln konnten, während Millionen gestorben sind oder in die Armut gestürzt wurden, erklärte der Schüler: „Ich glaube, das sagt viel darüber, dass der Kapitalismus wirklich ein Faktor dabei ist, warum die Welt so frustrierend gespalten ist. Kapitalismus ist Gift.“

Am Mittwoch stimmten 91 Prozent der Mitglieder der Champaign Federation of Teachers (CFT) in Champaign, Illinois, für einen Streik und gegen den Tarifvertrag, den die Schulbehörde vorgelegt hatte. Ein Grund für das deutliche Ergebnis war die vorgesehene Verlängerung des Schultags um 50 Minuten.

Der Co-Präsident der CFT, Mike Sitch erklärte in einer aufschlussreichen Stellungnahme gegenüber der News-Gazette, die Gewerkschaftsführung sei „bestrebt und bereit“ und „jederzeit verfügbar“ für Diskussionen mit der Behörde und dem Bezirk. Er ließ durchblicken, dass die Gewerkschaft kein ernsthaftes Interesse an einem Streik hat: „Wir werden morgen, am Freitag und in der nahen Zukunft in den Klassenzimmern sein.“ Der Tarifvertrag, unter dem die Lehrer in Champaign arbeiten, ist im letzten Sommer ausgelaufen.

Die Lehrkräfte erwähnten die Ausbreitung von Covid-19 zwar nicht ausdrücklich, doch die Pandemie trug mit Sicherheit zu der eindeutigen Entscheidung für den Streik am Mittwoch bei. Im ganzen Land klagen Lehrkräfte über Erschöpfung und die Streichung von Planungsstunden und Essenspausen, um den Personalmangel auszugleichen. Laut der Website der Gesundheitsbehörde haben die Infektionszahlen in Champaign-Urbana durch die Omikron-Welle mit 1.253 einen Höchststand erreicht.

Studenten der University of Illinois in Champaign-Urbana schlossen sich der Protestwelle in Chicago an und verbreiteten eine Petition, in der sie die Möglichkeit zum Distanzunterricht und bessere Eindämmungsmaßnahmen forderten. Diese Petition wurde von mehr als 1.200 Studenten, Lehrkräften und Personal unterzeichnet.

Birmingham (Alabama)

Am letzten Sonntag stellte die Schulbehörde von Birmingham (Alabama) angesichts von Rekordwerten bei Personalengpässen durch Infektionen und Quarantänen sowie angesichts eines drohenden Krankheitsstreiks der Lehrer für Montag und Dienstag auf Distanzunterricht um. Weil zwei Tage nicht ausreichen, um die Übertragungen in nennenswertem Ausmaß zu verringern, führten 200 Lehrer des Schulbezirks am Mittwoch dennoch ihren Streik durch Krankmeldung durch, als die Klassen wieder zum Unterricht erschienen. Weitere 144 Lehrer waren an diesem Tag tatsächlich krank, sodass 13 Prozent des Gesamtpersonals fehlte.

Der Schulbezirk dokumentierte letzte Woche einen Rekordwert von 468 Fällen unter Schülern, zusammen mit einem Rekord von 26.260 Fällen in ganz Alabama in weiterführenden Schulen.

Ein langjähriger Lehrer aus Alabama erklärte gegenüber der WSWS zu den wirtschaftlichen und politischen Interessen hinter der Kampagne zur Schulöffnung: „Der Zustand des Bildungswesens in den USA ist denen egal. Wir sind für sie nur bessere Babysitter. In Alabama muss man nur 18 Jahre alt sein, um als Vertretungslehrer zu arbeiten. Sie wollen, dass Leute in den Schulgebäuden sind und auf die Kinder aufpassen, damit die Eltern weiterhin Geld für die Konzerne erarbeiten können.“

Obwohl die Lehrer ihren Krankheitsstreik am Freitag fortsetzten, dürfen sie nicht darauf vertrauen, dass die Birmingham Federation of Teachers (BFT) einen ernsthaften Kampf zur Durchsetzung von Distanzunterricht führen wird. Genau wie die American Federation of Teachers, der sie angeschlossen ist, und wie ihr Äquivalent in Chicago ist die BFT bereit zu Kompromissen bei der essenziellen Forderung nach Distanzunterricht und tut nichts, um die Lehrer über Schulbezirke hinweg und landesweit zu vereinen.

