Wie der Verfassungsschutz die extreme Rechte fördert

„Die Frage ist, ob sich Maaßen erst nach seinem unfreiwilligen Ausscheiden aus der Amtsspitze radikalisierte, oder ob er seinen Hang zu ultrarechten Positionen schon vorher entwickelt hat. Wie sehr hat Maaßen den Verfassungsschutz politisch geprägt?“ fragt der Spiegel in einem langen Hintergrundartikel über Hans-Georg Maaßen, der von 2012 bis 2018 das Bundesamt für Verfassungsschutz leitete.

Die Antwort auf diese Frage kennt man seit langem. Maaßen hetzte bereits gegen Asylrecht und Flüchtlinge, als die AfD dieses Thema noch gar nicht für sich entdeckt hatte. Als Verfassungsschutzchef traf er sich mehrmals mit AfD-Führern, um ihnen zu helfen, der Beobachtung durch die von ihm geleitete Behörde zu entgehen. Schließlich musste die Bundesregierung Maaßen im November 2018 in den einstweiligen Ruhestand versetzen, weil seine Verteidigung einer rechtsextremen Demonstration in Chemnitz einen Sturm der Empörung ausgelöst hatte.

Während Maaßen Rechtsextreme deckte und förderte, ging er um so schärfer gegen Antifaschisten, Kriegsgegner und Sozialisten vor. Er war dafür verantwortlich, dass die Sozialistische Gleichheitspartei als „linksextreme“ Organisation in den jährlichen Verfassungsschutzbericht aufgenommen und beobachtet wurde, weil sie – wie das Bundesinnenministerium dies später rechtfertigte – gegen „Kapitalismus, vermeintlichen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus“ eintritt.

Inzwischen steht Maaßen derart tief im rechtsextremen Lager, dass dies, wie der Spiegel schreibt, „nicht nur ein Problem für die CDU“ ist, „sondern auch für die Behörde, die Hans-Georg Maaßen sechs Jahre lang geleitet“ und von 1100 auf 3500 Mitarbeiter aufgestockt hat. „Maaßen beschmutzt das Amt“, wird ein Sicherheitsbeamter zitiert.

Seit er im einstweiligen Ruhestand lebt und eine staatliche Pension bezieht, die von Experten auf 6000 Euro im Monat geschätzt wird, trägt Maaßen seine faschistische Gesinnung unverhüllt zur Schau. Er beschönigt Anschläge auf wehrlose Flüchtlinge, verbreitet rechtsradikale Verschwörungsideologien, fordert ein „Covid-Impfverbot“ und warnt vor den „Gefahren der sozialistischen Ideologie“ und der Zerstörung der Gesellschaft durch die Linken.

Maaßen, der nach wie vor Mitglied der CDU ist, schloss sich vorübergehend der Wertunion an, deren Vorsitzender Max Otte inzwischen für die AfD für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert. Er veröffentlicht Beiträge in der Jungen Freiheit, dem Zentralorgan der Neuen Rechten, und ist im sozialen Netzwerk Gettr aktiv, einer Plattform der Alt-Right-Bewegung.

„Tag für Tag scheint Maaßen tiefer in die Welt der rechten Ideologen und Verschwörungsanhänger einzutauchen,“ bemerkt der Spiegel. Maaßens Nachfolger Thomas Haldenwang, der jahrelang sein Stellvertreter war, versuche, „sich so weit wie möglich von seinem einstigen Chef abzusetzen“. Er habe „einen rigiden Kurs gegen alte und neue Rechtsextremisten im Lande ausgerufen. Doch jede neue Provokation von Maaßen hintertreibt seine Bemühungen.“

Der Spiegel ist sichtlich bemüht, Haldenwang zu helfen. Wenn Maaßen seinen Ruf schon völlig ruiniert hat, soll wenigstens der Ruf des Verfassungsschutzes gerettet werden. Die Journalisten des Nachrichtenmagazins haben „mit aktiven und ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes und der Landesämter gesprochen“ und „als geheim und vertraulich eingestufte Dokumente aus der Zeit Maaßens ausgewertet“. Sie geben sich große Mühe, nur Dinge zu enthüllen, die bereits bekannt sind. Trotzdem ist die Bilanz ihres Hintergrundberichts vernichtend.

Die bloße Zusammenfassung der Fakten macht deutlich, dass der Verfassungsschutz eine Brutstätte jenes Rechtsextremismus ist, den er angeblich abwehren soll. Die AfD und die militante Neonazi-Szene verdanken ihre Erfolge maßgeblich der Komplizenschaft des Verfassungsschutzes. Jeder ernsthafte Kampf gegen die rechte Gefahr muss mit der Auflösung dieser undurchsichtigen und verschworenen Behörde beginnen.

