Die dänische sozialdemokratische Regierung hat am 1. Februar alle öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 eingestellt. Am „Freedom Day 2.0“ (wie es die Befürworter der Durchseuchung nennen) werden sowohl die Maskenpflicht in der Öffentlichkeit und die Abstandsregeln, als auch die Kontaktnachverfolgung von Infizierten eingestellt. Die einzige Maßnahme, die beibehalten wird, ist eine viertägige Quarantäne für positiv getestete Personen – was jedoch deutlich unter der Inkubationszeit von Covid-19 liegt.
Genau wie der nördliche Nachbarstaat Schweden zu Beginn der Pandemie entwickelt sich nun auch Dänemark zu einem der rücksichtslosesten Befürworter der Durchseuchungsstrategie. Dabei wies das Land letzte Woche die höchste Infektionsrate aller europäischen Länder mit Ausnahme der winzigen Färöer-Inseln auf. Hinzu kommt, dass die potenziell noch infektiösere Omikron-Untervariante BA.2 sich in Dänemark ausbreitet. Wenn niemand sich diesem kriminellen Kurs entgegenstellt, dann wird dies zu einer Situation führen, in der Masseninfektionen und Massensterben alltäglich sind.
Die sozialdemokratische Regierung erklärte letzte Woche, Covid-19 stelle keine „Gefahr für die Gesellschaft“ mehr dar. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bekräftigte: „Die kritische Phase der Pandemie liegt hinter uns.“ Sie bestätigte, dass den Unternehmen freigestellt wird, ob sie Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 am Arbeitsplatz beibehalten. Eine Empfehlung der Regierung, den Beschäftigten möglichst das Arbeiten von zu Hause aus zu erlauben, wird ebenfalls aufgehoben.
Wie schon die Unterzeichner der faschistischen Great-Barrington-Erklärung, räumen die dänischen Politiker und Medien offen ein, dass die Zahl der Infektionen in die Höhe schießen wird. Die Epidemiologin Tyra Grove Krause vom staatlichen Forschungslabor Statens Serum Institut (SSI) stellte fest: „Die kommenden Wochen könnten schwierig werden, weil viele Leute krank werden und zu Hause bleiben müssen.“
Gesundheitsminister Magnus Heunicke gab bekannt, dass schon 63 Prozent der Neuinfektionen auf die Untervariante BA.2 zurückgehen. Die Gesundheitsbehörde warnte außerdem, mit BA.2 könnten sich Personen auch nach einer Omikron-Infektion erneut infizieren. Laut dem SSI könnte BA.2 bis zu 1,5-mal infektiöser sein als die ursprüngliche Omikron-Variante. SSI-Leiterin Krause musste deshalb zugeben, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle, der bisher für Ende Januar erwartet wurde, erst Mitte Februar bevorstehe. Wiederholte Infektionen bergen ein ernstes Risiko für Personen mit schwachem Immunsystem und Vorerkrankungen.
Mehrere Gesundheitsexperten haben sich gegen die Öffnungspläne ausgesprochen. Eskild Petersen, emeritierte Professorin für Infektionskrankheiten an der Universität Aarhus, erklärte: „Die Infektionsraten sind in den letzten Tagen rapide angestiegen, und wir stehen so kurz vor dem Ziel, dass es keinen Sinn ergibt, die Kontrollen zu lockern (…) Ich bin ganz erstaunt. Ich war immer der Meinung, dass wir die Dinge eins nach dem anderen angehen sollten. Wir sollten die Masken beibehalten, weil das sicherstellt, dass man das Virus bei sich behält, wenn man infiziert ist. Warum um alles in der Welt tun wir das? Wir haben momentan 918 Patienten mit Covid-19 im Krankenhaus, und wir wissen, dass es eine neue Variante geben wird.“
Es ist bereits das zweite Mal in weniger als sechs Monaten, dass die dänische Regierung die Pandemie für beendet erklärt. Im September rief Fredriksen schon einmal das Ende aller Corona-Beschränkungen aus und erlaubte ein riesiges Rockkonzert zur Feier des „Freedom Day“. Innerhalb von weniger als zwei Monaten trieb die Ausbreitung der Delta-Variante die Zahl der Infektionen und Hospitalisierungen so stark in die Höhe, dass die Regierung sich gezwungen sah, einen Corona-Pass für den Zugang zu öffentlichen Räumen einzuführen, und die Menschen mussten wieder eine vollständige Impfung oder einen negativen Test nachweisen.
Allerdings führte die Regierung vor dem Auftauchen von Omikron keine nennenswerten Einschränkungen für Veranstaltungen ein. Die Tatsache, dass es keine öffentlichen Maßnahmen gab, war einer der Hauptgründe, warum Dänemark zu den europäischen Ländern gehört, die heute am stärksten von Omikron betroffen sind. Die extrem infektiöse Virusvariante konnte sich durch mehrere Superspreader-Ereignisse in der ganzen Gesellschaft ausbreiten. Erst als die Fallzahlen auf ein Rekordniveau stiegen, wurden einige Wochen lang begrenzte Beschränkungen eingeführt.
In Dänemark gibt es seit Beginn der Pandemie mehr als 3.700 Todesfälle durch das Coronavirus und mehr als 1,5 Millionen Infektionen. Bei einer Bevölkerung von 5,8 Millionen bedeutet dies, dass sich mehr als ein Viertel der Einwohner infiziert hat. Aber die Todesrate würde in einem Land von der Größe Deutschlands „nur“ etwa 55.000 Todesfällen entsprechen.