Jefferson County (Mississippi)

Im benachbarten Bundesstaat Mississippi haben die Busfahrer in dem ländlich geprägten Bezirk Jefferson County letzten Freitag einen eintägigen Streik organisiert. Angesichts eines Fahrermangels, der durch die Pandemie noch verschärft wurde, stellte die Schulbehörde für 25 Dollar pro Stunde – doppelt so viel wie der reguläre Lohn der Busfahrer – Sportlehrer, pensionierte Fahrer und Lehrer mit Busführerschein ein.

Am Freitagnachmittag stimmte die Schulbehörde in einer Krisensitzung für eine Lohnerhöhung auf 20 Dollar pro Stunde, was für die am schlechtesten bezahlten Fahrer einer Erhöhung um 66 Prozent gleichkommt.

Richmond (Kalifornien)

Nach einer Serie von spontanen Krankheitsstreiks der Schüler und Lehrer in Oakland (Kalifornien) haben mehr als 1.500 Lehrkräfte und Beschäftigte des West Contra Costa Unified School District im benachbarten Richmond wegen Sicherheitsbedenken in Bezug auf Covid-19 für einen Streik gestimmt. Die Ortsgewerkschaft United Teachers of Richmond (UTR), ein Ableger der National Education Association, hat den Streik genehmigt, nachdem am Wochenende 72 Prozent der Lehrkräfte für einen Streik gestimmt hatten.

Genau wie ihre Kollegen überall in den USA und der Welt haben die Lehrkräfte auch hier gefährliche Bedingungen in den Schulen und Rekordwerte bei fehlenden Schülern und Lehrern als Grund genannt. Die Anwesenheitszahlen im Bezirk zeigen, dass seit der Öffnung der Schulen im Januar mehr als ein Drittel der Schüler nicht zum Unterricht erschienen ist.

Am 13. Januar äußerten Schüler bei einem Treffen der Schulbehörde ihre Bedenken wegen der Sicherheitslage und forderten Distanzunterricht. Einer erklärte: „Ich fühle mich die ganze Woche, als würde ich entscheiden müssen zwischen meiner Bildung und meiner Gesundheit und der meiner Familie. Ich sollte diese Entscheidung nicht treffen müssen.“

Die Präsidentin der UTR, Marissa Glidden, erklärte in einer Stellungnahme gegenüber der East Bay Times, die fast identisch war mit der des CFT-Präsidenten, dass die Gewerkschaft alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um einen Streik zu verhindern. Sie setzt darauf, dass der Schulbezirk ihnen ein paar Gesundheitsschutzmaßnahmen zugesteht, um eine offene Rebellion wie in Oakland zu verhindern. Über die Vertreter des Schulbezirks erklärte Glidden: „Wir glauben, dass sie uns hören… Wir sind bereit, uns mit ihnen zu Verhandlungen hinzusetzen, und zwar so lange, wie es diese Woche dauert – so viele Stunden wie nötig – um einen Plan auszuarbeiten.“

Die Lehrer müssen die Lehren aus den letzten zwei Jahren ziehen, wenn sie ein drittes Jahr voller Katastrophen und Massensterben verhindern wollen. Dies erfordert einen entschiedenen Bruch mit den Gewerkschaften, die erst einschreiten, wenn der Widerstand auf dem Siedepunkt ist, um dann sofort eine erzwungene Rückkehr in die Klassenzimmer „auszuhandeln“.

Statt der Engstirnigkeit der Gewerkschaften erfordert der Kampf gegen die Pandemie eine bewusste internationale Perspektive und einen organisatorischen Rahmen für die Vereinigung der Arbeiterklassen in allen Ländern. Wir rufen Lehrkräfte, Eltern und Schüler auf, das Netzwerk von Sicherheitskomitees aufzubauen, die heute für diese Perspektive kämpfen.

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