Auch am Montag und Dienstag fanden in ganz Sri Lanka Massenproteste statt. Wegen der steigenden Inflation, der Engpässe bei Treibstoff und anderen lebenswichtigen Gütern und der täglichen Stromausfälle forderten die Teilnehmer den Präsidenten Gotabhaya Rajapakse zum Rücktritt auf.
Die Regierung befindet sich in einer tiefen politischen Krise. Am Sonntag breiteten sich die Proteste aus, obwohl die Regierung den Notstand ausgerufen und eine 36-stündige Ausgangssperre verhängt hatte. Auch ein riesiges Polizei- und Militäraufgebot konnte die wachsenden Unruhen nicht verhindern.
Die Proteste haben sich auf alle Teile der Insel ausgebreitet. Etwa 1.000 Studierende der Universität Jaffna im Norden und hunderte Studierende der Eastern University in Batticaloa beteiligten sich an Demonstrationen. Auch in anderen Städten fanden große Demonstrationen statt, u.a. in Homagama, Maharagama, Moratuwa, Gampaha und Ja-Ela im Westen, in Kurunegala im Nordwesten, Anuradhapura im nördlichen Zentrum, wie auch in Galle und Matara im Süden der Insel. Zahlreiche kleinere Proteste gab es in Kleinstädten und an Verkehrsknotenpunkten.
Demonstranten umstellten die Häuser vieler Parlamentsabgeordneter der Regierungsparteien. Eine beliebte Parole war: „Go, Gota, go!“ Eine Gruppe von Demonstranten umstellte das Privatanwesen von Premierminister Mahinda Rajapakse, das Carlton House im südlichen Küstenstädtchen Tangalle, bis die Polizei sie mit Tränengas vertrieb. Vielerorts errichtete die Polizei Barrikaden, um die Demonstrationen zu stoppen.
Als Reaktion auf Rajapakses Versuche, eine Übergangsregierung zu bilden, trugen die Demonstranten Plakate mit der Aufschrift: „Nein zum Flickwerk!“ und drückten so ihre klare Ablehnung des jüngsten Manövers aus. Andere äußerten auf ihren Plakaten die immense Wut der Bevölkerung über Engpässe bei Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff. Wieder andere erklärten ihr Misstrauen gegenüber allen großen Parteien mit Slogans wie: „Alle Macht dem Volk“, „Zerstört nicht unsere Zukunft!“, „Genug ist genug“ oder „Gebt das ergaunerte Geld zurück!“
An den Massenprotesten beteiligten sich auch Teile der Arbeiterklasse. In Colombo kam es vor dem National Hospital zu einer Demonstration von Hunderten meist junger Pflegekräfte. An einer Protestveranstaltung in der Kleinstadt Peradeniya nahmen Ärzte, Dozenten, Pflegekräfte und Arbeiter teil; in anderen Städten waren auch Anwälte unter den Demonstrierenden.
Die Regierung schlittert von einer Krise in die nächste. Am Montag nahm Präsident Rajapakse den Rücktritt des gesamten Kabinetts an, bis auf seinen Bruder, Premierminister Mahinda Rajapakse, und veröffentlichte einen verzweifelten Appell an die Oppositionsparteien, in eine Übergangsregierung einzutreten und dazu beizutragen, die aktuelle Krise zu überwinden.
Alle drei großen Oppositionsparteien lehnten das Angebot ab. Der Oppositionsführer und Parteichef der Samagi Jana Balavegaya (SJB), Sajith Premadasa, erklärte: „Wir sind nicht bereit, einen Posten in einer Regierung anzunehmen, der die SLPP angehört.“ Die SLPP [Sri Lanka Podujana Peramuna] ist die größte Partei in Rajapakses Regierungskoalition.
Auch die Tamil National Alliance (TNA) wies die Einladung zurück. Ihr Sprecher, Mathiaparanan Abraham Sumanthiran, erklärte vor der Presse: „Sein Angebot, das Kabinett neu mit oppositionellen Abgeordneten zu besetzen, ist unsinnig und verärgert die Menschen, die seinen Rücktritt fordern.“
Die Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) erklärte offen, der Beitritt zu einer solchen Regierung wäre politischer Selbstmord. JVP-Parteichef Anura Dissanayaka erklärte vor der Presse in Colombo: „[Der Präsident] muss wirklich verrückt sein, wenn er glaubt, dass Abgeordnete der Opposition eine kollabierende Regierung unterstützen werden.“
In der Vergangenheit hatte keine dieser Parteien Hemmungen, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Sie nahmen 2020 an Allparteienkongressen teil und unterstützten Rajapakses verfrühte Wiederöffnung der Wirtschaft Mitte 2020, durch die sich Covid-19 auf der ganzen Insel ausbreiten konnte. Doch die Wut der Bevölkerung ist so groß, dass keine Partei es wagt, sich mit der völlig diskreditierten Rajapakse-Regierung gemein zu machen.