Unterstützung durch Innenminister aller Parteien

Maaßen ist dabei nur der offensichtlichste Ausdruck des Problems. Obwohl – oder weil – seine rechten Ansichten früh bekannt waren, wurde er von mehreren Innenministern und allen etablierten Parteien gezielt gefördert und unterstützt.

Seine Karriere begann er unter dem Innenminister der rot-grünen Bundesregierung Otto Schily (SPD), unter dem er zum Referatsleiter im Bundesinnenministerium aufstieg. Damals sorgte Maaßen dafür, dass der aus Bremen stammenden Murat Kurnaz nicht nach Deutschland zurückkehren konnte und fünf Jahre lang unschuldig im berüchtigten US-Gefangenenlager Guantánamo saß.

2012 berief Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Maaßen an die Spitze des Verfassungsschutzes, um den NSU-Skandal zu vertuschen. Kurz davor war das Neonazi-Trio aufgeflogen, das unter den Augen der Sicherheitsbehörden unbehelligt zehn rassistische Morde sowie mehrere Bombenanschläge und Banküberfälle verübt hatte. Obwohl Dutzende V-Leute im Umfeld des NSU aktiv waren, behauptete der Verfassungsschutz, von allem nichts gewusst zu haben und vernichtete geheime Akten.

Kaum im Amt, übte selbst die Linkspartei den Schulterschluss mit Maaßen und lud ihn zu einem öffentlichen Diskussionstreffen in Berlin ein.

Der neue Amtschef Maßen gebärdete sich als Aufklärer und verkündete einen „Tag des offenen Panzerschranks“. Die geheimen Safes sollten geöffnet und inventarisiert werden. Der Spiegel kommt nun aufgrund seiner Recherchen zum Schluss, „dass die Aktion so nie durchgeführt wurde“. Das Neonazi-Netzwerk blieb intakt. Stephan Ernst, der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordete, war Teil davon. Er hatte die NSU-Mitglieder persönlich gekannt und stand wie diese in engem Kontakt zu V-Leuten des Verfassungsschutzes.

Auch Friedrichs Nachfolger Thomas de Maizière (CDU) und Horst Seehofer (CSU) protegierten Maaßen. Als Maaßen 2015 gemeinsam mit seinem Freund, Bundespolizeichef Dieter Romann, vor Zeitungsredakteuren die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel denunzierte, traute sich de Maizière nicht, den illoyalen Beamten in den Ruhestand zu schicken. Er ließ zu, so der Spiegel, dass Maaßen „zunehmend eine eigene Agenda verfolgte und seinen Inlandsgeheimdienst danach ausrichtete“.

Seehofer wollte Maaßen sogar befördern und zum Sicherheitsstaatssekretär im Innenministerium machen, als er an der Spitze des Verfassungsschutzes nicht mehr zu halten war. In dieser Funktion wäre er für alle Sicherheitsbehörden des Bundes zuständig gewesen. Erst nach heftigen Protesten ließ Seehofer von diesem Vorhaben ab und schickte ihn in den einstweiligen Ruhestand.

Seehofer bemühte sich nach Maaßens Abgang weiterhin um den Schutz der AfD. Wie die Süddeutsche Zeitung am 21. Januar berichtete, intervenierte der damalige Innenminister vor einem Jahr persönlich, um ein 800 Seiten starkes, vertrauliches Gutachten des Verfassungsschutzes über die AfD abzuschwächen. Insbesondere Islam- und ausländerfeindliche Äußerungen wollte Seehofer nicht als rechtsradikal werten.

Maaßen hatte es jahrelang abgelehnt, sich mit der AfD und ihrem völkischen Flügel unter Björn Höcke zu befassen, obwohl laut den Recherchen des Spiegel mehrere Landesämter des Verfassungsschutzes darauf drängten. 2015, als die AfD noch nicht im Bundestag saß, hatte sich Maaßen sogar zweimal mit der damaligen Parteivorsitzenden Frauke Petry getroffen. Es stehe „der Verdacht im Raum“, so der Spiegel, dass Maaßen „der Partei Tipps gab, wie sie es vermeiden könnte, ins Visier der Dienste zu geraten“.

Maaßen leugnet das zwar, aber alle Indizien deuten darauf hin, dass es so war. Zwischen den beiden Treffen mit Petry, über die es keine Protokolle gibt, hatte Maaßen an einer Konferenz im saarländischen Innenministerium teilgenommen, auf der über eine Observierung der besonders radikalen saarländischen AfD diskutiert wurde. Kurz danach ließ Petry, die sich erneut mit Maaßen getroffen hatte, den saarländischen Landesverband auflösen.