Dank des gut ausgebauten öffentlichen Gesundheitssystems blieb der Bevölkerung bisher ein höherer Verlust an Menschenleben erspart. Das Testen auf Covid-19 wurde zentral von der Regierung organisiert, und alle Tests wurden auf Varianten kontrolliert, was einer der Gründe ist, warum Omikron so schnell entdeckt wurde. Dänemark hat zudem eine sehr hohe Impfquote; mehr als 80 Prozent der Bevölkerung haben mindestens zwei Dosen erhalten.
Doch dies macht die jüngste Entscheidung, alle nicht-pharmazeutischen Maßnahmen abzuschaffen, nur noch krimineller. Wenn die Regierung der Omikron-Untervariante freie Bahn lässt, schafft sie perfekte Bedingungen für die Entstehung einer neuen Variante, die noch resistenter gegen Impfstoffe oder noch tödlicher sein könnte. Selbst wenn dieser schlimmste Fall nicht eintritt, droht der arbeitenden Bevölkerung eine wachsende Zahl von Neuinfektionen mit Corona, was schwere langfristige Gesundheitsprobleme und einen Anstieg der Todesfälle zur Folge haben würde.
Die sozialdemokratische Regierung hat den Profitinteressen des Großkapitals während der ganzen Pandemie Vorrang vor dem Gesundheitsschutz der Arbeiter eingeräumt. Dänische Unternehmen und Investoren konnten durch staatlich gedeckte Kredite in Milliardenhöhe, Steuersenkungen und andere Rettungsmaßnahmen von Covid-19 profitieren. Der Economist, ein Sprachrohr des „Marktliberalismus“, hat Dänemark an die Spitze seines Rankings von OECD-Staaten platziert, die während der Pandemie am besten aufgestellt sind. Das Ranking basiert auf Faktoren wie der Leistung der Aktienmärkte, Kapitalinvestitionen, Wachstum des BIP und Staatsschulden.
Die sozialdemokratische Regierung hat obendrein mit Angriffen auf Arbeiter begonnen. Letzten August verabschiedete sie im Parlament ein Notstandsgesetz, um einen zehnwöchigen Streik von 6.000 Pflegekräften zu beenden und ihnen eine Lohnerhöhung von lumpigen fünf Prozent über drei Jahre aufzuzwingen. Der staatlich durchgesetzte Deal liegt unter der Inflationsrate und kommt somit einer Lohnsenkung gleich. Er verschlechtert noch die bereits seit Jahren zu niedrigen Löhne. Die Pflegekräfte hatten das Ergebnis im Juni noch offen abgelehnt und den Gewerkschaften, die es unterstützten, Widerstand geleistet.
Letzten Monat hat die Regierung mit den Oppositionsparteien einen Kompromiss über eine Arbeitsmarktreform ausgehandelt, die den Interessen der Unternehmen entspricht. Sie beinhaltet unter anderem Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Rentnern in die Erwerbsbevölkerung, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen.
Frederiksens Entscheidung zur Einstellung aller öffentlichen Maßnahmen war eine wochenlange Kampagne der Unternehmensvorstände und Lobbyisten für eine Rückkehr zur „Normalität“ vorausgegangen. Brian Mikkelsen von der dänischen Industrie- und Handelskammer erklärte: „Wir werden das Jahr für Jahr erleben, und wir können nicht einfach die Gesellschaft dichtmachen, wieder öffnen und wieder schließen (…) Es kostet viel zu viel Geld, Arbeitsplätze und Wohlstand. Deshalb brauchen wir Planungssicherheit für die Unternehmen.“
Jannick Nytoft von Horesta, der Vereinigung der Hotels und Restaurants, erklärte: „Wir brauchen eine Strategie für die Zukunft, die uns nicht ständig im Ausnahmezustand hält. Wir möchten, dass Covid-19 zu einer Krankheit wird, die wie alle anderen behandelt wird.“
Der wirtschaftsfreundliche Kurs der dänischen Regierung ist politisch besonders aufschlussreich, weil er von der Unterstützung zweier Parteien abhängt, die sich selbst als „sozialistisch“ und „links“ bezeichnen. Die Socialistisk Folkeparti und die ex-stalinistische Enhedslisten/de rød-grønne (Einheitsliste/die Rot-Grünen), zu der u.a. die dänische Sektion des pablistischen Vereinigten Sekretariats, die Socialistisk Arbejderparti, gehört, hatten 2019 ein Abkommen mit Frederiksen getroffen, das sie zur Ministerpräsidentin machte.
Dänemarks Entscheidung zur Abschaffung aller Corona-Beschränkungen wird nun von den Regierungen und politischen Kräften in ganz Europa als Vorbild für ihr eigenes Vorgehen aufgegriffen, unabhängig davon, wie hoch die Infektions- und Todesfälle dadurch ausfallen.
Im benachbarten norddeutschen Bundesland Schleswig-Holstein diskutiert die CDU-geführte Landesregierung laut NDR über die Option eines „dänischen Wegs“. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erklärte am Donnerstag als Reaktion auf die Aufhebung der Beschränkungen in Dänemark: „Die sind bei Omikron noch ein bisschen vor der Zeit, haben auch eine höhere Impfquote als wir sie in Deutschland haben. Von daher kann der dänische Weg noch ein Stück mutiger sein (…) Ich glaube, auch in Deutschland ist da sehr, sehr bald auch Bewegung drin.“