Obwohl die Parteien SJB, JVP und TNA Präsident Rajapakse verurteilen und seinen Rücktritt fordern, hat keine von ihnen eine Lösung für die derzeitige Wirtschaftskrise anzubieten – außer dass sie der Arbeiterklasse und der Landbevölkerung neue Belastungen aufbürden wollen. Die SJB hat die Regierung mehrfach aufgerufen, beim Internationalen Währungsfonds um ein Rettungspaket zu betteln, was die Regierung jetzt auch tut. Das wird unweigerlich zu weiteren harten Sparmaßnahmen führen.
Bis Montagmittag hatte Präsident Rajapakse nur vier neue Minister ernannt. Sein ehemaliger Anwalt und Justizminister Ali Sabry wurde als Nachfolger eines weiteren Bruders, Basil Rajapakse, zum Finanzminister ernannt. Basil Rajapakse war mehrfach und sogar innerhalb der Regierungskoalition für seinen Umgang mit der Wirtschaftskrise kritisiert worden. G.L. Peris, Dinesh Gunawardene und Johnston Fernando wurden erneut in ihre früheren Posten als Außen-, Bildungs- und Verkehrsminister eingesetzt.
Als am Montag der Chef der Notenbank, Ajith Nivard Cabraal, wegen Auseinandersetzungen mit der Regierung über den Umgang mit der Wirtschaftskrise zurücktrat, stürzte die Regierung noch tiefer ins Chaos. Die Zentralbank hätte in Kürze ihren Bericht zur Währungspolitik für April veröffentlichen und am Dienstag über die Zinssätze entscheiden müssen. Sie nannte kein Datum, wann dies nun geschehen werde. Sabry trat nach nur einem Tag Amtszeit als Finanzminister wieder zurück.
Die weltweiten Folgen der Corona-Pandemie haben die srilankische Wirtschaft schwer in Mitleidenschaft gezogen, und der Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine hat dies noch weiter verschärft. Fehlende Devisen haben den Import von Erdölprodukten, Grundnahrungsmitteln, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern beeinträchtigt. Das Land steht durch seine riesigen ausländischen Kredite am Rande des Staatsbankrotts.
Angesichts der ausufernden Krise hat die Börse in Colombo am Montag zweimal aufgrund starker Rückgänge bei den Leitindizes den Handel ausgesetzt. Der srilankische Aktienmarkt musste im März Kursrückgänge um 23 Prozent hinnehmen, nachdem er im Vormonat 11 Prozent verloren hatte. Insgesamt gab es bisher in diesem Jahr einen Rückgang um 32 Prozent.
Als am Dienstag das Parlament zusammentrat, erklärten mehr als 40 Abgeordnete des bisherigen Koalitionslagers, dass sie die Regierung nicht mehr unterstützen wollten. Damit verlor die Regierung Rajapakse ihre bisherige Zwei-Drittel-Mehrheit. Ob sie überhaupt noch eine einfache Mehrheit erreicht, ist mehr als fraglich.
Die Sri Lanka Freedom Party (SLFP), die 14 Abgeordnete stellt, hatte am Montag Fragen an die vier neu eingesetzten Minister gestellt und damit gedroht, aus der Regierungskoalition auszutreten. Damit würde die Regierung im 225-köpfigen Parlament nur noch über eine Minderheit verfügen.
Doch unabhängig von ihrer Zusammensetzung und Form kann die nächste Regierung aus diesen Parteien, die allesamt den Kapitalismus verteidigen, nichts tun, um das Leid der arbeitenden Bevölkerung zu lindern. Genau wie bei der Corona-Pandemie stellen sie die Profite des Großkapitals und den Reichtum der Superreichen über das Wohlergehen, die Gesundheit und das Leben der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung.
Die Socialist Equality Party in Sri Lanka ist die einzige Partei, die in die Oppositionsbewegung eingreift und die Arbeiterklasse auffordert, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie ruft zur Bildung von Aktionskomitees in Betrieben und Arbeitervierteln auf, die unabhängig von den Gewerkschaften und allen Parteien der Kapitalistenklasse arbeiten. Die Gewerkschaften haben in der ganzen Krise geschwiegen.
Diese Aktionskomitees werden die Grundlage für eine Arbeiter- und Bauernregierung bilden. Eine solche Regierung ist die einzige Möglichkeit, die Krise im Interesse der arbeitenden Bevölkerung zu lösen: durch die Umsetzung einer sozialistischen Politik als Teil des weltweiten Kampfs für den Sozialismus.