Auch die Beobachtung des Instituts für Staatspolitik von Götz Kubitschek, einer ideologischen Kaderschmiede für Neurechte, Identitäre und völkische AfD-Mitglieder, hat Maaßen laut den Recherchen des Spiegel verhindert.

Die neue Innenministerin wird auf Linie gebracht

Inzwischen dominiert der faschistische Höcke-Flügel die AfD. Mit Jörg Meuthen ist – nach Parteigründer Bernd Lucke und Frauke Petry – Ende Januar bereits der dritte Parteivorsitzende mit der Begründung aus der Partei ausgetreten, sie sei ihm zu weit nach rechts gerückt. Die schützende Hand, die Maaßen und Seehofer über die AfD hielten, hat diesen Durchmarsch des faschistischen Flügels befördert.

An dieser Haltung hat sich auch unter Haldenwang nichts geändert. Der Verfassungsschutz ist ein Staat im Staat, der sich längst jeder demokratischen Kontrolle entzogen hat. Das zeigen die jüngsten Attacken auf die neue Innenministerin Nancy Faeser (SPD).

Faeser ist unter heftige Kritik geraten, weil sie im vergangenen Sommer einen Beitrag im Magazin der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA) veröffentlicht hatte. Der Beitrag befasste sich mit den Morddrohungen des „NSU 2.0“, die auch an Faeser als hessische SPD-Vorsitzende ergangen waren.

Der VVN-BdA betreibt antifaschistische Aufklärung. Zu seinen bekanntesten Mitgliedern gehörte die kürzlich verstorbene Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano. Aber auch zahlreiche andere Opfer des Nazi-Regimes und ehemalige KZ-Insassen sind darin organisiert.

Da sich darunter auch Mitglieder der DKP, der Nachfolgeorganisation der von den Nazis erbittert bekämpften KPD befinden, wird die Organisation im Bund, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Baden-Württemberg bis heute vom Verfassungsschutz bespitzelt. In Bayern wird sie sogar als „bundesweit größte linksextremistisch beeinflussten Organisation im Bereich des Antifaschismus“ im Verfassungsschutzbericht aufgeführt. Aufklärung über die Nazis gilt hier als verfassungsfeindlich.

Faeser wurde nun vorgeworfen, sie habe mit einer „linksextremistischen“ Organisation kooperiert. Als erstes erhob die Junge Freiheit, das Zentralorgan der extremen Rechten, diesen Vorwurf. Die Bild-Zeitung und mehrere CDU-Abgeordnete griffen ihn begierig auf.

Dabei wird Faeser selbst von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bescheinigt, dass sie „nicht am linken, sondern am rechten Rand ihres Landesverbandes unterwegs ist“. „Die Volljuristin hat ja nicht etwa in einer internationalen Großkanzlei im Frankfurter Bankenviertel gearbeitet, um den Kapitalismus von innen heraus zu zerstören,“ schreibt die FAZ. „Sie konnte dort gutes Geld verdienen und hatte einen Job, wie ihn sich mancher Anhänger der FDP erträumt. Faeser zählt zu den Sozialdemokraten, die auch bürgerliche Wähler an­sprechen.“

Faeser wird auf diese Attacken reagieren, wie es alle sozialdemokratischen Minister seit Gustav Noske getan haben, der nach der Novemberrevolution 1918 die revolutionären Arbeiter und Matrosen niederschießen ließ. Anstatt den rechten Kräften im Staatsapparat Schranken zu setzen, wird sie sich um ihr Vertrauen bemühen und ihnen ihre Zuverlässigkeit beweisen.

Nur die Mobilisierung der Arbeiterklasse kann der rechten Verschwörung im Staatsapparat Einhalt gebieten. In diesem Zusammenhang ist die Klage der Sozialistischen Gleichheitspartei gegen den Verfassungsschutz von großer Bedeutung. Die SGP ist nicht bereit, den Angriff des Inlandsgeheimdiensts auf ihre demokratischen Rechte hinzunehmen, der auch nach Maaßens Rückzug unvermindert weitergeht. Sie hat deshalb das Innenministerium verklagt und Revision gegen das Urteil der ersten Instanz, des Verwaltungsgerichts Berlin, eingelegt.

Wir rufen die Leser der WSWS auf, die Klage der SGP zu unterstützen. Unterzeichnet unsere Petition, spendet für die Prozesskosten und verbreitet die Informationen über den Prozess.

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